Freitag, 19. April 2024

Archiv

Geschichte des Abendmahls
Gott essen

In der Kirchengeschichte hat sich die Feier des Abendmahls ständig verändert. Daraus folgert der evangelische Kirchenhistoriker Anselm Schubert im Dlf: "Eine Erneuerung des Abendmahls ist theologisch und liturgisch möglich."

Anselm Schubert im Gespräch mit Andreas Main | 22.03.2018
    Papst Franziskus bei der Eucharistiefeier
    Papst Franziskus bei der Eucharistiefeier (dpa / picture alliance / Donatella Giagnori )
    Andreas Main: Ostern rückt näher und damit auch Gründonnerstag - in genau einer Woche -, jener Tag, an dem Christen feiern, dass Jesus das Abendmahl eingesetzt hat. Wobei das schon eine Glaubensaussage ist. Vielleicht wäre es historisch korrekter zu sagen, Gründonnerstag ist der Tag, an dem Christen begehen, dass der Jude Jesus von Nazareth ein letztes Mal vor seiner Hinrichtung mit seinen Anhängern das jüdische Pessach-Fest mit dem Pessach-Mahl eingeleitet hat. Und damit ist auch schon die Gratwanderung dessen beschrieben, was Anselm Schubert und ich nun vorhaben. Wir werden versuchen, weltanschaulich neutral Fakten zur Kulturgeschichte des Abendmahls zusammenzutragen. Dabei können und wollen wir niemandem seinen oder ihren Glauben nehmen, aber umgekehrt werden wir hier auch keine Verkündigung betreiben. Es geht vielmehr um nüchterne Theologiegeschichte. Anselm Schubert ist evangelischer Theologe und Professor für Kirchengeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er hat soeben ein Buch vorgelegt mit dem Titel "Gott essen: eine kulinarische Geschichte des Abendmahls". Wir sind nun mit ihm verbunden im Nürnberger Studio des Bayrischen Rundfunks. Wir zeichnen dieses Gespräch auf. Guten Morgen, Herr Schubert.
    Anselm Schubert: Guten Morgen nach Köln.
    Main: Herr Schubert, "Gott essen", dieser Titel Ihres Buches, wie soll ich sagen, da schimmert Humor durch, ein Augenzwinkern, das sich durch Ihr ganzes Buch durchzieht. Zugleich ist "Gott essen" die knappste Zusammenfassung dessen, was zentral ist oder war im Christentum. Wollen Sie an den Kern des Christlichen - oder wollen Sie provozieren mit diesem Titel "Gott essen"?
    Schubert: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, der Titel tut beides und kann beides. Tatsächlich haben Sie recht. Es ist die kürzeste Zusammenfassung dessen, was christliche Theologie zum Abendmahl zu sagen hat. Denn, wenn wir davon ausgehen, dass Christus der Sohn Gottes ist, der inkarnierte Logos, dann ist er eben seinem verklärten Leib nach, das heißt in seiner Eigenschaft als Gottes Sohn im Abendmahl gegenwärtig. Und dann, wenn man das abendmahlstheologisch so sagen möchte, kann man sagen: Man isst tatsächlich Gott.
    Andererseits liegt natürlich in der Verknappung auf diese Kurzformel auch der Versuch, die ganze Kulturgeschichte und Theologiegeschichte des Abendmahls so auf den Punkt zu bringen, dass man versucht, es einfach einmal von der anderen Seite zu betrachten, also sich nicht an die gängigen Formeln zu halten, sondern es so knapp zu machen, dass es sozusagen ins Auge springt, was denn da eigentlich gemacht wird.
    "Die Quadratur der Hostie"
    Main: Ich zitiere mal ein paar weitere Kapitelüberschriften, um einen Eindruck von Ihrem Humor zu vermitteln. Die heißen dann "Die Quadratur der Hostie" oder "Vom Kunstwein zur Pastoralchemie" oder "Der Tod aus dem Kelch". Hört sich skurril an, ist aber hart dran an der Realität.
    Der Theologe Anselm Schubert
    Der Theologe Anselm Schubert (privat)
    Schubert: Und vor allen Dingen sind es Zitate aus den Originalquellen der damaligen Zeit. Bis auf "Die Quadratur der Hostie". Der Begriff ist von mir. Aber "Der Tod aus dem Kelch" ist keine Erfindung von mir und tatsächlich hat es ein theologisches Literatur-Genre namens Pastoralchemie gegeben im 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, mit dem versucht wurde, den Pastoren und Priestern eine Möglichkeit zu geben zu überprüfen, ob das, was sie als Abendmahlswein und als Abendmahlshostie spenden und konsekrieren, eigentlich tatsächlich aus dem besteht, woraus es bestehen muss.
    "Die 100.000-Dollar-Frage der Forschung"
    Main: Was lässt sich historisch sagen, was hat Jesus getan beim Abendmahl?
    Schubert: Das ist die 100.000-Dollar-Frage der neutestamentlichen Forschung, die ich jetzt ganz knapp im Rahmen eines Radiogespräches nicht beantworten kann. Wir müssen ganz verschiedene Ebenen unterscheiden.
    Wir haben die Tradition der Kirche und die theologische Tradition, die bestimmte Aussagen zu dem macht, was Jesus beim Abendmahl getan hat. Andererseits haben wir die historisch-kritische Forschung, die uns gezeigt hat, dass die Evangelien, zumindest die synoptischen Evangelien, in denen überhaupt davon berichtet wird, dass Jesus ein Pessach-Mahl feiert - im Johannes-Evangelium ist das ja nicht der Fall - relativ spät entstanden sind, also eindeutig in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts, und schon zurückschauen auf eine Geschichte, die sich in der christlichen Tradition verfestigt hat - sei sie mündlich, sei sie schriftlich. Und in diesen synoptischen Evangelien wird dargestellt, dass Jesus ein letztes Pessach-Mahl genommen habe, bevor er am nächsten Tag gekreuzigt wurde.
    Wenn wir davon ausgehen, dass das den historischen Tatsachen entspricht, können wir davon ausgehen, dass Jesus das Pessach-Mahl als Jude genauso gefeiert hat, wie das andere Juden der damaligen Zeit auch gemacht haben. Das Dumme ist allerdings nur, dass wir historisch nichts darüber wissen, wie die Juden im 1. Jahrhundert vor dem Jahr '70 nach' das Pessach-Mahl wirklich gefeiert haben. Denn die ältesten Pessach-Ordnungen, die wir haben, die zum Teil ja auch bis heute gelten, sind erst aus der Zeit nach '70 nach', meist erst aus dem 2., 3. Jahrhundert nach Christus.
    Main: Also nach der Zerstörung des Tempels?
    Schubert: Richtig. Und insofern sind wir eigentlich darauf angewiesen, jetzt innerhalb des neutestamentlichen Textes zwischen der historischen Information und der literarischen Bearbeitung zu unterscheiden. Und darin besteht die Schwierigkeit, aber auch der Reiz der ganzen neutestamentlichen Forschung.
    "Ein Pessach-Lamm"
    Main: Zudem das Pessach-Mahl ja nicht zu verwechseln ist mit einem wöchentlichen Abendmahl. Oder wie sehen Sie da den Zusammenhang?
    Schubert: Nein, das Pessach-Mahl wird nur einmal im Jahr gefeiert. Und zumindest nach den ältesten Pessach-Ordnungen, die wir haben, ist es ein hochaufwendiges Mahl, das über Stunden geht, feste Riten enthält, eine feste Liturgie hat, der sie folgt und dann eben irgendwann auch mit der Pessach Haggada einen festen Gebetskorpus, der gebetet werden muss. All das wird es im 1. Jahrhundert vermutlich noch nicht gegeben haben.
    Das, was wir über das Pessach-Mahl wirklich wissen, ist, dass ungesäuertes Brot gegessen wird, mindestens ein Kelch Wein gereicht wird und ein Pessach-Lamm geschlachtet und gegessen wird - in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Das wird auch im Neuen Testament in den synoptischen Evangelien berichtet, aber viel mehr erfahren wir zu diesem Zeitpunkt darüber noch nicht.
    "Eine Stiftung durch Christus - am Tag vor seiner Kreuzigung"?
    Main: Nun wird aber manch ein Hörer sagen: Lieber Herr Theologe, lesen Sie doch mal die Bibel. Da steht: "Ich bin das Brot des Lebens." Und in jedem Gottesdienst mit Abendmahl heißt es sinngemäß, je nach Übersetzung: "Nehmt und esst dieses Brot. Das ist mein Leib." Also, eindeutiger geht es ja wohl kaum. Also, hat Jesus das Abendmahl eingesetzt.
    Schubert: Die Kirche hat das von Anfang an geglaubt. Und dabei möchte ich es mal belassen. Das älteste Zeugnis, was wir für das Abendmahl historisch haben, ist der 1. Korintherbrief, in dem schon im 1. Korinther 10 und 11 das tatsächlich so geschildert wird, wie Sie es gerade gesagt haben. Insofern lässt sich die Geschichte des Abendmahls nicht wirklich sinnvoll von der Geschichte seiner christlichen Deutung trennen. Das geben die Quellen einfach nicht her.
    Wir wissen, dass die Kirche von Anfang an - oder die Kirchen und Gemeinden, von denen man reden muss im 1. Jahrhundert -, von Anfang an tatsächlich dieses gemeinsame Mahl zurückgeführt haben auf eine Stiftung durch Christus - am Tag vor seiner Kreuzigung. Ob das den historischen Fakten entspricht, entzieht sich schlicht unserer Kenntnis.
    "Speisen wurden mitgebracht"
    Main: Herr Schubert, wenn sich über Jesus so viel sagen lässt, also nichts im engeren Sinn historisch Zuverlässiges, dann gehen wir mal zu den allerersten Christen. Da lässt sich ja zuverlässig sagen: Die bringen anfangs ihr Essen und Trinken von zu Hause mit - wenn ich Ihr Buch richtig verstehe. Und dieses Essen und Trinken wird dann zusammen in einem Gemeinschaftsmahl konsumiert. Also, es gibt so eine Art Abendmahl von Anfang an?
    Schubert: Ja, es gibt ein Abendmahl von Anfang an; und das gehorcht nach allem, was wir wissen, zunächst mal den Regeln, die religiöse Mahlfeiern in der Antike insgesamt ausmachen. Man muss sich dazu klarmachen, dass es "die Kirche" als öffentliches System natürlich in der Antike der ersten drei Jahrhunderte nach Christus nicht gegeben hat, sondern es gab eine Vielzahl von religiösen Kulten im Römischen Reich. Und die Organisation dieser römischen Kulte lief über religiöse Vereine oder Vereinigungen.
    Und diese Vereine hatten tatsächlich als Hauptmerkmal ihrer religiösen Tätigkeit das gemeinsame rituelle Mahl - so, wie wir es aus den Erzählungen über die antiken Symposien kennen. Symposien sind kein Treffen von Privatpersonen, die essen, ein Trankopfer bringen, dann beten und singen, sondern das ist ein religiöses Ritual. Und nach allem, was wir wissen über die Gottesdienste der christlichen Gemeinden im 1. und 2. Jahrhundert, haben auch diese Gottesdienste diese Form eines gemeinsamen Mahles aufgenommen.
    Das lief im Prinzip so, dass sich eine kleine Anzahl von Menschen - die Standardzahl ist zwischen sieben und zwölf, aber wir werden auch von größeren Zahlen ausgehen müssen in der ersten Zeit schon - treffen zu einem gemeinsamen Mahl, wobei die Speisen von jedem selbst mitgebracht werden. Dann gibt es den Kelch, die Kelchspende. Und danach gibt es das, was im antiken Symposium das Gespräch ist, hier im Gottesdienst gewendet als gemeinsames Beten, Singen und Auslegen.
    "Aus der winzigen Christen-Sekte wird eine große Bewegung"
    Main: Später setzt dann langsam eine Distanzierung der Christen von den jüdischen und den anderen Nachbarn ein. Das lässt sich auch eben an der Feier der Eucharistie festmachen. Was ist da symptomatisch?
    Schubert: Der wichtigste äußere Faktor für die Weiterentwicklung des antiken Mahles hin zu dem, was wir frühchristliche oder altkirchliche Messe nennen, besteht ganz schlicht darin, dass es immer mehr Christen werden. Das Christentum wächst von einer winzigen Sekte hin zu einer großen Bewegung. Und das heißt, dass in den einzelnen Gemeinden diese Mahlfeiern nicht - einfach schlicht wegen der Menge der Teilnehmer - so nicht mehr gefeiert werden können.
    Was ab Mitte des 2. Jahrhunderts passiert: Das gemeinsame Essen wird ausgegliedert. Im Versammlungsraum der Gemeinde - von Kirchen werden wir noch nicht sprechen können - bleibt nur übrig das gemeinsame Brotbrechen und die Kelchspende. Und das gemeinsame Essen wird ausgegliedert zu einem eigenen Agapemahl, das an einem anderen Ort oft zu einer anderen Zeit stattfindet und als primären Zweck - irgendwann wohl seit dem 3. Jahrhundert - hat, eine Art Armenspeisung darzustellen. Das heißt, der soziale Faktor, das soziale Geschehen des gemeinsamen Essens wird abgekoppelt von dem kultisch-sakramentalen, wenn man das so sagen möchte.
    "Nur noch Brot und Wein"
    Main: Wir haben begonnen mit Jesus. 400 Jahre später hat sich das Christentum durchgesetzt. Massen feiern ihren Erlöser. Das lässt sich nicht mehr organisieren wie in den Anfängen, die Sie beschrieben haben, kleine Gruppen, sieben bis zwölf Menschen. Was ändert sich in dieser Phase materiell?
    Schubert: Materiell ändert sich, dass nur noch Brot und Wein im eigentlichen gottesdienstlichen Kult verwendet werden. Und es ändert sich, dass dieses Brot und dieser Wein nicht mehr von den Gläubigen mitgebracht werden, sondern im beginnenden 5. Jahrhundert von den Priestern selbst, von den Gemeinden selbst bereitgestellt werden. Die Gründe sind etwas unklar, aber es scheint so zu sein, dass man sich im Rahmen des christlichen Staatskultes und das ist es seit dem Anfang des 5. Jahrhunderts, auch wohl offenbar nicht mehr darauf verlassen wollte, dass die Gaben, die die Gläubigen mitbringen, ausreichend sind, den Ansprüchen an einen staatlichen Kult entsprechen.
    Dazu muss man sich klarmachen, dass mit der Veränderung der sozialen Struktur der Kirche natürlich auch eine theologische Änderung einherging. Dieser Kult wird nicht mehr als ein fröhliches Dankopfer der Gemeinde interpretiert, die Christus dankt für die Befreiung und die Einheit, sondern es ist nun ein Kult, der ganz analog zum jüdischen Kult und auch zum paganen Tempelkult als eine Art Sühnopfer oder eine Wiederholung des Sühnopfers verstanden wird. Und damit geht einher auch sozusagen die Sakralisierung der Elemente.
    Brot und Wein werden nun als heilige Materie verstanden, die nicht mehr mit Händen angefasst werden soll, zumindest nicht von Laien. Das heißt, es gibt eine Verschiebung, eine plattentektonische Verschiebung in der Schwerpunktbildung der christlichen Religionen seit dem 5. Jahrhundert. Und das beobachten wir auch an den Elementen des Gottesdienstes.
    "Das Christentum lebt von Paradoxien"
    Main: Der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Anselm Schubert im Deutschlandfunk, in der Sendung "Tag für Tag - Aus Religion und Gesellschaft", im Gespräch über sein Buch "Gott essen". Herr Schubert, es gibt irgendwo in Ihrem Buch - ich meine, es ist in den Passagen übers Hochmittelalter - einen schönen Satz, der mir nicht aus dem Kopf geht, der auch zeigt, dass Sie alles andere als ein Zyniker sind. Ich zitiere: "Die Hostie umspannte auf paradoxe Weise Himmel und Erde." - Zitatende. Ist es das? Wer sich mit Christentum, mit Abendmahl beschäftigt, muss lernen mit Paradoxien, mit Widersprüchlichem zu leben?
    Schubert: Ja. Das würde ich ganz klar ja so sagen. Das Christentum ist eine Religion, die davon lebt, dass sie das Paradoxe zur Aussage macht. Das fängt bei der ersten Grundaussage an, dass der Erlöser sowohl Gott als auch Mensch ist. Das geht über die Abendmahlstheologie, dass ein Stück Brot in Wirklichkeit auch Christus ist, bis hin zur, wenn Sie es von der katholischen Position her sehen wollen, Mariologie, dass eine Frau Jungfrau und Mutter gleichzeitig sein kann, über die Auferstehung Christi, dass ein Toter leben kann.
    Die Grundaussagen des Christentums kann man auf, wenn ich das so sagen darf, Grundparadoxien zurückführen. Und daraus besteht, wenn Sie mich fragen, die besondere Dynamik und auch der besondere intellektuelle Anspruch, den das Christentum erheben kann.
    "Abendmahl in Grönland: mit Bier oder mit Gerste"
    Main: Herr Schubert, zeitgleich zur Reformation globalisiert sich in der frühen Neuzeit nach 1492 das Christentum. Damit wird es dann auch zur zentralen Frage, wie Weizenbrot und Traubenwein nach Japan oder nach China oder an den Amazonas kommen. Welche Dimensionen hatte dieses Problem und diese, tja, im wahrsten Sinne des Wortes diese Marktlücke?
    Schubert: Ganz verschiedene Dimensionen. Man muss sich klarmachen, dass bis ins Hochmittelalter an den Rändern Europas die weit, weit weg von Rom waren und weit weg vom nächsten Erzbistum - zum Teil jedenfalls - faktisch mit den Elementen gefeiert worden ist, die da waren.
    Also, in Grönland mit Bier oder mit Gerste - was eben da war, mit Wasser oder Hostien, die aus irgendetwas gemacht waren, wie die Quellen sagen, ohne dass man das so ganz genau wissen möchte, woraus die möglicherweise bestanden.
    Diese Feier mit Elementen, die kirchenrechtlich nicht zugelassen waren, hat die katholische Kirche im Hochmittelalter immer bekämpft, aber sich nicht immer wirklich durchsetzen können. Das ändert sich mit dem Trienter Konzil und der Gegenreformation, als die katholische Kirche beschließt, das, was bisher nur Tradition war, tatsächlich dogmatisch und kirchenrechtlich zu verfestigen. Und nun stellt sich die Frage: Wie geht man mit der Eucharistie, dem Hauptsakrament des Christentums in der neu entdeckten Welt Ostindiens - gemeint ist Südostasien - und Süd- und Mittelamerikas um?
    Denn das Fatale und das theologisch Bedenkliche ist, dass es ganze Kontinente auf der Welt gibt - unter anderem Südamerika - in denen es noch nie Weizen und nie Wein gegeben hat. Und das hat die Theologen unter anderem zu der Frage geführt: Sind das möglicherweise Kontinente, in denen der Herr gar kein Christentum haben wollte, wenn er dort die Elemente, die für das Heilssakrament nötig sind, gar nicht hat wachsen lassen? Das heißt, man musste zumindest in den Anfangsjahrzehnten nach Südamerika die eigentlichen Elemente erst importieren. Und es ist dann erst mit großen Schwierigkeiten möglich gewesen, selbst Wein anzubauen und Weizen anzubauen, um die christliche Religion mit ihrem Hauptsakrament überhaupt verbreiten zu können. Kompromisse sind da nicht gemacht worden. Es war völlig klar seit dem Trienter Konzil und seit dem Erlass des Missale Romanum, dass es keine Kompromisse mehr gibt.
    "Wein wurde mit Rinderkarren durch Indien verteilt"
    Main: Also, keinen Reis und keinen Ananassaft?
    Schubert: Zumindest nicht in den spanischen Kolonien Mittel- und Südamerikas. Da war man dann nach 50, 60 Jahren auch aus der Bredouille raus, weil man die materiellen Elemente selber anbauen konnte. Etwas anders war es im portugiesischen Teil der Welt, also Südostasien und Brasilien. Das sind tropische Breitengrade. In denen können sie Weizen und Wein einfach nicht anbauen. Und da war man tatsächlich sehr lange darauf angewiesen, dass irgendwelche Lieferungen von Wein um ganz Afrika herum, bis nach Goa, nach Indien kamen, um dort über Rinderkarren durch Indien verteilt zu werden an die einzelnen Missionsstationen im Südosten und Südwesten.
    Wo nichts von diesen Versorgungstrecks hinkam, konnten die Sakramente nicht gefeiert werden. Jetzt muss man sich klarmachen, das bedeutet im 16. Jahrhundert etwas anderes als im 21. Jahrhundert. Für die meisten Hörer wird Sakrament bedeuten, dass es etwas ist, das man am Sonntag, wenn man zur Kirche geht, nimmt oder eben auch nicht nimmt. Man muss sich aber klarmachen, dass nach katholischer Lehre es ein letztes Abendmahl als Sakrament auch im Rahmen der Sterbesakramente gibt.
    Ein Christ, der ohne ein letztes Viatikum verstirbt, steht in der Gefahr, nicht in den Himmel zu kommen. Und darin besteht nun ein massives Problem für die Missionen Spaniens in den ersten Jahrzehnten und Portugals bis ins 17. Jahrhundert, das sie zwar sehr erfolgreich missioniert haben in Südostasien, aber den Christen, wenn sie starben, keine regulären Sterbesakramente spenden konnten und es dann Gott anheimstellen mussten, was das dann möglicherweise zu bedeuten hat. Wir wissen von Missionaren, die über Jahrzehnte keine Sakramente feiern konnten, weil sie nichts hatten, das sie spenden konnten.
    "Erneuerung des Abendmahls ist theologisch möglich"
    Main: Anselm Schubert, evangelischer Kirchenhistoriker im Deutschlandfunk, in der Sendung "Tag für Tag", im Gespräch über seine kulinarische Geschichte des Abendmahls. Herr Schubert, was Ihnen in diesem Buch unglaublich gut gelingt, der Leser sieht die Welt und die Geschichte neu. Nicht durch ein Fernglas, sondern sozusagen durch die Oblate oder durch die Hostie. Wie hat sich beim Schreiben Ihr Blick verändert?
    Schubert: Zum einen bin ich, glaube ich, was das Abendmahl angeht, entspannter geworden und sehe es nicht mehr nur noch unter der dogmatischen Perspektive theologischer Richtigkeit. Wenn man sich 2.000 Jahre lang anguckt, wie die Menschen darum ringen, Abendmahl feiern zu können und feiern zu dürfen und dann gezwungen sind, Kompromisse zu machen, ist das oft sehr menschlich, manchmal etwas allzu menschlich. Und man sieht einfach sozusagen … man unterzieht die christliche Theorie dem Realitätsschock. Und das ist erheiternd, aber auch erleichternd. Andererseits hat sich mein Blick dergestalt geändert, dass die Konzentration auf die Frage "was essen wir eigentlich und was verbinden wir damit und warum tun wir das" sich mir nach Abschluss des Buches doch noch mal anders stellt als vor Beginn.
    Die Vorstellung, dass ein Abendmahl etwas anderes sein könnte als ein hochliturgischer sakramentaler Akt, an dem man in der katholischen Kirche kniend, eher passiv teilhat, während man auch in der evangelischen Kirche, zumindest in der lutherischen Kirche, der ich angehöre, auch eher stillschweigend um den Altar herum steht und an einer heiligen Handlung teilhat, dass das Abendmahl etwas anderes sein könnte als ein solch hochliturgischer Akt, finde ich eine Entdeckung, die die kirchengeschichtliche Wissenschaft gemacht hat, die man auch mal theologisch und kirchlich bedenken sollte. Wie wäre es, wenn wir zumindest versuchsweise mal ausprobierten, wieder die Dimension des Abendmahls neu zu entdecken, die in der alten Kirche die zentrale war? Nämlich die der Gemeinschaft und des Verschwindenmachens der sozialen Grenzen zwischen den Gemeindemitgliedern, und zwar im Akt eines realen Festmahls, an das sich dann der gottesdienstlich-liturgische Teil erst anschließt.
    Ich bin mir sicher, dass ich mit einem solchen Gedankenexperiment die meisten Kirchen praktisch-theologisch überfordere. Als Kirchenhistoriker ist man gewohnt, in ganz, ganz großen Dimensionen zu denken; und liturgische Veränderungen in Kirchen brauchen nicht Jahre, sondern Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte. Aber langfristig, glaube ich, wäre durch die Reflexion auf das, was wir zu uns nehmen in der Kirche, auch eine Erneuerung des Abendmahls theologisch und liturgisch möglich.
    Main: Zum Schluss - Sie haben sich in viele Abendmahlsvarianten reingedacht. Wenn Sie nur noch eine Option offen hätten in diesem Leben und Sie hätten eine Zeitmaschine zur Verfügung, was wäre Ihr Abendmahl schlechthin, das Sie via Zeitmaschine erleben wollten?
    Schubert: Also, ich glaube, am liebsten hätte ich erlebt ein eucharistisches Hochamt in Notre-Dame in Paris Mitte des 14. Jahrhunderts - das ganze System, also den gesamten rituellen Ablauf eines eucharistischen Hochamts im Hochmittelalter mit allen Bräuchen und Missbräuchen, die das mit sich bringt aus der heutigen Perspektive, weil das, glaube ich, die aufwendigste und am meisten ritualisierte Form von Abendmahl ist, die es überhaupt je gegeben hat.
    Main: Anselm Schubert war das, Professor für Kirchengeschichte an der Uni Erlangen-Nürnberg. Sein Buch "Gott essen: eine kulinarische Geschichte des Abendmahls" ist erschienen im Verlag C.H.Beck. Rund 270 Seiten kosten rund 25 Euro. Herr Schubert, danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben, danke für dieses Gespräch.
    Schubert: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Anselm Schubert: Gott essen. Eine kulinarische Geschichte des Abendmahls
    C.H.Beck, 271 Seiten, 24,95 Euro.