Archiv


Geschäfte, die zum Himmel stinken

Wer Müll aus Industrieanlagen oder Atomkraftwerken ordnungsgemäß beseitigt, bezahlt viel Geld. Umgekehrt gilt: Wer Müll illegal beseitigt, spart viel Geld. Und genau dieses Prinzip hat die italienische Mafia als Marktlücke genutzt, wie die beiden Journalisten Sandro Mattioli und Andrea Palladino in ihrem Buch zeigen.

Von Mirko Smiljanic |
    Amantea im Dezember 1990. Staunend stehen ein paar Kinder am Strand der kalabrischen 12.000-Seelen-Gemeinde und zeigen mit Fingern auf ein gestrandetes Schiff, das sich wie ein toter Wal in den Wellen des Tyrrhenischen Meeres hin und her wälzt. "Rosso" steht gut lesbar auf Bug und Heck des Frachters, "Rot", die Reederei Ignazio Messina benennt ihre Schiffe nach Farben. Warum ist die "Rosso" gestrandet? Wichtiger noch: Was hat sie geladen? In den 80er-Jahren transportierte sie illegal nach Afrika exportierten Giftmüll zurück nach Italien. Hat sie gefährlichen Abfall an Bord? Schwermetalle? Dioxine? Möglicherweise radioaktives Material aus Atomkraftwerken?

    20 Jahre später, im August 2010, suchen die Journalisten Sandro Mattioli und Andrea Palladino nach Spuren der Havarie. Vom Frachter finden sie nichts mehr, längst wurde er von einer niederländischen Firma verschrottet. Und was mit der Ladung geschehen ist, weiß niemand. Hartnäckig hält sich nach Angaben der Autoren bis heute aber das Gerücht, nach der Strandung hätten LKW-Fässer zum nahe gelegenen Tal des Flusses Oliva gefahren, wo sie von Mitgliedern des Mafiaclans 'Ndrangheta vergraben worden seien. Beweisen konnte das Gerücht niemand, in der Folgezeit erkrankten aber viele Bewohner Amanteas an Krebs.

    "27 Krankheiten und Krebsarten treten hier häufiger auf, als statistisch zu erwarten wäre. Die Sterblichkeit ist vergleichsweise hoch, sie lässt sich nicht einzelnen Krebsarten zuordnen, auch wenn auffällig viele Tumore im Darm, der Leber, im Genitalbereich und bei Frauen in der Brust zu verzeichnen sind. Die Zahl der Krebserkrankungen, die nicht tödlich enden, ist ebenfalls signifikant hoch."

    Wer Müll aus Industrieanlagen oder Atomkraftwerken ordnungsgemäß beseitigt, bezahlt viel Geld. Umgekehrt gilt: Wer Müll illegal beseitigt, spart viel Geld. In jahrelangen, teilweise von der Otto-Brenner-Stiftung finanzierten Recherchen, sind die Journalisten Sandro Mattioli und Andrea Palladino diesen Machenschaften nachgegangen. Sie deckten die Methoden der Müllmafia auf: Wie hochgiftiger Müll nach Afrika transportiert und achtlos gelagert wurde; wie dieser Müll auf Druck von Umweltverbänden nach Italien zurückgeholt werden musste; wie einige dieser Müllschiffe mit ihrer brisanten Fracht vor der italienischen Küste aus nie geklärten Gründen sanken; wie ein Teil des Mülls wie in Amantea einfach vergraben wurde – dreckige Geschäfte, sagt Sandro Mattioli, an denen alle verdienten. Diese "alle" bildeten ein ausgeklügeltes Netzwerk – ohne direkte Kontakte.

    "Da waren dann im Normalfall Vermittler zwischengeschaltet, Schweizer Vermittler beispielsweise, sodass es gar keinen Kontakt zwischen der schmutzigen Entsorgungsbranche und den sauber produzierenden Müllverursachern zustande kam. Es lässt sich aber anhand von Ladungslisten von einem Schiff, das Giftmüll in Afrika entsorgen sollte, lässt sich belegen, dass auch deutsche Unternehmen unter den Mülllieferanten waren."

    Der Chemieriese BASF aus Ludwigshafen ließ demzufolge einen Teil seines Mülls über Italien entsorgen, die Bayer AG aus Leverkusen, die Dynamit Nobel AG aus Rheinfelden, die Firma Hoechst aus Frankfurt am Main, die Schering Industrie Chemikalien aus Bergkamen und viele andere Konzerne aus Europa und Übersee. Lassen sich solche Geschäfte auf Dauer an den Behörden vorbei abwickeln? Nein, sagt Mattioli, das war weder möglich noch nötig.

    "Was mich am meisten überrascht hat, dass dieses Netzwerk keinesfalls gegen die Politik oder gegen die Regierung gearbeitet hat, sondern mithilfe von Geheimdienstagenten. Das fand ich sehr überraschend, dass es wohl doch ein Müllentsorgungssystem gab, was man nach heutigen Kriterien definitiv als kriminell bezeichnen würde, was aber von politischen Institutionen gewollt war."

    Dabei habe die Mafia auch nicht vor Morden zurückgeschreckt: In Somalia wurde eine italienische Journalistin getötet, die den italienischen Müllgeschäften auf der Spur war, ...

    "... und es ist ein italienischer Ermittler namens Natale de Grazia, der Ermittlungen zu den Giftmüllschiffen und Giftmülltransporten in Italien recherchiert hat und kurz vor Vollendung seiner Recherchen gestorben ist. Es ist nicht bewiesen, dass er umgebracht worden ist, aber seine früheren Kollegen, die mit ihm gearbeitet haben, sagten mir, sie wussten sofort, dass er umgebracht worden ist."

    In Reportagen zeichnen Sandro Mattioli und Andrea Palladino ein Bild krimineller Machenschaften, wie man es sich selbst in Italien kaum noch vorstellen kann. Leider bedient sich das Autorenduo einer streckenweise unangemessenen Sprache: Blumig ergeht es sich in Andeutungen, wo klare Fakten gefragt wären; und die Zeitsprünge nachzuvollziehen, gelingt auch nicht immer. Investigativ arbeitende Journalisten, als solche sehen sie sich, sollten prägnant und klar strukturiert schreiben.

    Trotz dieser Einschränkung ist "Die Müllmafia – Kriminelle Netzwerke in Europa" ein lesenswertes Buch, beschreibt es doch wieder einmal die perfide Macht der Mafia, die vor allem auf einem beruht: auf Angst!

    "Nichts sehen, nichts hören, vor allem den Mund halten, so funktioniert die Welt hier, weil die Mafia es so will. Die Menschen schweigen, schweigen, schweigen, selbst wenn ihnen der Boden unter den Füßen vergiftet wird."

    So ein Zitat aus dem Buch "Die Müllmafia – Das kriminelle Netzwerk in Europa" von Sandro Mattioli und Andrea Palladino.
    Das Buch ist im Herbig-Verlag erschienen, es hat 255 Seiten und kostet 19,99 Euro.