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Gesänge über Tee

Der 1957 in China geborene und seit 1986 in New York lebende Komponist Tan Dun ist längst ein Star der internationalen Musikszene: bis hin zu den Berliner Philharmonikern werden seine Werke (zum Beispiel "Ghost Opera" oder "Marco Polo") von großen Orchestern auf der ganzen Welt gespielt. Vor vier Jahren bekam Tan Dun den Filmmusik-Oscar für die Musik zu "Tiger & Dragon". In seiner jüngsten Oper, einem Gemeinschaftsprojekt der Suntory Hall in Tokyo, der Niederländischen Oper in Amsterdam und dem Shanghai Grand Theater geht es um das Verhältnis zwischen China und Japan im 9. Jahrhundert und um die korrekte Zubereitungs- und Darreichungsform von überbrühten Teeblättern. "Tea" erlebte nun in Oldenburg seine deutsche Erstaufführung.

Von Frieder Reininghaus |
    Um die politischen Beziehungen zwischen Japan und dem Reich der Mitte ist es derzeit nicht gut bestellt. Manche Auguren sehen in den Scharmützeln um verharmlosende Geschichtsdarstellung bzw. in den wie bestellt wirkenden Steinwürfen die Vorboten eine womöglich militärisch eskalierenden Konflikts. Da mag es tröstlich sein, dass das Theater ein Werk präsentiert, in dem die heillosen Folgen von chinesisch-japanischer Rivalität vor Augen geführt werden.

    Die Episode, die Tan Dun beschwört, soll sich im 9. Jahrhundert zugetragen haben, als der japanische Prinz Seikyo zur Werbung um Prinzessin Lan an den chinesischen Hof kam. So auch jetzt die Exposition der erstmals in Deutschland präsentierten Oper: Nach einer wunderbar melancholisch-meditativen Tee-Zeremonie des zum Mönch gewordenen Seyko ein großer Rückblick: Einst gab der Kaiser in Peking der Verbindung, der Lans Bruder heftigen Widerstand entgegensetzte, seinen Segen, da er so trefflich Tee-Lieder zu singen versteht. Der Prinz – und dies ist charakteristisch für das gegenwärtige Musiktheater – erscheint nicht zufällig in erster Linie als Künstler, der wohlgesetzt zu sprechen und zu genießen versteht. Die Prinzessin schwankt zwischen der Liebe zum Bruder, mit dem sie das kindliche Rollenspiel verband, und dem Mann ihres Lebens. Den Aufbruch mit diesem in die neue Lebensphase und in den Süden stattete der chinesisch-amerikanische Komponist Tan mit jener Art von Wasserklängen aus, die bereits vor fünf Jahren faszinierte, als er für ein Europäisches Musikfest in Stuttgart seine "Water-Passion" schrieb – changierend zwischen der Taufsymbolik und dem Wasser als fernöstlichem Todessymbol. Um ein Initiationsritual und den Aufbruch zum frühen Tod geht es auch hier, wenn Wasser in langen Glasröhren geschüttelt, in durchsichtigen Schalen getätschelt und geschlagen oder durchs Sieb gegossen und zum Perlen gebracht wird.
    Immer wieder geht es in Tans Oper um die Tee-Rituale und ihre tiefe wie ihre oberflächliche Bedeutung. Zu Seidenpapierklängen mit unterschiedlicher Reißfestigkeit und Raschelqualitäten erkennen sich Prinz und Prinzessin: sie vergleichen mit aristokratischer Grandezza die sinnlichen Unterschiede verschiedener Teesorten mit ihrer Liebe. Irina Wischnizkaja, die fürwahr als Schöne aus dem Morgenland erscheint, und der nicht minder gut aussehende Paul Brady in der Partie des Seyko bringen das Lob des Tees mit seinem leichten Puccini-Aroma so vorteilhaft aus wie die bange und begierige Verliebtheit zum Ausdruck. Das Publikum in Oldenburg ist zu recht von diesem hohen Paar sehr angetan.
    Bei der Ritualmeisterin, der Erbin des als Schatz alter Weisheiten geltenden "Books of Tea", kommt – dumpf klopfen die Steine, fahl klingen die Klöppel auf Tontöpfen – zur tödlichen Rivalität zwischen dem japanischen Prinzen und dem chinesischen Thronerben. Lan wirft sich zwischen die kämpfenden Männer und wird von beiden zugleich durchbohrt.

    Tan Dun, der demonstrativ Brücken schlagen will zwischen unterschiedlichen, zuvor von einander abgegrenzten Kulturen, entwickelte ein Gesamtkunstwerk, in das vom poetischen Wort bis zum dumpfen Klopfen der Steine und zum hellsten Licht und höchsten Sopranton alles wohldosiert eingeschrieben wurde. Da wird vermengt und amalgamiert. Auf teilweise betörend wohlklingende Weise, allerdings mitunter auch in ziemlicher Naivität oder Banalität tritt so eine neue Weltmusik auf den Plan, die weithin auch von den Erfahrungen westlicher, auf John Cage sich beziehender Avantgarde geprägt ist und gelegentlich sogar eine Schreckgesten der mitteleuropäischen Neoexpressionisten bedient.

    Anke Hoffmann hat Tans Ritualkunst zwischen Papierbahnen in wechselnden Farben, die dem Wechsel der Handlungsorte Rechnung tragen, ruhig, umsichtig und zweckdienlich in Szene gesetzt: auf dass der Tee die liebe Seele spiegeln möge und dies selbst den notorischen Kaffeetrinkern ins Bewußtsein dringe! Zu den gelungenen Details der Oldenburger Premiere gehören nicht zuletzt die drei Wasserfrauen Jana Chitralla, Maren Poelmann und Axel Fries als Oberin: sie erwecken die Glasschalen, die Papierbahnen und die Steine auf der Bühne sichtbar zum akustischen Leben.