Archiv


Geschichte als Geschäft

Nicht nur der Blick in die Zukunft und die Präsentation von Innovationen ist für Unternehmen wichtig, sondern immer mehr auch ein Blick in die Vergangenheit: History-Marketing heißt das Stichwort. Spezielle Agenturen wie die Berliner "facts & files" bieten dafür ihre Dienste an, werten Archive und Akten aus, beraten Firmen bei der Aufarbeitung und konzipieren Ausstellungen und Firmenchroniken.

Von Francisca Zecher |
    Ein Archivschrank in einem mittelständischen deutschen Unternehmen. Hier lagern Berge von Akten zur Firmengeschichte. Für die Historiker Beate Schreiber und Frank Drauschke ein Traum, weil so viele Dokumente erhalten sind. Die beiden sind Geschäftsführer der Berliner Geschichtsagentur "facts & files", die auf die Recherche und Aufbereitung historischer Inhalte spezialisiert ist. Neben den Diensten für Museen, Archive und Filmproduktionen bildet die Arbeit für Wirtschaftsunternehmen einen Schwerpunkt.

    Dass sie in diesem Bereich, den bislang in Deutschland nur eine handvoll Dienstleister professionell anbieten, vor knapp neun Jahren eine Nische fanden, hängt ihrer Meinung nach auch mit der Debatte über die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges zusammen, die in den 90er Jahren geführt wurde. Gerade beim Thema NS-Vergangenheit verspüren viele Unternehmen einen Erklärungsdruck, meint Beate Schreiber:

    "Manchmal haben sie Bammel davor, dass ihnen jemand so eine NS-Sache unterjubelt, oder dass ein Journalist kommt, so wie bei den Quandts, und dann eine Dokumentation macht. Und ich meine, da war schon lange genug Zeit, sich darum zu kümmern. Und dann wird bei diesen Sachen natürlich immer nur ein Ausschnitt behandelt. Die Zeit der NS ist natürlich besonders pfui, die wird dann bevorzugt behandelt. Und andere Sachen fallen dann so ein bisschen darunter, so die Wirtschaftentwicklung in den 50er Jahren: Da gab es ja auch ein paar interessante wirtschaftshistorische Sachen, die man mal beleuchten könnte."

    So hat "facts & files" beispielsweise für Forschungsprojekte recherchiert, die sich mit der Geschichte der Dresdner Bank, der Commerzbank und der Degussa-Hüls AG während des Nationalsozialismus befassten. Und dennoch: Obwohl das Thema Zwangsarbeit anfänglich eine besondere Rolle spielte - Frank Drauschke stellt immer häufiger fest, dass sich Firmen auch für andere Teile ihrer Geschichte interessieren.

    "Abgesehen von dem Trend der Aufarbeitung hat sich bei den Unternehmen auch klar gemacht, dass es nicht nur die Zeit des Neuen gibt - also: ach, wir sind so innovativ -, sondern dass das History-Marketing, also die eigene Geschichte zu verkaufen, wichtig ist. Deshalb benutzen, wenn man von Siemens anfängt, alle große Firmen alte Marken, Jubiläen, um sich zu profilieren."

    Neben der Kundenbindung und -gewinnung haben Unternehmensvorstände auch die eigenen Mitarbeiter im Blick, wenn es um die Firmengeschichte geht. Besonders für global agierende Konzerne sei es wichtig, eine gemeinsame Wertekultur zu schaffen, ist Historiker Drauschke überzeugt. Hier könne das Wissen über die Wurzeln eines Unternehmens eine wichtige Hilfestellung leisten. Doch auch für ganz profane Zwecke nehmen Unternehmen die Arbeit von "facts & files" in Anspruch. Beate Schreiber:

    "Durch die vielen Umstrukturierungen oder den Kauf von Grundstücken: Und dann verkaufen sie sie wieder und sehen, dass sie einen Bedarf daran haben, dass man ihre Akten sortiert. Früher gab es da immer eine Sekretärin, die hat das mitgemacht. Dann geht die in Pension, dann warten sie 20 Jahre, dann sucht einer etwas, und dann finden sie nichts mehr."

    Für die Konzeption einer Ausstellung oder eines Buches lässt sich die Agentur zwischen 30 und 100.000 Euro bezahlen, der Jahresumsatz des Unternehmens liegt bei rund einer halben Million Euro. Damit liegt "facts & files" unter den Geschichtsagenturen im oberen Drittel. Da die Aufträge oft unterschiedliche Themen betreffen und von unterschiedlicher Dauer sind, beschäftigt "facts & files" neben einer handvoll Festangestellter viele projektgebundene Mitarbeiter - so waren an einem Auftrag schon mal knapp 90 Personen beteiligt.

    Das Netzwerk der Agentur erstreckt sich dabei um die ganze Welt, was sich zum Beispiel bei Recherchen über Zwangsenteignungen immer wieder als sinnvoll erwiesen hat. Doch es gibt noch einen anderen Grund für das Kontaktnetz.

    "Da gibt es natürlich immer Leute, die Experten sind, weil sie in den letzten 20 Jahren die Gelegenheit hatten, sich mit nichts anderem zu befassen. Die kann man dann hinzuziehen und nachfragen. Und das ist ja auch eine Sache, die man machen muss: sich ein Netzwerk aufbauen. Aber im Wesentlichen glauben wir, dass das, was wir anbieten - diese Beratung und Recherche - , dass man dann, wenn man das einmal gemacht hat und einen Riecher dafür hat, das auch für alle anderen Zeiten machen kann, ohne dass man dafür Spezialist ist."

    So könnte es vielleicht bald der Fall sein, dass "facts & files" die Rolle einiger Unternehmen während der DDR-Zeit beleuchtet. Doch obwohl sich die beiden Historiker nicht wie ihre Kollegen an den Universitäten auf ein kleines Forschungsgebiet beschränken - der wissenschaftliche Anspruch ihrer Arbeit ist ihnen sehr wichtig. Geschichtsklitterung habe man von ihnen noch nie verlangt. Dem würden sie sich auch verweigern, versichert Beate Schreiber. Allerdings gibt sie zu bedenken:

    "Was die dann am Ende daraus machen, das ist ja dann nicht mehr mein Problem, weil dann nicht mehr unser Name darunter steht. Was uns immer wichtig ist, ist: Dass, wenn wir der Meinung sind, das ist das Ergebnis der Analyse, dass wir das schreiben dürfen oder sagen dürfen und da nicht irgendwelche Redigierungen stattfinden. Dass die dann einfach eine Arisierung umdeuten und dann sagen: Das war gar keine, die haben sich wahnsinnig gefreut, dass wir ihnen ihr Unternehmen abgekauft haben, das ist ja totaler Unsinn."