Als die Kolonne um 05.15 Uhr die Einfahrt Nummer 3 der Kaserne erreicht, springt ein Soldat aus dem ersten Wagen und ruft: "Lasst den General hinein!" Die drei Wachhabenden am Tor stehen stramm und präsentieren die Gewehre. Ehe sie sich versehen, sind sie überwältigt. Einem Soldaten gelingt es jedoch noch, Alarm auszulösen.
Im Kasernenhof kommt es zu einem Feuergefecht. Die Eindringlinge, nur mit Revolvern und einfachen Gewehren bewaffnet, haben keine Chance, sind hoffnungslos unterlegen. Acht von ihnen werden getötet, zwölf verwundet. Als der Anführer der Angreifer die Aussichtslosigkeit des Unternehmens erkennt, erteilt er den Befehl zum Rückzug.
Fidel Castro hat die erste Schlacht der kubanischen Revolution verloren. Doch er hat sie überlebt - die Geburtsstunde der kubanischen Revolution.
An diesem 26. Juli 1953 wird nicht nur eine Revolution geboren, sondern zugleich ein Mythos - der Mythos, der mit der Zahl 26 verbunden ist. "Es ist immer der 26.," lautet fortan die Parole, musikalisch umgesetzt von Carlos Puebla.
Die Schlacht des 26. Juli, sie sollte nur der Auftakt sein zu einem langjährigen Krieg gegen den Diktator Batista und sein Regime. Dass sie nicht in Havanna, sondern in Santiago de Cuba geschlagen wurde, war wohl überlegt, wie Volker Skierka, Autor einer 500-Seiten-Biografie über Fidel Castro betont.
Auch die kubanische Unabhängigkeitsbewegung ging von Ost-Kuba aus. José Marti, der große kubanische Volksheld und die große Vaterfigur für Fidel Castro, also nicht Marx war der geistige Vater Castros, sondern das ist José Marti, der große kubanische Befreiungskämpfer. Der hat nicht weit von Castros Geburtsort entfernt auch die Unabhängigkeitsbewegung gegründet, und von dort aus den Siegeszug nach Havanna angetreten, und das wollte ihm Castro gleichtun.
Der Sturm auf die Moncada-Kaserne hätte für den jungen Rechtsanwalt und Nachwuchspolitiker Fidel Castro auch anders ausgehen können. Darin sind sich die Beobachter des Geschehens einig. Volker Skierka:
Erstens hat er schlicht Glück gehabt. Zweitens war es schon Teil einer Strategie. Er glaubte nämlich, wenn man diese Moncada-Kaserne einnähme, dann würde man durch diesen revolutionären Akt Unruhen im gesamten Lande gegen Batista auslösen, denn man muss wissen, dass Batista sehr unbeliebt war. Er hat 1952 die Macht ergriffen, weil er als Präsidentschaftskandidat kaum Aussichten hatte, die Wahlen, die im Juni bevorstanden desselben Jahres, zu gewinnen. Und Castro war übrigens Kongressabgeordneter und ein sehr beachtetes politisches Talent, dem man sogar voraussagte, er würde eines Tages der Präsident des Landes werden, was sich ja dann auch auf eine etwas andere Art erfüllt hat.
Diktator Batista nimmt den Rebellenangriff auf die Moncada-Kaserne und zwei weitere Objekte in Santiago de Cuba zum Anlass, das Kriegsrecht über das ganze Land zu verhängen. Ein Rachefeldzug beginnt, dem zahlreiche Revolutionäre zum Opfer fallen. Nur durch eine Intervention des Erzbischofs von Havanna, Manuel Kardinal Arteaga y Betancourt, entgehen 33 Männer der sofortigen Hinrichtung.
Am 1. August wird Fidel Castro von einer Militärstreife unter Führung des schwarzen Leutnants Pedro Sarría schlafend in einer Bauernhütte in den Bergen aufgespürt. Fidel Castro kann froh und dankbar sein, mit heiler Haut im Gefängnis zu landen. 61 seiner Kampfgefährten - 61 Moncadistas - werden mehr oder minder bestialisch ermordet. Der Preis ist hoch für den 26. Juli.
Doch ein Symbol war gesetzt,
wie Michael Zeuske, Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln, konstatiert:
Die Regeln der korrupten Politik waren bewusst durchbrochen und damit entlarvt worden: Die jungen Leute waren bereit, für ein ethisch begründetes politisches Ideal in den Tod zu gehen. Der romantisch-patriotische Todes-, Selbstmord- und Opferkult, nach Cabrera Infante die ultimative Ideologie der Kubaner, fand seine Personifikation: Fidel Castro wurde mit einem Schlag bekannt.
Und er sollte erst recht bekannt werden durch den Moncada-Prozess, in dem Castro die alleinige Verantwortung für den 26. Juli übernimmt, denn weder die Kommunisten noch die Ortodoxos hätten mitgewirkt. Auf die Frage des Staatsanwaltes, warum er nicht einen friedlichen Weg gewählt habe, antwortet Castro:
Einfach deshalb, weil es in Kuba keine Freiheit gibt, weil man seit dem Putsch vom 10. März nicht mehr offen sprechen kann. Wir haben es versucht, aber die Regierung, intransigent wie stets, wollte nicht nachgeben.
In einem vom Hauptverfahren abgetrennten Geheimprozess wird Fidel Castro am 16. Oktober 1953 zu 15 Jahren Haft im Militärgefängnis La Cabana in Havanna verurteilt - der höchsten Strafe, die jemals gegen einen Aufständischen in Kuba verhängt worden war. Castro zeigt sich wenig beeindruckt - im Gegenteil, nutzt das Tribunal zur Generalabrechnung mit dem Batista-Regime. In einem fünfstündigen Schlußwort erklärt er, an seine Richter gewandt:
Kuba leidet unter einem brutalen und schändlichen Despotismus, und Ihnen entgeht nicht, dass der Widerstand gegen den Despotismus legitim ist; dieses Prinzip wird weltweit anerkannt, und unsere Verfassung von 1940 verankert es ausdrücklich in Artikel 40, Absatz 2... Was mich angeht, weiß ich, dass das Gefängnis hart sein wird, so wie es niemals zuvor für jemanden gewesen ist, voll Drohungen, voll niederträchtiger und feiger Wut, aber ich fürchte es nicht, wie ich auch nicht die Wut des elenden Tyrannen fürchte, der 70 meiner Brüder ermordete. Verurteilen Sie mich. Es macht nichts. Die Geschichte wird mich freisprechen.
Die Geschichte wird mich freisprechen - Castros Verteidigungsrede vom 16. Oktober 1953 liefert nicht nur die Rechtfertigung für den 26. Juli, sie weist den Weg in ein neues, revolutionäres Kuba - in das Kuba Fidel Castros.
Drei Monate nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne sehen sich die Überlebenden des 26. Juli als Gefangene auf der Isla de Pinos wieder. Kubas größtes und modernstes Gefängnis wird für Fidel Castro und seine Getreuen zum Klassenzimmer der Revolution. In einem Brief an seine Geliebte Natalia Revuelta in Havanna schreibt er:
Hier kann ich mein Weltbild formen und den Sinn meines Lebens vervollkommnen...
Noch bevor die Bewegung des 26. Juli aus der Taufe gehoben wird, haben die Moncadistas bereits ihre Hymne - komponiert von Augustín Díaz Cartaya, und gemeinsam getextet von den jungen Revolutionären auf der Hühnerfarm in Siboney, wo sie ihren Sturm auf die Moncada-Kaserne vorbereiteten. Die Hymne schweißt die Moncadistas zusammen - und beschert Fidel Castro Einzelhaft. Castro in einem Brief vom Dezember 1953:
Es ist schon einige Tage her, dass ich meinen Bruder nicht sehe, kein Wort mit ihm wechseln kann, obwohl er nur fünf bis zehn Schritt von der Zelle entfernt ist, in der ich sitze. Sie isolierten mich seit dem Tag, an dem wir, als der Tyrann das Gefängnis besichtigte, in seiner Anwesenheit die patriotische Hymne 'Marsch des 26. Juli’ aus voller Kehle sangen. Aus demselben Grunde wurde einer unserer Kameraden, Augustín Díaz Cartaya, der Autor der Hymne, ebenfalls eingesperrt. Sie prügelten so unbarmherzig auf ihn ein, dass er einige Male das Bewußtsein verlor.
Auf der Isla de Pinos wird Fidel Castro nach eigener Einschätzung zu "einem Mann von Eisen". Seine Haltung gegenüber dem Batista-Regime bleibt unversöhnlich. Als der kubanische Präsident unter dem Druck der öffentlichen Meinung eine Amnestie in Aussicht stellt, äußert Castro, er werde niemals um Amnestie bitten. Er habe genug Würde, um zwanzig Jahre auf der Isla de Pinos zu bleiben. Castro in einem Brief an den Journalisten Conte Aguero vom 15. März 1955:
Nein, wir sind des Kampfes nicht müde. Nach zwanzig Monaten fühlen wir uns noch so unbeugsam und stark wie am ersten Tag. Wir wollen keine Amnestie für den Preis der Unehre. Wir werden uns nie unter das Joch der Unterdrückung begeben. Lieber tausend Jahre im Gefängnis als Erniedrigung hinnehmen.
Die Zeitschrift Bohemia verbreitet Castros Botschaft, preist Castro in einem Kommentar als "ein Muster an edler Größe", lässt ihn als Nationalheld, als Halbgott erscheinen. Diktator Batista bleibt nichts anderes übrig, als die politischen Gefangenen zu amnestieren. Am 15. Mai 1955 öffnen sich für die Moncadistas die Gefängnistore.
Als das Boot mit den entlassenen Häftlingen die Isla de Pinos hinter sich lässt und Kurs auf das Festland nimmt, hat Fidel Castro eine Idee. Ihm kommt in den Sinn, der Gruppe der Moncadistas einen Namen zu geben: Bewegung des 26. Juli.
Kaum auf freiem Fuß, attackiert Castro vehement Batista. In einem Artikel der Zeitung Alerta vom 7. Juni warnt er Kubas Präsidenten:
Beleidigen oder erniedrigen Sie das Volk nicht länger mit Worten, Reden oder Taten, die die kubanischen Gefühle verletzen... Ihre Tyrannei wird nur die Kräfte wecken, die früher oder später für Ihre Zerstörung sorgen.
Die Kräfte sind längst geweckt. Doch die Wegstrecke, die vor ihnen liegt, ist lang und gefahrvoll, führt übers Meer ins Exil nach Mexiko und später ins Gebirge - in die Wälder der Sierra Maestra.
Stationen einer Revolution. 7. Juli 1955. Weil er einen friedlichen Kampf auf Kuba für unmöglich hält, folgt Fidel Castro seinem jüngeren Bruder Raul ins Exil. Raul war bereits am 24. Juni nach Mexico City geflogen, nachdem er zuvor in der mexikanischen Botschaft Zuflucht gesucht hatte. Noch im Juli kommt es in Mexico-City zu einer historischen Begegnung von zwei Männern, die beide auf ihre Weise Weltgeschichte schreiben sollten. Fidel Castro lernt den jungen argentinischen Arzt Ernesto Guevara kennen. Nach dem ersten Eindruck Guevaras ist Castro...
...ein außerordentlicher Mensch mit dem unerschütterlichen Glauben daran, dass er in Kuba ankommen würde, wenn er sich erst einmal auf den Weg machte, dass er zu kämpfen beginnen würde, wenn er in Kuba angekommen war, und dass er siegen könnte, wenn er zu kämpfen begonnen hatte.
Guevara teilte den Optimismus des Kubaners, gewinnt die Überzeugung, dass es sich lohnen könnte...
...für ein solch reines Ideal an einem fremden Strand zu sterben.
Zwei Jahre nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne - am 26. Juli 1955 - schmieden Fidel Castro und Ernesto Che Guevara in Mexico-City Pläne für den Guerillakampf auf Kuba. In Mexiko wird fortan der Boden bereitet für den Sturz Batistas.
Am 25. November 1956 sticht der alte Kutter Granma mit 81 Revolutionären an Bord in See und nimmt Kurs auf Kuba. Nach sieben Tagen erreicht das Schiff die Küste der Provinz Oriente. Doch die Granma wird bereits erwartet. Kurz nach der Landung geraten die Invasoren in das mörderische Feuer von Luft- und Bodenangriffen der Armee. Nur 12 Mann gelingt es, ihre Haut zu retten, mit Fidel Castro in die Bergwildnis der Sierra Maestra zu entkommen, darunter Raul Castro und Ernesto Che Guevara.
Als die Überlebenden den Gipfel des Turquino, des höchsten Berges Kubas, erreichen und völlig erschöpft zu Boden sinken, springt Fidel Castro plötzlich auf und schreit wie von Sinnen:
Wir haben gesiegt! Batista ist verloren!
Zwei Jahre nach der Landung der Granma muss Diktator Batista sich geschlagen geben. Am Neujahrsmorgen des Jahres 1959 besteigt er das Flugzeug und kehrt Kuba den Rücken.
Die Barbudos - die Bärtigen aus der Sierra Maestra - ziehen als Sieger in Havanna ein, werden von den Kubanern als Befreier umjubelt. Die Revolution, die am 26. Juli 1953 geboren wurde, hat gesiegt. Der Mann, der sie angestiftet und vorangetrieben hat, der immer an sie glaubte, der sein ganzes Leben in den Dienst dieser Revolution stellte, wird neuer Führer Kubas - und soll es bis ins 21. Jahrhundert hinein bleiben.
Der Sieg Fidel Castros war ein Sieg des militärischen Flügels der Bewegung des 26. Juli. M-26-7 - so das Kürzel der in Mexiko offiziell gegründeten Organisation - setzte sich durch gegenüber den anderen Anti-Batista-Kräften.
M-26-7 wird zur Zauberformel in den Händen eines Magiers. Nach Ansicht des Lateinamerika-Wissenschaftlers Michael Zeuske grenzt das politische Überleben eines revolutionären, eines sozialistischen Kuba vor der Haustür der Weltmacht USA, die nichts unversucht gelassen hat, um Castro zu stürzen, an ein Wunder.
Ich würde sagen, das kubanische Wunder, das Geheimnis dieses Überlebens, besteht in einem Mix aus Charisma, breiter, sagen wir 70prozentiger Zustimmung im eher bäuerlichen Kuba und politischer Magie von Castro. Der Magier heißt Castro.
Als es noch eine Sowjetunion gibt, segelt der Magier Castro im Kielwasser der östlichen Supermacht. Zehn Jahre nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne lässt er auf dem Roten Platz in Moskau Lenin und den Marxismus-Leninismus hochleben.
Die Bewegung des 26. Juli geht 1965 auf in der Kommunistischen Partei Kubas. Die Moncadistas, die überlebt haben, sind heute alte Männer. Die Kaserne, die sie einst erstürmen wollten, ist Schule - und Revolutionsmuseum. Einschläge von Gewehrkugeln im Mauerwerk, sorgsam bewahrt über fünf Jahrzehnte, zeugen von der Geburtsstunde einer Revolution, die nicht allein Kuba, sondern auch ein Stück von der Welt veränderte. Über dem Gebäude weht die rot-schwarze Flagge der Bewegung des 26. Juli. Rot und schwarz - das sind die Farben des Gottes Elegguás, Farben, die in der Volksreligion Santería Leben und Tod bedeuten.
Moncada ist Geschichte - Fidel Castro für seine Anhänger lebende Legende, für seine Gegner ein Mann von gestern - mit Parolen von gestern, die kaum mehr sind als Leerformeln einer erstarrten Revolution. Ein halbes Jahrhundert nach Moncada sehen Dissidenten - unterstützt von den USA - ihre Stunde kommen. Doch manches spricht dafür, dass der Nachfolger von Castro Castro heißen wird.
Die Armee ist Machtfaktor Nummer eins unter Castro im Sinne einer Basis. Sie wird klar im Griff gehalten von Raúl Castro, der im Grunde der Kaderchef der Familie Castro ist, denn es ist ja an und für sich eine Familie, die da an der Macht ist. Das ist ja Bestandteil dieses "Caudillismo" und dieses "Castroismo, dass da eine Familie an der Macht ist, Bruder und Bruder. Und Raúl, so uncharismatisch er ist, hat die Qualitäten eines guten Kaderchefs.
VIVAN FIDEL Y RAÚL! - ES LEBEN FIDEL UND RAÚL!
So die Parole bei den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Sturms auf die Kaserne von Moncada. In diesen Tagen steht ganz Kuba im Zeichen des 26. Juli.
Jene Männer, die 1953 Kopf und Kragen riskierten, sind zu Helden avanciert, werden von den kubanischen Medien als Titanen der Geschichte, Apostel einer besseren Welt dargestellt.
Und Fidel Castro träumt und propagiert ihn weiter - seinen Traum von einer besseren Welt, einer Welt jenseits von Kapitalismus und Globalisierung.
Ob die Geschichte Fidel Castro freispricht, das werden künftige Generationen entscheiden. Aber wie immer das Urteil ausfallen mag - der Mythos Moncada, er scheint ungebrochen - trotz aller Widrigkeiten im Kuba des Jahres 2003. Castro-Biograph Volker Skierka:
Der Mythos Moncada lebt natürlich bei den Kubanern fort. Man wird ihn weiter forttragen, weil der Mythos Moncada natürlich für alles steht, was Fidel Castro in den letzten 50 Jahren auf die Beine gestellt hat, für alle Erfolge, für alle Misserfolge, aber nicht zuletzt dafür, dass er sicherlich als einer der großen lateinamerikanischen Führer in die Geschichte eingeht. Mit Freispruch oder ohne.
Im Kasernenhof kommt es zu einem Feuergefecht. Die Eindringlinge, nur mit Revolvern und einfachen Gewehren bewaffnet, haben keine Chance, sind hoffnungslos unterlegen. Acht von ihnen werden getötet, zwölf verwundet. Als der Anführer der Angreifer die Aussichtslosigkeit des Unternehmens erkennt, erteilt er den Befehl zum Rückzug.
Fidel Castro hat die erste Schlacht der kubanischen Revolution verloren. Doch er hat sie überlebt - die Geburtsstunde der kubanischen Revolution.
An diesem 26. Juli 1953 wird nicht nur eine Revolution geboren, sondern zugleich ein Mythos - der Mythos, der mit der Zahl 26 verbunden ist. "Es ist immer der 26.," lautet fortan die Parole, musikalisch umgesetzt von Carlos Puebla.
Die Schlacht des 26. Juli, sie sollte nur der Auftakt sein zu einem langjährigen Krieg gegen den Diktator Batista und sein Regime. Dass sie nicht in Havanna, sondern in Santiago de Cuba geschlagen wurde, war wohl überlegt, wie Volker Skierka, Autor einer 500-Seiten-Biografie über Fidel Castro betont.
Auch die kubanische Unabhängigkeitsbewegung ging von Ost-Kuba aus. José Marti, der große kubanische Volksheld und die große Vaterfigur für Fidel Castro, also nicht Marx war der geistige Vater Castros, sondern das ist José Marti, der große kubanische Befreiungskämpfer. Der hat nicht weit von Castros Geburtsort entfernt auch die Unabhängigkeitsbewegung gegründet, und von dort aus den Siegeszug nach Havanna angetreten, und das wollte ihm Castro gleichtun.
Der Sturm auf die Moncada-Kaserne hätte für den jungen Rechtsanwalt und Nachwuchspolitiker Fidel Castro auch anders ausgehen können. Darin sind sich die Beobachter des Geschehens einig. Volker Skierka:
Erstens hat er schlicht Glück gehabt. Zweitens war es schon Teil einer Strategie. Er glaubte nämlich, wenn man diese Moncada-Kaserne einnähme, dann würde man durch diesen revolutionären Akt Unruhen im gesamten Lande gegen Batista auslösen, denn man muss wissen, dass Batista sehr unbeliebt war. Er hat 1952 die Macht ergriffen, weil er als Präsidentschaftskandidat kaum Aussichten hatte, die Wahlen, die im Juni bevorstanden desselben Jahres, zu gewinnen. Und Castro war übrigens Kongressabgeordneter und ein sehr beachtetes politisches Talent, dem man sogar voraussagte, er würde eines Tages der Präsident des Landes werden, was sich ja dann auch auf eine etwas andere Art erfüllt hat.
Diktator Batista nimmt den Rebellenangriff auf die Moncada-Kaserne und zwei weitere Objekte in Santiago de Cuba zum Anlass, das Kriegsrecht über das ganze Land zu verhängen. Ein Rachefeldzug beginnt, dem zahlreiche Revolutionäre zum Opfer fallen. Nur durch eine Intervention des Erzbischofs von Havanna, Manuel Kardinal Arteaga y Betancourt, entgehen 33 Männer der sofortigen Hinrichtung.
Am 1. August wird Fidel Castro von einer Militärstreife unter Führung des schwarzen Leutnants Pedro Sarría schlafend in einer Bauernhütte in den Bergen aufgespürt. Fidel Castro kann froh und dankbar sein, mit heiler Haut im Gefängnis zu landen. 61 seiner Kampfgefährten - 61 Moncadistas - werden mehr oder minder bestialisch ermordet. Der Preis ist hoch für den 26. Juli.
Doch ein Symbol war gesetzt,
wie Michael Zeuske, Professor für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln, konstatiert:
Die Regeln der korrupten Politik waren bewusst durchbrochen und damit entlarvt worden: Die jungen Leute waren bereit, für ein ethisch begründetes politisches Ideal in den Tod zu gehen. Der romantisch-patriotische Todes-, Selbstmord- und Opferkult, nach Cabrera Infante die ultimative Ideologie der Kubaner, fand seine Personifikation: Fidel Castro wurde mit einem Schlag bekannt.
Und er sollte erst recht bekannt werden durch den Moncada-Prozess, in dem Castro die alleinige Verantwortung für den 26. Juli übernimmt, denn weder die Kommunisten noch die Ortodoxos hätten mitgewirkt. Auf die Frage des Staatsanwaltes, warum er nicht einen friedlichen Weg gewählt habe, antwortet Castro:
Einfach deshalb, weil es in Kuba keine Freiheit gibt, weil man seit dem Putsch vom 10. März nicht mehr offen sprechen kann. Wir haben es versucht, aber die Regierung, intransigent wie stets, wollte nicht nachgeben.
In einem vom Hauptverfahren abgetrennten Geheimprozess wird Fidel Castro am 16. Oktober 1953 zu 15 Jahren Haft im Militärgefängnis La Cabana in Havanna verurteilt - der höchsten Strafe, die jemals gegen einen Aufständischen in Kuba verhängt worden war. Castro zeigt sich wenig beeindruckt - im Gegenteil, nutzt das Tribunal zur Generalabrechnung mit dem Batista-Regime. In einem fünfstündigen Schlußwort erklärt er, an seine Richter gewandt:
Kuba leidet unter einem brutalen und schändlichen Despotismus, und Ihnen entgeht nicht, dass der Widerstand gegen den Despotismus legitim ist; dieses Prinzip wird weltweit anerkannt, und unsere Verfassung von 1940 verankert es ausdrücklich in Artikel 40, Absatz 2... Was mich angeht, weiß ich, dass das Gefängnis hart sein wird, so wie es niemals zuvor für jemanden gewesen ist, voll Drohungen, voll niederträchtiger und feiger Wut, aber ich fürchte es nicht, wie ich auch nicht die Wut des elenden Tyrannen fürchte, der 70 meiner Brüder ermordete. Verurteilen Sie mich. Es macht nichts. Die Geschichte wird mich freisprechen.
Die Geschichte wird mich freisprechen - Castros Verteidigungsrede vom 16. Oktober 1953 liefert nicht nur die Rechtfertigung für den 26. Juli, sie weist den Weg in ein neues, revolutionäres Kuba - in das Kuba Fidel Castros.
Drei Monate nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne sehen sich die Überlebenden des 26. Juli als Gefangene auf der Isla de Pinos wieder. Kubas größtes und modernstes Gefängnis wird für Fidel Castro und seine Getreuen zum Klassenzimmer der Revolution. In einem Brief an seine Geliebte Natalia Revuelta in Havanna schreibt er:
Hier kann ich mein Weltbild formen und den Sinn meines Lebens vervollkommnen...
Noch bevor die Bewegung des 26. Juli aus der Taufe gehoben wird, haben die Moncadistas bereits ihre Hymne - komponiert von Augustín Díaz Cartaya, und gemeinsam getextet von den jungen Revolutionären auf der Hühnerfarm in Siboney, wo sie ihren Sturm auf die Moncada-Kaserne vorbereiteten. Die Hymne schweißt die Moncadistas zusammen - und beschert Fidel Castro Einzelhaft. Castro in einem Brief vom Dezember 1953:
Es ist schon einige Tage her, dass ich meinen Bruder nicht sehe, kein Wort mit ihm wechseln kann, obwohl er nur fünf bis zehn Schritt von der Zelle entfernt ist, in der ich sitze. Sie isolierten mich seit dem Tag, an dem wir, als der Tyrann das Gefängnis besichtigte, in seiner Anwesenheit die patriotische Hymne 'Marsch des 26. Juli’ aus voller Kehle sangen. Aus demselben Grunde wurde einer unserer Kameraden, Augustín Díaz Cartaya, der Autor der Hymne, ebenfalls eingesperrt. Sie prügelten so unbarmherzig auf ihn ein, dass er einige Male das Bewußtsein verlor.
Auf der Isla de Pinos wird Fidel Castro nach eigener Einschätzung zu "einem Mann von Eisen". Seine Haltung gegenüber dem Batista-Regime bleibt unversöhnlich. Als der kubanische Präsident unter dem Druck der öffentlichen Meinung eine Amnestie in Aussicht stellt, äußert Castro, er werde niemals um Amnestie bitten. Er habe genug Würde, um zwanzig Jahre auf der Isla de Pinos zu bleiben. Castro in einem Brief an den Journalisten Conte Aguero vom 15. März 1955:
Nein, wir sind des Kampfes nicht müde. Nach zwanzig Monaten fühlen wir uns noch so unbeugsam und stark wie am ersten Tag. Wir wollen keine Amnestie für den Preis der Unehre. Wir werden uns nie unter das Joch der Unterdrückung begeben. Lieber tausend Jahre im Gefängnis als Erniedrigung hinnehmen.
Die Zeitschrift Bohemia verbreitet Castros Botschaft, preist Castro in einem Kommentar als "ein Muster an edler Größe", lässt ihn als Nationalheld, als Halbgott erscheinen. Diktator Batista bleibt nichts anderes übrig, als die politischen Gefangenen zu amnestieren. Am 15. Mai 1955 öffnen sich für die Moncadistas die Gefängnistore.
Als das Boot mit den entlassenen Häftlingen die Isla de Pinos hinter sich lässt und Kurs auf das Festland nimmt, hat Fidel Castro eine Idee. Ihm kommt in den Sinn, der Gruppe der Moncadistas einen Namen zu geben: Bewegung des 26. Juli.
Kaum auf freiem Fuß, attackiert Castro vehement Batista. In einem Artikel der Zeitung Alerta vom 7. Juni warnt er Kubas Präsidenten:
Beleidigen oder erniedrigen Sie das Volk nicht länger mit Worten, Reden oder Taten, die die kubanischen Gefühle verletzen... Ihre Tyrannei wird nur die Kräfte wecken, die früher oder später für Ihre Zerstörung sorgen.
Die Kräfte sind längst geweckt. Doch die Wegstrecke, die vor ihnen liegt, ist lang und gefahrvoll, führt übers Meer ins Exil nach Mexiko und später ins Gebirge - in die Wälder der Sierra Maestra.
Stationen einer Revolution. 7. Juli 1955. Weil er einen friedlichen Kampf auf Kuba für unmöglich hält, folgt Fidel Castro seinem jüngeren Bruder Raul ins Exil. Raul war bereits am 24. Juni nach Mexico City geflogen, nachdem er zuvor in der mexikanischen Botschaft Zuflucht gesucht hatte. Noch im Juli kommt es in Mexico-City zu einer historischen Begegnung von zwei Männern, die beide auf ihre Weise Weltgeschichte schreiben sollten. Fidel Castro lernt den jungen argentinischen Arzt Ernesto Guevara kennen. Nach dem ersten Eindruck Guevaras ist Castro...
...ein außerordentlicher Mensch mit dem unerschütterlichen Glauben daran, dass er in Kuba ankommen würde, wenn er sich erst einmal auf den Weg machte, dass er zu kämpfen beginnen würde, wenn er in Kuba angekommen war, und dass er siegen könnte, wenn er zu kämpfen begonnen hatte.
Guevara teilte den Optimismus des Kubaners, gewinnt die Überzeugung, dass es sich lohnen könnte...
...für ein solch reines Ideal an einem fremden Strand zu sterben.
Zwei Jahre nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne - am 26. Juli 1955 - schmieden Fidel Castro und Ernesto Che Guevara in Mexico-City Pläne für den Guerillakampf auf Kuba. In Mexiko wird fortan der Boden bereitet für den Sturz Batistas.
Am 25. November 1956 sticht der alte Kutter Granma mit 81 Revolutionären an Bord in See und nimmt Kurs auf Kuba. Nach sieben Tagen erreicht das Schiff die Küste der Provinz Oriente. Doch die Granma wird bereits erwartet. Kurz nach der Landung geraten die Invasoren in das mörderische Feuer von Luft- und Bodenangriffen der Armee. Nur 12 Mann gelingt es, ihre Haut zu retten, mit Fidel Castro in die Bergwildnis der Sierra Maestra zu entkommen, darunter Raul Castro und Ernesto Che Guevara.
Als die Überlebenden den Gipfel des Turquino, des höchsten Berges Kubas, erreichen und völlig erschöpft zu Boden sinken, springt Fidel Castro plötzlich auf und schreit wie von Sinnen:
Wir haben gesiegt! Batista ist verloren!
Zwei Jahre nach der Landung der Granma muss Diktator Batista sich geschlagen geben. Am Neujahrsmorgen des Jahres 1959 besteigt er das Flugzeug und kehrt Kuba den Rücken.
Die Barbudos - die Bärtigen aus der Sierra Maestra - ziehen als Sieger in Havanna ein, werden von den Kubanern als Befreier umjubelt. Die Revolution, die am 26. Juli 1953 geboren wurde, hat gesiegt. Der Mann, der sie angestiftet und vorangetrieben hat, der immer an sie glaubte, der sein ganzes Leben in den Dienst dieser Revolution stellte, wird neuer Führer Kubas - und soll es bis ins 21. Jahrhundert hinein bleiben.
Der Sieg Fidel Castros war ein Sieg des militärischen Flügels der Bewegung des 26. Juli. M-26-7 - so das Kürzel der in Mexiko offiziell gegründeten Organisation - setzte sich durch gegenüber den anderen Anti-Batista-Kräften.
M-26-7 wird zur Zauberformel in den Händen eines Magiers. Nach Ansicht des Lateinamerika-Wissenschaftlers Michael Zeuske grenzt das politische Überleben eines revolutionären, eines sozialistischen Kuba vor der Haustür der Weltmacht USA, die nichts unversucht gelassen hat, um Castro zu stürzen, an ein Wunder.
Ich würde sagen, das kubanische Wunder, das Geheimnis dieses Überlebens, besteht in einem Mix aus Charisma, breiter, sagen wir 70prozentiger Zustimmung im eher bäuerlichen Kuba und politischer Magie von Castro. Der Magier heißt Castro.
Als es noch eine Sowjetunion gibt, segelt der Magier Castro im Kielwasser der östlichen Supermacht. Zehn Jahre nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne lässt er auf dem Roten Platz in Moskau Lenin und den Marxismus-Leninismus hochleben.
Die Bewegung des 26. Juli geht 1965 auf in der Kommunistischen Partei Kubas. Die Moncadistas, die überlebt haben, sind heute alte Männer. Die Kaserne, die sie einst erstürmen wollten, ist Schule - und Revolutionsmuseum. Einschläge von Gewehrkugeln im Mauerwerk, sorgsam bewahrt über fünf Jahrzehnte, zeugen von der Geburtsstunde einer Revolution, die nicht allein Kuba, sondern auch ein Stück von der Welt veränderte. Über dem Gebäude weht die rot-schwarze Flagge der Bewegung des 26. Juli. Rot und schwarz - das sind die Farben des Gottes Elegguás, Farben, die in der Volksreligion Santería Leben und Tod bedeuten.
Moncada ist Geschichte - Fidel Castro für seine Anhänger lebende Legende, für seine Gegner ein Mann von gestern - mit Parolen von gestern, die kaum mehr sind als Leerformeln einer erstarrten Revolution. Ein halbes Jahrhundert nach Moncada sehen Dissidenten - unterstützt von den USA - ihre Stunde kommen. Doch manches spricht dafür, dass der Nachfolger von Castro Castro heißen wird.
Die Armee ist Machtfaktor Nummer eins unter Castro im Sinne einer Basis. Sie wird klar im Griff gehalten von Raúl Castro, der im Grunde der Kaderchef der Familie Castro ist, denn es ist ja an und für sich eine Familie, die da an der Macht ist. Das ist ja Bestandteil dieses "Caudillismo" und dieses "Castroismo, dass da eine Familie an der Macht ist, Bruder und Bruder. Und Raúl, so uncharismatisch er ist, hat die Qualitäten eines guten Kaderchefs.
VIVAN FIDEL Y RAÚL! - ES LEBEN FIDEL UND RAÚL!
So die Parole bei den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Sturms auf die Kaserne von Moncada. In diesen Tagen steht ganz Kuba im Zeichen des 26. Juli.
Jene Männer, die 1953 Kopf und Kragen riskierten, sind zu Helden avanciert, werden von den kubanischen Medien als Titanen der Geschichte, Apostel einer besseren Welt dargestellt.
Und Fidel Castro träumt und propagiert ihn weiter - seinen Traum von einer besseren Welt, einer Welt jenseits von Kapitalismus und Globalisierung.
Ob die Geschichte Fidel Castro freispricht, das werden künftige Generationen entscheiden. Aber wie immer das Urteil ausfallen mag - der Mythos Moncada, er scheint ungebrochen - trotz aller Widrigkeiten im Kuba des Jahres 2003. Castro-Biograph Volker Skierka:
Der Mythos Moncada lebt natürlich bei den Kubanern fort. Man wird ihn weiter forttragen, weil der Mythos Moncada natürlich für alles steht, was Fidel Castro in den letzten 50 Jahren auf die Beine gestellt hat, für alle Erfolge, für alle Misserfolge, aber nicht zuletzt dafür, dass er sicherlich als einer der großen lateinamerikanischen Führer in die Geschichte eingeht. Mit Freispruch oder ohne.