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Geschichte aktuell: Vor 50 Jahren

Reporter: 17.52 Uhr. Wir beginnen jetzt mit der Direktübertragung des Referats des Mitglieds des Politbüros Walter Ulbricht zum Thema "Der Fünfjahrplan und die Perspektiven der deutschen Volkswirtschaft".

Marcus Heumann | 24.08.2000
    Ost-Berlin, 27. Juli 1950: Die Delegierten des Dritten SED-Parteitags feiern mit Beifallsstürmen, die in dieser Intensität ansonsten dem Genossen Stalin vorbehalten sind, ihren neuen Generalsekretär, Walter Ulbricht. Der sächsische Berufsrevolutionär, von der Bevölkerung in Ost und West als "Spitzbart" geschmäht und verachtet, ist auf einem neuen Höhepunkt seiner Macht angekommen . "Der Genosse Ulbricht kann sich nur dadurch Gehör verschaffen, dass er einfach zu reden beginnt" wird später das "Neue Deutschland" rapportieren.

    Ulbricht: Parteigenossinnen und Parteigenossen ! Etwas neues, großes, ist in der Deutschen Demokratischen Republik Wirklichkeit geworden. Es ist in unserer Republik wie in einer Schule: überall wird gelernt und gelernt. Einer hilft dem anderen: die technische Intelligenz hilft den Aktivisten, die Arbeiter helfen den Bauern, die Bauern helfen dem ganzen Volk, die Wissenschaftler und Künstler stellen ihr ganzes Können in den Dienst des großen Aufbaus.

    Ulbricht hätte besser gesagt: Überall wird von der Sowjetunion gelernt. Mit dem auf dem 3. Parteitag proklamierten ersten Fünfjahrplan folgt die junge DDR nun auch wirtschaftlich vollständig dem sowjetischen Vorbild. Generalsekretär Ulbricht kann mit dem Tempo der Stalinisierung im Lande zufrieden sein. Auch wenn der III. Parteitag noch nicht offen den "Übergang zum Sozialismus" propagiert, hatte die SED durch ihren Umgang mit den Parteien des "Demokratischen Blocks" keine Zweifel daran aufkommen lassen, wer die Führung der neuen Republik ausüben sollte - und was ihre Gegner zu erwarten hatten. Seit 1948 waren immer mehr bürgerliche Vertreter von CDU und LDP in den Westen geflohen - so sie denn nicht schon vorher verhaftet und interniert worden waren. In Hannover existierte mit dem Büro des Sozialdemokraten Kurt Schumacher ein politisches Bollwerk gegen die 1946 in der SBZ unter Druck vollzogene Verschmelzung von KPD und SPD zur SED. In der Tat hatte Schumacher die Entwicklung der SED richtig vorhergesehen: Von der 1946 vereinbarten paritätischen Ämteraufteilung zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten fehlte in der SED des Jahres 1950 bereits jede Spur: Bis auf ein paar Alibi-Altsozialdemokraten, die wie Otto Grotewohl längst auf Linie gebracht worden waren, waren die wichtigen Schalthebel der Macht in Partei und DDR-Regierung von Kommunisten besetzt - und ihr 3. Parteitag vom 20.-27.Juli 1950 machte aus dem uneingeschränkten Machtanspruch der SED auch keinen Hehl mehr. Wilhelm Pieck, neben Grotewohl SED-Vorsitzender, rechnete in seiner Rede zugleich mit den bürgerlichen Parteien ab:

    Pieck: Unser gesamter demokratischer, wirtschaftlicher und kultureller Aufbau seit 1945 hat mit aller Eindeutigkeit den Beweis erbracht, dass die Arbeiterklasse die berufene Kraft ist, die führende Rolle in unserer Gesellschaft zu spielen und Deutschland aus der Sackgasse herauszuführen, in die es durch die imperialistische deutsche Bourgeoisie und das Junkertum gebracht wurde. (...) Indem ich das sage, will ich durchaus nicht den Beitrag verschweigen, den die anderen demokratischen Kräfte zu unserem Aufbau geleistet haben. Sie nahmen nach besten Kräften am Kampf für die demokratische Umgestaltung in unserer Republik teil. Aber niemand kann leugnen, dass sich bei der Lösung der großen Fragen des demokratischen Aufbaus in den bürgerlich-demokratischen Parteien nicht selten Schwankungen, Zweifel und Unentschiedenheit zeigten, ja dass ein Teil der Funktionäre dieser Parteien direkt gegen die demokratische Umgestaltung aufgetreten sind. Alles das zeugt davon, dass die deutsche Arbeiterklasse ihre Befähigung erwiesen hat, an der Spitze des demokratischen Aufbaus zu stehen. (Beifall)

    Musik: "Die Partei hat immer recht" Die Partei, die Partei, die hat immer recht und Genossen, es bleibe dabei, denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht gegen Lüge und Ausbeuterei wer das Leben beleidigt, ist dumm oder schlecht wer die Menschheit verteidigt, hat immer recht So aus Leninschem Geist wächst von Stalin geschweißt die Partei, die Partei, die Partei

    Dass der Urheber dieses anlässlich des III.Parteitages in deutscher Sprache übersetzten Liedes , Louis Fürnberg, sich gerade auf der Flucht vor den stalinistischen Häschern der tschechoslowakischen Geheimpolizei in die ebenso stalinistische DDR gerettet hatte, ist eine für diese Epoche nicht untypische Episode. Seit dem 70. Geburtstag des sowjetischen Diktators im Dezember 1949 hatte der Personenkult um Stalin in den Volksdemokratien bizarre Züge angenommen:

    Schon wissen die Menschen in jedem Land Stalin, das heißt: der Krieg ist verbannt Stalin heißt: frei in die Zukunft schauen Stalin heißt: Den Sozialismus erbauen drum hörst du überall, rings in der Runde, von Ort zu Ort in allen Sprachen, von Munde zu Munde klingen das stahlhart strahlende Wort: Stalin (Beifall)

    Der kalte Krieg zwischen Ost und West war in Korea gerade zu einem heißen geworden, und in den sowjetischen Satellitenstaaten riss die Reihe absurder Schauprozesse gegen als "Verräter", "Titoisten" und Spione gebrandmarkte aufrechte Genossen nicht ab. Nach dem Vorbild der Moskauer Prozesse von 1937/38 inszeniert, blieb in der sowjetischen Einflusssphäre seltsamerweise allein die DDR von derartigen Exzessen verschont. Öffentliche Schauprozesse in der DDR wandten sich ab 1950 zwar ebenso gegen sogenannte Verräter und Saboteure, doch bei ihnen saßen nie hohe Parteifunktionäre auf der Anklagebank, sondern zumeist der Wirtschaftssabotage bezichtigte Industrielle oder auch Agenten westlicher Fluchthilfe- und Sabotageorganisationen. Das jedoch bedeutete nicht, dass die Genossen in der SED vor Verfolgung sicher gewesen wären. Der Mannheimer DDR-Historiker Hermann Weber:

    Hermann Weber: Schon 1948/49 ist ja die Parole ausgegeben worden, die SED müsse eine "Partei neuen Typus" werden, was ja nichts anderes bedeutete, dass sie nach dem Modell der stalinschen KPdSU geformt werden muss. Und dies bedeutet, da der Stalinismus ja die einzige Bewegung der neueren Geschichte ist, die mehr ihrer eigenen Anhänger umgebracht hat als das ihre Feinde getan haben, dass natürlich für die SED jetzt die Frage war, nicht nur demokratischer Zentralismus, neue Organisationsstrukturen - die Parität war ja längst abgeschafft zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten - sondern auch Parteisäuberungen.

    Oelßner: Ein großer deutscher Dichter hat das Wort vom Antibolschewismus als der Grundtorheit unserer Epoche geprägt. Ich glaube, dieses Wort ist ungenügend. Der Antibolschewismus ist heute das wichtigste Mittel der ideologischen Kriegsvorbereitung. Darum ist er nicht bloß eine Torheit. Der Antibolschewismus - das ist das Hauptverbrechen unserer Epoche. (Beifall)

    SED-Chefideologe Fred Oelßner auf dem dritten Parteitag.

    Oelßner: und darum Genossen, müssen wir alle diejenigen, die den Antibolschewismus, die Feindschaft gegen die Sowjetunion predigen, als Verbrecher an der Menschheit anprangern. (...) Um unsere Partei für diesen Kampf zu rüsten, müssen wir die Überreste des Sozialdemokratismus in unseren eigenen Reihen restlos ausmerzen.

    Hermann Weber: Partei neuen Typus sollte ja auch bedeuten, dass die Traditionslinien gekappt wurden - und die Traditionslinie der deutschen Kommunisten, aber insbesondere der Sozialdemokraten, die 1946 in die SED eingeschmolzen worden waren, bildeten die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung. Die deutsche Arbeiterbewegung war demokratisch organisiert, und das wollte und konnte eine stalinsche Partei natürlich nicht dulden, so dass man Vorwürfe finden musste. (...) Das zweite Totschlagargument war dann Trotzkismus, das richtete sich dann vor allem gegen frühere Kommunisten, die nun gewissermaßen als Linksabweichler bezeichnet wurden, während alles, was eine mehr demokratische Position wollte, als Sozialdemokratismus verfemt worden ist.

    Dass Oelßners Äußerungen auf dem III. Parteitag keine leeren Drohungen bleiben würden, das wurde der Parteibasis spätestens einen Monat später klar: durch eine bereits am 24. August gefassten Entschließung des ZK der SED , veröffentlicht im "Neuen Deutschland" vom 1. September 1950:

    "Bis zum 3. Parteitag waren in der Parteiführung versöhnlerische Tendenzen gegenüber solchen Parteifunktionären vorhanden, die in der Vergangenheit ernste Fehler begangen hatten. Eine Anzahl wichtiger Fälle, über die Material vorlag, wurde nicht gründlich und schnell untersucht. Das vorliegende Kommuniqué beweist, dass jetzt begonnen wird, mit diesem faulen Liberalismus Schluss zu machen. Es beginnt ein neuer Abschnitt in der Entwicklung unserer Partei (. . .) In Ausführung des Beschlusses der 2. Tagung des Zentralkomitees der SED am 24. August 1950 wurden vom Politbüro folgende Maßnahmen durchgeführt: Wegen Verbindung mit dem Agenten der amerikanischen Spionage Noel H. Field und umfangreicher Hilfe für den Klassenfeind werden Paul Merker, Leo Bauer, Bruno Goldhammer, Willy Kreikemeyer, Lex Ende und Maria Weiterer aus der Partei ausgeschlossen. Die Genossen Bruno Fuhrmann, Hans Teubner, Walter Beling und Wolfgang Langhoff, deren Tätigkeit nur zu einer mittelbaren Unterstützung des Klassenfeindes führte, werden aller ihrer Funktionen enthoben..."

    Bei einem Großteil der Stigmatisierten handelte es sich um sogenannte "Westemigranten", also Kommunisten oder Sozialdemokraten, die sich vor Hitler nicht in die Sowjetunion, sondern ins westliche Exil gerettet hatten. Allein diese Tatsache reichte nun aus, um sich verdächtig zu machen. Bereits im März 1950 hatte Ulbricht den stellvertretenden Vorsitzenden der SED-hörigen westdeutschen KPD, Kurt Müller, nach Ostberlin zitiert, wo er von der Staatsicherheit verhaftet wurde. Auch Mexiko-Emigrant und Parteivorstandsmitglied Alexander Abusch war bereits im Juli 1950 den Säuberungen zum Opfer gefallen - wenn er auch nicht verhaftet wurde, sondern nur vorübergehend seine Ämter verlor. Auch bei Abusch spielten angebliche Kontakte zu dem Amerikaner Noel H. Field eine Rolle, der in den Schauprozessen der Satellitenstaaten als Popanz der US-Spionage aufgebaut wurde. Und weh dem Kommunisten, der in der Westemigration auch nur zufällig in die Nähe von Field geraten war.

    Weber:
    Nun, Field hat natürlich die deutsche Emigration unterstützt, er war vor allem im Auftrag der Quäker tätig und hat in erster Linie in der Schweiz, aber auch in Frankreich den kommunistischen Widerstand unterstützt, und Hilfe geleistet. Und hinterher hat man ihm gesagt, als Field, ebenso wie sein Bruder Hermann, der ja in Warschau verhaftet worden ist, Noel Field in Budapest, hat man gesagt: jawohl, das sind die beiden Hauptagenten von Dulles gewesen, dem Geheimdienstchef der Amerikaner, die wollten nichts anderes machen als zersetzen (...) und damit war klar, wer je mit Field zu tun hatte, wurde nicht nur verhört, sondern es ging soweit, dass z.B. Abusch deswegen abgesetzt wurde, weil er angeblich bei der Beerdigung von Egon Erwin Kisch, dem bekannten Schriftsteller eben Field gesehen und gesprochen habe. Field war natürlich eben nicht der amerikanische Oberspion. In Wirklichkeit war er ein verkappter Kommunist. (...)und dann kommt diese Augusttagung, die ja insofern wie wir heute aus den Akten wissen, etwas besonderes war, als der wichtigste Mann, Paul Merker, der schon vor 1933 dem Politbüro der KPD angehört hatte, zunächst gar nicht vorgesehen war für den Ausschluss. Der zweite interessante Fall von diesen dutzend Ausgeschlossenen war Willy Kreikemeyer, auch ein alter Kommunist, der in Frankreich in der Emigration war, dort wichtige Funktionen ausübte, in der DDR dann Chef der Reichsbahn gewesen ist. Kreikemeyer ist spurlos verschwunden. Man weiß bis heute nicht, was aus ihm geworden ist, ob er an die Sowjetunion ausgeliefert wurde und dort verschwand, ob er schon kurz nach der Verhaftung umkam, es ist sehr mysteriös (...) Der Dritte war Leo Bauer. Leo Bauer war ursprünglich in der Emigration in der Schweiz, in Westdeutschland in Hessen Landesvorsitzender der KPD, wurde dann aber nach Ost-Berlin gerufen, war Chef des Deutschlandsenders gewesen...

    Wir wollen uns in dieser Sendung dem letztgenannten Opfer der 2. ZK-Tagung zuwenden: Leo Bauer. Nicht, weil er als damaliger Chef des Ost-Berliner Deutschlandsenders einen ostdeutschen Vor-Vorläufer unseres Senders leitete, sondern weil Bauer nach seiner Entlassung aus Sibirien in der Bundesrepublik ausgiebig davon Zeugnis abgelegt hat, was ihm seit dem 23.August des Jahres 1950 widerfahren war.

    "An diesem Tage wurde ich vormittags in meinem Büro im Rundfunkhaus - im Westsektor Berlins - angerufen und ersucht, nachmittags 15 Uhr zu einer Besprechung mit der zentralen Parteikontrollkommission zu kommen. Im Büro von Hertha Geffke, der Vorsitzenden der Untersuchungskommission zur Feststellung der Verbindungen von deutschen Kommunisten zu dem angeblichen amerikanischen Spion Field wurde mir jener Beschluss verlesen, der am l. September 1950 im "Neuen Deutschland" veröffentlicht wurde. Es wurde mir weiter mitgeteilt, ich sei aus der Partei ausgeschlossen, das ZK werde dies am nächsten Tag bestätigen und mir stehe das Recht zu, bis zum nächsten Morgen eine Erklärung zu dem eben verlesenen Beschluss zu Händen des ZK abzugeben. Direkt nach Verlassen des Büros wurde ich einen Meter vor dem Parteihaus der SED in der Lothringer Straße von Agenten des SSD verhaftet und in das Gefängnis in der Schumannstraße gebracht."

    Schon zwei Tage später erhält Bauer in seiner Zelle Besuch vom ZK-Mitglied und Staatssekretär des ein halbes Jahr zuvor gegründeten Ministeriums für Staatssicherheit. Sein Name: Erich Mielke. Mit einer Offenheit, die nur die Arroganz der Macht hervorbringt, erklärt Mielke seinem Opfer unumwunden, dass die Partei spätestens für Februar 1951 einen Schauprozess gegen Merker, Ende, Kreikemeyer, Goldhammer und ihn plane.

    "...und dass er von mir erwarte, dass ich der Partei keine Schwierigkeiten dabei machen würde. "

    Bauer macht schon allein deshalb Schwierigkeiten, weil er sich gänzlich unschuldig wähnt. Einen Haftbefehl bekommt er konsequenterweise auch erst am 7.September 1952 zu sehen, nach mehr als zwei Jahren permanenter Einzelhaft. In der ersten Etappe seines Verfahrens versuchen Vernehmer der Staatsicherheit, Bauer das Märchen abzutrotzen, er habe für den amerikanischen Geheimdienst spioniert - erfolglos:

    "Zum Abschluss dieser ersten Periode meiner Untersuchung erhielt ich wieder den Besuch von Mielke, dessen geistigen Fähigkeiten sich aber auch in Nichts von denen seiner Untergebenen unterschieden. Schon zu Beginn der Vernehmung wurde es klar, dass Ulbricht und Mielke von Moskau schwerste Vorwürfe erhalten hatten, weil es ihnen nicht gelungen war, den Schauprozess zum vorgesehenen Termin durchzuführen. Eindeutig ging aus der Art der Vernehmung durch Mielke hervor, dass er den Auftrag hatte, mit allen Mitteln zu versuchen, doch noch einen "Erfolg" für die deutsche Partei herauszuholen. Bei dieser Vernehmung wurde mir ebenfalls klar, dass man in mir jene Person sah, die zur zentralen Figur des Verfahrens gemacht werden sollte.(...)Hier zum erstenmal wurde zugegeben, dass es unwichtig sei, ob ich schuldig oder unschuldig wäre. Gerade wenn ich ein ordentlicher und echter Kommunist sei, müsse ich auch diesem Befehl der Partei Folge leisten, denn: "Die Partei hat immer recht in ihren Entscheidungen."

    Musik: ("Die Partei hat immer recht") Sie hat uns niemals verlassen, fror auch die Welt uns war warm uns schützt die Mutter der Massen, uns hält ihr mächtiger Arm...

    Fortan übernehmen sowjetische Vernehmer den Fall Leo Bauer. Nach insgesamt 10 Monaten Widerstand kapituliert er:

    " Die Waffen waren zu ungleich. Alle Mittel der Brutalität der direkten und indirekten Folter fanden Anwendung. Hatte ich Zahnschmerzen, gab man mir Tabletten, um die Schmerzen zu verstärken. Hatte ich Fieber, erhöhte man künstlich die Temperatur. Alle Vernehmungen fanden nachts statt. Tagsüber, soweit keine Vernehmungen waren, durfte selbstverständlich nicht geschlafen weiden. Ich lernte auch die Schönheiten eines "sozialistischen" Karzers schätzen. Unnötig ist es, über die anderen direkten Foltermethoden zu sprechen. Sie sind allgemein bekannt und inzwischen auch von den Urhebern selbst zugegeben. Ich glaube aber kaum, dass all dies, Drohungen, Geschrei, Schlaflosigkeit, Schmerzen und Karzer mich dazu gebracht hätten, zu kapitulieren. Die psychologische Bearbeitung war gefährlicher und die Russen sind die großen Meister in der Anwendung dieser Methode. Dem Geschrei und den Schlägen folgten unmittelbar sachlich und menschlich geführte Diskussionen. In einer Nacht des Mai 1951 hatte mir, auf meinen verzweifelten Schrei, "Ich bin doch ein Mensch", der Chef der sowjetischen Untersuchungsrichter zynisch geantwortet: "Eben darin liegt Deine Tragödie und Dein großer Fehler, dass Du Dich als Mensch betrachtest. Nur jene sind Menschen, die wir als Menschen ansehen. Du bist weniger als ein Haufen Mist! Und wenn Du das endlich begriffen hast, dann wirst Du endlich klug werden und alles gestehen, was wir wollen."

    Musik: "Die Partei hat immer recht": Sie hat uns niemals geschmeichelt sank uns im Kampfe auch mal der Mut hat sie uns leis nur gestreichelt zag nicht und gleich war uns gut...

    Grotewohl:
    Darum haben wir die Überprüfung in der Partei durchgeführt, um auch die letzten Reste derer, die nicht zu uns gehören oder die glauben, in unserer Partei eine Karriere machen zu können, von uns abzustoßen (Applaus)"

    In jenen Tagen, in denen sich Genosse Bauer als "Haufen Mist" titulieren lassen muss, feiert draußen "seine" Partei ihr fünfjähriges Bestehen. Otto Grotewohl begründet aus diesem Anlass nicht nur die Parteisäuberungen, die 1950/51 rund 200 000 Genossen das Mitgliedsbuch kosten - während die Revolution ihre eigenen Kinder frisst, konstatiert er mit an Zynismus grenzender Ignoranz:

    Grotewohl:
    In diesen fünf Jahren sind hunderte und aberhunderte von guten, kämpferischen und braven Genossen von uns gegangen.

    Hinter den Gefängnismauern bricht schließlich das Versprechen des obersten Untersuchungsrichters, bei einem Geständnis müsse er nicht mit einer allzu langen Haft rechnen und könne bald zu seiner Familie zurückkehren, Leo Bauers Widerstand. Von Mai 1951 an fabriziert er ein schriftliches Geständnis nach dem anderen - immer nach den ständig wechselnden Wünschen seiner Peiniger.

    "Einmal hatte ich vergessen, bei der Nennung von Field die Bezeichnung Spion vorwegzusetzen; ein anderes Mal, als ich meine innerparteiliche Opposition schilderte, war der Chef der absolut richtigen Meinung, dass das nicht ginge, denn ich sei ja ein Spion gewesen und als solcher war es meine Pflicht, mich zu tarnen, als guter Kommunist aufzutreten usw. usw. Als ich darauf meine innerparteiliche Opposition wegließ und nun eine Spionagetätigkeit erfand, war es wieder nicht gut, denn es fehlten plötzlich die Gründe, warum ich zum "Klassenfeind" übergelaufen sei. So ging es weiter. (...) Genau 2 Monate dauerte es. Ich schrieb in dieser Zeit 150 Seiten Kriminalroman. Zum meinem Glück stellte es sich heraus, dass meine geistigen Kräfte trotz der Leiden und Qualen der vergangenen Monate nicht sehr stark nachgelassen hatten, und es machte mir oft eine wahre Freude, meine verbrecherische Tätigkeit in allen Einzelheiten zu schildern, die unmöglichsten Kombinationen zu schaffen und sie als meine Spionagetätigkeit im Auftrage des amerikanischen Nachrichtendienstes darzustellen."

    Am 2. Weihnachtsfeiertag 1952 beginnt der zweitägige Prozess gegen Bauer - vor einem sowjetischen Militärtribunal in Berlin. Keine Öffentlichkeit, kein Schauprozess - und kein milder Urteilsspruch, wie ihn der Untersuchungsrichter in Aussicht gestellt hatte. Bauer wird nach § 58 des sowjetischen Strafgesetzbuches verurteilt, u.a. wegen militärischer, politischer und wirtschaftlicher Spionage gegen die Sowjetunion ,Verbindungen zur Weltbourgeoisie und Verleumdung der UdSSR. Das Urteil: Tod durch Erschießen. Eine Woche nach der Verurteilung wird Bauer in das Moskauer Gefängnis Butirki gebracht, wo er knapp 6 Monate auf seine Hinrichtung wartet. Vom Tod Stalins und dem Aufstand des 17. Juni erfährt der Häftling in seiner Todeszelle kein Wort. Am 24. Juli 1953 schließlich wird Bauer zu 25 Jahren Arbeitslager begnadigt und in den sibirischen Gulag deportiert. Im November 1954 erfährt er durch das "Neue Deutschland", das im Lager als Lektüre zugelassen ist, von der Rehabilitierung Noel H. Fields und beantragt in Moskau die Wiederaufnahme seines Verfahrens. Dazu kommt es nicht - stattdessen aber kann Bauer am 4. Oktober 1955 einen der Transporte besteigen, mit denen die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR in die Bundesrepublik zurückkehren. Ein Versuch Ulbrichts, Bauer in Frankfurt/Oder aus dem Zug holen zu lassen, um ihn zum Verbleib in der DDR zu zwingen, scheitert am Widerstand der sowjetischen Begleitoffiziere. Am 20.10.1955 ist Leo Bauer wieder in Westdeutschland, wo er sich fortan in der Sozialdemokratie engagiert und einer der engsten politischen Berater Willy Brandts wird. Als er 1956 seine bitteren Erinnerungen an die vergangenen Jahre veröffentlicht, muss er sich - nicht zum letzten Mal - insbesondere aus Kreisen der CSU beschuldigen lassen, nach wie vor ein verkappter Kommunist zu sein.

    Ulbricht:
    Man kann der Meinung sein, die Folgen des stalinschen Personenkultes haben sich in der DDR nicht so stark ausgewirkt, weil die sowjetischen Genossen, die damals als Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht hier waren, Leninisten waren...

    Als Nikita Chruschtschow mit seiner berühmten Geheimrede auf dem 20.Parteitag der KPdSU 1956 die Entstalinisierung und eine behutsame Aufarbeitung der Massenmorde zumindest unter den eigenen Genossen einleitet, gerät Altstalinist Walter Ulbricht unter Druck - derselbe Ulbricht, der noch wenige Jahre zuvor verkündet hatte:

    Ulbricht:
    Wir haben die Lehren des weisen Stalin in die Tat umgesetzt.

    Weber:
    Es hat ja später, als das alles Geschichte war, Ulbricht versucht zu beweisen, was für ein Kerl er gewesen ist, dass er keinen solchen Prozess geduldet habe. In Wirklichkeit haben die natürlich nach Anweisung aus der Sowjetunion versucht, einen solchen Prozess 1951 durchzusetzen. Er ist nicht geglückt, die Meinungen darüber sind verschieden, aber es läuft darauf hinaus, dass man sagt: Die Angeklagten haben zu spät gestanden, also ein Mann wie Leo Bauer oder auch Kurt Müller, es hat ja Monate gedauert, bis man die soweit hatte, Geständnisse abzulegen. Und das zweite war, dass Stalin im Zuge seiner Deutschlandpolitik 1951 nun nicht ausgerechnet in Ost-Berlin, das ja noch offen nach West-Berlin war, einen solchen Prozess wollte. Man hat's also zurückgezogen, aber damit nicht weggeschafft, denn nach dem Slansky-Prozeß im November 1952 ging das Ganze noch mal los, jetzt sollte sogar Franz Dahlem , der eigentliche Gegenspieler von Ulbricht, als Hauptangeklagter aufgebaut werden, und das zweite Mal hat's deswegen nicht geklappt, weil im März '53 Stalin stirbt und damit diese Ära der Schauprozesse vorbei war.

    Dass Ulbricht jedoch nicht daran dachte, im Zuge der sowjetischen Entstalinisierung auch nur den Ansatz von innerparteilicher Diskussion zuzulassen, offenbarte sich schon ein halbes Jahr nach dem 20.KPdSU-Parteitag mit der Verhaftung und Verurteilung der Reformer um den Aufbau-Verlagschef Walter Janka und den Philosophen Wolfgang Harich zu langjährigen Zuchthausstrafen. Das Stalin-Denkmal in der Ost-Berliner Stalinallee wurde erst 1961 still und heimlich abgebaut, und auch Louis Fürnbergs Lied von der Partei, die immer recht hat, blieb bis zum Ende der DDR offizielles SED-Liedgut. Nur, dass man im Text klammheimlich den Bezug zu Jossif Wissarionowitsch Stalin getilgt hatte:

    Musik: ...so aus Leninschem Geist wächst im Kampfe geschweißt die Partei, die Partei, die Partei.