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Gertrude Steins "Dr. Faustus"
Faustisches Licht

Wer hätte das gedacht? Dr. Faustus hat das elektrische Licht erfunden. Seitdem wird es hell, wenn es dunkel ist – per Knopfdruck. Zumindest sieht das Gertrude Stein, die Grande Dame der literarischen Moderne, in "Dr. Faustus lights the lights" so. Jetzt hatte ihr Stück mit Musik von Iris ter Schiphorst in Bamberg Premiere.

Von Thomas Senne | 21.06.2016
    Eine Statue der US-Schriftstellerin Gertrude Stein in New York
    Grande Dame der literarischen Moderne: Gertrude Stein (AFP / Foto: Timothy A. Clary)
    Schon zu Beginn wird deutlich, dass dieser Abend in kein herkömmliches Schema passt. Denn "Dr. Faustus lights the lights" ist kein Stück mit klar umrissener Handlung, gediegen-konventioneller Orchestermusik oder gar mit herausragenden Arien, sondern eine avantgardistische Szenencollage mit musikalischen Einsprengseln. Vollgestopft mit Absurditäten und gewürzt mit Widersprüchen ist sie durch Gedankensprünge und harte Schnitte gekennzeichnet, sagt Regisseur Remsi Al Kalisi:
    "Gertrude Stein hat sich den Faust-Mythos vorgenommen und den in die Moderne geholt und hat gefragt: Was wäre denn so eine Faust-Figur im 20. Jahrhundert? Wie geht Faust mit dem Fortschritt um und auch mit den Irrwegen, die der Fortschritt vielleicht uns hat gehen lassen? Sie lässt Dr. Faustus das elektrische Licht erfinden. Eigentlich eher aus Zufall. Er hat sich dabei vom Teufel helfen lassen und musste seine Seele verkaufen. Jetzt ist die Situation so, dass die Welt taghell geworden ist und nicht mehr dunkel zu machen ist, so dass alle Schattierungen, Nuancen, alles Unheimliche, alles Hinterfragbare weg ist."
    Anlass für die Autorin in ihrem Text mit den unterschiedlichsten Themen und Motiven zu spielen. Gerne wird das Publikum aufs Glatteis geführt und mit ständig wechselnden Bildern überhäuft: ein schillerndes Sprachgewebe, das zu Assoziationen reizt.
    "Wir haben darauf Wert gelegt, die Sprache zum Klingen zu bringen. Das ist gar nicht so einfach. Die Schauspieler denken, sie spielen Faust und Mephisto, gehen dann mit Bildern und Bedeutungen um, mit Dingen, die sie erfahren, gelesen und gesehen haben und denken, sie können jetzt eine große Rolle mit Figuren, einem großen Bogen und einer Entwicklung verkörpern und merken dann in der Arbeit, dass das nicht geht, sondern dass man eine Spielweise erst erfinden muss."
    Musik 1: "Klavier und Cello."
    Vorlage als Wortmusik
    Im Grunde genommen sind schon die Sätze der Vorlage mit all den Reimen, Sprechkaskaden, Alliterationen und Metaphern bereits Musik – Wortmusik, die ursprünglich für eine Oper als Libretto von Gertrude Stein vorgesehen war.
    "Sie hat sich das so ausgedacht, aber sie hat das dann nicht wirklich so verfolgt. Das Werk war dann fertig und die Oper ist nie entstanden und in den 50er Jahren, glaube ich, ist es dann als Theaterstück aufgeführt worden und hat seitdem auch eine sehr glanzvolle Geschichte im Theaterleben erfahren. Große Regisseure und Companies haben sich dieses Werkes angenommen und ist immer wieder Musik dafür geschrieben worden."
    Und nun auch in Bamberg. Für die Uraufführung ihrer musikalischen Fassung hat Iris ter Schiphorst, die letztes Jahr in der fränkischen Bischofsstadt noch Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia war, die Komposition entworfen: jetzt ausgeführt von Schauspielern, die immer wieder auch an Klavier und Cello sitzen:
    "Die haben auch irgendwann mal in ihrer Kindheit irgendein Instrument gelernt, aber nun überhaupt nicht professionell und auch nur ganz nebenbei. Das habe ich aber vorher herausgefragt sozusagen und dann versucht, kleine Strukturen zu schaffen, von denen ich die Hoffnung hatte, dass sie machbar wären – auch für Schauspieler, die jetzt nicht jeden Tag Klavier, Cello oder sonst was üben. Und das war wirkliche eine Herausforderung, aber auch eine tolle Herausforderung. Ich musste ganz anders musikalisch noch einmal denken, also an ganz andere, pragmatische Fragestellungen herangehen als sonst beim Komponieren."
    Junge Frau statt Pudels Kern
    Als Protagonisten mit ultramodernen Neopren-Versatzstücken von Anfang an im drehbaren, weißen Wohnkubus mit dabei: Faust, Mephisto, ein Junge und ein – Hund. Freilich kein Pudel wie bei der Goethe-Version, sondern erstaunlicherweise eine junge Frau, die aus unerfindlichen Gründen immer wieder "Dankeschön" sagt und mit ihrer Hochfrisur den Chic der 50er Jahre ausstrahlt.
    Atmo 2: Sprech-Duett
    "Es sind weniger Lieder als kleine musikalische Situationen, so nenne ich das, die zum Teil auskomponiert sind. Zum Teil sind sie aber auch situativ, d.h. da gab es einfach nur Anweisungen für die entsprechenden Schauspieler, z.B. für Improvisation oder für Handlungen, die dann einfach Musik erzeugen. Es gibt z.B. für dieses ‚Lasst-Mich-Allein’, eine festgelegte Untergrundmusik, die von zwei Schauspielern gespielt wird und darüber hat dann Faust immer wieder seine Lasst-Mich-Allein-Zustände."
    Musik 2: Faust-Lied
    Und dann gibt es in dem Stück noch "Maguerite Ida und Helena Annabel". Als paradiesische Eva, Unschuldsengel und femme fatale in Personalunion verkörpert sie die Frau an sich. Von einer Natter gebissen, sucht sie bei Dr. Dr. Faustus Heilung.
    Atmo 3: Sprechchor & Faust
    "Dr. Faustus lights the lights" in Bamberg ist ein surreales Kammerspiel mit manchmal burlesker, manchmal elegischer Musik, die sich dem dadaistischen Charakter dieses aus Fragmenten bestehenden Bühnenwerkes unterordnet, einer Groteske, die immer wieder auch versucht, die Logik aus den Angeln zu heben und auf den Kopf zu stellen. Zugegeben, eine zunächst etwas verstörende Mixtur, an die sich die Zuschauer während des Abends aber zunehmend gewöhnen: viel Beifall für ein unterhaltsames Nonsense-Spektakel mit Tiefgang.