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Geröllgletscher legen einen Gang zu

Umwelt. - Dass sich die Eisgletscher in den Alpen seit Jahrzehnten immer weiter zurückziehen, ist ein deutliches Zeichen für den Klimawandel. Auch ein anderer Gletschertyp zeigt Reaktionen auf die Erderwärmung: Die sogenannten Blockgletscher aus Gestein sie bewegen sich schneller als zuvor, wie Geographen auf einem zweitägiges Symposium an der Universität Würzburg berichteten.

Von Volker Mrasek |
    "Wie wenn jemand Honig, ganz festen Honig den Hang heruntergelassen hat."

    Keine Ahnung, was das sein könnte?

    "Manchmal wird's verglichen mit Vulkanströmen, vom Ansehen her."

    Auch jetzt noch nicht?

    "Es ist eigentlich ein Haufen Steine. Diese Ansammlung von Steinen, die manchmal so Fließstrukturen aufweist."

    Na ja, macht nichts! Anderen geht es genauso ...

    "Und dann kamen Wanderer dazu. Und meinten dann: Das gibt's gar nicht! Seit 30 Jahren laufen wir hier herum und haben das noch nie erkannt!"

    Isabelle Roer ist gnädig. Die Geographin löst das Rätsel auf. Es geht hier um sogenannte Blockgletscher. Um dauerhaft gefrorene Schutt- und Eisströme im Hochgebirge, die in Super-Zeitlupe Alpenhänge hinunterkriechen und von denen es eine ganze Menge in der Schweiz gibt. Roer forscht dort, als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Zürich:

    " Wir haben zum Beispiel viel im Turtmann-Tal gearbeitet. Das ist das direkte Nachbartal von Zermatt. Da finden wir an die 90 Blockgletscher. Die sind jeweils so vielleicht 800 Meter lang, mal einen Kilometer lang, und 300 Meter breit - so, um 'ne Größenordnung zu bekommen." "

    Die großen Alpengletscher wie der Aletsch präsentieren sich dem Betrachter als gewaltige Eisströme. Blockgletschern dagegen sieht man nicht an, dass sie Eis enthalten. Es versteckt sich unter der Oberfläche, in Klüften zwischen den Gesteinsbrocken.

    Was lange unbemerkt blieb: Auch die Schuttströme reagieren auf den Klimawandel, und zwar in einem Ausmaß, wie man es nicht für möglich hielt:

    "Dass sie sich bewegen, war klar. Man kannte das von besser untersuchten Objekten im Engadin, dass sie sich zwischen zehn Zentimetern im Jahr bis 50 Zentimeter im Jahr bewegen."

    " Doch seit den 90er Jahren gleiten die Blockgletscher viel schneller zu Tal. Nahe Zermatt sind es inzwischen zweieinhalb Meter pro Jahr. Im Hitzesommer 2003 rückten die Eis- und Schuttströme sogar bis zu sieben Meter vor, gemessen im Zentrum, wo sie am schnellsten fließen. Selbst Isabelle Roer war überrascht, aber damit erweisen sich nun auch die lange vernachlässigten Blockgletscher als Indikatoren der Klimaerwärmung. Heute sei klar, so Roer,

    ""dass sie eben nicht so träge sind, weil sie ja so schuttbedeckt sind, dass 'ne Temperaturveränderung von außen sehr langsam eindringt. Sondern es zeigte sich, dass sie direkt reagieren."

    " Inzwischen wird alpenweit über das Phänomen geforscht, auch im Nachbarland Österreich. Lothar Schrott, Professor für Geographie an der Universität Salzburg: "

    "Durch diese Bewegungen werden natürlich auch infrastrukturelle Einrichtungen hier und da in Mitleidenschaft gezogen. Das kennt man aus dem Kaunertal. Dort wurde eine Straße quer durch einen Blockgletscher gebaut, ohne dass im Vorfeld Geomorphologen befragt wurden. Das hat jetzt zur Folge, dass dort umfangreiche Nachkorrekturen mitunter in einem jährlichen Zyklus vorgenommen werden müssen."

    Die meisten Blockgletscher befinden sich in kleinen Seitentälern, und wenn sich Gesteinsbrocken aus ihnen lösen, dann purzeln sie nicht weit. Doch von einigen geht ein ernstzunehmendes Risiko aus. Lothar Schrott zufolge vor allem dort, wo der Permafrost im Hochgebirge beginnt, oberhalb der Baumgrenze. Dort wird es dem Eis allmählich zu warm, und die Forscher beobachten,

    "... dass dort diese kriechenden Schutt-Eis-Phänomene langsam beginnen zu degradieren, das heißt sie schmelzen partiell aus. Das führt dazu, dass diese mächtigen Zungen, das sind ja Zungen - aus diesen Zungenbereichen können sich mächtige Schuttgemische lösen, die dann nach Starkniederschlägen beispielsweise zu Muren führen, ..."

    ... also zu Geröll- und Schlammlawinen, ...

    "... und diese Muren haben einen recht langen Transportweg und können sehr viel tiefer liegende Ortschaften bedrohen."

    Schrott kann sich vorstellen, dass bald Gefahren-Hinweiskarten von Nutzen sein könnten, wenn Blockgletscher weiter so mobil sind. Wie ihre Bewegung abläuft, ist übrigens noch gar nicht im Detail bekannt. Auch darüber wollen die Forscher mehr erfahren. Entsprechende Projekte sind bereits in der Planung.