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Germanen-Saga über Verrat, Mord und Rache

In Friedrich Hebbels Trauerspiel "Die Nibelungen" wird gezeigt, wie Gewalt entsteht. Genau das richtige Stück für Regisseur Marius von Mayenburg, der an der Berliner Schaubühne Menschen vorführen wollte, die für ihre Ziele über Leichen gehen.

Von Hartmut Krug |
    Einen geschichtlichen Ort für Hebbels Deutsches Trauerspiel und dessen blutig-großen Mythos vom Kampf um die Einrichtung der Welt entwirft die Schaubühnen-Inszenierung nicht. Weder politische Aktualisierungen gibt es noch Analysen geschichtlicher Entwicklungen, auch kein Nazitum und keine Auseinandersetzung mit dem Konflikt zwischen Wirklichkeit und Ideologie. An die aufregend zeitgenössische Inszenierung von Wolfgang Engel, der das deutsche Mythendrama 1986 in Dresden als Geschichtsstück entdeckte und ihm zugleich einen Platz in unserer Wirklichkeit zuwies, darf man hier nicht denken. Eher schon an Thomas Langhoffs Auseinandersetzung mit "Kriemhilds Rache" 1994 am Deutschen Theater. Denn Langhoff suchte, wenn auch mit anderen, eher folkloristischen Mitteln, wie Schaubühnenregisseur Marius von Mayenburg, bei Hebbel die laut dem Autor darin enthaltene "menschliche, in all ihren Motiven natürliche Tragödie".

    Mayenburg versachlicht das Stück, er kühlt es ab. Und cool sind sie alle, die jungen Leute, die in heutiger Alltagskleidung auf die Bühne kommen und sich vor und auf die riesige, bühnenbreite, 17-stufige leere Treppe setzen und langweilen. Dann sagt einer "Na komm, erzähl uns was, sonst wird der Tag zu lang. Du weißt so mancherlei, von starken Recken und von stolzen Fraun", und das Spiel beginnt. Nein, kein Spiel, sondern eine szenische Erzählung. Die Erzähler wachsen hinein in Rollen in der Geschichte, doch die von der wuchtigen Treppe dominierte Bühne ist ihnen nicht Spielraum, sondern vor allem Ort für Diskutier-Arrangements, bei denen die kräftig und klug gekürzten Szenen, neu verfugt, locker ineinander übergehen. Wenn zum Beispiel Siegfried Gunter von Brunhild erzählt, so sitzt er wenige Stufen unter ihr und findet mit den Worten "Dies Weib ist auf der Welt und ich hör´es erst jetzt" sofort Blickkontakt. Die Inszenierung unterspielt Hebbels Pathos und versachlicht zunächst geschickt dessen Leidenschaftlichkeit.

    Diese Spielweise führt dazu, dass Hebbels sinnliche Jamben so deutlich wie heutig klingen. Die Schauspieler fesseln die Zuschauer mit ihrer konzentrierten Nüchternheit, - allerdings nur, bis die ersten Konflikte mehr emotionalen Einsatz verlangen. Denn die reine Geschichte davon, wie Gewalt, Macht, Leidenschaft, Ehre und Rache entstehen, die lässt sich nicht nur einfach erzählen. Ohne ihre mythisch tiefgründelnden Bedeutungen werden die Figuren, die psychologisch nicht allzu genau begründet sind, dann doch flach und fad.

    Die Konsequenz, mit der in dieser Inszenierung große Gesten vermieden und Hebbels Schlachtengemälde ohne auftrumpfende Spielszenen erzählt wird, beeindruckt durchaus. Doch schon wenn sich Brunhild und Kriemhild vor der Kirche streiten, was hier bedeutet, dass sie auf den Stufen der Treppe laut miteinander reden, verliert die Inszenierung in doppelter Hinsicht ihre Form. Jetzt, wo es um Leidenschaften, um Wut und Kampf geht, sind die zuvor so präzisen Schauspieler nur noch laut und undifferenziert.

    Da helfen auch die Musiker nicht, die am Bühnenrand unter anderem mit Harmonium und Bass die Atmosphären musikalisch beschwören, die die Schauspieler eigentlich selbst erspielen müssten. Jetzt macht sich auch negativ bemerkbar, dass es keinerlei Requisiten gibt, außer Tisch und Stühlen, dem zur mächtigen Axt mutierten Schwert Balmung von Siegfried und Hagens Speer als Mordinstrument.

    Schauspielerisch im Mittelpunkt steht der schmale Christoph Luser als Hagen, der als leidenschaftlicher, kühl-schneller Denker gezeigt wird. Während der kräftige Sebastian Schwarz, das weiße Sweatshirt überm sich wölbenden Bauch, seinen Siegfried stets gemütlich wirken und lange nachdenken lässt, bevor er handelt. Die Frauenfiguren wiederum, an denen Hebbel verschiedene Verhaltensweisen im Geschlechterkonflikt zu verdeutlichen sucht, bleiben blass.

    Die Gelassenheit, mit der Regisseur Mayenburg die Geschichte erzählt, führt im zweiten Teil zur Langeweile und szenischen Überdeutlichkeit. Da zerschlägt Hagen schwer arbeitend minutenlang einen Tisch mit der Balmung-Axt, um dann zu sagen, so, das Schiff für die Rückfahrt ist hinüber, oder er schnitzt lange mit dem Messer an der Lanze, mit der er dann bis zur Mordtat herumläuft.

    Die eher zeichenhaft abstrakt gehaltene Schlussszene zeigt das allgemeine Gemetzel, indem die dem Tode geweihten Kämpfer die Treppe hinauf marschieren, um auf der anderen Seite hinunterzugehen, der Axt entgegen. Die Kämpfer schütten eimerweise Blut auf die Treppe, auf der Kriemhild allein im Blutstrom sitzt. Es ist ein schönes, ja schickes, aber kein verstörendes Bild. Wie ohnehin dem Stück durch seine Verpflanzung in eine Kudamm-Workshop-Atmosphäre all seine Schrecken und all sein Bestürzungspotenzial ausgetrieben wurden. Schließlich sitzt Kriemhild allein im Blut ohne Hoffnung: In dieser Inszenierung gibt es keinen Dietrich von Bern mehr, der die Welt auf seinem Rücken weiter schleppen soll. An der Schaubühne geht es auch nicht um die Welt. Worum es eigentlich geht, bleibt letztlich unklar.