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Geschichte unter der Erde

Der Fernmeldebunker Zeppelin wurde zwischen 1937 und 1939 gebaut. Das Oberkommando des Heeres und das der Wehrmacht koordinierten von hier die Feldzüge im Zweiten Weltkrieg. Am "unterirdischen Sonntag" können Besucher den Bunker erkunden.

Von Julia Brunner | 12.06.2011
    Steil führt die Treppe hinunter ins Dunkle. Die Stufen sind rutschig. Die Besucher halten sich am Geländer fest. Es ist circa elf Uhr und trotz Sonnenscheins und blauen Himmels erkunden Menschen den ehemaligen Fernmeldebunker Zeppelin. Norbert Gölitzer hat seine Taschenlampe eingeschaltet und schaut sich um.

    "Mich interessiert: Was befindet sich in unserer Erde. Diese unterirdischen Bauwerke sind da, denk ich, Zeitzeugen, und es ist hochinteressant hier mal reinzuschauen, weil man vorher als Normalsterblicher gar nicht hier rein gekommen ist."

    Der Eingangsschacht ist schnurgerade und lang. Auf dem Betonboden haben sich Wasserpfützen gebildet. Sie glitzern im Schein der Taschenlampen. Anja Danielewski breitet ihre Arme aus und dreht sich:

    "Es ist bombastisch. Und so was stellt man sich eher immer so, wenn man zum Beispiel in alten Filmen auch gesehen hat, so mordseng vor. Und die Räume hier sind so weit. Das ist erstaunlich. Hier kann ich ja tanzen, ich kann ein Fußballfeld machen, ich kann hier Party machen, ich hab vorher die Eingebung gehabt das wären auch coole Partylocations."

    Am Ende des langen Eingangsschachts endlich Licht. Von hier erstreckt sich ein Labyrinth aus Gängen und Räumen. Es ist drei Stockwerke tief und so groß wie drei Fußballfelder. Werner Borchert sitzt auf einem Stuhl. Er hat die Bunkerführungen ins Leben gerufen. Am unterirdischen Sonntag warten er und sein Team an verschiedenen Stellen des Bunkers und beantworten Fragen. Gerade redet er mit einer Gruppe von Besuchern:

    "Man muss dieses große historische Konglomerat, das man hier vermitteln kann, das muss auch auflockern, weil die Führungen sollen den Leuten auch gefallen. Da kann man auch mal eine lustige Episode aus dem Zweiten Weltkrieg erzählen, da kann man auch mal lustige Geschichten über die Russen erzählen."

    Ein Kollege von Borchert erzählt eine Anekdote über die russischen Soldaten. Die rauchten im Bunker.

    Der Fernmeldebunker Zeppelin wurde zwischen 1937 und 1939 gebaut. Das Oberkommando des Heeres und das der Wehrmacht koordinierten von hier die Feldzüge im Zweiten Weltkrieg. Nach 1953 zogen die sowjetischen Streitkräfte ein.

    Links und rechts von den Gängen: Werkstätten, Lager, Diensträume. Manche sind beleuchtet, andere nicht. Die meisten sind leer. Früher haben hier 500 Leute in einer Schicht gearbeitet. Tamara Winkelmann steckt die Hände in die Taschen ihrer braunen Jacke.

    "Wenn man sich vergegenwärtigt, man darf hier raus, ich muss hier nicht acht Stunden arbeiten, dann ist man schon sehr froh drum, dass man in dieser Zeit geboren wurde. Es ist einfach bedrohlich. Solche Bauten erschlagen einen einfach. Auch wenn man denkt wie alt das jetzt ist, wie wenig Verfall man da sieht. Also, das überlebt mich auch noch locker ohne größeren Schaden zu nehmen."

    Sie steht in einem länglichen, schwach beleuchteten Raum und schaut nach oben. Die Decke ist aus drei Meter dickem Stahlbeton. Darin klafft ein riesiges Loch. Aus der Öffnung tröpfelt Wasser. Kleine Tropfsteine haben sich um das Loch gebildet. Dahinter flattert eine Fledermaus. Ralph Thiedkes gehört zu Werner Borcherts Team. Er wartet in der Mitte des Raums.

    "Nach den Wehrmachtsunterlagen befand sich dort in dieser Anlage die sogenannte Fernschreibzentrale der Wehrmacht. Jede Menge Fernschreiber dicht aneinander gestellt haben die neuesten Nachrichten und Lageberichten von den Fronten hier in diesen Bunker gebracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Befehl, moderne Technik sollte ausgebaut werden. Die Rote Armee musste sich etwas einfallen lassen. Die haben sich überlegt, wir sprengen uns von oben durch, um dann die Technik mit dem Kran herauszuheben."

    Das hat nicht funktioniert. Nur wenige Geräte blieben unversehrt. Im nächsten Raum: Werkbänke. Auf einer liegen ein paar Ballerinas. Sie sind grau und verstaubt. Tamara Winkelmann schaut sich die Schuhe nachdenklich an.

    "Wem haben die gepasst, was war das für eine Frau, was ist aus der geworden? War es eine Russin? War es eine Deutsche? Da ist ein Mensch, sonst ist es Maschinen, Draht, nass, kalt, dunkel, weiß ich nicht, aber auf einmal so etwas Persönliches wie ein paar Frauenschuhe, das fand ich jetzt den Hammer."

    Neben den Schuhen liegen Werkzeuge, Bauteile, ein Stück Papier. So etwas liegt überall herum. Anja Danielewski beugt sie sich über eine Tastatur. Auf den Tasten kyrillische Buchstaben.

    "Ich brauche eine Tastatur. Ob ich die nicht einfach mitnehme, mal ausprobiere, ob man da nicht tippen kann, ob ich mein Russisch damit wieder verbessern könnte?

    "Und an den Wänden sind ganz viele russische Namen, russische Sätze dran. Das ist ja alles auf Russisch."

    Der Bunker ist auch ein Stückchen Abenteuerspielplatz. Kinder rennen durch die Gänge. Fotografen haben ihre Stative aufgebaut. Von der Nutzung während des Zweiten Weltkriegs sieht man nichts mehr. Werner Borchert und sein Team lassen die Zeit durch ihre Geschichten wieder aufleben. Sie nennen sich Bunkerbilderklärer.

    "Man könnten auch Bunkerführer sagen, aber das Wort Führer haben wir hier wirklich nicht so gerne."

    "Natürlich muss man mit diesen Bunkern pietätvoll umgehen. Man muss seriös informieren. In unserem Bunkern ist Krieg gemacht worden. Hier sind Befehle entstanden und durchgelaufen, die letztlich um 50 Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg das Leben gekostet haben. Viele Leute kommen ja wirklich zum ersten Mal hierher, und die massivste Reaktion ist eigentlich die, dass die gar nicht wussten, was sich hier unter der Erde so verbirgt."


    Zeppelin-Bunker Wünsdorf