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Gerührt und geschüttelt

Dass die Wirklichkeit der Geheimdienste anders aussieht, ahnt jeder, auch wenn es in der Natur der Sache liegt, dass man es nicht genau weiß. Wie die Wirklichkeit der Geheimdienste zumindest in der Vergangenheit war, versuchen Historiker herauszufinden. Schwierigkeiten bei der Quellensuche sind vorprogrammiert. Gerührt und geschüttelt. Die Geschichte der Nachrichtendienste. Kay Müllges berichtet.

Von Kay Müllges |
    Historiker sind bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit in der Regel auf Archive angewiesen. Dort werden die Akten von Regierungen, Behörden, Institutionen, Unternehmen und so weiter gesammelt und in der Regel nach einer bestimmten gesetzlich festgelegten Frist der Forschung zugänglich gemacht. Diese allgemeine Regel gilt aber nicht, wenn es um die Geheimdienste geht, weiß Professor Wolfgang Krieger von der Universität Marburg:

    " Es ist in allen Staaten so, das die Geheimdienste nicht verpflichtet sind, auch in den liberalen Staaten nicht verpflichtet sind, Akten offen zu legen, auch nicht nach irgendwelchen Fristen. Auch nicht nach dreißig Jahren oder fünfzig Jahren oder auch nicht nach hundert Jahren. Sondern das ist eine komplett separate Sache."

    Geheimdienste heißen halt nicht umsonst so. Hinzu kommt, dass solche Einrichtungen dazu neigen, Akten zu vernichten, beispielsweise dann, wenn absehbar ist, dass sie in feindliche Hände fallen könnten. Die kaiserliche Regierung in Deutschland ließ so gegen Ende des Ersten Weltkrieges fast alle Aufzeichnungen über die Aktivitäten deutscher Spione im Krieg vernichten und auch am Ende des Zweiten Weltkrieges wurden zahllose Aufzeichnungen des sogenannten Reichssicherheitshauptamtes oder anderer Nazi-Einrichtungen ein Opfer der Flammen. Das Beispiel der untergehenden DDR, wo es nicht zuletzt auch dem Engagement beherzter Bürgerinnen und Bürger zu verdanken ist, das ein großer Teil der Stasi-Akten vor dem Reißwolf gerettet werden konnte, ist da eher die historische Ausnahme. Deshalb gibt es in Deutschland bislang kaum historische Forschungen zur Geschichte der Nachrichtendienste. Wolfgang Krieger:

    " Das ist in Deutschland ein sehr vernachlässigter Bereich, wie gesagt mit Ausnahme der Stasi-Geschichte, für die es in der Birthler-Behörde eine eigene Forschungsabteilung gibt. Aber für das Übrige sind wir da sehr unterbelichtet, noch. Ich geb' ihnen ein Beispiel: das monumentale Werk aus dem militärgeschichtlichen Forschungsamt, eben abgeschlossen, "Das deutsche Reich und der 2. Weltkrieg", enthält fast nichts zu den geheimdienstlichen Aspekten des 2. Weltkrieges, obwohl ja jeder weiß, das es einen Krieg ohne Geheimdienste, militärische und andere Geheimdienste, überhaupt nicht gibt. Und den 2. Weltkrieg ohnehin nicht, weil für den ja moderne Technologien eine große Rolle spielten, darunter die berühmte Funkentschlüsselung."

    Mit dem Ende des kalten Krieges hat sich die Situation für Historiker allerdings ein wenig verbessert. Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch andere Länder haben sich entschlossen zumindest einen Teil ihrer Akten zugänglich zu machen.
    Vorreiter für diese neue Form der Offenheit war, was manchen überraschen mag, die amerikanische CIA. Dort gibt es schon seit Jahrzehnten eine eigene historische Abteilung. Deren Aufgaben beschreibt der Chef-Historiker der CIA, David Robarge:

    " Die Historiker der CIA haben zwei Aufgaben. Die eine ist es , Operationen der CIA, Analysen und Führungsentscheidungen zu unterstützen. In diesem Zusammenhang unterrichten wir unsere Leute, halten Briefings, schreiben Artikel für unser internes Journal und so weiter. Die andere Seite ist die Öffentlichkeitsarbeit. Wir wollen der Öffentlichkeit ein Verständnis darüber vermitteln, was die CIA in der Vergangenheit getan hat. Deshalb unterrichten wir auch an Universitäten oder halten Vorträge für interessierte Gruppen."

    Kurz gesagt befassen sich die insgesamt sechs von der CIA angestellten Historiker also mit Politikberatung und Propaganda. Dabei - das zu betonen ist David Robarge wichtig -, arbeiteten die CIA-Historiker aber unabhängig von politischen Einflussnahmen.

    "Das Gute an der historischen Abteilung der CIA ist, das sie immer unabhängig von politischen Einflüssen innerhalb der CIA arbeiten konnte. Wir waren immer intellektuell unabhängig. Wir haben vollen Zugang zu allen Dokumenten, wir entwickeln unser eigenes Forschungsprogramm. Keine einzige Abteilung innerhalb der CIA kann uns vorschreiben, was wir zu sagen haben. Wir sagen wie es ist – im Guten, wie im Schlechten."

    Das, so Robarge, sei insbesondere im Binnenverhältnis wichtig, um aus historischen Fehlern zu lernen, und so der politischen Führung in Washington, Kriterien an die Hand zu geben, wann eine Aktion erfolgversprechend und sinnvoll sei, und wann nicht. Die Entscheidung welche Informationen über CIA-Operationen in der Vergangenheit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und welche nicht, fällt aber natürlich die politische Führung nicht die Historiker der CIA.

    "Wir haben viel freigegebenes Material in unseren Nationalarchiven. Das meiste davon ist durch ein Computersystem mit Namen CREST erschlossen. In unserer internen Zeitschrift publizieren wir immer wieder nicht geheimes Material, das man auch auf unserer Website nachlesen kann. Dann gibt es den normalen Prozess einer Anfrage nach dem Freedom of Information Act. Und zusätzlich erscheint mittlerweile auch viel CIA-Material in der Zeitung des Außenministeriums. Also es gibt verschiedene Wege, um an Informationen über die Arbeit der CIA zu gelangen."

    Gemessen an der Flut geheimer Informationen, die in den Archiven der CIA lagern, ist das natürlich immer noch nur ein dünnes Rinnsal. Aber immerhin. Der Bundesnachrichtendienst, BND, war da lange Zeit sehr viel zurückhaltender. Erst seit kurzem scheint sich eine gewisse Öffnung für die Bedürfnisse der zeithistorischen Forschung zu entwickeln, meint jedenfalls Wolfgang Krieger:

    " Er hat sich aber vor wenigen Jahren dazu entschlossen, bestimmte Aktenbestände dem Bundesarchiv zu übergeben und dort der Forschung zugänglich zu machen. Und das ist jetzt passiert in den letzten zwei, drei Jahren. Und seither haben wir einen erheblichen Aktenbestand aus dem BND, der sich befasst mit den Aktivitäten des BND seit der Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre in der DDR. Und dazu gibt es jetzt auch schon erste Forschungsergebnisse. Also Wissenschaftler, die dieses Material ausgewertet haben.. "

    Verglichen mit der historischen Arbeit der CIA gibt es allerdings immer noch erheblichen Nachholbedarf.

    " So weit ich weiß, gibt es leider kein historisches Büro oder keine historische Abteilung im BND. Und schon gar keinen Chefhistoriker. Es gibt, auch das erst seit wenigen Jahren, einen professionellen Archivar. Das wissen wir, dass es den gibt. Und der hat auch, das ist eine Frau, sie hat auch vor einigen Jahren einen ersten Zustandsbericht veröffentlicht über die Aktenbestände des BND. Also natürlich nicht über die Inhalte, aber in welchem Unfang Akten archiviert wurden, in welchem physischen Zustand sie sich befinden und so weiter. Das ist ja für einen Historiker schon mal beruhigend, dass er weiß: die Akten gibt's."

    Und auch wenn er oder andere Historiker diese Akten im Moment nicht einsehen könnten, wäre es doch sinnvoll, sie zumindest intern aufzuarbeiten.

    " Der zweite Wunsch wäre an solche Behörden, die ihre Sachen auf verständliche Weise nicht offen legen können, wäre, dass sie interne Historiker hätten, die interne Studien verfertigen, auch wenn diese noch nicht publiziert werden können. Aber das Wissen wird schon mal festgehalten und steht dann später zur Verfügung. Weil viele dieser Akten im Grunde genommen für den Außenseiter und den nachfolgenden Historiker schwer zu lesen sind. Das sind ja keine Akten die für die Geschichtsbücher produziert werden, sondern für den internen Bürogebrauch mit sehr vielen Abkürzungen, sehr vielen Hinweisen, die man nur als Insider versteht."