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Geschäftsidee "Mietopfer"

Eine Selbstmordattentäterin unter umgekehrten Vorzeichen. Weil sie nicht länger hinnehmen will, wie sie sagt, dass Prediger in den Hinterzimmern von Moscheen Hass züchten können, sprengt sich eine deutsche Christin im ersten Teil von John Birkes Stück "Armes Ding" in einem muslimischen Gotteshaus in die Luft.

Von Sven Ricklefs |
    Frau: "Irgendjemand muss ja. Irgendjemand muss es ja tun, es geht ja so nicht weiter…. Irgendjemand muss es ja tun."

    Gedanklicher Ausgangspunkt für John Birke und seine Regisseurin Felicitas Brucker bei der gemeinsamen Entwicklung von Armes Ding als Auftragswerk für die Münchner Kammerspiele war das biblische Judithmotiv: die Ermordung des Holofernes zur Rettung des eigenen Volkes und damit die Frage nach der eigenen Aufopferung, um sich radikal für einen höheren Zweck einzusetzen. Armes Ding erzählt in drei Teilen von drei Frauenfiguren: da ist eben jene, die glaubt, mit Gewalt Veränderungen herbeiführen zu können. Da ist die, die in gleichsam grotesker Überspitzung des Themas eine Opferagentur führt, um damit eine gesellschaftliche Katharsis herbeizuführen.

    Indem sich hier Frauen als käufliche Opfer für Gewalt zur Verfügung stellen, wollen sie die reale Gewalt reduzieren. Und da ist eine, die liebt, und sich aufopfert für ihren durch ein Bombenattentat entstellten Mann, der sich selbst wiederum aufopferte, indem er versuchte, Kinder aus der Gefahrenzone zu retten. Birke buchstabiert Gedankenspiele durch für eine Gesellschaft, die sich zumeist in das Klein-Klein ihrer Privatsphäre zurückgezogen hat. Armes Ding" fragt nach gesellschaftlichem Engagement und Aufopferung und diskutiert dabei zugleich die Gefahren zwischen Geltungsbedürfnis, Fanatismus und jenen Vermarktungsmöglichkeiten eines Heldentum, die heutzutage die Medien ermöglichen.

    Frau: "Sagen sie, sind Sie sich dessen bewusst, dass Sie ein Vorbild, dass Sie ein leuchtendes Vorbild für die Gesellschaft, für Hunderte, Tausende, sagen sie, sind sie sich dessen bewusst. Sagen sie, ist das spannend, erregend, prickelnd."

    John Birke: "Beim Schreiben ist das klar, dass ich ein sehr akustisches Schreiben habe, und meine Texte eigentlich gesprochen werden müssen. Also ich höre die Texte meist kurz bevor ich sie aufschreibe und deswegen ist das Theater die logische Konsequenz. Sicherlich produziere ich auch manchmal und weiß, was ich schreiben muss und dann schreibe ich es hin, aber oft ist es so, dass ich es kurz im Ohr habe und dann mitschreibe. Wodurch die Texte auch sehr rhythmisch werden, was ich auch brauche beim Schreiben, weil ich merke, dass es stockt, wenn der Rhythmus nicht stimmt. Da weiß ich den Inhalt, ich weiß was jetzt gesagt werden muss, was jetzt kommen muss, ich kann es aber nicht schreiben, weil irgendein Wort fehlt. Was den Rhythmus grade rückt."

    John Birke benutzt für seine Stücke die verschiedensten Sprachhaltungen unserer Gegenwart, so dass die Sprache der Figuren an sich im Spiel kaum mehr psychologisch hergeleitet werden kann und das Hülsenhafte moderner Kommunikation deutlich wird, das sich schnell auch verselbstständigt. Dem Spielerisch-Leichten des Textes begegnet die Regisseurin der ebenso beiläufigen wie in ihrer szenischen Präzision beeindruckenden Uraufführung von "Armes Ding" im Werkraum der Münchner Kammerspiele, indem sie ihre drei Schauspieler dort nach der Sehnsucht und der Verzweiflung der Figuren suchen lässt, wo die Sprache endlich verstummt. Felicitas Brucker hat sich dafür von ihrer Bühnenbildnerin Dorothee Curio eine Art Zivilisationsmüll-Landschaft aus in Plastik eingeschweißten Altkleiderquadern bauen lassen und dort versucht sich Sylvana Krappatsch in und an den drei Frauenfiguren.

    Was sie und die beiden anderen Darsteller, die sie in verschiedenen Rollen umkreisen, dabei herstellen, sind im wahrsten Sinne des Wortes Spielsituationen, hier werden die drei dramatischen Behauptungen von John Birke mit sehr einfachen und bewusst sichtbaren theatralen Mitteln durchgespielt. So ist etwa die Figur einer Fernsehjournalistin immer präsent, während sich das durch den Bombenschrecken zusammen geschweißte Paar durch die ungewohnte Rolle des plötzlichen Heldentums quält, sie ist immer präsent, und sie leuchtet die Situation mit einem Theaterscheinwerfer dauerhaft und gnadenlos aus. Brucker hat noch einmal sehr bewusst gekürzt, dort, wo der Autor vielleicht noch zuviel verbale Erklärung für das Verhalten seiner Figuren mitliefern wollte. Und so ist diese nur wenig mehr als eine Stunde dauernde Uraufführung zu einer wirklichen Zusammenarbeit geworden, zwischen Autor und Regie.