Mag sein, dass Geschichte an Relevanz verliert, je weiter sie in die Vergangenheit schwindet. Die Aufklärungsarbeit ist längst geleistet, das historische Bewusstsein hinreichend geschärft, was bleibt, sind die Emotionen. Wie gut also, dass man im Dritten Reich so viel gefilmt hat! Ein sanfter Schrecken geht von diesen Bildern aus, sie verwandeln Geschichte in Gefühl - und füllen eine Marktlücke, die derzeit, so Ulrich Raulff, ganz gehörig klafft.
Bombenkrieg, Vertreibung, Vergewaltigung, das sind Themen mit großer latenter Gefühlsladung. Um sie herum hat sich ein Markt für historische Literatur entwickelt, der aus den Seminaren heraus nicht mehr beliefert und noch weniger kontrolliert wird. In der Geschichte, die auf diesem Markt angeboten wird, ist die Emotion zur Form und teilweise zum einzigen Inhalt geworden. Sie gibt sich zugänglicher, wärmer, einladender als der abweisende Rationalismus Bielefelder Provenienz.
Nein, von einem Albtraum der Geschichte lässt sich kaum mehr sprechen. In ihrer populären Darstellung ist die Vergangenheit hübsch ordentlich verstaut, sauber etikettiert und sorgsam auf zwei große Haufen verteilt. Auf dem einen lagern ihre Helden, auf dem anderen ihre Schurken. Zwischentöne und Widersprüche sind unerwünscht – was zählt, ist die abgesegnete und darum rechtschaffene Emotion, das schöne Gefühl, auf der zweifelsfrei richtigen Seite zu stehen.
Seitdem – wie Reingard Kosellek bemerkt hat – der Begriff des Opfers vollständig seiner älteren, aktivischen und selbst bestimmten Semantik beraubt worden ist, sind die Opfer zur Beute des Geschichtskitsches geworden. Wie es übrigens – dies nur am Rande bemerkt – auch den Tätern widerfahren ist, denen jeder positive, heroische Wert genommen wurde, bis nur der kriminelle übrig blieb. Das ist ja nur die andere, kältere Seite des Kitsches.
Ulrich Raulffs Vortrag lud ein, zum Geschichtsschreibungspessimisten zu werden. Er schärfte den Blick für den Zynismus einer Branche, die die Tragödie von gestern zur Farce von heute werden lässt. Scharf markierte Raulff den Unterschied zwischen einer akademisch-nüchternen und einer populär-anheimelnden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – wohl wissend, dass dieser Unterschied zuletzt ein bloß ideeller ist. Historiker nämlich sind keine Chronisten. Wer deutet, so könnte man das große Dilemma aller Geschichtsschreibung umreißen, der empfindet auch, der setzt sich, ob er will oder nicht, immer auch in ein emotionales Verhältnis zur Vergangenheit.
Es lässt sich aber gar nicht so leicht ein klarer Trennstrich ziehen, eine Grenze sagen wir zwischen wissenschaftlicher Geschichtsschreibung und nicht-wissenschaftlicher oder literarischer Geschichtsschreibung. So, dass diese Linie gleichzeitig auch die Grenze bildete zwischen Objektivität und Emotion, Rationalität und Leidenschaft.
So bekannte sich zuletzt auch Raulff zu einer ästhetisch grundierten Geschichtsschreibung – der alten Einsicht der Aufklärer folgend, dass nichts den Menschen so sehr leitet wie sein Gefühl. Nationale Identität, wenn es eine solche denn gibt, ruht zu wesentlichen Teilen auf einem gefühlten Verhältnis zur Vergangenheit. Eben darum ist sie sorgsam zu dosieren – sonst läuft sie hinaus auf ein schlichtes Nicht-Verhältnis zur Geschichte, ein Verständnis, in dem Vergangenheit kaum mehr als Anlass zu sanften Träumen ist.
Wer das Gefühl als Triebkraft der Geschichte und als zwingendes Gestaltungsmittel der Historie verleugnet, der überlässt das Feld den falschen Gefühlen, der schlechten Literatur – und kann dann zusehen, wie eine erschlichene Katharsis zu einer erpressten Versöhnung führt.
Doch sie existiert ja, die harte, brutale und darum wohl einzig angemessene historische Emotion. In diesen Tagen, da sich Stauffenbergs Attentatsversuch auf Hitler zum sechzigsten Mal jährt, hat Raulff sie entdeckt: in Plötzensee, der nationalsozialistischen Hinrichtungsstätte, wo der gescheiterte Tyrannenmörder mit seinen Begleitern ermordet wurde. Dort, nicht aufgebauscht, nicht ästhetisch in Szene gesetzt, in ihrer ungeschminkten, ungemilderten Härte, wird Geschichte stark. Dort löst sie Empfindungen aus, die unendlich angemessener sind als die Instant-Erregungen, die sonst so kostengünstig das Fernsehen liefert.
Es gibt dort, in Plötzensee, vergleichsweise wenig zu sehen: keine Farben, keine Kokaden, Musik gibt es auch keine. Alles was man sieht, sind fünf Fleischerhaken an einem Metallträger an der Decke. Mag sein, dass wir uns ein Geschichtszeichen anders vorgestellt haben. Und doch ist es eines, und wir betrachten es nicht ohne Emotion.
Man spürt es: Die Vergangenheit zwingt den Betrachter bisweilen nachdrücklich in die Knie. Und in seinen stärksten Momenten, auch diesen Eindruck nahm man mit, verwandelt sich geschichtsbedingte Emotion direkt in historisches Bewusstsein.
Bombenkrieg, Vertreibung, Vergewaltigung, das sind Themen mit großer latenter Gefühlsladung. Um sie herum hat sich ein Markt für historische Literatur entwickelt, der aus den Seminaren heraus nicht mehr beliefert und noch weniger kontrolliert wird. In der Geschichte, die auf diesem Markt angeboten wird, ist die Emotion zur Form und teilweise zum einzigen Inhalt geworden. Sie gibt sich zugänglicher, wärmer, einladender als der abweisende Rationalismus Bielefelder Provenienz.
Nein, von einem Albtraum der Geschichte lässt sich kaum mehr sprechen. In ihrer populären Darstellung ist die Vergangenheit hübsch ordentlich verstaut, sauber etikettiert und sorgsam auf zwei große Haufen verteilt. Auf dem einen lagern ihre Helden, auf dem anderen ihre Schurken. Zwischentöne und Widersprüche sind unerwünscht – was zählt, ist die abgesegnete und darum rechtschaffene Emotion, das schöne Gefühl, auf der zweifelsfrei richtigen Seite zu stehen.
Seitdem – wie Reingard Kosellek bemerkt hat – der Begriff des Opfers vollständig seiner älteren, aktivischen und selbst bestimmten Semantik beraubt worden ist, sind die Opfer zur Beute des Geschichtskitsches geworden. Wie es übrigens – dies nur am Rande bemerkt – auch den Tätern widerfahren ist, denen jeder positive, heroische Wert genommen wurde, bis nur der kriminelle übrig blieb. Das ist ja nur die andere, kältere Seite des Kitsches.
Ulrich Raulffs Vortrag lud ein, zum Geschichtsschreibungspessimisten zu werden. Er schärfte den Blick für den Zynismus einer Branche, die die Tragödie von gestern zur Farce von heute werden lässt. Scharf markierte Raulff den Unterschied zwischen einer akademisch-nüchternen und einer populär-anheimelnden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – wohl wissend, dass dieser Unterschied zuletzt ein bloß ideeller ist. Historiker nämlich sind keine Chronisten. Wer deutet, so könnte man das große Dilemma aller Geschichtsschreibung umreißen, der empfindet auch, der setzt sich, ob er will oder nicht, immer auch in ein emotionales Verhältnis zur Vergangenheit.
Es lässt sich aber gar nicht so leicht ein klarer Trennstrich ziehen, eine Grenze sagen wir zwischen wissenschaftlicher Geschichtsschreibung und nicht-wissenschaftlicher oder literarischer Geschichtsschreibung. So, dass diese Linie gleichzeitig auch die Grenze bildete zwischen Objektivität und Emotion, Rationalität und Leidenschaft.
So bekannte sich zuletzt auch Raulff zu einer ästhetisch grundierten Geschichtsschreibung – der alten Einsicht der Aufklärer folgend, dass nichts den Menschen so sehr leitet wie sein Gefühl. Nationale Identität, wenn es eine solche denn gibt, ruht zu wesentlichen Teilen auf einem gefühlten Verhältnis zur Vergangenheit. Eben darum ist sie sorgsam zu dosieren – sonst läuft sie hinaus auf ein schlichtes Nicht-Verhältnis zur Geschichte, ein Verständnis, in dem Vergangenheit kaum mehr als Anlass zu sanften Träumen ist.
Wer das Gefühl als Triebkraft der Geschichte und als zwingendes Gestaltungsmittel der Historie verleugnet, der überlässt das Feld den falschen Gefühlen, der schlechten Literatur – und kann dann zusehen, wie eine erschlichene Katharsis zu einer erpressten Versöhnung führt.
Doch sie existiert ja, die harte, brutale und darum wohl einzig angemessene historische Emotion. In diesen Tagen, da sich Stauffenbergs Attentatsversuch auf Hitler zum sechzigsten Mal jährt, hat Raulff sie entdeckt: in Plötzensee, der nationalsozialistischen Hinrichtungsstätte, wo der gescheiterte Tyrannenmörder mit seinen Begleitern ermordet wurde. Dort, nicht aufgebauscht, nicht ästhetisch in Szene gesetzt, in ihrer ungeschminkten, ungemilderten Härte, wird Geschichte stark. Dort löst sie Empfindungen aus, die unendlich angemessener sind als die Instant-Erregungen, die sonst so kostengünstig das Fernsehen liefert.
Es gibt dort, in Plötzensee, vergleichsweise wenig zu sehen: keine Farben, keine Kokaden, Musik gibt es auch keine. Alles was man sieht, sind fünf Fleischerhaken an einem Metallträger an der Decke. Mag sein, dass wir uns ein Geschichtszeichen anders vorgestellt haben. Und doch ist es eines, und wir betrachten es nicht ohne Emotion.
Man spürt es: Die Vergangenheit zwingt den Betrachter bisweilen nachdrücklich in die Knie. Und in seinen stärksten Momenten, auch diesen Eindruck nahm man mit, verwandelt sich geschichtsbedingte Emotion direkt in historisches Bewusstsein.