Sprecher 1 arrogante, aber etwas nervöse Stimmlage
Sprecher 2 selbstsicher
Sprecher 1 mit Ächzen: Da haben sie also mal wieder eine neue Ausgabe vorgelegt...
Sprecher 2 "Sie?" Wen meinen Sie?
Sprecher 1 Na die ... vom Literaturbetrieb... mit ihrem Jubiläumswahn.
Sprecher 2 Sie meinen den Hanser Verlag. Also bitte! Lieber Freund!
Sprecher 1 Neulich hab ich eine Sendung über Meyerbeer gehört... aus Analaß seines hundertfünfunddreißigsten... einhundertfünfunddreißigsten!: ja-glaubt-man-das?! ... Geburtstags. - Irgendwann wird jemand, um über, sagen -wir: den derzeit einzigen Groß-Lyriker Deutschlands... bricht resigniert ab: - egal.
Sprecher 2 Wen meinen Sie? Grünbein?
Sprecher 1 Aber was denn! Paulus Böhmer selbstverständlich! Merken Sie sich mal den Namen!... wird man eben, aus Anlaß seines sagen wir 1271/2ten Geburtstags...
Sprecher 2 Sie verheddern sich... Der Mann - also wenn Sie den Frankfurter meinen - ist doch kaum 60.
Sprecher 1 abwiegelnd flink: Jedenfalls hat der Münchener Hanser Verlag zum 100. Geburtstag des argentinischen Dichters Jorge Luis Borges den ersten Band einer neuen Werk-Ausgabe herausgegeben.
Sprecher 2 Die aber so neu nicht ist.
Sprecher 1 Das ist leider wahr. Die Edition erschien vor einem knappen Dezennium im Fischer Taschenbuch Verlag schon einmal.
Sprecher 2 Jedes Verdienst hat sein Fett.
Sprecher 1 "Schmiere" nennt man das.
Sprecher 2 Die Bücher h i e ß e n immerhin anders.
Sprecher 1 Sie hießen a n d e r s, das ist richtig.
Sprecher 2 "Kabbala und Tango".
Sprecher 1 Genau. So hieß bei Fischer dieser erste jetzt so scheinbar neue Band...
Stumm.
Sprecher 1 Also: Der neue Erste Band der auf 12 Bände projektierten Gesammelten Borges-Werke im Carl Hanser Verlag ist absolut textidentisch mit dem Band "Kabbala und Tango" aus der 20bändigen Taschenbuch-Werkausgabe des Fischer Taschenbuch Verlages.
Sprecher 2 Immerhin war er d a Band 2.
Sprecher 1 Sie kennen sich aus. Nun ist er Band I.
Stumm.
Sprecher 2 in sich hineingrummelnd.' 20bändig/12bändig. Lassen die irgendwas weg?
Sprecher 1 "D i e "?
Beide lachen.
Sprecher 1 Man wird ein paar Bändchen zusammenlegen wollen. Ich meine, irgendwas merken Leser doch au c h ...
Sprecher 2 Aber die Titelei ist anders.
Sprecher 1 Beim eingedeutschten Borges eine alte üble Verlagsgewohnheit... seit den 60ern sind Unmengen verschieden betitelter Bücher gleichen oder doch ähnlichen Inhalts in den Mark geschwemmt worden. Das beklagt auch Gisbert Haefs. Eine vergleichende, editionskritische Ausgabe... ich meine, die wäre schon sinnvoll gewesen.
Sprecher 2 liest vor: "Jorge Luis Borges, Werke in 20 Bänden, Herausgegeben von Gisbert Haefs und Fritz Amold". Akustisch aufblickend.Fischer.
Sprecher 1 Und Hanser nun: "Jorge Luis Borges, Gesammelte Werke, Herausgegeben von Gisbert Haefs und Fritz Arnold" - und dann, die Beigabe, -
Sprecher 2 naseschnaubend: f a u sti s c h! : "Der Essays erster Teil".
Sprecher 1 Man grad, daß "ersten" nicht großgeschrieben wurde...
Sprecher 2 Immerhin wird versucht, ein bißchen Verwirrung einzuschummeln. Etwa bei der Paginirung. So fängt der lange Aufsatz über Evaristo Carriego, den der übersetzer-Kommentar bereits in der FischerAusgabe für unergiebig hielt...
Sprecher 1 Ist ja auch naheliegend, einen an sich unergiebigen Aufsatz in einer nicht etwa Gesamt- nein!: "Gesammelten" Ausgabe, zumal bei deren Start, unbedingt abermals unterzubringen...
Sprecher 2 Na ja, die Chronologie...
Sprecher 1 Für eine wissenschaftliche Ausgabe gäbe ich Ihnen recht... aber so?
Sprecher 2 seinen Satz beendend.- ...bereits auf Seite 5 an. Atmet, als sagte er "Puhh! ". Freilich weil die Taschenbuchausgabe das Inhaltsverzeichnis nach vorn stellt. D a s sind so die Unterschiede.
Sprecher 1 Na gut, die Anmerkungen noch... die modifiziert sind...
Sprecher 2 Wegen der geänderten Buchtitel. Oder auch sonst?
Sprecher 1 Sonst selbstverständlich nicht.
Sprecher 2 Warten Sie mal... Hier, sehen Sie?: Wenn man die Seiten aufeinanderlegt und gegens Licht hält... Der Satzspiegel ist ganz derselbe. Sprecherl Aber nicht der Einband!
Sprecher 2 Nein, der Einband nicht. Da haben Sie recht.
Sprecher 1 Es ist ein richtig schöner Leineneinband.
Sprecher 2 Das stimmt. Der Einband ist aus grauem feinem Leinen.
Sprecher 1 Nicht mehr so diese alternative Plastikpappe, sondern richtig gesamtdeutsch gediegen.
Sprecher 2 Die eckigen Tangotänzer sind auch nicht mehr auf dem Buchdeckel drauf
Sprecher 1 Verächtlich: Apachen haben noch nie was hergemacht.
Stumm. Was soll man sagen?
Sprecher 2 verlegen: Sie kennen diesen Begriff noch?
Sprecher 1 HM?
Sprecher 2 Apachen.
Sprecher 1 Oh die passen zu Borges! Der schüchterne Mensch hat ja die Messerhelden immer verehrt. Und Apachen dür-ften unsere nordosteuropäische Sozial- und Legenden-Entsprechung der argentinischen Gauchos gewesen sein... in den 30ern also... als die beiden Aufsätze erschienen, die nun in diesem Band da vereinigt sind.
Sprecher 2 Ich lese mal die Editorische Notiz vor, ja? Liest vor: Diese 12bändige Neuausgabe der Werke von Jorge Luis Borges (einschließlich der Kollaborationen mit Adolfo Bioy Casares... aus dem Vorlesen ausbrechend.- Sie wissen, die beiden haben zusammen parodistische Krimis geschrieben...
Sprecher 1 Don Isidro Parodi hieß ihr hinter Gefängnisgitter gesperrter Detektiv... In San Isidro schrieben Borges und Bioy einen ersten
Sprecher 2 Der wird sich in dieser Gesamtausgabe schwerlich finden.
Sprecher 1 Sein Sie nicht ungerecht! Aber wirklich: "Parödi": "Parodie".,.nett, oder? Nein nein, lesen Sie weiter... Verzeihung.
Sprecher 2 liest weiter vor: ... beruht auf den Textfassungen der 20bändigen Taschenbuch-Ausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag (1991ff)...
Sprecher 1 ... für die man mit vollem R e c h t Werbung machen kann...
Sprecher 2 Es ist natürlich Mogelei, von "beruhen" zu sprechen, anstatt zu sagen...
Sprecher 1 Lassen wir das.
Stumm.
Sprecher 2 Unter welcher Rubrik heften wir sie ab, diese Edition? Unter "Kundenverarschung" oder "mein Leinen-Fetisch"?
Sprecher 1 Gäbe es wenigstens die Konkordanz, wie man sie für eine Ausgabe erwarten dürfte, die sich selbst brüstet... lesen Sie das mal?... - -
Sprecher 2 liest vor: Bei Drucklegung des vorliegenden Bandes (Herbst 1998) ist dies immer noch die weltweit kompletteste Borges-Ausgabe...
Sprecher 1 Jedenfalls ist Sprache kompletter als wir ahnen. Sie setzt sich hier komplett durch: Dem schlechten Gewissen entspricht die Formulierung seiner Entschuldigung.
Sprecher 2 Welch ein borges'scher Gedanke!
Sprecher 1 Und das passiert einem Könner wie Haefs. Gegen seinen Willen gewiß, aber, um mal schlechtmetaphysisch zu sein: Die Wahrheit schreibt sich gegen seinen Willen, sozusagen invers, durch ihn hindurch.
Sprecher 2 zitiert: Die Kunst verlangt - immer - nach sichtbaren Unwirklichkeiten.
Beide lachen.
Sprecher 1 Ihre sichtbaren Unwirklichkeiten leuchten bereits in diesen frühen Aufsätzen durch. Wobei man natürlich sagen muß, daß Borges den zweiten Aufsatz später umgearbeitet und ergänzt hat. Leider findet sich dazu keine Anmerkung im Band. Aber man kann schön verfolgen, wie Borges die romantische Inspiration der sogenannten Aufsatz lacht auf über geronnene M i 1 c h!
Sprecher 2 Der wird sich in dieser Gesamtausgabe schwerlich finden.
Sprecher 1 Sein Sie nicht ungerecht! Aber wirklich: "Parödi": "Parodie"...nett, oder? Nein nein, lesen Sie weiter... Verzeihung.
Sprecher 2 liest weiter vor: ... beruht auf den Textfassungen der 20bändigen Taschenbuch-Ausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag (1991ff)...
Sprecher 1 ... für die man mit vollem R e c h t Werbung machen kann...
Sprecher 2 Es ist natürlich Mogelei, von "beruhen" zu sprechen, anstatt zu sagen... Sprecherl Lassen wir das.
Stumm.
Sprecher 2 Unter welcher Rubrik heften wir sie ab, diese Edition? Unter "Kundenverarschung" oder "mein Leinen-Fetisch"?
Sprecher 1 Gäbe es wenigstens die Konkordanz, wie man sie für eine Ausgabe erwarten dürfte, die sich selbst brüstet... lesen Sie d a s mal?... - :
Sprecher 2 liest vor: Bei Drucklegung des vorliegenden Bandes (Herbst 1998) ist dies immer noch die weltweit kompletteste Borges-Ausgabe...
Sprecher 1 Jedenfalls ist Sprache kompletter als wir ahnen. Sie setzt sich hier komplett durch: Dem schlechten Gewissen entspricht die Formulierung seiner Entschuldigung.
Sprecher 2 Welch ein borges'scher Gedanke!
Sprecher 1 Und das passiert einem Könner wie Haefs. Gegen seinen Willen gewiß, aber, um mal schlechtmetaphysisch zu sein: Die Wahrheit schreibt sich gegen seinen Willen, sozusagen invers, durch ihn hindurch.
Sprecher 2 zitiert: Die Kunst verlangt - inuner - nach sichtbaren Unwirklichkeiten.
Beide lachen.
Sprecher 1 Ihre sichtbaren Unwirklichkeiten leuchten bereits in diesen frühen Aufsätzen durch. Wobei man natürlich sagen muß, daß Borges den zweiten Aufsatz später umgearbeitet und ergänzt hat. Leider findet sich dazu keine Anmerkung im Band. Aber man kann schön verfolgen, wie Borges die romantische Inspiration der sogenannten
Sprecher 2 Er ist Klassizist, meinen Sie?
Sprecher 1 zitiert: Ich glaube, für einen guten Idealismus ist der Raum nur eine der Formen, aus denen sich der betrachtete Fluß der Zeit bildet.
Sprecher 2 Zeit als Muster?
Sprecher 1 Auch der Gedanke der Ewigen Wiederkehr - noch polemisiert Borges allerdings etwas gegen ihn -, die Zyklische Zeit... all das finden wir bereits. Stanislaw Lem attackiert den Dichter deswegen: Er spricht vom immergleichen syntaktischen Vorgang, verweist also auf eine Art inhaltlicher, d.h. für einen Dichter: kreativer Armut...
Sprecher 2 ... ein nicht stichhaltiges Argument, sofern man Borges' Prämisse anerkennt, derzufolge es ohnedies keine originalen Ideen gebe... Und Prärnissen kann man bekanntlich nur g 1 au b e n.
Sprecher 1 Damals allerdings... also 1930, als der erste der hier im Buch enthaltenen Essays erschien... da war Borges durchaus noch vom Ultraismo geprägt, der spanischen Spielform des Dadas, bzw. frühen Surrealismus'. Herr Haefs bezeichnet denn auch die Untersuchung zum Werk des offenbar ganz zu Recht unbekannt gebliebenen Evaristo Carriego...
Sprecher 2 Also den ersten der beiden in diesem Buch enthaltenen Essays...
Sprecher 1 ... als sprachlich... sagen wir: drittklassig. Dabei finden sich darin oft Sätze von erstaunlich direktem, manchmal fast mythischem Zugriff. Zum Beispiel sowas: dort... ja...
Sprecher 2 zitiert: Systematische Menschenfreundlichkeit ist immer inhuman.
Sprecher 1 Oder auch: zitiert: Früher war der Tango eine orgiastische Teufelei; heute ist er eine Art zu schreiten.
Sprecher 2 Es gibt also doch ein anderes als bloß ökonomisches Interesse an einer neuen Publikation dieses Textes?
Sprecher 1 Na das bißchen Honorar für Herrn Haefs k a n n es nicht sein... Und wahrscheinlich war die spätere gebundene neue Werkausgabe sowieso alles schon 1991 geplant, als nach und nach die Taschenbuchausgabe herauskam. Die deutschen Buchrechte lagen ja immer, von den DDR-Ausgaben abgesehen, bei Hanser. Vergessen Sie auch nicht, daß der Münchener Verlag noch diese altegebundene, ziemliche stummelige Ausgabe lieferbar hatte... Die sollte wahrscheinlich erst einmal, wie das neudeutsch heißt: abverkauft werden.
Sprecher 2 Irgendwie macht das wirklich den Eindruck von Bauernfängerei...
Sprecher 1 Wenn Sie Leser als Bauern s e h e n wollen...
Sprecher 2 Die alte Ausgabe stammt aus den frühen Achtzigern...
Sprecher 1 ... die Taschenbuchausgabe aus den Neunzigern und diese neue Werkausgabe nun aus den... kann man das sagen?: "Nullern"? Verstummt einen Vorhalt lang. - Ich weiß genau, was Sie jetzt naheliegend finden...
Stumm. Das "nämlich " aber schwebt im Raum.
Sprecher 1 Wahrscheinlich arbeitet Hanser insgeheim an der sozusagen schon negativ angekündigten... einer... hm: literarwissenschaftlichen Ausgabe, mit der wir dann um die "Zehner" herum rechnen können, also des nächsten Jahrhunderts...
Sprecher 2 ... Jahrtausends...
Sprecher 1 Das ist auch so ein Ding! Jahrtausendwende. Für jeden Hebräer, von Indern und Chinesen zu schweigen, völlig ohne Belang. Den vorvorigen Satz im selben Atemzug, wie oben schon einmal, beendend.- ...erwartet werden kann... Hierjetzt kein "Puhh! ".
Sprecher 2 Dann sollte sich also, wen Borges' frühe Arbeiten interessieren, die Fischer-Ausgabe kaufen?
Sprecher 1 Ja. Das Verhältnis liegt außerdem bei 3 zu 1: Für einen HanserBand bekommt man drei Fischer-Bände.
Sprecher 2 Aber kein Leinen.
Stumm.
Sprecher 2 Marquez soll einmal gesagt haben, er trage die Bücher des Argentiniers nur nüt gebellter Faust in der Tasche: Für so reaktionär hat er gegolten.
Sprecher 1 Auf Kuba hat es auch Polizeiverbrechen gegeben und Militärterror.
Sprecher 2 Das ist etwas anderes!
Sprecher 1 Sie glauben, daß sich irgend eine Diktatur rechtfertigen läßt? Marquez ist mit Castro befreundet. Sie haben also alle beide ein sagen wir: uneindeutiges Verhältnis zur Gewalt. Übrigens kommt auch das schon in diesen frühen Aufsätzen bei Borges durch. Messer und Schwerter werden ihn sein Leben lang begleiten.
Sprecher 2 Der Tiger spielt eine große Rolle. Kein besonders pazifistisches Tier.
Sprecher 1 Zum Beispiel, wenn Borges Kipling zitiert... nür fällt dabei Günter Steffens ein, in dessen heute gänzlich vergessener "Annäherung an das Glück" der wunderbare Satz steht, es gebe Formulierungen, die seien bereits bei ihrer Erfindung Zitat. Das hätte auch Borges sagen können.
Sprecher 2 Ich entsinne mich einer ähnlichen Bemerkung: "...wenn ein Satz Esprit hat, dann existiert er aus eigenem Recht"...
Sprecher 1 ... unabhängig von seiner Wahrheit oder Falschheit. Richtig.
Sprecher 2 Klingt zien-dich postmodern, finden Sie nicht?
Sprecher 1 Die Postmoderne hat den Klassizismus beerbt, allerdings mit romantisch-expressionistischen Akzenten. Die realistische Literatur, gegen die Borges immer polemisiert, läuft imgrunde nur wie eine Fußnote daneben her.
Sprecher 2 Nun polemisieren aber S i e!
Sprecher 1 Borges ist der Überzeugung, daß der innerste Wesenskern von Kunst ahistorisch, daß sie nicht zeitgenössisch ist... Doch das Zeitgenössische schwingt stets mit, man kann dem gar nicht entkommen...
Sprecher 2 Man schreibe i in in e r modern?
Sprecher 1 Jaja, es geht gar nicht anders.
Sprecher 2 Dann wäre es also falsch, einem Künstler vorzuwerfen, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein... also dem Stand des Materials, wie Adorno das nannte, zu entsprechen?
Sprecher 1 Das ist, mit Borges, Oberhaupt keine Kategorie! Kunst ereigne sich oder ereigne sich nicht, punktum. Und ein Satz von Vergil sei so wahr wie einer von... stockt. Wer fällt mir jetzt ein?
Sprecher 2 Aber schon richtig: Wir können ja nicht einmal fü h 1 en, wie im Mittelalter gefühlt worden ist!
Sprecher 1 Zumindest wissen wir nicht und werden's nie wissen, ob wir's können. Dessen also ist sich Borges bereits früh bewußt. Das prägt auch die frühen F-ssays. Etwa hier, im zweiten Flaubert-Text, diese besonders hinterhältige Realismus-Replik: zitiert: Quijote und Sancho sind wirklicher als der spanische Soldat, der sie erfand, aber kein Geschöpf Flauberts ist so wirklich wie Flaubert.
Sprecher 2 Borges behauptet aber auch, Kunst optiere immer für das Individuelle, sie sei nicht platonisch.
Sprecher 1 Jaja, sie ist nicht je schon determiniert - darin eben anders als die Wirklichkeit -, sondern kommt in Form von Erfindungen zu dieser stetig h i n z u ... sie läßt das Meer des Wirklichen s t e i g e n ... Übrigens: "das Meer ist die Pampa der Engländer" heißt es in dem zweiten Aufsatz, Diskussionen, von 1932. Schön, oder?
Sprecher 2 Und Kipling?
Sprecher 1 Richtig. Ich vergaß. Dieser kristallene Satz! "When 1 was fifteen, I had shot my man and begot my man." S e i n e n Mann ersch o s sen und sein Kind gezeugt haben." Ein hartes Idiom, nicht wahr? Doch von solcher Evidenz! Halten Sie das Geschwamme von Erich Fried einmal dagegen an! Oder unserer Zeitgenössinnen und nissen! Ich kenne da Namen... - Rhetorisch zur Sache zurück: Also gleich im ersten Aufsatz, hier, lesen Sie vor?
Sprecher 2 liest vor: ... denn es gibt Dinge von einer solchen Verantwortung (einen Menschen zeugen oder töten), daß Reue oder Dünkel ihretwegen Wahnsinn wären.
Sprecher 1 Merken Sie? Das ist bei Borges schon damals ein IdeenKontinuum... und voller Paradoxien: Wie etwa Kunst nicht abbildet, sondern zufügt, zugleich aber Wirklichkeit ein... hätte man vor zwanzig Jahren gesagt: Regelkreis ist voller Zyklen und ewiger Wiederkehren... aber eben nicht als identische...
Sprecher 2 Variationen?
Sprecher 1 Variationen. In diesem Zusammenhang wendet er sich sogar gegen die Vollkommenheit einer Prosaseite, die doch gerade er später immer wieder anstreben wird.
Sprecher 2 Hier?
Sprecher 1 Da, ja, bitte.
Sprecher 2 Die vollkommene Seite, die Seite, auf der kein Wort ohne Schaden verändert werden kann, ist von allen die gefährdetste. Sprachliche Veränderungen verwischen die rnitschwingenden Bedeutungen und die Nuancen; die "vollkommene" Seite b e s t e h t aber gerade aus diesen feinen Abtönungen und ist der Abnutzung am meisten ausgesetzt. Dagegen kann umgekehrt die Seite, die zur Unsterblichkeit berufen ist, das Fegefeuer der Druckfehler, der annähernden Wendungen, der unachtsamen Lesarten, des Unverständnisses durchmessen, ohne bei dieser Feuerprobe ihre Seele einzubüßen.
Sprecher 1 Eines seltsame, eine bedenkenswerte Poetik, nicht wahr?
Sprecher 2 Mir fällt dabei ein, daß manche Bücher erst in der Erinnerung... kann man "aufblähen" sagen?
Sprecher 1 Das ist ein Phänomen, das Borges mit der Unterscheidung von Literaturen der Charaktere und Literaturen der Handlung erklärt.
Sprecher 2 Auch in diesem Aufsatz über... wie hübsch!: "die abergläubische Ethik des Lesers"..?
Sprecher 1 Neinnein, später. Aber man kann bereits aus den frühen Arbeiten ablesen, woher der Gedanke kommt, Handlung als den Helden anzusehen. Nämlich sind für Borges die Metaphysik, die wissenschaftliche Theorie, ja selbst die Religion L i t e r a t u r f o r in e n. Er versteht diese Disziplinen als reine Werke der Dichtkunst. Mit der Realität haben sie für ihn eigentlich nichts zu tun - und falls doch, interessiert es ihn nicht.
Sprecher 2 Ah ja, die Gegnerschaft zur realistischen Kunst...
Sprecher 1 Bereits hier, bereits im Frühwerk... also noch mal der Aufsatz über Flaubert: Ist es nicht bezeichnend, daß er diesem Bewunderten die Geburt und den Tod des realistischen Romans gleichzeitig zuschreibt..?
Sprecher 2 In den Gesprächen mit Ferrari hat er mal, erinner' ich mich, gesagt, die realistische Literatur sei eine noch sehr junge Gattung und werde wahrscheinlich bald wieder verschwinden.
Sprecher 1 ... oder die Grandezza seines Aufsatzes über die jüdische Geheimexegese, die er, realistisch gesehen, für Nonsens, ästhetisch aber für großartig hält. Es wird ihm zur Grundlage seines poetoschen Credos werden. Zitiert: "Weder ist das hier das erste Mal, daß eine Rechtfertigung der Kabbala unternommen wird, noch wird es das letzte Mal sein, daß sie scheitert...... - Dieser typisch bescheidene, dieser typisch eitle Humor!
Sprecher 2 Eitelkeit? Bei Borges? Und Humor?
Sprecher 1 Humor habe immer etwas Phantastisches, sagt Borges. Übrigens-. Eine diesbezügliche Verwandtschaft mit Pirandello wird höchst selten gesehen.
Sprecher 2 Aber Eitelkeit? Ich meine, gerade Borges hat doch immer wider behauptet, gar nicht Urheber seiner Texte zu sein... jeder Beliebige habe es sein können...
Sprecher 1 in einem Weltbild, das den Zufall nicht kennt, ist, daß ausgerechnet Borges zum Sprachrohr ausersehen wird... na ich bitte Sie! Auserwählter kann man nicht sein! Das strotzt geradezu vor Hoffart.
Sprecher 2 Den Koordinator des Genies der anderen, hat Borges den Schriftsteller genannt.
Sprecher 1 Sogar ein individuelles Gedächtnis des Kollektiven...
Sprecher 2 ... ahja!: ... das, wenn es handelt, imaginiert.
Sprecher 1 Jetzt überraschen sie mich.
Sprecher 2 zitiert: Die Träume sind ein Werk der Erinnerung, die Imagination ist eine Tat der Erinnerung.
Sprecher 1 Ja wunderbar! Und der Humor entstammt dem Bewußtsein.
Sprecher 2 zitiert: Ich versuche es so zu machen, daß alles ein Scherz ist; es ist die einzige Möglichkeit, die Dinge ernsthaft zu betrachten, nicht wahr?
Sprecher 1 Heinz Schlaffer, der in Borges' Werk den Begriff der SERENIDAD an die zentrale Strelle gerückt hat, spricht vom ästhetischen Z u s t a n d d e r I n t e 1 1 i g e n z. Sowas sollten sich die deutschen Schriftsteller merken, diese Lehmmorastler und Deutschschuldklumpler. Aber selbst die sind ja analysiert schon h i e r ! Lesen Sie's?
Sprecher 2 liest: Bekanntlich haben die Götter den Deutschen die spontane Schönheit verwehrt. Diese Beraubung erklärt das Tragische am deutschen Shakespeare-Kult, der in gewisser Weise einer unglücklichen Liebe gleicht.
Sprecher 1 Richtig bitter, oder? - Und im Alter merkt Borges dann an... jaja, in den von Ihnen erwähnten Gesprächen mit Ferrari, daß sich Volksgemeinschaften offenbar meist einen Ideal- und Identifikationstypus suchen, der ihnen nun ganz und gar nicht entspricht: Was Goethe in Deutschland, ist für den trocknen Engländer auch Shakespeare irgendwie... der ist dann "postpoetam" erst englisch geworden... außerdem, als knausriger Pfandleiher, dauernd auf Prozesse aus.
Sprecher 2 Es ist, als wäre Borges sich gleich geblieben....
Sprecher 1 Die Wiederholung ist eines seiner Kennzeichen... er sieht sie nicht individuell, sondern als Muster...
Sprecher 2 Individuell, sagten wir, ist für ihn Kunst...
Sprecher 1 ... und erst, wird sie zur Realität hinzugegossen, umfließt sie, sozusagen, deren Gestalten...
Sprecher 2 ...ohne deren Gestalten zu sein...
Sprecher 1 Ohne deren Gestalten zu sein.
Stumm.
Sprecher 2 Das klingt nun aber alles so, als sollte man sich das Buch vielleicht d o c h kaufen.
Sprecher 1 Sagen wir es so: Wer auf Leinen steht und nicht bereits die schöne Taschenbuchausgabe hat... und wer an dem Argentinier ohnehin interessiert ist.... - Aber mal so unter uns: Die Aristokraten unter den Buchfetischisten lassen ein ihnen besonders liebes Objekt sowieso persönlich vom Buchbinder binden. Das ist Snobismus! Aber nicht das bißchen Verlagsleinen da... Verlagsleinen nämlich ist... na ja, was i s t es wohl andres als ein Anzug von der Stange?
Sprecher 2 in plötzlich gänzlich anderem Ton, das Spieljäh beendend.- Meine Damen und Herren, der erste Band der neuen alten Gesammelten Werke von Jorge Luis Borges ist soeben im Carl Hanser Verlag München erschienen, hat 318 gebundene Seiten und kostet 45 Mark.
Sprecher 2 selbstsicher
Sprecher 1 mit Ächzen: Da haben sie also mal wieder eine neue Ausgabe vorgelegt...
Sprecher 2 "Sie?" Wen meinen Sie?
Sprecher 1 Na die ... vom Literaturbetrieb... mit ihrem Jubiläumswahn.
Sprecher 2 Sie meinen den Hanser Verlag. Also bitte! Lieber Freund!
Sprecher 1 Neulich hab ich eine Sendung über Meyerbeer gehört... aus Analaß seines hundertfünfunddreißigsten... einhundertfünfunddreißigsten!: ja-glaubt-man-das?! ... Geburtstags. - Irgendwann wird jemand, um über, sagen -wir: den derzeit einzigen Groß-Lyriker Deutschlands... bricht resigniert ab: - egal.
Sprecher 2 Wen meinen Sie? Grünbein?
Sprecher 1 Aber was denn! Paulus Böhmer selbstverständlich! Merken Sie sich mal den Namen!... wird man eben, aus Anlaß seines sagen wir 1271/2ten Geburtstags...
Sprecher 2 Sie verheddern sich... Der Mann - also wenn Sie den Frankfurter meinen - ist doch kaum 60.
Sprecher 1 abwiegelnd flink: Jedenfalls hat der Münchener Hanser Verlag zum 100. Geburtstag des argentinischen Dichters Jorge Luis Borges den ersten Band einer neuen Werk-Ausgabe herausgegeben.
Sprecher 2 Die aber so neu nicht ist.
Sprecher 1 Das ist leider wahr. Die Edition erschien vor einem knappen Dezennium im Fischer Taschenbuch Verlag schon einmal.
Sprecher 2 Jedes Verdienst hat sein Fett.
Sprecher 1 "Schmiere" nennt man das.
Sprecher 2 Die Bücher h i e ß e n immerhin anders.
Sprecher 1 Sie hießen a n d e r s, das ist richtig.
Sprecher 2 "Kabbala und Tango".
Sprecher 1 Genau. So hieß bei Fischer dieser erste jetzt so scheinbar neue Band...
Stumm.
Sprecher 1 Also: Der neue Erste Band der auf 12 Bände projektierten Gesammelten Borges-Werke im Carl Hanser Verlag ist absolut textidentisch mit dem Band "Kabbala und Tango" aus der 20bändigen Taschenbuch-Werkausgabe des Fischer Taschenbuch Verlages.
Sprecher 2 Immerhin war er d a Band 2.
Sprecher 1 Sie kennen sich aus. Nun ist er Band I.
Stumm.
Sprecher 2 in sich hineingrummelnd.' 20bändig/12bändig. Lassen die irgendwas weg?
Sprecher 1 "D i e "?
Beide lachen.
Sprecher 1 Man wird ein paar Bändchen zusammenlegen wollen. Ich meine, irgendwas merken Leser doch au c h ...
Sprecher 2 Aber die Titelei ist anders.
Sprecher 1 Beim eingedeutschten Borges eine alte üble Verlagsgewohnheit... seit den 60ern sind Unmengen verschieden betitelter Bücher gleichen oder doch ähnlichen Inhalts in den Mark geschwemmt worden. Das beklagt auch Gisbert Haefs. Eine vergleichende, editionskritische Ausgabe... ich meine, die wäre schon sinnvoll gewesen.
Sprecher 2 liest vor: "Jorge Luis Borges, Werke in 20 Bänden, Herausgegeben von Gisbert Haefs und Fritz Amold". Akustisch aufblickend.Fischer.
Sprecher 1 Und Hanser nun: "Jorge Luis Borges, Gesammelte Werke, Herausgegeben von Gisbert Haefs und Fritz Arnold" - und dann, die Beigabe, -
Sprecher 2 naseschnaubend: f a u sti s c h! : "Der Essays erster Teil".
Sprecher 1 Man grad, daß "ersten" nicht großgeschrieben wurde...
Sprecher 2 Immerhin wird versucht, ein bißchen Verwirrung einzuschummeln. Etwa bei der Paginirung. So fängt der lange Aufsatz über Evaristo Carriego, den der übersetzer-Kommentar bereits in der FischerAusgabe für unergiebig hielt...
Sprecher 1 Ist ja auch naheliegend, einen an sich unergiebigen Aufsatz in einer nicht etwa Gesamt- nein!: "Gesammelten" Ausgabe, zumal bei deren Start, unbedingt abermals unterzubringen...
Sprecher 2 Na ja, die Chronologie...
Sprecher 1 Für eine wissenschaftliche Ausgabe gäbe ich Ihnen recht... aber so?
Sprecher 2 seinen Satz beendend.- ...bereits auf Seite 5 an. Atmet, als sagte er "Puhh! ". Freilich weil die Taschenbuchausgabe das Inhaltsverzeichnis nach vorn stellt. D a s sind so die Unterschiede.
Sprecher 1 Na gut, die Anmerkungen noch... die modifiziert sind...
Sprecher 2 Wegen der geänderten Buchtitel. Oder auch sonst?
Sprecher 1 Sonst selbstverständlich nicht.
Sprecher 2 Warten Sie mal... Hier, sehen Sie?: Wenn man die Seiten aufeinanderlegt und gegens Licht hält... Der Satzspiegel ist ganz derselbe. Sprecherl Aber nicht der Einband!
Sprecher 2 Nein, der Einband nicht. Da haben Sie recht.
Sprecher 1 Es ist ein richtig schöner Leineneinband.
Sprecher 2 Das stimmt. Der Einband ist aus grauem feinem Leinen.
Sprecher 1 Nicht mehr so diese alternative Plastikpappe, sondern richtig gesamtdeutsch gediegen.
Sprecher 2 Die eckigen Tangotänzer sind auch nicht mehr auf dem Buchdeckel drauf
Sprecher 1 Verächtlich: Apachen haben noch nie was hergemacht.
Stumm. Was soll man sagen?
Sprecher 2 verlegen: Sie kennen diesen Begriff noch?
Sprecher 1 HM?
Sprecher 2 Apachen.
Sprecher 1 Oh die passen zu Borges! Der schüchterne Mensch hat ja die Messerhelden immer verehrt. Und Apachen dür-ften unsere nordosteuropäische Sozial- und Legenden-Entsprechung der argentinischen Gauchos gewesen sein... in den 30ern also... als die beiden Aufsätze erschienen, die nun in diesem Band da vereinigt sind.
Sprecher 2 Ich lese mal die Editorische Notiz vor, ja? Liest vor: Diese 12bändige Neuausgabe der Werke von Jorge Luis Borges (einschließlich der Kollaborationen mit Adolfo Bioy Casares... aus dem Vorlesen ausbrechend.- Sie wissen, die beiden haben zusammen parodistische Krimis geschrieben...
Sprecher 1 Don Isidro Parodi hieß ihr hinter Gefängnisgitter gesperrter Detektiv... In San Isidro schrieben Borges und Bioy einen ersten
Sprecher 2 Der wird sich in dieser Gesamtausgabe schwerlich finden.
Sprecher 1 Sein Sie nicht ungerecht! Aber wirklich: "Parödi": "Parodie".,.nett, oder? Nein nein, lesen Sie weiter... Verzeihung.
Sprecher 2 liest weiter vor: ... beruht auf den Textfassungen der 20bändigen Taschenbuch-Ausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag (1991ff)...
Sprecher 1 ... für die man mit vollem R e c h t Werbung machen kann...
Sprecher 2 Es ist natürlich Mogelei, von "beruhen" zu sprechen, anstatt zu sagen...
Sprecher 1 Lassen wir das.
Stumm.
Sprecher 2 Unter welcher Rubrik heften wir sie ab, diese Edition? Unter "Kundenverarschung" oder "mein Leinen-Fetisch"?
Sprecher 1 Gäbe es wenigstens die Konkordanz, wie man sie für eine Ausgabe erwarten dürfte, die sich selbst brüstet... lesen Sie das mal?... - -
Sprecher 2 liest vor: Bei Drucklegung des vorliegenden Bandes (Herbst 1998) ist dies immer noch die weltweit kompletteste Borges-Ausgabe...
Sprecher 1 Jedenfalls ist Sprache kompletter als wir ahnen. Sie setzt sich hier komplett durch: Dem schlechten Gewissen entspricht die Formulierung seiner Entschuldigung.
Sprecher 2 Welch ein borges'scher Gedanke!
Sprecher 1 Und das passiert einem Könner wie Haefs. Gegen seinen Willen gewiß, aber, um mal schlechtmetaphysisch zu sein: Die Wahrheit schreibt sich gegen seinen Willen, sozusagen invers, durch ihn hindurch.
Sprecher 2 zitiert: Die Kunst verlangt - immer - nach sichtbaren Unwirklichkeiten.
Beide lachen.
Sprecher 1 Ihre sichtbaren Unwirklichkeiten leuchten bereits in diesen frühen Aufsätzen durch. Wobei man natürlich sagen muß, daß Borges den zweiten Aufsatz später umgearbeitet und ergänzt hat. Leider findet sich dazu keine Anmerkung im Band. Aber man kann schön verfolgen, wie Borges die romantische Inspiration der sogenannten Aufsatz lacht auf über geronnene M i 1 c h!
Sprecher 2 Der wird sich in dieser Gesamtausgabe schwerlich finden.
Sprecher 1 Sein Sie nicht ungerecht! Aber wirklich: "Parödi": "Parodie"...nett, oder? Nein nein, lesen Sie weiter... Verzeihung.
Sprecher 2 liest weiter vor: ... beruht auf den Textfassungen der 20bändigen Taschenbuch-Ausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag (1991ff)...
Sprecher 1 ... für die man mit vollem R e c h t Werbung machen kann...
Sprecher 2 Es ist natürlich Mogelei, von "beruhen" zu sprechen, anstatt zu sagen... Sprecherl Lassen wir das.
Stumm.
Sprecher 2 Unter welcher Rubrik heften wir sie ab, diese Edition? Unter "Kundenverarschung" oder "mein Leinen-Fetisch"?
Sprecher 1 Gäbe es wenigstens die Konkordanz, wie man sie für eine Ausgabe erwarten dürfte, die sich selbst brüstet... lesen Sie d a s mal?... - :
Sprecher 2 liest vor: Bei Drucklegung des vorliegenden Bandes (Herbst 1998) ist dies immer noch die weltweit kompletteste Borges-Ausgabe...
Sprecher 1 Jedenfalls ist Sprache kompletter als wir ahnen. Sie setzt sich hier komplett durch: Dem schlechten Gewissen entspricht die Formulierung seiner Entschuldigung.
Sprecher 2 Welch ein borges'scher Gedanke!
Sprecher 1 Und das passiert einem Könner wie Haefs. Gegen seinen Willen gewiß, aber, um mal schlechtmetaphysisch zu sein: Die Wahrheit schreibt sich gegen seinen Willen, sozusagen invers, durch ihn hindurch.
Sprecher 2 zitiert: Die Kunst verlangt - inuner - nach sichtbaren Unwirklichkeiten.
Beide lachen.
Sprecher 1 Ihre sichtbaren Unwirklichkeiten leuchten bereits in diesen frühen Aufsätzen durch. Wobei man natürlich sagen muß, daß Borges den zweiten Aufsatz später umgearbeitet und ergänzt hat. Leider findet sich dazu keine Anmerkung im Band. Aber man kann schön verfolgen, wie Borges die romantische Inspiration der sogenannten
Sprecher 2 Er ist Klassizist, meinen Sie?
Sprecher 1 zitiert: Ich glaube, für einen guten Idealismus ist der Raum nur eine der Formen, aus denen sich der betrachtete Fluß der Zeit bildet.
Sprecher 2 Zeit als Muster?
Sprecher 1 Auch der Gedanke der Ewigen Wiederkehr - noch polemisiert Borges allerdings etwas gegen ihn -, die Zyklische Zeit... all das finden wir bereits. Stanislaw Lem attackiert den Dichter deswegen: Er spricht vom immergleichen syntaktischen Vorgang, verweist also auf eine Art inhaltlicher, d.h. für einen Dichter: kreativer Armut...
Sprecher 2 ... ein nicht stichhaltiges Argument, sofern man Borges' Prämisse anerkennt, derzufolge es ohnedies keine originalen Ideen gebe... Und Prärnissen kann man bekanntlich nur g 1 au b e n.
Sprecher 1 Damals allerdings... also 1930, als der erste der hier im Buch enthaltenen Essays erschien... da war Borges durchaus noch vom Ultraismo geprägt, der spanischen Spielform des Dadas, bzw. frühen Surrealismus'. Herr Haefs bezeichnet denn auch die Untersuchung zum Werk des offenbar ganz zu Recht unbekannt gebliebenen Evaristo Carriego...
Sprecher 2 Also den ersten der beiden in diesem Buch enthaltenen Essays...
Sprecher 1 ... als sprachlich... sagen wir: drittklassig. Dabei finden sich darin oft Sätze von erstaunlich direktem, manchmal fast mythischem Zugriff. Zum Beispiel sowas: dort... ja...
Sprecher 2 zitiert: Systematische Menschenfreundlichkeit ist immer inhuman.
Sprecher 1 Oder auch: zitiert: Früher war der Tango eine orgiastische Teufelei; heute ist er eine Art zu schreiten.
Sprecher 2 Es gibt also doch ein anderes als bloß ökonomisches Interesse an einer neuen Publikation dieses Textes?
Sprecher 1 Na das bißchen Honorar für Herrn Haefs k a n n es nicht sein... Und wahrscheinlich war die spätere gebundene neue Werkausgabe sowieso alles schon 1991 geplant, als nach und nach die Taschenbuchausgabe herauskam. Die deutschen Buchrechte lagen ja immer, von den DDR-Ausgaben abgesehen, bei Hanser. Vergessen Sie auch nicht, daß der Münchener Verlag noch diese altegebundene, ziemliche stummelige Ausgabe lieferbar hatte... Die sollte wahrscheinlich erst einmal, wie das neudeutsch heißt: abverkauft werden.
Sprecher 2 Irgendwie macht das wirklich den Eindruck von Bauernfängerei...
Sprecher 1 Wenn Sie Leser als Bauern s e h e n wollen...
Sprecher 2 Die alte Ausgabe stammt aus den frühen Achtzigern...
Sprecher 1 ... die Taschenbuchausgabe aus den Neunzigern und diese neue Werkausgabe nun aus den... kann man das sagen?: "Nullern"? Verstummt einen Vorhalt lang. - Ich weiß genau, was Sie jetzt naheliegend finden...
Stumm. Das "nämlich " aber schwebt im Raum.
Sprecher 1 Wahrscheinlich arbeitet Hanser insgeheim an der sozusagen schon negativ angekündigten... einer... hm: literarwissenschaftlichen Ausgabe, mit der wir dann um die "Zehner" herum rechnen können, also des nächsten Jahrhunderts...
Sprecher 2 ... Jahrtausends...
Sprecher 1 Das ist auch so ein Ding! Jahrtausendwende. Für jeden Hebräer, von Indern und Chinesen zu schweigen, völlig ohne Belang. Den vorvorigen Satz im selben Atemzug, wie oben schon einmal, beendend.- ...erwartet werden kann... Hierjetzt kein "Puhh! ".
Sprecher 2 Dann sollte sich also, wen Borges' frühe Arbeiten interessieren, die Fischer-Ausgabe kaufen?
Sprecher 1 Ja. Das Verhältnis liegt außerdem bei 3 zu 1: Für einen HanserBand bekommt man drei Fischer-Bände.
Sprecher 2 Aber kein Leinen.
Stumm.
Sprecher 2 Marquez soll einmal gesagt haben, er trage die Bücher des Argentiniers nur nüt gebellter Faust in der Tasche: Für so reaktionär hat er gegolten.
Sprecher 1 Auf Kuba hat es auch Polizeiverbrechen gegeben und Militärterror.
Sprecher 2 Das ist etwas anderes!
Sprecher 1 Sie glauben, daß sich irgend eine Diktatur rechtfertigen läßt? Marquez ist mit Castro befreundet. Sie haben also alle beide ein sagen wir: uneindeutiges Verhältnis zur Gewalt. Übrigens kommt auch das schon in diesen frühen Aufsätzen bei Borges durch. Messer und Schwerter werden ihn sein Leben lang begleiten.
Sprecher 2 Der Tiger spielt eine große Rolle. Kein besonders pazifistisches Tier.
Sprecher 1 Zum Beispiel, wenn Borges Kipling zitiert... nür fällt dabei Günter Steffens ein, in dessen heute gänzlich vergessener "Annäherung an das Glück" der wunderbare Satz steht, es gebe Formulierungen, die seien bereits bei ihrer Erfindung Zitat. Das hätte auch Borges sagen können.
Sprecher 2 Ich entsinne mich einer ähnlichen Bemerkung: "...wenn ein Satz Esprit hat, dann existiert er aus eigenem Recht"...
Sprecher 1 ... unabhängig von seiner Wahrheit oder Falschheit. Richtig.
Sprecher 2 Klingt zien-dich postmodern, finden Sie nicht?
Sprecher 1 Die Postmoderne hat den Klassizismus beerbt, allerdings mit romantisch-expressionistischen Akzenten. Die realistische Literatur, gegen die Borges immer polemisiert, läuft imgrunde nur wie eine Fußnote daneben her.
Sprecher 2 Nun polemisieren aber S i e!
Sprecher 1 Borges ist der Überzeugung, daß der innerste Wesenskern von Kunst ahistorisch, daß sie nicht zeitgenössisch ist... Doch das Zeitgenössische schwingt stets mit, man kann dem gar nicht entkommen...
Sprecher 2 Man schreibe i in in e r modern?
Sprecher 1 Jaja, es geht gar nicht anders.
Sprecher 2 Dann wäre es also falsch, einem Künstler vorzuwerfen, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein... also dem Stand des Materials, wie Adorno das nannte, zu entsprechen?
Sprecher 1 Das ist, mit Borges, Oberhaupt keine Kategorie! Kunst ereigne sich oder ereigne sich nicht, punktum. Und ein Satz von Vergil sei so wahr wie einer von... stockt. Wer fällt mir jetzt ein?
Sprecher 2 Aber schon richtig: Wir können ja nicht einmal fü h 1 en, wie im Mittelalter gefühlt worden ist!
Sprecher 1 Zumindest wissen wir nicht und werden's nie wissen, ob wir's können. Dessen also ist sich Borges bereits früh bewußt. Das prägt auch die frühen F-ssays. Etwa hier, im zweiten Flaubert-Text, diese besonders hinterhältige Realismus-Replik: zitiert: Quijote und Sancho sind wirklicher als der spanische Soldat, der sie erfand, aber kein Geschöpf Flauberts ist so wirklich wie Flaubert.
Sprecher 2 Borges behauptet aber auch, Kunst optiere immer für das Individuelle, sie sei nicht platonisch.
Sprecher 1 Jaja, sie ist nicht je schon determiniert - darin eben anders als die Wirklichkeit -, sondern kommt in Form von Erfindungen zu dieser stetig h i n z u ... sie läßt das Meer des Wirklichen s t e i g e n ... Übrigens: "das Meer ist die Pampa der Engländer" heißt es in dem zweiten Aufsatz, Diskussionen, von 1932. Schön, oder?
Sprecher 2 Und Kipling?
Sprecher 1 Richtig. Ich vergaß. Dieser kristallene Satz! "When 1 was fifteen, I had shot my man and begot my man." S e i n e n Mann ersch o s sen und sein Kind gezeugt haben." Ein hartes Idiom, nicht wahr? Doch von solcher Evidenz! Halten Sie das Geschwamme von Erich Fried einmal dagegen an! Oder unserer Zeitgenössinnen und nissen! Ich kenne da Namen... - Rhetorisch zur Sache zurück: Also gleich im ersten Aufsatz, hier, lesen Sie vor?
Sprecher 2 liest vor: ... denn es gibt Dinge von einer solchen Verantwortung (einen Menschen zeugen oder töten), daß Reue oder Dünkel ihretwegen Wahnsinn wären.
Sprecher 1 Merken Sie? Das ist bei Borges schon damals ein IdeenKontinuum... und voller Paradoxien: Wie etwa Kunst nicht abbildet, sondern zufügt, zugleich aber Wirklichkeit ein... hätte man vor zwanzig Jahren gesagt: Regelkreis ist voller Zyklen und ewiger Wiederkehren... aber eben nicht als identische...
Sprecher 2 Variationen?
Sprecher 1 Variationen. In diesem Zusammenhang wendet er sich sogar gegen die Vollkommenheit einer Prosaseite, die doch gerade er später immer wieder anstreben wird.
Sprecher 2 Hier?
Sprecher 1 Da, ja, bitte.
Sprecher 2 Die vollkommene Seite, die Seite, auf der kein Wort ohne Schaden verändert werden kann, ist von allen die gefährdetste. Sprachliche Veränderungen verwischen die rnitschwingenden Bedeutungen und die Nuancen; die "vollkommene" Seite b e s t e h t aber gerade aus diesen feinen Abtönungen und ist der Abnutzung am meisten ausgesetzt. Dagegen kann umgekehrt die Seite, die zur Unsterblichkeit berufen ist, das Fegefeuer der Druckfehler, der annähernden Wendungen, der unachtsamen Lesarten, des Unverständnisses durchmessen, ohne bei dieser Feuerprobe ihre Seele einzubüßen.
Sprecher 1 Eines seltsame, eine bedenkenswerte Poetik, nicht wahr?
Sprecher 2 Mir fällt dabei ein, daß manche Bücher erst in der Erinnerung... kann man "aufblähen" sagen?
Sprecher 1 Das ist ein Phänomen, das Borges mit der Unterscheidung von Literaturen der Charaktere und Literaturen der Handlung erklärt.
Sprecher 2 Auch in diesem Aufsatz über... wie hübsch!: "die abergläubische Ethik des Lesers"..?
Sprecher 1 Neinnein, später. Aber man kann bereits aus den frühen Arbeiten ablesen, woher der Gedanke kommt, Handlung als den Helden anzusehen. Nämlich sind für Borges die Metaphysik, die wissenschaftliche Theorie, ja selbst die Religion L i t e r a t u r f o r in e n. Er versteht diese Disziplinen als reine Werke der Dichtkunst. Mit der Realität haben sie für ihn eigentlich nichts zu tun - und falls doch, interessiert es ihn nicht.
Sprecher 2 Ah ja, die Gegnerschaft zur realistischen Kunst...
Sprecher 1 Bereits hier, bereits im Frühwerk... also noch mal der Aufsatz über Flaubert: Ist es nicht bezeichnend, daß er diesem Bewunderten die Geburt und den Tod des realistischen Romans gleichzeitig zuschreibt..?
Sprecher 2 In den Gesprächen mit Ferrari hat er mal, erinner' ich mich, gesagt, die realistische Literatur sei eine noch sehr junge Gattung und werde wahrscheinlich bald wieder verschwinden.
Sprecher 1 ... oder die Grandezza seines Aufsatzes über die jüdische Geheimexegese, die er, realistisch gesehen, für Nonsens, ästhetisch aber für großartig hält. Es wird ihm zur Grundlage seines poetoschen Credos werden. Zitiert: "Weder ist das hier das erste Mal, daß eine Rechtfertigung der Kabbala unternommen wird, noch wird es das letzte Mal sein, daß sie scheitert...... - Dieser typisch bescheidene, dieser typisch eitle Humor!
Sprecher 2 Eitelkeit? Bei Borges? Und Humor?
Sprecher 1 Humor habe immer etwas Phantastisches, sagt Borges. Übrigens-. Eine diesbezügliche Verwandtschaft mit Pirandello wird höchst selten gesehen.
Sprecher 2 Aber Eitelkeit? Ich meine, gerade Borges hat doch immer wider behauptet, gar nicht Urheber seiner Texte zu sein... jeder Beliebige habe es sein können...
Sprecher 1 in einem Weltbild, das den Zufall nicht kennt, ist, daß ausgerechnet Borges zum Sprachrohr ausersehen wird... na ich bitte Sie! Auserwählter kann man nicht sein! Das strotzt geradezu vor Hoffart.
Sprecher 2 Den Koordinator des Genies der anderen, hat Borges den Schriftsteller genannt.
Sprecher 1 Sogar ein individuelles Gedächtnis des Kollektiven...
Sprecher 2 ... ahja!: ... das, wenn es handelt, imaginiert.
Sprecher 1 Jetzt überraschen sie mich.
Sprecher 2 zitiert: Die Träume sind ein Werk der Erinnerung, die Imagination ist eine Tat der Erinnerung.
Sprecher 1 Ja wunderbar! Und der Humor entstammt dem Bewußtsein.
Sprecher 2 zitiert: Ich versuche es so zu machen, daß alles ein Scherz ist; es ist die einzige Möglichkeit, die Dinge ernsthaft zu betrachten, nicht wahr?
Sprecher 1 Heinz Schlaffer, der in Borges' Werk den Begriff der SERENIDAD an die zentrale Strelle gerückt hat, spricht vom ästhetischen Z u s t a n d d e r I n t e 1 1 i g e n z. Sowas sollten sich die deutschen Schriftsteller merken, diese Lehmmorastler und Deutschschuldklumpler. Aber selbst die sind ja analysiert schon h i e r ! Lesen Sie's?
Sprecher 2 liest: Bekanntlich haben die Götter den Deutschen die spontane Schönheit verwehrt. Diese Beraubung erklärt das Tragische am deutschen Shakespeare-Kult, der in gewisser Weise einer unglücklichen Liebe gleicht.
Sprecher 1 Richtig bitter, oder? - Und im Alter merkt Borges dann an... jaja, in den von Ihnen erwähnten Gesprächen mit Ferrari, daß sich Volksgemeinschaften offenbar meist einen Ideal- und Identifikationstypus suchen, der ihnen nun ganz und gar nicht entspricht: Was Goethe in Deutschland, ist für den trocknen Engländer auch Shakespeare irgendwie... der ist dann "postpoetam" erst englisch geworden... außerdem, als knausriger Pfandleiher, dauernd auf Prozesse aus.
Sprecher 2 Es ist, als wäre Borges sich gleich geblieben....
Sprecher 1 Die Wiederholung ist eines seiner Kennzeichen... er sieht sie nicht individuell, sondern als Muster...
Sprecher 2 Individuell, sagten wir, ist für ihn Kunst...
Sprecher 1 ... und erst, wird sie zur Realität hinzugegossen, umfließt sie, sozusagen, deren Gestalten...
Sprecher 2 ...ohne deren Gestalten zu sein...
Sprecher 1 Ohne deren Gestalten zu sein.
Stumm.
Sprecher 2 Das klingt nun aber alles so, als sollte man sich das Buch vielleicht d o c h kaufen.
Sprecher 1 Sagen wir es so: Wer auf Leinen steht und nicht bereits die schöne Taschenbuchausgabe hat... und wer an dem Argentinier ohnehin interessiert ist.... - Aber mal so unter uns: Die Aristokraten unter den Buchfetischisten lassen ein ihnen besonders liebes Objekt sowieso persönlich vom Buchbinder binden. Das ist Snobismus! Aber nicht das bißchen Verlagsleinen da... Verlagsleinen nämlich ist... na ja, was i s t es wohl andres als ein Anzug von der Stange?
Sprecher 2 in plötzlich gänzlich anderem Ton, das Spieljäh beendend.- Meine Damen und Herren, der erste Band der neuen alten Gesammelten Werke von Jorge Luis Borges ist soeben im Carl Hanser Verlag München erschienen, hat 318 gebundene Seiten und kostet 45 Mark.