"Wichtig ist mir, dass Geschichte von Menschen gemacht worden ist und das auch herauszubringen, Geschichte ist nicht eine Aneinanderreihung, so wie ich es in meinem Geschichtsunterricht gelernt habe, von Zahlen und blöden Fakten, sondern Geschichte ist etwas ganz ganz Lebendiges. Es stehen Menschen dahinter, es stehen Dramen dahinter, Kriege auch, Gewalt, Angst, Sehnsüchte, Hoffnungen. All die Dinge, die wir heute auch haben, Geschichte ist überhaupt kein trockenes Fach und ich finde das sehr traurig, wenn Menschen das nicht fühlen, das nicht erleben können, dass Geschichte so etwas Hochspannendes ist. "
...sagt Maren Gottschalk, Historikerin und Autorin engagierter Biografien über Astrid Lindgren oder Pablo Neruda. Neu ist ihre Biografiensammlung "Königinnen", in der sie fünf Herrscherinnen vorstellt, die in Europa Geschichte geschrieben haben.
Eleonore von Aquitanien war die mächtigste und reichste Frau des 12. Jahrhunderts. Weitsichtiges Denken zeichnete Isabella von Kastilien aus, aber auch die Leidenschaft fürs Spiel. Sorgte sich einst der englische König Heinrich VIII. um seine männliche Nachfolge, so wäre ihm nicht im Traum eingefallen, das seine Tochter Elisabeth dieses Amt mit Bravour meistern würde. Christina von Schweden hatte bereits mit 27 Jahren die Nase voll von Regierungsgeschäften. Niemand hätte vermutet, dass die junge Sophie, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, als Katharina die Große in die Geschichte eingehen würde.
Kein Jahrestag oder aktueller Aufhänger war der Auslöser für diese Anthologie, sondern der ewige Mythos, der diese Frauen mit Macht umgibt. Barbara Gelberg, die die Reihe "Erzähles Leben" beim Verlag Beltz & Gelberg betreut, hatte die Idee für dieses Projekt.
"Und ich find das ungeheuerlich, wie modern eine Isabella von Kastilien ist, wenn man das mit heutigen Politikerinnen vergleicht. Dass auch damals Frauen kämpfen mussten gegen die Vorurteile, gegen die ganzen Intrigen in der Gesellschaft, dass sie Netzwerke bilden mussten - damals wie heute."
Maren Gottschalk weckt durch ein paar Schlaglichter am Beginn jeder Lebensbeschreibung die Neugier des Lesers:
"In unserer Phantasie rauscht die Zarin juwelenbeladen durch endlose, düstere Gänge im Kreml oder im St. Petersburger Winterpalast, wo Spitzel mit Zopfperücken hinter Samtvorhängen lauern. Ihre Zeit vertreibt sie sich mit zahllosen Liebhabern. Die Wirklichkeit war viel prosaischer: Schon am frühen morgen saß die Zarin am Schreibtisch und erledigte ihre Korrespondenz, las die Berichte ihrer Minister und plante neue Gesetze. Katharina wollte Russland modernisieren, damit es sich mit den tonangebenden Königreichen im Westen messen konnte."
Nach diesen kurzen Einführungen erzählt Maren Gottschalk dann konzentriert und chronologisch von der Geburt bis zum Tod. Allen Kurzporträts ging eine umfangreiche Recherche voraus. Die Autorin führte Gespräche mit Historikern, um sich mit dem neuesten Stand der Forschungen vertraut zu machen.
Maren Gottschalk schaut hinter die Kulissen und unterliegt nicht der Versuchung Klischees aufzusitzen, die sich bis heute halten.
"Ach, das gibt es bei fast jeder dieser Figuren.
Bei Elisabeth I. ist es so, dass man immer noch dieses Bild findet, die arme leidende märtyrerhafte Maria Stuart und die böse, kalte Elisabeth, die sie hat hinrichten lassen. Es ist völlig umgekehrt. Maria Stuart hat Elisabeth immer nach dem Leben getrachtet. Sie hat ihre ganze Gefängniszeit dazu benutzt sich schreckliche Pläne auszudenken, Geheimschriften, geheime Botschaften herausgeschmuggelt und immer ging es darum, Elisabeth ermorden zu lassen und sich selbst auf ihren Thron zu setzen. Während Elisabeth, der alle Welt sagte, bring doch diese Königin endlich um, bring Maria Stuart endlich aufs Schafott, du musst die Welt von ihr befreien, sie wusste auch, dass sie das machen musste, um ihren Staat ordentlich regieren zu können, aber sie hat Jahre lang gezögert. Also da haben wir durch Schiller genau dieses andere Bild. Das ist uns einmal so eindrucksvoll erzählt worden, dass sich das bis heute hält."
Maren Gottschalk setzt sich intensiv mit den Lebenszeugnissen und dem Quellenmaterial auseinander. Sie unterliegt, trotz unterschiedlicher Distanz und Nähe zu den einzelnen historischen Figuren, nicht der Versuchung über Lebensentscheidungen zu spekulieren.
"Ich habe schon das Bedürfnis, dem Leser oder der Leserin Situationen in meinen Büchern anzubieten, in denen sie schon das Gefühl haben, dass sie ganz nah an der Person dran sind, dass sie sozusagen, den Stoff des Kleides berühren können. Aber das sind keine Situationen, die ich mir ausdenke. Das sind eher Momente, in denen ich Situationen beschreibe, wo ich sehr genau weiß, dass die sich so abgespielt haben. "
Der Chronist berichtet: "Auf das Drängen der Königin hin wurde der Krieg gegen die Mauren begonnen und so lange fortgesetzt, bis das ganz Land von Granada erobert war...." Eines Tages schwört die Königin beim Anblick der Mauern von Granada, sie werde ihr Unterkleid nicht eher wechseln, als bis die Stadt erobert sei. Von diesem Tag an dauert es noch Jahre bis zum Sieg und so nimmt das Unterkleid mit der Zeit einen gelbbeigen Farbton an. Bis heute nennt man diese Farbe in Spanien "isabella-farben".
Maren Gottschalk gelingt es souverän, den Überblick über die Vielzahl der Informationen zu behalten und komplizierte zeitgeschichtliche Zusammenhänge einfach und klar darzustellen. Dennoch macht sie keinerlei Abstriche bei der Dichte des Informationsgehalts. Sie schreibt unterhaltsam und sehr bildhaft.
Bei aller Lust auf Lebensentwürfe oder Erfahrungen spielt für den Leser immer auch die Frage eine Rolle: Was könnte für mich relevant sein, wenn ich mich mit diesem fremden Leben beschäftige? Doch wie begeistert man Jugendliche, die sich lieber Fakten im Internet für Referate zusammensuchen als sich auf ein "Erzähltes Leben" im Buchformat einzulassen?
"Die Bücher sollen so geschrieben sein, dass junge Leser ab 14 sie lesen können, also Leser die kein Hintergrundwissen mitbringen, wie wir vielleicht als Erwachsene. Leser, die nicht wissen, was war die reconquista, die dieses Wort noch nie gehört haben, Inquisition, denen ich diese Hintergründe noch erklären muss, aber ich hab in meinen Lesungen auch viele Erwachsene sitzen. Ich versuche nicht eine einfachere Sprache zu sprechen, die jetzt sozusagen Kindern angepasst wird. Und in sofern müssen immer wieder Hintergründe geliefert werden, die nicht mit Fremdwörtern vollgestopft sind, sondern einfach klar dem Leser diesen Platz, auf dem er sich da bewegen soll in dem Buch ein bisschen erklären, wie ein Reiseführer. "
Biografien für junge Leser sind oftmals erste Einführungen in fremde Lebenswelten. Auch wenn sich viele Autoren auf ausgewiesene Quellen beziehen, versuchen sie heute nicht mehr ein vergangenes Leben zu rekonstruieren. Es geht darum sich der Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Jede Lebensdarstellung lebt von der Materialauswahl, der persönlichen Interpretation und dem individuellen Sprachstil des Biografen. Dabei will der Autor oftmals mit dem Leser in einen Dialog treten. Er beteiligt ihn an der Konstruktion der Lebensgeschichte und sucht auch nach Parallelen zur Lebenswirklichkeit des Lesenden, ohne sich der schnelllebigen Jugendsprache zu bedienen.
"Ich glaub schon, dass es mir immer wichtiger wird, den Lesern die Bewertung zu überlassen, dass ich vielleicht mich mehr und mehr auch ein bisschen zurücknehme. Ich stell dann auch mal eine Frage, ich will nicht immer alles vorgeben. Ich möchte dem Leser Freiheit geben. Kann sein, dass ich das heute mehr mache als früher."
Biografisch wird erzählt, was sich am Markt behauptet. Dabei spielen gesellschaftliche Fragen, das Bedürfnis nach Orientierung, aber auch aktuelle Anliegen eine ausschlaggebende Rolle. Und so hat der junge Leser die Auswahl. Da stehen die wissenschaftlich fundierten und gut lesbar geschriebenen Biografien gleichberechtigt neben den trivialen Lebensgeschichten aktueller Idole aus der Musik-, Film- oder Sportszene mit schnellem Verfallsdatum. Denn weit gefächert ist das Angebot des Genres - von fiktionalen Erzählungen und biografisch orientierten Bilderbüchern, über biografische Romane bis hin zu Porträts und Sachbüchern.
Wenn es um Biografien geht, dann ist der Beltz & Gelberg Verlag eine gute Adresse. Seit 25 Jahren gibt er kontinuierlich wie kein anderer Verlag Lebensbeschreibungen bekannter und weniger berühmter Männer und Frauen aus den Bereichen Forschung, Wissenschaft, Literatur, Religion, Politik, Philosophie und Kunst heraus. Über 50 Bücher sind in der Reihe "Erzähltes Leben" erschienen. 1972 erhielt Frederik Hetmann für seine Biografie über Che Guevara den Deutschen Jugendliteraturpreis. Von diesem Zeitpunkt an, gewann das literarische Genre zunehmend wieder an Beliebtheit. Immerhin ist Hetmanns Biografie heute noch lieferbar.
In der aktuellen biografischen Jugendliteratur zeichnet sich die Tendenz ab neben Helden und Antihelden auch wieder zeitgemäße Vorbilder anzubieten. Zu nennen wären: Nelson Mandela, Dietrich Bonhoeffer oder Marion Gräfin Dönhoff. Das kann Barbara Gelberg bestätigen.
"Ich glaube, das war bei unserer Reihe Biografien immer schon ein wichtiger Punkt. Und ich glaube, dass es mehr und mehr wichtig wird Vorbilder zu haben im weitesten Sinne, Vorbilder zur Auseinandersetzung, Menschen, die in ihrem Leben Widerstände gebrochen haben, die sich mit sich selber auseinandergesetzt haben, die gegen Vorurteile ihrer Zeit vorgegangen sind. Und ich glaube, gerade jetzt wo man sich natürlich im Internet über Second Life oder solche Internetportale selber zum Star sehr schnell werden kann. Ich glaube, dass es in dieser Zeit um so notwendiger ist, dass man sich mit wirklichen Menschen irgendwie auseinandersetzt. Ich glaube, dass die Bekanntheit der dargestellten Person wichtig ist. Ganz wichtig sind auch immer Jubiläen. Das heißt der Buchhandel verändert sich und da müssen auch die Verlage was machen, trotzdem muss man immer das Zielpublikum ganz stark im Auge haben. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt unbedingt eine Biografie über Madonna machen müssten."
Aber der Biografienbereich ist thematisch noch längst nicht abgedeckt, meint Barbara Gelberg.
"Es sind Trends, die man einfach merkt, aus den Medien, Figuren die im Gespräch sind oder das man sich zur Zeit z.B damit auseinandersetzt und überlegt, was gibt es denn an bekannten Personen aus China. China ist das Land, es wird einen großen Einfluss auf Europa haben. Wie kann ich mich dem Land nähern, was gibt es da für Figuren? Wir sind am überlegen, was ist mit interessanten japanischen Figuren, was gar nicht so einfach ist. "
Eine Marktlücke für den sehr jungen Leser ist offenbar die Hardcover-Biografie. Das hat die Autorin Katrin Hahnemann erkannt und sich mit einem fertigen Manuskript an den Berliner Bloomsbury Verlag gewandt. Kurzerhand entstand die Idee zur neuen Biografienreihe: "Wer ist das?" für Kinder ab 8 Jahren. Vorbilder, mit denen sich junge Leser identifizieren und auseinandersetzen können, sollen in dieser Reihe vorgestellt werden: Albert Schweitzer, Marco Polo oder Abraham Lincoln. ( Musik kurz) In ihrem ersten Buch erzählt Katrin Hahnemann von "Mahatma Gandhi".
"Er war ein Kämpfer für Freiheit und gegen Gewalt und das finde ich, ist für Kinder heutzutage unheimlich wichtig. Dass sie nämlich zwischen Pisa-Schock und der Diskussion über Jugendkriminalität entdecken, es gibt eine Möglichkeit sich durchzusetzen, ohne dass man deswegen Gewalt ausübt. Und da finde ich, ist Ghandi unheimlich konkret und da bietet er Wege an, die auch Kinder schon verstehen können und gerade auch in dem Alter schon verstehen können."
Gandhi wird aber nicht als überragende Lichtgestalt dargestellt, sondern als Mensch in seiner Zeit.
Nachdem Gandhi drei Jahre lang studiert hat, besteht er 1891 seine Anwaltsprüfung. Schon am nächsten Tag fährt er zurück nach Indien. Er bringt einen starken Glauben an die englische Demokratie und die vornehmen Sitten und Gebräuche der Engländer mit nach Hause. Es wird viele Jahre dauern, bis dieser Glauben erschüttert wird und Gandhi zu den Sitten seines eigenen Landes zurückkehrt.
"Es gibt keine fiktiven Gespräche und es ist eine reine Erzählung und deswegen habe ich auch umfangreich recherchiert, weil es schon mein Anliegen war, wirklich da ein wahres Bild zu vermitteln und auch wenn es sie denn gibt, kritische Punkte einzuarbeiten. Um Kindern auch - weg von dieser Heldenverehrung - ein realistisches Bild zu vermitteln. Gandhi hatte auch Probleme. Er hat sich mit seinem erstgeborenen Sohn nicht so gut verstanden und hat den auch auf eine Art und Weise abgelehnt, die man durchaus kritisieren kann. "
Katrin Hahnemann stellt ganz bewusst die Nähe zur mündlichen Erzählsituation her, indem sie ihren kindlichen Leser direkt anspricht.
Als Kind fürchtet Gandhi sich oft. Und zwar vor ähnlichen Dingen wie ihr vielleicht auch. Vor Schlangen, vor Dieben, vor der Dunkelheit und vor Gespenstern. Später, als er erwachsen ist, ist er der mutigste Mensch, den man sich nur vorstellen kann. Er hat vor nichts ANGST, nicht einmal vor Gewalt oder vor dem Tod.
Stellenweise fordert die Autorin zum Innehalten auf. Fragt, was der Leser zum Beispiel zum Thema Diskriminierung denkt? Ob er sich vorstellen kann, auf Essen oder Komfort zu verzichten und knüpft so geschickt eine Verbindung zur Gegenwart.
Um den Leser zu erreichen, musste Katrin Hahnemann zum einen auf den Seitenumfang achten und zum anderen sprachlich immer wieder ihren Text verdichten.
"Und ich hab das mindestens ja fünfmal immer wieder umgeschrieben, immer wieder versucht, es noch einfacher zu machen, wieder gewisse Formulierungen, die sich einfach einschleichen, auszutauschen gegen einfachere. Man tut Kindern keinen Gefallen damit und das ist ja ganz oft gerade im Biografiebereich, dass da Formulierungen verwendet werden und man sich fragt warum, warum muss man das so ausdrücken, es geht auch anders, es geht konkreter, es geht direkter und Kinder schalten ganz schnell ab, wenn sie was nicht verstehen."
Aus Erfahrung weiß die Autorin, dass sie Kinder ab 8 Jahren keinen ausführlichen Nachschlageteil am Ende des Buches zumuten kann. Gesellschaftspolitische, religiöse oder geschichtliche Begriffe werden in dem Augenblick erläutert, in dem sie für das Verständnis erforderlich sind.
Nicht nur passiv soll der Widerstand der Inder sein. Nein, aktiv und offen, aber trotzdem gewaltfrei, sollen sie die ungerechten Gesetze der Weißen brechen.
Passiv Widerstand zu leisten heißt, dass man etwas tut, dass man eigentlich nicht tun soll. Aktiver Widerstand hingegen bedeutet, dass man verbotene Dinge tut, um gegen etwas Bestimmtes zu protestieren, ein ungerechtes Gesetz zum Beispiel. Allerdings in Gandhis Sinne trotzdem ohne Gewalt anzuwenden. Und das ist nicht immer leicht.
Gandhi sucht nach einem Namen für diese Form des Widerstands.
Und das funktioniert sehr gut, denn der Erzählfluss wird durch die sepia braun abgesetzten Erläuterungen nicht unterbrochen. Den Text erzählen auf unterhaltsame Weise auch die leicht karikaturhaften Illustrationen von Uwe Mayer weiter, aber auch die zahlreichen Fotos und Karten sind hilfreich. Trotz treffender Vereinfachungen musste Katrin Hahnemann beim Konzipieren des Buches inhaltlich Abstriche machen:
"Ja, sicher, was so das Umfeld angeht oder auch den geschichtlichen Hintergrund von Indien, also den in seiner Komplexität darzustellen, das ist, denke ich, nicht möglich. Was ich weggelassen habe, ist das Thema sexuelle Enthaltsamkeit, weil ich glaube, das Kinder damit noch nicht so viel anfangen können und das so zu erklären, dass Kinder das wirklich verstehen, das fand ich jetzt überflüssig. Manche Dinge sind auch sicher auch zu abstrakt. Ich hab schon versucht, das zu nehmen, was konkret ist. Aber ich glaube, da bietet sich Gandhi auch einfach an, weil er ein sehr konkretes Leben geführt hat. Er hat auch gesagt: Mein Leben ist meine Botschaft. Also er hat jetzt nicht versucht, irgendwelche Ideale oder Konstrukte zu vermitteln, sondern hat wirklich das gelebt, woran er auch geglaubt hat."
Katrin Hahnemann fügt gekonnt alle wichtigen Bausteine zusammen und schafft es, Mahatma Gandhi mit allen seinen Stärken und Schwächen lebendig werden zu lassen. Dabei verliert sie in keinem Moment ihren jungen Leser aus den Augen.
Hauptsache der Text liest sich unterhaltsam, hat sich auf jeden Fall der Arena-Verlag gedacht und für die Reihe "Lebendige Biografien" ab 9 Jahren den italienischen Autor und Illustrator Luca Novelli gewonnen. Konsequent legt er, anders als Katrin Hahnemann, den Schwerpunkt auf die wissenschaftlichen Entdeckungen seiner historischen Persönlichkeiten. Neu im Programm nun "Marie Curie und das Rätsel der Atome". Locker plaudert die erste Nobelpreisträgerin aus ihrem Leben. Dabei wird zwar erzählt, dass Marie und ihr Mann Pierre an der Entdeckung eines neuen chemischen Elements forschen. Doch richtig vorstellbar wird das kaum und die lapidare Zusammenfassung klingt dann so:
Die Entdeckung eines der Elemente, aus denen sich das Universum zusammensetzt, ist keine alltägliche Sache und deshalb gibt Pierre seine eigene Arbeit auf, um mich zu unterstützen. Leicht ist es nicht: Wir müssen hunderte Reaktionen durchführen und die entstehenden Stoffe voneinander trennen. Dann endlich, im Juli 1898, weiß ich mit Sicherheit, dass ich die Entdeckung eines neuen Elements verkünden kann.
Luca Novelli kombiniert die fiktive Ich-Erzählung mit Sachtexten, Fotos, einfachen Skizzen und Kartenmaterial. Mit seinen comicartigen schwarz-weiß Cartoons, die den Kern des Erzählten zum Teil witzig illustrieren, entwirft er zumindest eine Vorstellung von der Zeit, in der die Wissenschaftlerin lebte und arbeitete. Der Autor umschifft komplexe Zusammenhänge und konzentriert sich auf die Erforschung der Radioaktivität. Keine Frage, dass Novelli hier an objektive Grenzen stößt. Die wissenschaftlichen Erläuterungen über chemische und physikalische Reaktionen gehen über die Köpfe der Zielgruppe, die kaum über Vorkenntnisse verfügt, weit hinaus. Zu bezweifeln bleibt, ob diese Biografie den jungen Leser wirklich erreicht.
Große Schriftsteller, deren Werke auch Schulstoff sind, erscheinen jungen Lesern oftmals als undurchsichtig und voller Rätsel. Biografische Romane können da helfen, sich suksessive einem schwierigen Autor anzunähern. Gerd Schneider hat sich für seinen Roman "Kafkas Puppe" als Handlungzentrum eine belegte Episode aus Franz Kafkas Leben ausgewählt. Dora Diamant, Kafkas letzte Lebensgefährtin in Berlin, berichtete in einem Brief davon. Kafka ging gern im Steglitzer Park spazieren. An einem warmen Oktobertag traf er ein kleines Mädchen, dass seine Puppe verloren hatte. Um es zu trösten, schreibt er dem Kind Briefe. Hier setzt der Roman ein. Der Frühpensionär und schwerkranke Kafka erfindet für Lenas Puppe Mira eine Reisegeschichte. Diese Briefe hat Kafka am Beginn der 20er Jahre auch wirklich geschrieben, allerdings sind sie nicht mehr auffindbar. Gerd Schneider musste sich nun diese Texte an das Kind ausdenken und wusste, Kafka konnte er nicht imitieren, sondern ihm höchstens über die Schulter schauen.
"Es bot sich an, Motive aus den vielen phantastischen oder auf den ersten Blick phantastischen Werken zu nehmen, z.B die singenden Wölfe, die singende Hunde sind, es tauchen viele Tiere in seinen Erzählungen auf, auch aus dem Zirkusmilieu sind Erzählungen, wie man weiß, ob es der Hungerkünstler oder Erstes Leid, selbst über Don Quijote hat er geschrieben, eine Erzählung, die ich dann hier auch verwende. "
Der dicke Sancho, so war sein Name, erzählte, wie Don Quijote, so hieß der Dünne auf der Schindmähre, die verrücktesten Sachen anstellte. Wie er etwa mit seiner Lanze auf eine Herde Schafe oder auf ein paar Windmühlen losgegangen war. Während Sancho mit mir sprach, hatte sich der dünne Ritter immer weiter entfernt und war am Horizont verschwunden....
Ja, die Puppe hat schon allerhand merkwürdige Wesen getroffen auf ihrer Reise. "Was hat der auf dem Kopf?"
"Einen Helm."
Lena lacht:"Das sieht eher aus wie ein Kochtopf. Warum ist Mira nicht mit ihm gegangen?"
"Vielleicht waren ihr beide nicht geheuer."
"Oder sie waren nicht echt?"
"Wie meinst du das?"
"Sie hat nur davon geträumt."
" Und dann ist es nicht echt?" Lena überlegt. "Doch. Alles ist echt. Auch die Geschichten und das, was ich träumte."
Dem totkranken Mann gefällt diese Idee, für eine Puppe eine verwegene Lebensgeschichte zu erfinden. Sehr bald vermisst Lena ihre Mira nicht mehr. Die Abenteuer in Briefen entwickeln zunehmend eine Eigenleben. Zeitgleich reflektiert Kafka aber auch Vergangenes, sein Verhältnis zum Vater, seine Arbeit als Jurist und Prager Versicherungsangestellter, seine Erfolglosigkeit.
Er spricht in letzter Zeit öfter über sein Schreiben und wie nutzlos alles ist. Dora hat in den letzten Tagen einige Erzählungen von ihm gelesen, darunter "Die Verwandlung", eine seiner ersten Veröffentlichungen. Ob es nötig sei, einen armen Handlungsreisenden in einen Käfer zu verwandeln, hatte sie ihn gefragt. Das hat ihr Angst gemacht. Sie will nichts wissen von Unglücklichen, die sich in Ungeziefer verwandeln, von jungen Menschen, die sich, von unheimlichen Kräften verfolgt und getrieben, in den Tod stürzen, weil der arme kranke Vater sie dazu verurteilt hat; oder von Sträflingen, denen eine Egge das Urteil blutig in den Rücken schreibt.
"Ganz sicher, ich wollte schon biografisch arbeiten. Wenn dieses Buch gelesen ist, dann sollte selbstverständlich nicht nur eine fantasievolle Geschichte mit vielen Einzelerzählungen mit einer Liebe- Dora Kafka - oder das kleine Mädchen und ihr Umfeld und wie sich die Fäden dann am Schluss alle miteinander verknüpfen, sondern es sollte der Leser dann schon wissen, wer war das überhaupt Kafka. "
Gerd Schneider legt, ohne die psychischen Dispositionen Kafkas zu ergründen, eine lebendige Montage aus Fakten und Fiktionen vor. Sein Franz Kafka ist ein empfindsamer Mensch, für den das Schreiben sein Leben ist. So nimmt Gerd Schneider dem Autor mit Tiefgang den Nimbus des düsteren, verschlüsselten und unverständlichen. Und vielleicht weckt er bei dem einen oder anderen Leser ein Interesse an Kafkas Werk.
Lehrreiche Biografien dürfen nicht langweilig sein. Das wissen die Autoren und so kann sich auch nur derjenige behaupten, der bei aller faktentreue lebendig erzählen kann. Die Biografie nimmt ihren Platz zwischen Belletristik und Sachliteratur ein und so erzählen alle vorgestellten Biografien mit unterschiedlichen Schwerpunkten Lebensgeschichten lebensnah und unterbreiten dem Leser auf die eine oder andere Weise ein Dialogangebot, auf das er sich einlassen sollte.
Titelliste:
Maren Gottschalk, Königinnen, Beltz & Gelberg Verlag,
236 Seiten, 16,90 Euro
Katrin Hahnemann: Mahatma Gandhi, Bloomsbury Kinder- & Jugendbuch,
104 Seiten, 12,90 Euro
Luca Novelli: Marie Curie und das Rätsel der Atome", Arena Verlag,
112 Seiten, 7,95 Euro
Gerd Scheider: Kafkas Puppe, Arena Verlag, 224 Seiten, 12,90 Euro
...sagt Maren Gottschalk, Historikerin und Autorin engagierter Biografien über Astrid Lindgren oder Pablo Neruda. Neu ist ihre Biografiensammlung "Königinnen", in der sie fünf Herrscherinnen vorstellt, die in Europa Geschichte geschrieben haben.
Eleonore von Aquitanien war die mächtigste und reichste Frau des 12. Jahrhunderts. Weitsichtiges Denken zeichnete Isabella von Kastilien aus, aber auch die Leidenschaft fürs Spiel. Sorgte sich einst der englische König Heinrich VIII. um seine männliche Nachfolge, so wäre ihm nicht im Traum eingefallen, das seine Tochter Elisabeth dieses Amt mit Bravour meistern würde. Christina von Schweden hatte bereits mit 27 Jahren die Nase voll von Regierungsgeschäften. Niemand hätte vermutet, dass die junge Sophie, Prinzessin von Anhalt-Zerbst, als Katharina die Große in die Geschichte eingehen würde.
Kein Jahrestag oder aktueller Aufhänger war der Auslöser für diese Anthologie, sondern der ewige Mythos, der diese Frauen mit Macht umgibt. Barbara Gelberg, die die Reihe "Erzähles Leben" beim Verlag Beltz & Gelberg betreut, hatte die Idee für dieses Projekt.
"Und ich find das ungeheuerlich, wie modern eine Isabella von Kastilien ist, wenn man das mit heutigen Politikerinnen vergleicht. Dass auch damals Frauen kämpfen mussten gegen die Vorurteile, gegen die ganzen Intrigen in der Gesellschaft, dass sie Netzwerke bilden mussten - damals wie heute."
Maren Gottschalk weckt durch ein paar Schlaglichter am Beginn jeder Lebensbeschreibung die Neugier des Lesers:
"In unserer Phantasie rauscht die Zarin juwelenbeladen durch endlose, düstere Gänge im Kreml oder im St. Petersburger Winterpalast, wo Spitzel mit Zopfperücken hinter Samtvorhängen lauern. Ihre Zeit vertreibt sie sich mit zahllosen Liebhabern. Die Wirklichkeit war viel prosaischer: Schon am frühen morgen saß die Zarin am Schreibtisch und erledigte ihre Korrespondenz, las die Berichte ihrer Minister und plante neue Gesetze. Katharina wollte Russland modernisieren, damit es sich mit den tonangebenden Königreichen im Westen messen konnte."
Nach diesen kurzen Einführungen erzählt Maren Gottschalk dann konzentriert und chronologisch von der Geburt bis zum Tod. Allen Kurzporträts ging eine umfangreiche Recherche voraus. Die Autorin führte Gespräche mit Historikern, um sich mit dem neuesten Stand der Forschungen vertraut zu machen.
Maren Gottschalk schaut hinter die Kulissen und unterliegt nicht der Versuchung Klischees aufzusitzen, die sich bis heute halten.
"Ach, das gibt es bei fast jeder dieser Figuren.
Bei Elisabeth I. ist es so, dass man immer noch dieses Bild findet, die arme leidende märtyrerhafte Maria Stuart und die böse, kalte Elisabeth, die sie hat hinrichten lassen. Es ist völlig umgekehrt. Maria Stuart hat Elisabeth immer nach dem Leben getrachtet. Sie hat ihre ganze Gefängniszeit dazu benutzt sich schreckliche Pläne auszudenken, Geheimschriften, geheime Botschaften herausgeschmuggelt und immer ging es darum, Elisabeth ermorden zu lassen und sich selbst auf ihren Thron zu setzen. Während Elisabeth, der alle Welt sagte, bring doch diese Königin endlich um, bring Maria Stuart endlich aufs Schafott, du musst die Welt von ihr befreien, sie wusste auch, dass sie das machen musste, um ihren Staat ordentlich regieren zu können, aber sie hat Jahre lang gezögert. Also da haben wir durch Schiller genau dieses andere Bild. Das ist uns einmal so eindrucksvoll erzählt worden, dass sich das bis heute hält."
Maren Gottschalk setzt sich intensiv mit den Lebenszeugnissen und dem Quellenmaterial auseinander. Sie unterliegt, trotz unterschiedlicher Distanz und Nähe zu den einzelnen historischen Figuren, nicht der Versuchung über Lebensentscheidungen zu spekulieren.
"Ich habe schon das Bedürfnis, dem Leser oder der Leserin Situationen in meinen Büchern anzubieten, in denen sie schon das Gefühl haben, dass sie ganz nah an der Person dran sind, dass sie sozusagen, den Stoff des Kleides berühren können. Aber das sind keine Situationen, die ich mir ausdenke. Das sind eher Momente, in denen ich Situationen beschreibe, wo ich sehr genau weiß, dass die sich so abgespielt haben. "
Der Chronist berichtet: "Auf das Drängen der Königin hin wurde der Krieg gegen die Mauren begonnen und so lange fortgesetzt, bis das ganz Land von Granada erobert war...." Eines Tages schwört die Königin beim Anblick der Mauern von Granada, sie werde ihr Unterkleid nicht eher wechseln, als bis die Stadt erobert sei. Von diesem Tag an dauert es noch Jahre bis zum Sieg und so nimmt das Unterkleid mit der Zeit einen gelbbeigen Farbton an. Bis heute nennt man diese Farbe in Spanien "isabella-farben".
Maren Gottschalk gelingt es souverän, den Überblick über die Vielzahl der Informationen zu behalten und komplizierte zeitgeschichtliche Zusammenhänge einfach und klar darzustellen. Dennoch macht sie keinerlei Abstriche bei der Dichte des Informationsgehalts. Sie schreibt unterhaltsam und sehr bildhaft.
Bei aller Lust auf Lebensentwürfe oder Erfahrungen spielt für den Leser immer auch die Frage eine Rolle: Was könnte für mich relevant sein, wenn ich mich mit diesem fremden Leben beschäftige? Doch wie begeistert man Jugendliche, die sich lieber Fakten im Internet für Referate zusammensuchen als sich auf ein "Erzähltes Leben" im Buchformat einzulassen?
"Die Bücher sollen so geschrieben sein, dass junge Leser ab 14 sie lesen können, also Leser die kein Hintergrundwissen mitbringen, wie wir vielleicht als Erwachsene. Leser, die nicht wissen, was war die reconquista, die dieses Wort noch nie gehört haben, Inquisition, denen ich diese Hintergründe noch erklären muss, aber ich hab in meinen Lesungen auch viele Erwachsene sitzen. Ich versuche nicht eine einfachere Sprache zu sprechen, die jetzt sozusagen Kindern angepasst wird. Und in sofern müssen immer wieder Hintergründe geliefert werden, die nicht mit Fremdwörtern vollgestopft sind, sondern einfach klar dem Leser diesen Platz, auf dem er sich da bewegen soll in dem Buch ein bisschen erklären, wie ein Reiseführer. "
Biografien für junge Leser sind oftmals erste Einführungen in fremde Lebenswelten. Auch wenn sich viele Autoren auf ausgewiesene Quellen beziehen, versuchen sie heute nicht mehr ein vergangenes Leben zu rekonstruieren. Es geht darum sich der Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven zu nähern. Jede Lebensdarstellung lebt von der Materialauswahl, der persönlichen Interpretation und dem individuellen Sprachstil des Biografen. Dabei will der Autor oftmals mit dem Leser in einen Dialog treten. Er beteiligt ihn an der Konstruktion der Lebensgeschichte und sucht auch nach Parallelen zur Lebenswirklichkeit des Lesenden, ohne sich der schnelllebigen Jugendsprache zu bedienen.
"Ich glaub schon, dass es mir immer wichtiger wird, den Lesern die Bewertung zu überlassen, dass ich vielleicht mich mehr und mehr auch ein bisschen zurücknehme. Ich stell dann auch mal eine Frage, ich will nicht immer alles vorgeben. Ich möchte dem Leser Freiheit geben. Kann sein, dass ich das heute mehr mache als früher."
Biografisch wird erzählt, was sich am Markt behauptet. Dabei spielen gesellschaftliche Fragen, das Bedürfnis nach Orientierung, aber auch aktuelle Anliegen eine ausschlaggebende Rolle. Und so hat der junge Leser die Auswahl. Da stehen die wissenschaftlich fundierten und gut lesbar geschriebenen Biografien gleichberechtigt neben den trivialen Lebensgeschichten aktueller Idole aus der Musik-, Film- oder Sportszene mit schnellem Verfallsdatum. Denn weit gefächert ist das Angebot des Genres - von fiktionalen Erzählungen und biografisch orientierten Bilderbüchern, über biografische Romane bis hin zu Porträts und Sachbüchern.
Wenn es um Biografien geht, dann ist der Beltz & Gelberg Verlag eine gute Adresse. Seit 25 Jahren gibt er kontinuierlich wie kein anderer Verlag Lebensbeschreibungen bekannter und weniger berühmter Männer und Frauen aus den Bereichen Forschung, Wissenschaft, Literatur, Religion, Politik, Philosophie und Kunst heraus. Über 50 Bücher sind in der Reihe "Erzähltes Leben" erschienen. 1972 erhielt Frederik Hetmann für seine Biografie über Che Guevara den Deutschen Jugendliteraturpreis. Von diesem Zeitpunkt an, gewann das literarische Genre zunehmend wieder an Beliebtheit. Immerhin ist Hetmanns Biografie heute noch lieferbar.
In der aktuellen biografischen Jugendliteratur zeichnet sich die Tendenz ab neben Helden und Antihelden auch wieder zeitgemäße Vorbilder anzubieten. Zu nennen wären: Nelson Mandela, Dietrich Bonhoeffer oder Marion Gräfin Dönhoff. Das kann Barbara Gelberg bestätigen.
"Ich glaube, das war bei unserer Reihe Biografien immer schon ein wichtiger Punkt. Und ich glaube, dass es mehr und mehr wichtig wird Vorbilder zu haben im weitesten Sinne, Vorbilder zur Auseinandersetzung, Menschen, die in ihrem Leben Widerstände gebrochen haben, die sich mit sich selber auseinandergesetzt haben, die gegen Vorurteile ihrer Zeit vorgegangen sind. Und ich glaube, gerade jetzt wo man sich natürlich im Internet über Second Life oder solche Internetportale selber zum Star sehr schnell werden kann. Ich glaube, dass es in dieser Zeit um so notwendiger ist, dass man sich mit wirklichen Menschen irgendwie auseinandersetzt. Ich glaube, dass die Bekanntheit der dargestellten Person wichtig ist. Ganz wichtig sind auch immer Jubiläen. Das heißt der Buchhandel verändert sich und da müssen auch die Verlage was machen, trotzdem muss man immer das Zielpublikum ganz stark im Auge haben. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt unbedingt eine Biografie über Madonna machen müssten."
Aber der Biografienbereich ist thematisch noch längst nicht abgedeckt, meint Barbara Gelberg.
"Es sind Trends, die man einfach merkt, aus den Medien, Figuren die im Gespräch sind oder das man sich zur Zeit z.B damit auseinandersetzt und überlegt, was gibt es denn an bekannten Personen aus China. China ist das Land, es wird einen großen Einfluss auf Europa haben. Wie kann ich mich dem Land nähern, was gibt es da für Figuren? Wir sind am überlegen, was ist mit interessanten japanischen Figuren, was gar nicht so einfach ist. "
Eine Marktlücke für den sehr jungen Leser ist offenbar die Hardcover-Biografie. Das hat die Autorin Katrin Hahnemann erkannt und sich mit einem fertigen Manuskript an den Berliner Bloomsbury Verlag gewandt. Kurzerhand entstand die Idee zur neuen Biografienreihe: "Wer ist das?" für Kinder ab 8 Jahren. Vorbilder, mit denen sich junge Leser identifizieren und auseinandersetzen können, sollen in dieser Reihe vorgestellt werden: Albert Schweitzer, Marco Polo oder Abraham Lincoln. ( Musik kurz) In ihrem ersten Buch erzählt Katrin Hahnemann von "Mahatma Gandhi".
"Er war ein Kämpfer für Freiheit und gegen Gewalt und das finde ich, ist für Kinder heutzutage unheimlich wichtig. Dass sie nämlich zwischen Pisa-Schock und der Diskussion über Jugendkriminalität entdecken, es gibt eine Möglichkeit sich durchzusetzen, ohne dass man deswegen Gewalt ausübt. Und da finde ich, ist Ghandi unheimlich konkret und da bietet er Wege an, die auch Kinder schon verstehen können und gerade auch in dem Alter schon verstehen können."
Gandhi wird aber nicht als überragende Lichtgestalt dargestellt, sondern als Mensch in seiner Zeit.
Nachdem Gandhi drei Jahre lang studiert hat, besteht er 1891 seine Anwaltsprüfung. Schon am nächsten Tag fährt er zurück nach Indien. Er bringt einen starken Glauben an die englische Demokratie und die vornehmen Sitten und Gebräuche der Engländer mit nach Hause. Es wird viele Jahre dauern, bis dieser Glauben erschüttert wird und Gandhi zu den Sitten seines eigenen Landes zurückkehrt.
"Es gibt keine fiktiven Gespräche und es ist eine reine Erzählung und deswegen habe ich auch umfangreich recherchiert, weil es schon mein Anliegen war, wirklich da ein wahres Bild zu vermitteln und auch wenn es sie denn gibt, kritische Punkte einzuarbeiten. Um Kindern auch - weg von dieser Heldenverehrung - ein realistisches Bild zu vermitteln. Gandhi hatte auch Probleme. Er hat sich mit seinem erstgeborenen Sohn nicht so gut verstanden und hat den auch auf eine Art und Weise abgelehnt, die man durchaus kritisieren kann. "
Katrin Hahnemann stellt ganz bewusst die Nähe zur mündlichen Erzählsituation her, indem sie ihren kindlichen Leser direkt anspricht.
Als Kind fürchtet Gandhi sich oft. Und zwar vor ähnlichen Dingen wie ihr vielleicht auch. Vor Schlangen, vor Dieben, vor der Dunkelheit und vor Gespenstern. Später, als er erwachsen ist, ist er der mutigste Mensch, den man sich nur vorstellen kann. Er hat vor nichts ANGST, nicht einmal vor Gewalt oder vor dem Tod.
Stellenweise fordert die Autorin zum Innehalten auf. Fragt, was der Leser zum Beispiel zum Thema Diskriminierung denkt? Ob er sich vorstellen kann, auf Essen oder Komfort zu verzichten und knüpft so geschickt eine Verbindung zur Gegenwart.
Um den Leser zu erreichen, musste Katrin Hahnemann zum einen auf den Seitenumfang achten und zum anderen sprachlich immer wieder ihren Text verdichten.
"Und ich hab das mindestens ja fünfmal immer wieder umgeschrieben, immer wieder versucht, es noch einfacher zu machen, wieder gewisse Formulierungen, die sich einfach einschleichen, auszutauschen gegen einfachere. Man tut Kindern keinen Gefallen damit und das ist ja ganz oft gerade im Biografiebereich, dass da Formulierungen verwendet werden und man sich fragt warum, warum muss man das so ausdrücken, es geht auch anders, es geht konkreter, es geht direkter und Kinder schalten ganz schnell ab, wenn sie was nicht verstehen."
Aus Erfahrung weiß die Autorin, dass sie Kinder ab 8 Jahren keinen ausführlichen Nachschlageteil am Ende des Buches zumuten kann. Gesellschaftspolitische, religiöse oder geschichtliche Begriffe werden in dem Augenblick erläutert, in dem sie für das Verständnis erforderlich sind.
Nicht nur passiv soll der Widerstand der Inder sein. Nein, aktiv und offen, aber trotzdem gewaltfrei, sollen sie die ungerechten Gesetze der Weißen brechen.
Passiv Widerstand zu leisten heißt, dass man etwas tut, dass man eigentlich nicht tun soll. Aktiver Widerstand hingegen bedeutet, dass man verbotene Dinge tut, um gegen etwas Bestimmtes zu protestieren, ein ungerechtes Gesetz zum Beispiel. Allerdings in Gandhis Sinne trotzdem ohne Gewalt anzuwenden. Und das ist nicht immer leicht.
Gandhi sucht nach einem Namen für diese Form des Widerstands.
Und das funktioniert sehr gut, denn der Erzählfluss wird durch die sepia braun abgesetzten Erläuterungen nicht unterbrochen. Den Text erzählen auf unterhaltsame Weise auch die leicht karikaturhaften Illustrationen von Uwe Mayer weiter, aber auch die zahlreichen Fotos und Karten sind hilfreich. Trotz treffender Vereinfachungen musste Katrin Hahnemann beim Konzipieren des Buches inhaltlich Abstriche machen:
"Ja, sicher, was so das Umfeld angeht oder auch den geschichtlichen Hintergrund von Indien, also den in seiner Komplexität darzustellen, das ist, denke ich, nicht möglich. Was ich weggelassen habe, ist das Thema sexuelle Enthaltsamkeit, weil ich glaube, das Kinder damit noch nicht so viel anfangen können und das so zu erklären, dass Kinder das wirklich verstehen, das fand ich jetzt überflüssig. Manche Dinge sind auch sicher auch zu abstrakt. Ich hab schon versucht, das zu nehmen, was konkret ist. Aber ich glaube, da bietet sich Gandhi auch einfach an, weil er ein sehr konkretes Leben geführt hat. Er hat auch gesagt: Mein Leben ist meine Botschaft. Also er hat jetzt nicht versucht, irgendwelche Ideale oder Konstrukte zu vermitteln, sondern hat wirklich das gelebt, woran er auch geglaubt hat."
Katrin Hahnemann fügt gekonnt alle wichtigen Bausteine zusammen und schafft es, Mahatma Gandhi mit allen seinen Stärken und Schwächen lebendig werden zu lassen. Dabei verliert sie in keinem Moment ihren jungen Leser aus den Augen.
Hauptsache der Text liest sich unterhaltsam, hat sich auf jeden Fall der Arena-Verlag gedacht und für die Reihe "Lebendige Biografien" ab 9 Jahren den italienischen Autor und Illustrator Luca Novelli gewonnen. Konsequent legt er, anders als Katrin Hahnemann, den Schwerpunkt auf die wissenschaftlichen Entdeckungen seiner historischen Persönlichkeiten. Neu im Programm nun "Marie Curie und das Rätsel der Atome". Locker plaudert die erste Nobelpreisträgerin aus ihrem Leben. Dabei wird zwar erzählt, dass Marie und ihr Mann Pierre an der Entdeckung eines neuen chemischen Elements forschen. Doch richtig vorstellbar wird das kaum und die lapidare Zusammenfassung klingt dann so:
Die Entdeckung eines der Elemente, aus denen sich das Universum zusammensetzt, ist keine alltägliche Sache und deshalb gibt Pierre seine eigene Arbeit auf, um mich zu unterstützen. Leicht ist es nicht: Wir müssen hunderte Reaktionen durchführen und die entstehenden Stoffe voneinander trennen. Dann endlich, im Juli 1898, weiß ich mit Sicherheit, dass ich die Entdeckung eines neuen Elements verkünden kann.
Luca Novelli kombiniert die fiktive Ich-Erzählung mit Sachtexten, Fotos, einfachen Skizzen und Kartenmaterial. Mit seinen comicartigen schwarz-weiß Cartoons, die den Kern des Erzählten zum Teil witzig illustrieren, entwirft er zumindest eine Vorstellung von der Zeit, in der die Wissenschaftlerin lebte und arbeitete. Der Autor umschifft komplexe Zusammenhänge und konzentriert sich auf die Erforschung der Radioaktivität. Keine Frage, dass Novelli hier an objektive Grenzen stößt. Die wissenschaftlichen Erläuterungen über chemische und physikalische Reaktionen gehen über die Köpfe der Zielgruppe, die kaum über Vorkenntnisse verfügt, weit hinaus. Zu bezweifeln bleibt, ob diese Biografie den jungen Leser wirklich erreicht.
Große Schriftsteller, deren Werke auch Schulstoff sind, erscheinen jungen Lesern oftmals als undurchsichtig und voller Rätsel. Biografische Romane können da helfen, sich suksessive einem schwierigen Autor anzunähern. Gerd Schneider hat sich für seinen Roman "Kafkas Puppe" als Handlungzentrum eine belegte Episode aus Franz Kafkas Leben ausgewählt. Dora Diamant, Kafkas letzte Lebensgefährtin in Berlin, berichtete in einem Brief davon. Kafka ging gern im Steglitzer Park spazieren. An einem warmen Oktobertag traf er ein kleines Mädchen, dass seine Puppe verloren hatte. Um es zu trösten, schreibt er dem Kind Briefe. Hier setzt der Roman ein. Der Frühpensionär und schwerkranke Kafka erfindet für Lenas Puppe Mira eine Reisegeschichte. Diese Briefe hat Kafka am Beginn der 20er Jahre auch wirklich geschrieben, allerdings sind sie nicht mehr auffindbar. Gerd Schneider musste sich nun diese Texte an das Kind ausdenken und wusste, Kafka konnte er nicht imitieren, sondern ihm höchstens über die Schulter schauen.
"Es bot sich an, Motive aus den vielen phantastischen oder auf den ersten Blick phantastischen Werken zu nehmen, z.B die singenden Wölfe, die singende Hunde sind, es tauchen viele Tiere in seinen Erzählungen auf, auch aus dem Zirkusmilieu sind Erzählungen, wie man weiß, ob es der Hungerkünstler oder Erstes Leid, selbst über Don Quijote hat er geschrieben, eine Erzählung, die ich dann hier auch verwende. "
Der dicke Sancho, so war sein Name, erzählte, wie Don Quijote, so hieß der Dünne auf der Schindmähre, die verrücktesten Sachen anstellte. Wie er etwa mit seiner Lanze auf eine Herde Schafe oder auf ein paar Windmühlen losgegangen war. Während Sancho mit mir sprach, hatte sich der dünne Ritter immer weiter entfernt und war am Horizont verschwunden....
Ja, die Puppe hat schon allerhand merkwürdige Wesen getroffen auf ihrer Reise. "Was hat der auf dem Kopf?"
"Einen Helm."
Lena lacht:"Das sieht eher aus wie ein Kochtopf. Warum ist Mira nicht mit ihm gegangen?"
"Vielleicht waren ihr beide nicht geheuer."
"Oder sie waren nicht echt?"
"Wie meinst du das?"
"Sie hat nur davon geträumt."
" Und dann ist es nicht echt?" Lena überlegt. "Doch. Alles ist echt. Auch die Geschichten und das, was ich träumte."
Dem totkranken Mann gefällt diese Idee, für eine Puppe eine verwegene Lebensgeschichte zu erfinden. Sehr bald vermisst Lena ihre Mira nicht mehr. Die Abenteuer in Briefen entwickeln zunehmend eine Eigenleben. Zeitgleich reflektiert Kafka aber auch Vergangenes, sein Verhältnis zum Vater, seine Arbeit als Jurist und Prager Versicherungsangestellter, seine Erfolglosigkeit.
Er spricht in letzter Zeit öfter über sein Schreiben und wie nutzlos alles ist. Dora hat in den letzten Tagen einige Erzählungen von ihm gelesen, darunter "Die Verwandlung", eine seiner ersten Veröffentlichungen. Ob es nötig sei, einen armen Handlungsreisenden in einen Käfer zu verwandeln, hatte sie ihn gefragt. Das hat ihr Angst gemacht. Sie will nichts wissen von Unglücklichen, die sich in Ungeziefer verwandeln, von jungen Menschen, die sich, von unheimlichen Kräften verfolgt und getrieben, in den Tod stürzen, weil der arme kranke Vater sie dazu verurteilt hat; oder von Sträflingen, denen eine Egge das Urteil blutig in den Rücken schreibt.
"Ganz sicher, ich wollte schon biografisch arbeiten. Wenn dieses Buch gelesen ist, dann sollte selbstverständlich nicht nur eine fantasievolle Geschichte mit vielen Einzelerzählungen mit einer Liebe- Dora Kafka - oder das kleine Mädchen und ihr Umfeld und wie sich die Fäden dann am Schluss alle miteinander verknüpfen, sondern es sollte der Leser dann schon wissen, wer war das überhaupt Kafka. "
Gerd Schneider legt, ohne die psychischen Dispositionen Kafkas zu ergründen, eine lebendige Montage aus Fakten und Fiktionen vor. Sein Franz Kafka ist ein empfindsamer Mensch, für den das Schreiben sein Leben ist. So nimmt Gerd Schneider dem Autor mit Tiefgang den Nimbus des düsteren, verschlüsselten und unverständlichen. Und vielleicht weckt er bei dem einen oder anderen Leser ein Interesse an Kafkas Werk.
Lehrreiche Biografien dürfen nicht langweilig sein. Das wissen die Autoren und so kann sich auch nur derjenige behaupten, der bei aller faktentreue lebendig erzählen kann. Die Biografie nimmt ihren Platz zwischen Belletristik und Sachliteratur ein und so erzählen alle vorgestellten Biografien mit unterschiedlichen Schwerpunkten Lebensgeschichten lebensnah und unterbreiten dem Leser auf die eine oder andere Weise ein Dialogangebot, auf das er sich einlassen sollte.
Titelliste:
Maren Gottschalk, Königinnen, Beltz & Gelberg Verlag,
236 Seiten, 16,90 Euro
Katrin Hahnemann: Mahatma Gandhi, Bloomsbury Kinder- & Jugendbuch,
104 Seiten, 12,90 Euro
Luca Novelli: Marie Curie und das Rätsel der Atome", Arena Verlag,
112 Seiten, 7,95 Euro
Gerd Scheider: Kafkas Puppe, Arena Verlag, 224 Seiten, 12,90 Euro