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Gerichtsurteil zu Hochschulgesetz
"Universitäten sind keine Wirtschaftsunternehmen"

Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes Bernhard Kempen hält Professoren an deutschen Unis für benachteiligt. Grund dafür sei die starke Ausrichtung auf unternehmerische Ziele. Dies sei eine "Fehlentwicklung", so Kempen im DLF. Gestern hatte der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof geurteilt, dass die freie wissenschaftliche Betätigung strukturell gefährdet sei.

15.11.2016
    Studenten an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen verfolgen am Mittwoch (12.04.2006) eine Vorlesung im Fach Maschinenbau. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Wissenschaftsrat haben im Rahmen der Exzellenzinitiative die RWTH Aachen auf ihre Liste der Elite-Unive.
    Sind Professoren an deutschen Unis im Nachteil, unter anderem weil in den Hochschulräten Vertreter der Wirtschaft repräsentiert sind? (Oliver Berg / dpa)
    Regina Brinkmann: Seit gestern hat es einen Karlsruher Hochschulprofessor, der geklagt hatte, schwarz auf weiß. Das Hochschulgesetz des Landes Baden-Württemberg ist in Teilen verfassungswidrig und muss überarbeitet werden, denn es gewährt den Professoren im Vergleich zum Rektor und Hochschulrat zu wenig Mitspracherecht. So sei die freie wissenschaftliche Betätigung strukturell gefährdet, heißt es in dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes.
    Wir haben darüber gestern in "Campus und Karriere" berichtet und uns auch gefragt, was muss sich jetzt in Baden-Württemberg ändern, und wie ist es allgemein um die Wissenschaftsfreiheit bestellt. Reden wir drüber mit Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, der die Interessen von Hochschullehrenden vertritt. Herr Kempen, ist Baden-Württemberg eine Ausnahme oder ist es um die Wissenschaftsfreiheit von Professoren auch in anderen Bundesländern nicht gut bestellt?
    Bernhard Kempen: Wir wissen seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Medizinischen Hochschule Hannover, was die neuen Maßstäbe sind. Und diese Maßstäbe, die für diese Hochschule entwickelt worden sind im Verfahren in Karlsruhe vom Bundesverfassungsgericht, die gelten natürlich auch in allen anderen Bundesländern. Nun ist es so, dass in Baden-Württemberg der baden-württembergische Verfassungsgerichtshof auf eine Verfassungsbeschwerde hin entschieden hat.
    Und ich sage Ihnen, das wird in allen anderen Bundesländern ebenfalls durchschlagen. Das heißt, alle Bundesländer sind aufgerufen, nun ihre Hausaufgaben zu machen und zu prüfen, ob ihr jeweils eigenes Land, das Hochschulgesetz den Maßstäben aus Karlsruhe beziehungsweise den Maßstäben des baden-württembergischen Verfassungsgerichtshofs entspricht, ob das damit konform ist. Und mein Eindruck ist, das ist in der Mehrzahl der Fälle, werden wir in den Bundesländern Probleme haben.
    "Das wird sich so nicht halten lassen"
    Brinkmann: Welche?
    Kempen: Dass die Hochschulgesetze in ihrer Organisationsstruktur den neuen verfassungsgerichtlichen Maßstäben nicht entsprechen. Das heißt, um es vereinfacht auszudrücken, dass wir immer noch die Vorstellung haben von einer Managementuniversität, in der Leitungsgremien das Sagen haben und die Professoren sozusagen in die zweite Reihe zurückgedrängt sind. Das wird sich so nicht halten lassen.
    Brinkmann: Also ist das eine Abkehr auch von diesem Idealbild der unternehmerischen Hochschule, in der ja der Hochschulrat zum Beispiel so eine Art Aufsichtsrat darstellt?
    Kempen: Ja, das kann man wohl sagen. Das Bild der unternehmerischen Hochschule, das habe ich wirklich so immer für eine Fehlvorstellung gehalten. Universitäten sind keine Wirtschaftsunternehmen, sondern Universitäten sind Stätten der Wissenschaft. Und das unterscheidet sie ganz maßgeblich von allen anderen Erscheinungsformen in der Wirtschaft. Als Stätten der Wissenschaft sind wir nicht auf Gewinnoptimierung ausgerichtet, sondern auf Erkenntnis und vor allen Dingen darauf, dass die junge Generation eine qualitätsvolle Ausbildung erhält. Da geht es nicht um Euro und Cent, sondern um Wissen und um Wissensvermittlung. Das ist etwas ganz anderes als das, was manche Politiker sich lange Jahre und viel zu lange vorgestellt haben.
    Brinkmann: Also das heißt, die Macht der Hochschulräte muss aus Ihrer Sicht zurückgeschraubt werden?
    Kempen: Die Hochschulräte haben durchaus eine wichtige Funktion, das ist ein Stück Verzahnung mit der Gesellschaft und auch mit der Wirtschaft, jawohl. Aber man darf natürlich die Universitäten und die Hochschulen nicht den Hochschulräten ausliefern. In den Hochschulräten, wenn da Vertreter der Wirtschaft repräsentiert sind, dann heißt das ja nicht, dass die nun wissen, wie eine Universität zu leiten ist und wie die Universität …
    Brinkmann: Aber sie sollten den Hochschulen doch auch ein bisschen Input auch von außen geben und auch eine gewisse Kontrolle. Die kann doch eigentlich auch nicht schaden, oder?
    Kempen: Dieser Input ist uns hochwillkommen, um das ganz deutlich zu sagen. Selbstverständlich nehmen wir das sehr ernst, was uns von außen gesagt wird. Aber es ist etwas anderes, ob wir Anregungen und Empfehlungen bekommen oder ob der Hochschulrat eigene harte Entscheidungsbefugnisse hat.
    "Gremium von Outsidern, die von außen auf die Universität schauen"
    Brinkmann: Wie bekommt man denn jetzt die Machtbalance wieder hin? Also gibt es jetzt so eine Art oder sollte es jetzt so eine Art Comeback der Senate geben?
    Kempen: Ich meine ja. Die Senate sind tatsächlich die Stätten, in denen die Vertreter aller Fakultäten zusammenkommen und die gesamtuniversitären Angelegenheiten besprechen. Und das ist auch das Gremium, in dem die Universität weiterzuentwickeln ist, wo also zu entscheiden ist, wie soll unser Profil in den nächsten fünf Jahren aussehen, wo wollen wir Schwerpunkte setzen, wie wollen wir mit den Studierenden umgehen et cetera, et cetera. Das muss im Senat besprochen werden und nicht in einem sehr kleinen Gremium von Outsidern, die von außen auf die Universität schauen, sie aber von innen nicht wirklich Tag für Tag erleben.
    Brinkmann: Jetzt noch mal auf den Fall Baden-Württemberg gemünzt: Da ging es ja auch darum, dass sich der Hochschulprofessor, der sich da mit der Klage an den Verfassungsgerichtshof gewandt hat, dass es dem auch darum ging, dass so ein Rektor abgewählt werden kann. Sollte das auch stärker ausgedehnt werden diese Machtfülle?
    Kempen: Ich denke das ist so ein System der Checks and Balances. Wenn der Rektor weitreichende Entscheidungsbefugnisse hat, dann müssen diese Entscheidungsbefugnisse aber auch rückgebunden sein an die anderen Entscheidungsträger in der Hochschule. Und die müssen dann auch die Möglichkeit haben, einen Rektor wieder loszuwerden, wenn der tatsächlich sich als krasse Fehlbesetzung erweist beziehungsweise meint, eine Hochschule leiten zu können, ohne sozusagen jeweils die Legitimation in den einzelnen Fächern und im Senat zu haben.
    "Man kann nicht eine Hochschule gegen die Professuren leiten"
    Brinkmann: Wir haben eben von der Machtfülle der Hochschulräte gesprochen. Reden wir mal über die Machtfülle der Rektoren, die es einzugrenzen gilt. Da hat zum Beispiel Professor Stöckle, von dem wir eben sprachen, der eben diese Klage eingereicht hat, auch kritisiert, also er hatte ein Bild gezeichnet von Professoren, die abhängig sind von übermächtigen Rektoren, die Angst haben müssen um Leistungszulagen oder Funktionsämtern, wenn sie den Mund aufmachen.
    Kempen: Na, so düster würde ich das Bild jetzt vielleicht nicht malen. Aber richtig ist schon, dass dann, wenn der Rektor hier weite Befugnisse hat, ob die nun im personellen Bereich liegen oder im Bereich der Weiterentwicklung der Hochschule oder in weiteren Entscheidungszusammenhängen, dann muss es möglich sein, dass sozusagen ein Senat, und zwar ohne, das vorher mit dem Hochschulrat abzustimmen oder ohne, dass der Hochschulrat da nun ein Vetorecht hätte, dann muss es möglich sein, dass der Senat eben mit qualifizierter Mehrheit auch wieder abwählen kann. Man kann nicht eine Hochschule gegen die Professuren leiten. Und ich glaube, das ist das, was in dem Urteil des baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof zum Ausdruck gekommen ist.
    Brinkmann: Soweit Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, und er hofft, dass die Hochschulgesetze endlich zugunsten der Professoren und der Wissenschaftsfreiheit reformiert werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.