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Geschichte aktuell: Vor 50 Jahren

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Thilo Kössler und Doris Bulau |
    Drei Tage lang befand sich das Land im Zustand der Lähmung – der staatliche Rundfunk Ägyptens spielte Trauermusik und wiederholte ein ums andere Mal die Lieder der Sängerin Umm Kalthum. So, wie die Stimme der ägyptischen Revolution den Präsidenten durch sein politisches Leben begleitet hatte, so begleitete sie ihn nun in den Tod. Das Begräbnis Gamal Abdel Nassers am 1. Oktober 1970 geriet zum Fanal. Zu Hunderttausenden drängten sich die Menschen auf Kairos Straßen, der Trauerzug war begleitet von Szenen der Massenhysterie.

    Mit Gewalt mussten die Sicherheitskräfte der Lafette mit dem Sarg einen Weg durch die aufgebrachte Menge bahnen. Auslandskorrespondenten berichteten von einem Trauerzug, der im Chaos unterzugehen drohte – und die Reporter des staatlichen Rundfunks ließen ihren Gefühlen freien Lauf.

    Getrauert wurde nicht nur in Ägypten – getrauert wurde auch in Libyen, im Libanon, in Syrien, im Irak: Nassers Tod war ein Schock für alle jene, die immer noch an die Einheit der arabischen Welt glaubten, an den Panarabismus und an den arabischen Sozialismus. Das war das politische Credo Gamal Abdel Nassers gewesen – diese Schlagworte kennzeichneten die Jahre seiner Herrschaft, und sie zogen sich durch seine Reden, mit denen er die arabischen Massen in seinen Bann geschlagen hatte. In den 16 Jahren seiner Präsidentschaft war Gamal Abdel Nasser nicht nur zum Nationalhelden und kollektiven Übervater in Ägypten aufgestiegen – er galt als unangefochtener Führer in der arabischen Welt. Und dies trotz einer kargen politischen Bilanz aus einer Summe von schweren militärischen Niederlagen, außenpolitischen Misserfolgen und ungelösten innenpolitischen Problemen.

    Der Weg an die Macht begann am 23. Juli 1952 – heute vor 50 Jahren putschten sich junge Militärs, die sich selbst "Freie Offiziere" nannten und als verschwörerischer Geheimbund verstanden, in einem unblutigen Staatsstreich an die Macht. Ihr Ziel: Der Sturz der Monarchie, die Verwirklichung eines machtvollen arabischen Nationalismus. Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer von der Freien Universität Berlin schildert den sozialen und politischen Hintergrund der Freien Offiziere, die sich um Gamal Abdel Nasser geschart hatten.

    Als erstes muss man sich mal klar machen, dass das alles junge Männer waren. Junge Männer, die von einem glühenden Nationalismus durchdrungen waren. Verbunden mit dem Wunsch, an den sozialen Verhältnissen im eigenen Lande etwas grundlegendes zu ändern. Der harte Kern der freien Offiziere, das waren alles jüngere Leute in den mittleren Offiziersrängen aus unterschiedlichen Teilen Ägyptens. Von ihrer sozialen Herkunft alle aus der Mittelschicht, vielfach ländlicher Herkunft aber in den Städten aufgewachsen, was sie mit einem großen Teil der ägyptischen Bevölkerung teilten.

    Dass der Putsch auf keinerlei Widerstand stieß und gänzlich unblutig verlief, das war wohl auch das Ergebnis der umfassenden Krise, in der Ägypten steckte: der politische Wechsel lag in der Luft. Ganz unspektakulär dankte König Faruk ab und verließ sein Land gewissermaßen mit dem Koffer in der Hand in Richtung italienisches Exil. Die Bevölkerung sah in König Faruk nur noch die Marionette Londons.

    Ägypten war zwar bereits 1922 offiziell in die Unabhängigkeit entlassen worden, doch noch immer standen britische Truppen am Suezkanal – de facto war das Land Protektorat der britischen Krone geblieben. Hinzu kamen Korruptionsvorwürfe gegen die herrschende Clique und eine Legitimationskrise, die schließlich auch Regierung, Parlament und Parteien erfasste. Die politische Führung hatte auf allen Ebenen versagt: die sozialen Spannungen nahmen zu, eine kleine und privilegierte Oberschicht besaß fast alles, die verarmten Massen hatten nichts. Das alles vor dem Hintergrund eines verlorenen Krieges – 1948, unmittelbar nach der Staatsgründung Israels, hatte sich der jüdische Staat gegen die arabische Einheitsfront zur Wehr gesetzt und auch Ägypten vernichtend geschlagen. Diese Niederlage lasteten die Menschen ihrer politischen Führung an, namentlich dem König. Der Politologe Friedemann Büttner von der Freien Universität Berlin.

    Der 48er Krieg war letztlich der Auslöser für die Revolution von 1952. Im 48er Krieg wurde die Korruption des ägyptischen Regimes sehr deutlich. Es wurden unbrauchbare bzw. Ausschussware von Waffen geliefert an die Streitkräfte. Daran haben einige im Palast - und in der Armee speziell - gut daran verdient. Aber für die Ägyptische Armee bedeutete es, sie war nicht vorbereitet auf den Krieg. Sie war nicht vorbereitet auf den Gegner.

    Nach ihrem erfolgreichen Putsch ernennen die Freien Offiziere zunächst General Mohamed Naguib zum Staatspräsidenten. Gamal Abdel Nasser hält sich im Hintergrund, zieht im Revolutionsrat die Strippen und arbeitet bereits an seinem Mythos als absolut unbestechlicher und unermüdlicher Schlagmann der revolutionären Erneuerung: Erst als Naguib politisches Profil gewinnt und für eine Rückkehr zu einem normalen demokratischen Leben plädiert, kommt es zum offenen Machtkampf, aus dem Nasser 1954 als Gewinner hervorgeht: zunächst wird er Vorsitzender des Revolutionsrates, dann Ministerpräsident, erst 1956 lässt er sich zum Staatspräsidenten wählen. Da hat er die Zügel schon längst fest in der Hand und seine politischen Ziele klar vor Augen: die Unabhängigkeit Ägyptens, die nationale Selbstbestimmung und eine größere soziale Balance.

    Die Landreform wird abgeschlossen – sie beschneidet die politische Macht der Großgrundbesitzer und verbessert die Lage der Landbevölkerung. Mit Großbritannien erzielt Nasser ein Abkommen, das den britischen Abzug vom Suezkanal binnen 2 Jahren vorsieht und damit die völlige Souveränität Ägyptens in Aussicht stellt. Getragen von einer Welle der Sympathie propagiert er den Bau eines gigantischen Staudamms, der die Landwirtschaft vom ewigen Rhythmus der Nilflut unabhängig machen soll – Nasser will der schnell wachsenden ägyptischen Bevölkerung das Überleben aus eigener Kraft sichern und vor allem: eine Stromquelle für die beabsichtigte Industrialisierung erschließen. Und er ist ein Mann des Militärs: Der Aufbau der ägyptischen Armee ist ihm so wichtig wie die Industrialisierung. Dabei geht es Nasser nicht nur um die Sicherung der eigenen Machtbasis - er will die ägyptische Armee zur stärksten Militärmacht der arabischen Welt aufbauen, um gegen Israel gewappnet zu sein.

    Für beides braucht er Geld, für den Bau des Assuan-Staudamms und für das ehrgeizige Rüstungsprogramm. Der ägyptische Präsident wendet sich an Washington und an die Länder des Westens.

    Man vergisst leicht, dass anfangs der Coup der freien Offiziere von den Vereinigten Staaten ganz positiv bewertet wurde, weil man sich erhoffte, dass hier eine dynamische - nach vorne blickende Führung dieses Land voranbringen würde. Während in der SU anfangs nationale Befreiungsbewegungen noch als reaktionär eingestuft wurden, so dass es anfänglich gar nicht danach aussah, als würde die neue Führung hier den sowjetischen Block, wie man damals dachte, verstärken.

    Doch es kommt anders. Die sowjetische Führung zögerte nicht lange: Sie vermittelte einen Waffendeal mit Prag – der Wettlauf der Supermächte um Macht und Einfluss im Nahen Osten hatte begonnen, Gamal Abdel Nasser übernahm für die UdSSR die Rolle des Türöffners in die Region. Er hatte es geschafft, die beiden Supermächte gekonnt gegeneinander auszuspielen. Ein Präzedenzfall, der Schule machte - die Bewegung der Blockfreien, die der ägyptische Präsident 1955 mit aus der Taufe hob, wurde zu einem probaten Instrument der nahöstlichen Schaukelpolitik. So widersetzt sich Gamal Abdel Nasser dem Drängen der Vereinigten Staaten, doch noch dem Bagdad-Pakt beizutreten – einem prowestlichen Staatenbund, der Teil der amerikanischen Eindämmungsstrategie gegen die sowjetischen Interessen im Nahen Osten war.

    Aus Protest gegen Nassers Neutralitätspolitik ziehen die USA, Großbritannien und die Weltbank schließlich ihre Finanzierungszusage für den Bau des Assuan-Staudamms zurück. Doch Gamal Abdel Nasser gibt nicht klein bei: am 26.Juli 1956 verkündet er vor begeisterten Zuhörern in Alexandria die Verstaatlichung des Suezkanals: eine offene Kampfansage an Großbritannien und Frankreich, die mit dem Kanal nicht nur finanzielle Interessen verbinden

    Beschluss des Präsidenten der Republik. Im Namen des Volkes: Die Internationale Suezkanal Gesellschaft wird in eine staatliche ägyptische Aktiengesellschaft umgewandelt. Briten und Franzosen reagieren prompt: in einem atemberaubenden Akt der Geheimdiplomatie überzeugen sie Israel, die ägyptische Kanalzone anzugreifen – um dann als Friedensvermittler auftreten zu können und den Kanal wieder unter internationale Kontrolle zu bringen. Doch das Kalkül geht nicht auf – Washington und Moskau machen im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen gemeinsam Front gegen Großbritannien und Frankreich; für diese beiden europäischen Kolonialmächte wird der Suezkrieg von 1956 zum Waterloo überkommener Großmachtallüren. Anders für Gamal Abdel Nasser – militärisch hatte er zwar eine Niederlage erlitten, politisch aber geht er als klarer Sieger aus diesem Schlagabtausch hervor: am Ende der Suezkrise stand Gamal Abdel Nasser auf dem Höhepunkt seiner Macht und war zum uneingeschränkten Führer in der arabischen Welt aufgestiegen.

    Zustimmung hat Nasser und sein Kreis durch zwei große Leistungen erreicht: die Befreiung Ägyptens von der britischen Militärpräsenz und die Verstaatlichung des Suezkanals. Das waren enorme Leistungen für diese Zeit und wurden im Inland wie im Ausland begeistert aufgenommen.

    Gudrun Krämer. Das Schlagwort vom Panarabismus machte die Runde – und von der arabischen Nation, die vom Atlantik bis zum Persischen Golf reichen und unter Führung Gamal Abdel Nassers stehen sollte. Die Potentaten in den arabischen Monarchien begannen jedoch um ihre absolutistische Macht zu fürchten und gingen misstrauisch auf Distanz zu Nasser. Auch die Union Ägyptens mit Syrien, die 1958 als Vereinigte Arabische Republik aus der Taufe gehoben worden war, sollte nicht lange Bestand haben.

    Im Land selber, in Ägypten selber, gab es begeisterte Zustimmung zur panarabischen Idee, denn sie hieß faktisch Einigung der arabischen Welt unter ägyptischer Führung. Das hat ägyptischen Nationalisten natürlich sehr gut gefallen. In der arabischen Welt war das Echo sehr viel gespaltener. Auf der einen Seite wiederum breite Zustimmung in den breitesten Bevölkerungskreisen, aber wie man sich denken kann, sehr viel Zurückhaltung, wenn nicht offenen Widerstand auf Seiten der unterschiedlichen Staatsführungen, die sich nicht einfach ägyptischer Dominanz unterordnen wollten.

    Nassers Aufstieg zum arabischen Nationalhelden und zur antikolonialistischen Integrationsfigur in der arabischen Welt korrespondierte mit einem kompromisslosen Machtwillen. Das Geheimnis seiner Herrschaft sieht der Berliner Politologe Friedemann Büttner in der Fähigkeit, die drei Säulen der Macht gegeneinander auszuspielen: Die Armee gegen die Bürokraten und beide zusammen gegen die Partei, die Arabische Sozialistische Union, die er zu einem wirkungsvollen Kontrollinstrument entwickelte.

    Es war ganz eindeutig ein autoritäres Regime. Sie hatten zunächst die traditionellen parlamentarischen Parteien, die korrupten Politiker und sozialen Träger des alten Regimes von der Macht entfernt. Das war sicher notwendig. Sie haben dann die politischen Gruppen, die nicht im Parlament vertreten waren, die Kommunisten zunächst, später auch die Moslembrüder verboten und verfolgt. Insbesondere die Muslimbrüder 1954 nach einem Anschlag auf Nasser.

    Dies ist Gamal Abdel Nasser, der zu Euch spricht. Fürchtet Euch nicht, denn er spricht zu Euch mit Gottes Hilfe, nachdem die Provokateure nach seinem Leben trachteten. Gamal Abdel Nasser ist von Euch und für Euch, und sein Leben ist ein Opfer für das Vaterland.

    Der 26. Oktober 1954 – während einer Rede vor Tausenden von Menschen wird in Alexandria ein Attentat auf Gamal Abdel Nasser verübt. Er überlebt diesen Anschlag – und nutzt ihn zu einem emotionalen Aufruf, ihm auf dem Weg zur absoluten Führung zu folgen. Nasser schaltet nicht nur interne Widersacher aus – er lässt auch die fundamentalistischen Moslembrüder verbieten, die angeblich hinter diesem Anschlag standen. Hunderte werden verhaftet, interniert, gefoltert. Gamal Abdel Nasser stützt sich auf das Militär und seine sechs Geheimdienste. Das Ergebnis ist ein allgegenwärtiger Unterdrückungsapparat. Es macht sich ein Klima der Angst, Unsicherheit und Willkür breit. Nasser verfolgt seine ideologischen Ziele – so schwammig sie auch bleiben. Nach seiner "politischen Revolution" der Unabhängigkeit und des Panarabismus formuliert er seine soziale Revolution des "Arabischen Sozialismus". Friedemann Büttner.

    Das war die offizielle Doktrin. Doch bei dem Begriff Sozialismus, denken wir immer an marxistische Formen von Klassenkampf, während das nasseristische Modell - übrigens auch bei Offizieren in anderen Ländern - immer ein harmonistisches war. Harmonie der Klassen, Zusammenarbeit der Klassen.

    Kein Klassenkampf und kein Atheismus: Nassers "Arabischer Sozialismus" gibt vor, mit den Prinzipien des Islam vereinbar zu sein. Doch Anspruch und Wirklichkeit liegen weit auseinander. Aus dem Postulat der egalitären Gesellschaft wurde ein System der Patronage und Klientelwirtschaft. Die längst überfälligen Reformen bleiben auf der Strecke; in der aufgeblähten Bürokratie erstickt jede Initiative; und der Aufschwung bleibt aus – das wirtschaftliche Wachstum kann mit dem Wachstum der Bevölkerung nicht mehr mithalten.

    So gerät das Staatsmodell Gamal Abdel Nassers zunehmend in die Krise – doch auf dem Höhepunkt seiner Macht überhört Gamal Abdel Nasser alle Warnsignale. Anfang der 60er Jahre beendet Syrien die Union mit Ägypten. Die USA stellen jedes finanzielle Engagement ein. Das Land am Nil hängt wirtschaftlich, militärisch und politisch am Tropf der Sowjetunion. Gamal Abdel Nasser hat einen Erfolg nötiger denn je. Deshalb sucht er die Konfrontation. In einer Politik der Nadelstiche fordert er Israel heraus und provoziert einen weiteren Krieg. Er geht als Sechs-Tage-Krieg in die Geschichte des Nahen Ostens ein und endet mit einem militärischen Desaster.

    Die Niederlage von 67 war katastrophal und niederschmetternd. Sie war es auch, weil Nasser und seine Umgebung der eigenen Bevölkerung , dem arabischen Volk generell, suggeriert hatten, sie seien völlig unschlagbar und der zionistische Feind sei kein ernst zu nehmender Feind. Bis zum letzten Moment haben sie auch über die staatlich kontrollierten Medien Falschnachrichten verbreitet und die ägyptische Bevölkerung war schlicht sprachlos, wie sie dann am Ende der wenigen Tag erfahren muste, dass die ägyptische Luftwaffe erst gar nicht aufgestiegen war, dass die ägyptische Armee so gut gerüstet sie mittlerweile auch war, total versagt hatte.

    Ich bin bereit, die ganze Verantwortung zu tragen und habe eine Entscheidung getroffen, bei der ich Euch um Hilfe bitte: Ich habe mich entschieden, von allen meinen offiziellen Ämtern und politischen Posten zurückzutreten. Ich kehre in den Rang eines einfachen Bürgers zurück, der seinen täglichen Pflichten nachkommt.

    Doch diese Rücktrittserklärung akzeptieren die Ägypter nicht – zu Tausenden ziehen sie durch die Straßen Kairos und zwingen Gamal Abdel Nasser zurück in sein Amt. Sie haben wieder einen Krieg verloren. Aber an ihrem Rais, ihrem Führer, halten sie fest.

    Drei Jahre später, im September 1970, stirbt Gamal Abdel Nasser. Doch die Massentrauer in der arabischen Welt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Schock der militärischen Niederlage von 1967 immer noch nachwirkt. Im Grunde ist er bis heute nicht verwunden – viele arabische Intellektuelle sehen auch den aktuellen Kampf militanter Islamisten als Spätfolge dieser Niederlage, die in der arabischen Öffentlichkeit ein tiefsitzendes Minderwertigkeitsgefühl gegenüber dem Westen und seinem israelischen Verbündeten hinterlassen hat.

    Daran hat auch der Teilsieg der ägyptischen Armee im Oktoberkrieg von 1973 nichts geändert – unter Führung von Anwar el Sadat, dem Nachfolger Gamal Abdel Nassers, gelang es ihr damals, den Suezkanal zu überqueren. Dieser Krieg führte zum Frieden. Anwar el Sadat streifte das panarabische Vermächtnis seines Vorgängers ab, scherte aus der arabischen Einheitsfront aus und schloss 1979 in einem dramatischen Alleingang einen Frieden mit Israel, mit dem die arabischen Massen keinen Frieden schließen wollten. Für ein Jahrzehnt geriet Ägypten in die arabische Isolation – und Anwar el Sadat bezahlte für diesen Frieden mit dem Leben: 1981 wurde er von militanten Islamisten ermordet. Doch die radikale Abkehr von der Doktrin Gamal Abdel Nassers zahlte sich für Ägypten aus – seither kommt das Land am Nil wieder in den Genuß großzügiger Wirtschaftshilfe aus den USA und Europa.

    Der Frieden mit Israel und die guten Beziehungen zu Washington gehören heute zu den Konstanten der ägyptischen Außenpolitik. Die Probleme im Innern allerdings sind bis heute nicht gelöst – und sie sind auch ein Erbe aus der Nasserzeit. Noch einmal die Ägypten-Expertin Gudrun Krämer:

    Ich glaube, was bleibend ist und von Ägyptern auch gewürdigt wird, ist dass Ägypten sich überhaupt befreit hat von kolonialer Bevormundung, dass es Selbstbewusstsein und in diesem Sinne auch Würde gefunden hat und in der arabischen Welt zur beherrschenden Macht aufstieg. Ansonsten wird sehr vieles kritisch gesehen heutzutage. Die Bürokratisierung, die politische Repression, die letztlich doch ungenügenden Leistungen im sozialen Bereich.

    Nassers Panarabismus und sein arabischer Sozialismus sind tot. Die konservativen Monarchien am Golf haben die Zeit der Umstürze und Revolutionen im Namen der nasseristischen Doktrin unbeschadet überstanden. Und die Regime, die sich auf die revolutionäre Tradition Nassers berufen, wie der Irak, wie Libyen oder der Jemen, sind entweder zu kruden Diktaturen verkommen oder zu verelendeten Armenhäusern. Und dennoch: Der Mythos Gamal Abdel Nassers lebt fort. Als Symbol der arabischen Würde. Und als Hoffnungsträger der arabischen Einheit.