Engels: Was bedeutet dieses Urteil für die Soldaten?
Penner: Das bedeutet zunächst einmal, dass ein Einzelfall in erster Instanz judiziert worden ist. Aber ich muss ergänzend darauf hinweisen, dass es in gleicher Sache mehrere Verwaltungsgerichte gibt, die bei gleichem Sachverhalt anders entschieden haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Man muss mal sehen, was daraus wird.
Engels: Aber für den einzelnen Wehrpflichtigen derzeit könnte das doch erst mal bedeuten, dass er sich mit Bezug auf dieses Urteil erst mal dem Einzug verweigert?
Penner: Das mag sein, dass er sich verweigern kann. Es bleibt aber dabei, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann demzufolge noch keine Rechtswirkungen gegen oder für jemanden auslösen.
Engels: Wagen Sie eine Einschätzung, wie das Bundesverwaltungsgericht sich dazu äußern wird?
Penner: Das ist außerordentlich schwierig. Nach einem gängigen Wort ist ja nichts so ungewiss, wie Entscheidungen eines Gerichts. Aber, wenn man einmal die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts über die Jahrzehnte hinaus betrachtet, die Entscheidungspraxis prägt ja auch Entscheidungen anderer Gerichtsbarkeiten vor, so könnte es sein, dass das Bundesverwaltungsgericht auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts betont, dass die Frage der Definition der allgemeinen Wehrpflicht eine genuin politische und weniger eine Angelegenheit der Jurisdiktion ist.
Engels: Es geht ja konkret um die Einberufungsrichtlinien des Bundesverteidigungsministeriums und die wurden nun bemängelt, weil de facto weniger als die Hälfte eines Jahrganges der wehrpflichtigen Männer überhaupt noch eingezogen werden. Ihre Einschätzung: Haben wir noch Wehrgerechtigkeit in der Bundeswehr?
Penner: Ich will das einmal so ausdrücken, ich habe ganz wenige Eingaben aus dem Kreis der Wehrpflichtigen, die mangelnde Wehrgerechtigkeit beklagen. Das ist ein Indiz dafür, für den Wehrbeauftragten, dass dieses Thema die wehrpflichtigen Jahrgänge nicht so sehr plagt, wie es den Anschein hat. Das bedeutet natürlich nicht, dass damit das Thema Wehrgerechtigkeit für sich erledigt sei. Wehrgerechtigkeit herzustellen ist Sache der politischen Entscheidungsträger, das ist Parlament und Bundesregierung. Bisher sieht es so aus, dass die große Mehrheit des Parlaments auch an der bisherigen Form der Wehrpflicht festhalten will, die Bundesregierung ohnehin. Der Wehrbeauftragte als der Beauftrage des Parlaments in Sachen innere Führung, hat dies nicht zu kritisieren, zumal das Parlament in dieser Sache nicht eins ist. Die kleineren Parteien, FDP und Grüne wollen ja die Wehrpflicht aussetzen.
Engels: Da haben Sie es angesprochen. Stichwort: Wehrpflicht. Sie wagen also keine Einschätzung darüber, ob man die Wehrpflicht noch braucht?
Penner: Die Frage der Wehrform, also Freiwilligenarmee oder Wehrpflichtarmee ist in der Tat allein eine politische Entscheidung. Wenn man so will, auf Seiten der Regierung eine organisationspolitische Entscheidung. Ob die Wehrform der Wehrpflichtarmee noch eine Chance hat, ist außerordentlich schwer zu prognostizieren. Nur eines ist klar, bis auf weiteres wird es bei der Wehrpflichtarmee der bisherigen Form bleiben. Das hat einfach praktische Gründe. Den Wechsel der Wehrform zu bewerkstelligen bedarf es nicht ein paar Monate sondern dazu sind Jahre nötig, wie das Beispiel Spanien, Italien und Frankreich beweist.
Engels: Aber in der langfristigen Perspektive höre ich Zweifel daran heraus, ob die Wehrpflicht Bestand haben wird?
Penner: Der Bundesverteidigungsminister hat ja selbst betont, dass seine verteidigungspolitischen Richtlinien für später durchaus die Möglichkeit des Wechsels der Wehrform offen lassen, möglicherweise war das eine Entgegenkommen für den Koalitionspartner Grün, der ja in dieser Frage eine dezidiert andere Meinung als der größerer Koalitionspartner SPD und CDU/CSU vertritt. Aber, wie gesagt, das sind Signale für die Zukunft. Wenn es zu einem Wechsel der Wehrform jetzt kommen würde, dann müssten die Entscheidungen jetzt fallen, es ist aber mit großer Sicherheit zu prognostizieren, dass der Wechsel der Wehrform dann erst zu Beginn des nächsten Jahrzehnts in den Bereich des Realisierbaren rücken würde.
Engels: Dann gucken wir etwas kurzfristiger. Dies jetzige Urteil greift ja die Einberufungsrichtlinien der Bundeswehr an. Sollte die Bundesregierung, ihrer Einschätzung nach, jetzt die Richtlinien ändern, um mehr Wehrgerechtigkeit herzustellen?
Penner: Ich habe der Bundesregierung keine Hinweise zu geben, aber die Bundesregierung wird sicherlich, nicht ganz zu Unrecht, darauf hinweisen, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln eine Einzelentscheidung ist und dass es eine Mehrzahl anders lautender Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte aus jüngster Zeit gibt. Das heißt also, wenn ich das richtig bewerten soll, dann wird die Bundesregierung sicherlich daran denken, in der Frage der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln noch eine andere Instanz zu bemühen.
Engels: Sie haben es eben gesagt, in Ihren Gesprächen mit der Truppe, haben Sie gesagt, das Thema Wehrgerechtigkeit würde gar nicht eine so große Rolle für die einzelnen Soldaten spielen. Wie steht es denn mit der Meinung der Soldaten zum Thema Berufsarmee oder Wehrpflicht?
Penner: Da gibt es einen einheitlichen Trend. Die Ausbilder in der Bundeswehr, also diejenigen, die für die Regeneration der Truppe eine Hauptverantwortung tragen, möchten an der Wehrpflicht auch in der bisherigen Form festhalten. Dies hat sehr handfeste Gründe, sie sind der Überzeugung, dass damit auf geeignetere Weise Nachwuchs gewonnen werden kann, der sonst nicht gewonnen werden könnte. Andere in der Bundeswehr sind deshalb für die Wehrpflichtarmee, weil die Freiwilligenarmee bei gleichem Umfang wesentlich teurer sei. Also, durchgängig kann man sagen, die ganz große Mehrheit der aktiven Soldaten möchte an der Wehrpflichtarmee festhalten, was nicht bedeutet, dass es auch andere gibt. Zumal solche, die aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sind, die äußern gelegentlich in der Öffentlichkeit auch Zweifel, ob es bei der Wehrpflichtarmee bleiben sollte und das hat natürlich auch wegen des Rangs solcher Äußerungen durchaus seine Auswirkungen auf die Truppe.
Engels: Die Diskussion um die Wehrpflicht, die Diskussion um die Wehrgerechtigkeit. Wir sprachen mit Willfried Penner, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, er gehört der SPD an. Ich bedanke mich für das Gespräch.
