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Germanische Götter in Serien
Odins Comeback

Die Götter des germanischen Heidentums waren lange nicht mehr so präsent wie heute. Verantwortlich dafür sind Serien wie "American Gods" oder "Vikings". Wie exakt aber sind die Darstellungen der totgeglaubten Religion? Und welche Rolle spielen sie für die Zukunft des Polytheismus?

Von Tim Baumann | 09.01.2018
    Mr Wednesday (Ian McShane, links) und Shadow Moon (Ricky Whittle, rechts) stehen mit dem Gott Vulcan (Corbin Bernsen) in einem Raum mit Hirschgeweihen und ausgestopften Tieren
    Mit "American Gods" kreiert Neil Gaiman eine neue Geschichte über alte Götter (Amazon/Starz Entertainment)
    1000 Jahre lang waren die Götter des germanischen Heidentums tot. Mit der Christianisierung Europas starben die alten Bräuche oder gingen im Christentum auf. Heute aber sind die Götter der Vergangenheit so lebendig wie seit dem Frühmittelalter nicht mehr – verantwortlich dafür sind Serienformate wie "American Gods" oder "Vikings".
    An historische Fakten angelehnt, versetzt die Serie "Vikings" die Zuschauer in die Zeit der Wikinger. Weltweit folgt ein Millionenpublikum den blutigen Abenteuern des Saga-Helden Ragnar Lothbrok und seiner Söhne. Vor allem aber tauchen die Zuschauer von "Vikings" in eine Welt ein, in der die Götter nah und lebendig sind. Man sieht durch Ragnars Augen die Vision eines einäugigen Alten, der gemeinsam mit seinen beiden Raben über ein Schlachtfeld streift, während Walküren die Seelen der gefallenen Krieger nach Walhalla holen. Ein klassisches Bild des Gottes Odin. Religiöse Handlungen werden ausführlich dargestellt: Um die Gunst der Götter zu erringen, opfern die wilden Nordmänner zumeist Ziegen oder Rinder - an manchen Stellen sind es aber auch Menschen, die ausgeblutet und an Bäumen aufgehängt werden.
    "Für das Wohl aller Menschen in Midgard. Ich hoffe, die Götter werden mein Opfer ihrer würdig finden. Und wenn es so ist, werde ich mit großer Freude sterben."
    "Hängegott" Odin
    Die "Vikings"-Macher haben sich mit den historischen Quellen auseinandergesetzt - ein authentisches Bild liefert die Serie dennoch nicht, sagt Arnulf Krause, Professor für ältere skandinavische Sprache an der Universität Bonn:
    "Diese vorgestellte Opferszene in Uppsala, die ist tatsächlich überliefert. Und zwar um 1070, bei Adam von Bremen. Ihm wurde berichtet, dass es da einen Tempel gibt und dort würden alle neun Jahre diverses Getier und eben auch Menschen gehängt. Und dann interpretiert man das natürlich als Opfer des 'Hängegottes' Odin."
    "Hängegott" deshalb, weil Gott Odin eine besondere Beziehung zum Erhängen hatte, wie die Lieder-Edda erzählt. Demnach hat sich der Gott am Weltenbaum Yggdrasil aufgehängt, neun Tage und neun Nächte lang - als Opfer an sich selbst.
    "Heidnisches Denken geht in Kreisen"
    Überhaupt wird in der kanadisch-irischen Fernsehserie "Vikings" viel gestorben - und die heidnischen Protagonisten nehmen den Tod mit Gleichmut zur Kenntnis.
    "Das ist nur der Tod!"
    Arnulf Krause hingegen blickt kritisch auf diese Darstellungen:
    "Dass die nun überhaupt keine Probleme mit dem Tod gehabt hätten, das glauben wir dann wiederum auch nicht. Es gibt ja eine Theorie, die da besagt: Das Christentum konnte so erfolgreich sein, weil das Christentum auch ein sehr reelles Jenseits-Angebot gemacht hat."
    Professor Arnulf Krause
    Professor Arnulf Krause von der Universität Bonn ist Experte für die Edda (Privat)
    Dies sei bei der Missionierung Skandinaviens ein wichtiger Faktor gewesen. Für das einfache Volk habe das germanische Heidentum nämlich nicht viel anzubieten gehabt – der Platz an Odins Seite in Walhalla sei bedeutenden Kriegern vorbehalten gewesen. Eine solche Gleichmut gegenüber dem Sterben sei also nicht plausibel, weil die nordische Götterwelt den Normalsterblichen nichts anzubieten hatte.
    Dem widerspricht Haimo Grebenstein, der Sprecher des Vereins für germanisches Heidentum, einer polytheistischen Gemeinde, die deutschlandweit die Verehrung der nordgermanischen Götter praktiziert:
    "Ich würde es mal als ein Charakteristikum des Polytheismus, des Heidentums, ansehen, dass man da tatsächlich einen ganz anderen Zugang zu Leben und Tod hat."
    Das hänge mit dem Zeitverständnis zusammen: "Wir sind gewohnt, Zeit linear zu sehen: Das war vor 500 Jahren, das war gestern, das ist morgen. Heidnisches Denken geht in Kreisen. Der Tag ist ein Kreis, das Jahr ist ein Kreis, von daher kann man das, glaube ich, schon allgemein sagen. Ja, Heiden haben einen anderen Zugang zum Tod. Da ist das nicht das finite Ende, sondern einfach nur ein Übergang."
    Die Quellenlage ist schlecht
    Wie für die Macher der "Vikings"-Serie gilt auch für die Mitglieder des Vereins für germanisches Heidentum: In Europa wird heidnischer Glaube seit tausend Jahren nicht mehr praktiziert. Für die Recherche können sich also Filmemacher wie auch Neu-Heiden, die in Europa seit den 1970er-Jahren wieder aufleben, nur auf schriftliche Quellen beziehen, vor allem auf die Lieder-Edda und die Prosa-Edda. Allerdings wurden diese erst im christlichen Island des 13. Jahrhunderts verfasst. Was an den Werken daher authentisch vorchristlich sei, das könne man heute schlicht nicht mehr nachvollziehen, erklärt Professor Krause, der die Edda des Snorri Sturluson übersetzt hat:
    "Also ich tendiere und plädiere dafür, dass man das Ganze erst mal als ein poetisch-mythologisches System des 13. Jahrhunderts sieht. Aber man kann nicht hingehen und sagen: Die Edda-Lieder und die Edda des Snorri, das ist ein authentisches Bild des vorchristlichen Glaubens, der vorchristlichen Vorstellungen. Ist es nicht."
    Beim Verein für germanisches Heidentum ist man sich dessen bewusst, aber Sprecher Haimo Grebenstein betont, dass die Edda und die Sagas dennoch eine wichtige Inspirationsquelle seien. Man müsse weniger auf die vergebliche Re-Konstruktion setzen, sondern vielmehr auf die ideenreiche Re-Invention der Religion. Oder anders: Eine Religion erfindet sich neu.
    "Das heißt, wir sind gezwungen, da – ich sage jetzt mal durchaus provokant – spekulativ zu arbeiten."
    Spekulationen auf wissenschaftlicher Grundlage
    Mit Spekulationen arbeitet auch die Serie "American Gods". Produziert wird sie vom Schriftsteller Neil Gaiman, der auch die Romanvorlage geschrieben hat. In "American Gods" nutzt er die Mythen der Vergangenheit, um eine neue Geschichte zu erzählen. Die spielt in der Gegenwart - und ihre eigentliche Hauptfigur ist der Gott Odin.
    "Und wie dürfte ich Sie nennen, wenn ich dürfte, Sir?" / "Welcher Tag ist heute?" / "Mittwoch" / "Hmm. Dann ist heute mein Tag – dann nehmen wir vorerst das."
    Odin nennt sich in der Serie "Mr. Wednesday" - eine Anspielung auf den Ursprung des Wortes: Wednesday, Wodnesdæg, Wotans Tag, Odins Tag. Er nimmt den Protagonisten Shadow als Leibwächter in seine Dienste und fährt mit ihm kreuz und quer durch die USA - auf der Suche nach Verbündeten für eine "letzte Schlacht". Während des Roadtrips stößt Shadow immer wieder an die Grenzen des Vorstellbaren, Geister und Götter sind zum Greifen nahe. Und langsam dämmert es ihm, dass Mr. Wednesday, dieser einäugige Trickbetrüger, mehr ist, als er zu sein scheint.
    "Wer sind Sie?" / "Wenn ich es Ihnen sagen würde, würden Sie nicht an mich glauben."
    Der Serie "American Gods" liegt eine ausführliche Recherche zugrunde. Das verbindet sie mit den Polytheisten vom Verein für germanisches Heidentum. Im Verein seien Archäologen, Historiker und Religionswissenschaftler aktiv, die vom aktuellen Stand der Forschung ausgingen, sagt Haimo Grebenstein. Auf dieser Basis könne man dann spekulieren, wie sich das Heidentum und seine Bräuche hätten entwickeln können. Und so wie der Gott namens Mr. Wednesday in "American Gods" ein Auto benutzt, statt auf einem achtbeinigen Pferd zu reiten, so kauft man bei den modernen Heiden das Fleisch für ein Speiseopfer im Supermarkt. Haimo Grebenstein fügt augenzwinkernd hinzu:
    Haimo Grebenstein vom Verein für germanisches Heidentum
    Haimo Grebenstein ist Sprecher des Vereins für germanisches Heidentum (Privat)
    "Das Opfer soll ja auch tatsächlich nicht nur eine kleine Geste sein, sondern es soll ja auch wirklich was bedeuten. Und da wurde dann gesagt: Heute müsste man eigentlich sein iPhone ins Feuer schmeißen."
    "Dieser Faden kann immer weiter gesponnen werden"
    Für die germanischen Heiden unserer Tage sind die neuen Serien über ihre Götter aber ein zweischneidiges Schwert, sagt Grebenstein. Als positiv betrachtet er, "dass sehr, sehr viele jüngere Leute insbesondere, gerade über solche Sachen das erste Mal darauf stoßen und sich anfangen, dafür zu interessieren."
    Doch würden diese Serien aus dramaturgischen Gründen viel Action enthalten und könnten so ein falsches Bild vom germanischen Heidentum vermitteln. Professor Arnulf Krause nutzt "American Gods" aber durchaus auch in Seminaren und Vorträgen als Beispiel für die Rezeptionsgeschichte der Edda - das Odin-Bild, das in "American Gods" gezeichnet werde, sei sehr gelungen. Und obwohl er sagt, dass der Gott Odin für ihn seit 1000 Jahren tot ist, gilt das nicht für die mythologische Figur des Odin - die lebe weiter, weil sie weiter erzählt wird, auch in Formaten wie "American Gods":
    "Einen Mythos kann man weiterspinnen, wenn man ihm nicht per se religiösen Gehalt unterstellt, sondern wenn man ihn erst mal als das nimmt, was er ursprünglich ist: nämlich ein Mythos, eine Erzählung um Götter, um Welterklärung – und sei es auch nur um Unterhaltung. Warum denn nicht? Das haben auch schon die alten Isländer gemacht. Da kann dieser Faden immer weiter gesponnen werden."