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Geschenk für eine schwangere Schauspielerin

Neil LaBute zählt zu den in Europa meistgespielten US-Dramatikern. Auch das Theater Bonn hatte LaBute in der vergangenen Spielzeit im Programm und konnte das Publikum mit "Wie es so läuft" fesseln. Jetzt hatte Neil LaButes neues Stück "Helter Skelter" Premiere, ein Einakter, der mit zwei weiteren Einaktern auf abendfüllende Länge gebracht wurde.

Von Karin Fischer |
    Um es vorweg zu nehmen: Die Uraufführung, "Helter Skelter", ist das am wenigsten schillernde der drei Stücke. Wie ein ungebremster Zug fährt es in die Katastrophe. Ein Mann und seine Frau treffen sich in einer Bar nach den Weihnachtseinkäufen, sie hochschwanger, er merkwürdig schlecht gelaunt, als sie nach seinem Handy fragt. Es ist der Tag, an dem sie herausfindet, dass er seit sechs Jahren ein Verhältnis mit ihrer Schwester hat. Und es ist der Tag, an dem sie zur modernen Medea wird und das eigene Kind im Leib umbringt. Aus dem Gefühl heraus, einem außergewöhnlich großen Verrat eine angemessen außergewöhnliche Antwort geben zu wollen:

    "Daran glaube ich nicht mehr, an diese Lügen. Ich glaube, wir sind außergewöhnlich... Aber tun wir es? Nageln wir unsere Forderungen an eine Kirchentür, damit wir gehört werden?"

    Während die Frau durch die neu entdeckte Macht des Großen, Großartigen selbstbewusste Gelassenheit gewinnt, redet sich der Mann, Yorck Dippe, mit den banalsten Allgemeinplätzen selbst ins Unglück und wird dann vollends zum leidenden Zuschauer degradiert.

    Überhaupt wirken Neil LaButes Männer-Figuren häufig unterkomplex. So wie in jenem Zwei-Personen-Stück, das kurz nach dem 11. September 2001 entstand. Sie hat frühmorgens Termin für eine Abtreibung, er ist verkatert auf dem Weg ins Büro im World Trade Center, sein emotionales Unvermögen auf flapsige Art wegredend. Sie werden sich nie wieder sehen. LaButes doppeltes Erinnerungsprotokoll dieses Tages aus dem "Land der Toten" schockiert nicht nur wegen seines Plots, sondern weil es den Zuschauer zwingt, die Geschichte vom Ende her neu zu denken. Und sich, wie schon in "Helter Skelter" zu fragen: wann werden Entscheidungen gefällt, und mit welchen Konsequenzen?!

    Birte Schrein und Andreas Maier sind nur als Gesichter präsent, die von zwei Scheinwerfern aus der völligen Dunkelheit geschnitten werden. Die kleine Werkstatt-Bühne wirkt hier wie eine Gruft, aus deren Tiefe nur die Stimmen dringen. Das nimmt dem Text die Leichtigkeit, die er auch hat. Aber es verdichtet ihn auf die Themen, die LaBute immer wichtig sind: die bewusste oder unbewusste Gewalt am Anderen, die Wahrheitssuche durch Erinnerung, das Schuldig werden, die Beichte.

    LaButes Stücke funktionieren höllisch gut in ihrer Mischung aus Kurzkrimi und kathartisch wirkendem "well made play". Die nur scheinbar alltäglichen Dialoge sind sorgfältig gewartete Enthüllungsmaschinen, in die der Autor gerne auch ein paar Ebenen mehr einzieht, wie in "Ich mag dich wirklich": So perfekt wie perfide tritt Roland Riebeling aus seiner Rolle, um sich mit Geplänkel über die "4. Wand" und das Illusionstheater ans Publikum zu wenden. Ansonsten spielt er einen angeblichen Studenten, der gerade dabei ist, seine Internet-Bekanntschaft (natürlich wieder Birte Schrein) "live" zu treffen, was das Prinzip von Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit noch um eine Ecke weiter dreht, denn das Internet ist der Ort an sich für Möchtegern-Biografien:

    "Sie glauben jetzt, das geht aber echt geschwätzig los, oder wann hält der Typ das Maul, aber Sie sind auch ziemlich sicher, dass ich ein Schauspieler bin, und das hier ist alles erfunden und gehört dazu. Das sehe ich aber völlig anders. Also: ich bin hier, gleich kommt die Frau, und wir werden einen tollen Abend miteinander verbringen. - Merken Sie, wie schwammig das werden kann, dieser ganze Illusions-Nummer, wenn wir mal drüber nachdenken?"

    "Was wäre wenn ...?" Die Frage wird in diesem dritten Einakter, der in Bonn erstmals auf Deutsch zu sehen ist, am konsequentesten und am härtesten gestellt. Sind wir gerade in einem Theaterstück, oder beobachten wir nicht doch einen kaltblütigen Mörder bei der Vorarbeit? Mit "Ich mag dich wirklich" nähert sich Neil LaBute allerdings schwer dem französischen Theaterphilosophen und Erfolgsautor Eric-Emmanuel Schmitt: als Entertainer, als Pseudo-Aufklärer und als ein leicht übergriffiger Theater-Pädagoge. (Wenn das Publikum aufgefordert wird, die Show als real zu nehmen, und die Frau zu retten!). Das muss aber nicht gegen ihn sprechen. Es geht hier nicht um philosophische Volkshochschule, sondern immer um ein ebenso flirrendes wie höchst amüsantes Spiel am Abgrund. Neil LaBute und Bonn, das scheint nach "Wie es so läuft" die nächste Erfolgsgeschichte zu werden.