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Gerhard Richter-Schauen in Köln und Leverkusen

Nach dem Besuch der gerade stattfindenden Gerhard-Richter-Schauen in Köln und Leverkusen ist Stefan Koldehoff der Ansicht, dass es in seinen Werken gar nicht so viel zu entschlüsseln gibt. Er rät dazu, die Bilder auf sich wirken zu lassen und abzuwarten, ob sich bestimmte Assoziationen einstellten. Ganz falsch sei es zudem, vom Titel der Bilder auf deren Inhalt zu schließen, betonte Koldehoff.

Moderation: Rainer Berthold Schossig | 20.10.2008
    Rainer Berthold Schossig: Gerhard Richters Werk kreist ja seit je um die Erforschung seines Mediums, was ist Realität, was ist Malerei. Diese Frage stellen Richters Bilder seit Jahrzehnten, kann man sagen, immer wieder neu. Und dabei fühlt er sich scheinbar keinem Stil verpflichtet. 1932 ist er in Dresden geboren und der Malerphilosoph wohnt bekanntlich seit Langem als Wahlkölner in der Stadt am Dom, aber eine bedeutende Ausstellung hat er hier bisher noch nie bekommen. Nun als doch, im Museum Ludwig, gut drei Dutzend Großformate Richters aus den letzten 20 Jahren. Internationale Leihgaben vor allem, teils noch nie in Deutschland ausgestellt und zeitgleich dazu im kleinen, aber feinen Leverkusener Museum Morsbroich erstmals rund 500 übermalte Fotografien. Im Studio ist Stefan Koldehoff. Zunächst zum Museum Ludwig, Herr Koldehoff. Im Mittelpunkt der Kölner Schau die beiden Zyklen "Bach" und "Cage", das klingt nach Musik. Ich sehe meine Bilder, sagt er, eben wie Musik, die jeder Hörer für sich selbst entschlüsseln müsse, so Richter. Ja, Sie haben sich das angeguckt. Zu welchen Entschlüsselungen sind Sie bei der Besichtigung gekommen?

    Stefan Koldehoff: Wer wäre ich, Richter entschlüsseln zu wollen, wenn er selbst das verweigert? Ich glaube, das ist da gar nicht so viel zu entschlüsseln gibt. Ich glaube, dass es einfach darum geht, sich vor diese Bilder zu stellen, riesige Formate, wie Sie gerade gesagt haben, zum Teil vier mal fünf Meter, fünf mal fünf Meter groß, und sich einzulassen auf diese Bilder, sie wirken zu lassen, möglicherweise abzuwarten, ob sich bestimmte Assoziationen einstellen und die kommen dann in der Regel auch. Ich glaube, das Falscheste wäre, aus den Titeln "Bach", der eine große Zyklus, "Cage", der andere große Zyklus, zwischen beiden liegen 15 Jahre, der Cage-Zyklus ist 2007 entstanden, auf der Biennale zum ersten Mal gezeigt worden, da jetzt irgendwelche Verbindungen zu den Komponisten herstellen zu wollen oder zur Musikalität dieser beiden Komponisten. Richter selbst antwortet da ganz lakonisch, ich habe nach einem Titel gesucht und mir ist dann eingefallen, was ich gehört hatte, während ich gemalt habe und so habe ich die Bilder dann genannt. Mehr ist es nicht. Wenn man natürlich davor steht und sich dann wirklich auf diese Farbwelten auf der Leinwand einlässt, dann merkt man natürlich, dass da optisch was passiert. Dann merkt man, dass die Bachbilder ganz transparent, ganz luzide sind auf der Oberfläche, dass man glaubt, die verschiedenen Schichten übereinander sehen zu können. Es handelt sich ja um völlig abstrakte, völlig ungegenständliche Bilder. Richter schmiert Farbe auf einen Rakel, zieht diesen Rakel, eine Holzleiste, quer über die Leinwand, schaut dann, was passiert, sagt, dieses allererste Ergebnis ist ein reines Zufallsprodukt, aber das verlangt dann nach Korrekturen. Danach muss ich weitermachen. Und wenn man das vergleicht mit den 17 Jahre später entstandenen Cage-Bildern, dann sieht man, dass die Oberfläche viel zerschrundener ist, viel grauer ist, viel fast vernarbter ist. Es passiert natürlich was.

    Schossig: Bei diesen Rakeln, da fragt man sich natürlich als Peinture-Freund, ist das eigentlich noch Malerei oder ist das demonstrativ eine Verweigerung von Malerei. Was ist es?

    Koldehoff: Ach, ich würde noch nicht mal sagen, dass es Verweigerung ist. Es ist einfach eine andere Idee, die Farbe auf den Bildträger zu bringen. Das hat es ja in der Geschichte der Malerei immer schon gegeben, es hat ja nicht jeder mit dem Pinsel gemalt. Man kennt ja Paletten, Messer und man kennt Spachtel, mit denen Farbe aufgetragen wurde. Manche wie van Gogh haben sie direkt aus der Tube auf die Landwand gedrückt. Von einer Verweigerung würde ich da nicht sprechen. Aber es ist schon interessant, dass bei den Richter-Bildern, ob das nun die frühen fotorealistischen sind, die immer so ein bisschen verwaschen wirken, ob es die Quadrate sind, die wie Autolack wirken, dass man sich schon immer die Frage stellt, wie hat er das technisch eigentlich gemacht.

    Schossig: Apropos Fotografien. Da sind ja diese berühmten Grau-in-grau-Dinger und jetzt auch im Leverkusener Morsbroich Fotos erstmals zu sehen aus dem, wie es heißt, Richter'schen Familienalbum, kleines Format, mit Farbe überkleckert, übersprenkelt, überrakelt vielleicht, zugespachtelt. Eine Überraschung für Sie?

    Koldehoff: Ja, man kann fast sagen, eine Sensation. Das hat es in der Form noch nicht gegeben. Und dieser Werkkomplex innerhalb des Richter'schen Œuvres, 500 Fotos, das ist eine enorme Menge, ist tatsächlich zum allerersten Mal zu sehen. Und auch da versucht er zum einen, zwei klassische Kunstmedien, nämlich die Fotografie und die Malerei miteinander zu vereinen, indem er ganz banale eigene Schnappschüsse von Räumen, von der Familien, beim Essen, von Spaziergängen an der Küste nimmt und über Rakel oder über Farbpaletten, die er benutzt hat, einfach drüberzieht. Da geht es dann übrigens gar nicht mehr, wie man zunächst glauben könnte, um den reinen Zufall oder um die Assoziationen alleine. Er sagt dazu, dass er ganz, ganz viele dieser Experimente, die nach dem Fertigstellen eines Bildes entstehen, einfach zerreißt und wegschmeißt, weil sie ihm nicht gefallen, während er die behält, von denen er sagt, da geschieht was fast wie im Märchen. Da kann man Figuren erkennen, kämpfende Schlangen, Riesenfelsen und Wolken. Er hat mir erzählt, dass es mal einen Sammler gab, der ein Bild falsch gerahmt hat. Und als man das Glas abnahm, sprang Farbe ab. Und dieser Sammler wollte das restaurieren lassen und er hat das verweigert und gesagt, nein, sehen Sie doch als Vögel im Himmel oder sehen Sie es doch als Fische im Wasser. Das sind ganz gegenständliche Sachen.

    Schossig: Malen als Romantiker vielleicht, aber eigentlich ohne Vorbild. Das war Stefan Koldehoff über die Gerhard-Richter-Ausstellung, die große jetzt, die erste in Köln, im Kölner Museum Ludwig und zeitgleich im Leverkusener Museum Morsbroich. Danke schön!