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"Geschichten aus dem Wienerwald" als Auftakt in Salzburg

Die Schweizer Regisseurin Barbara Frey hat mit dem Ensemble des Bayrischen Staatsschauspiels Ödon von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" mit ungeheuer musikalischer Leichtheit in Szene gesetzt. Ihr ist es gelungen, den musikalischen Atem des Stücks aufzunehmen. Herausragend sind dabei die beiden Schauspielerinnen Sunny Melles und Juliane Köhler.

Von Sven Ricklefs |
    Durch diese Löcher lässt sich gut der Kopf hereinstecken, lässt sich ein Pornobildchen auf Schosshöhe herausreichen, lässt sich die Tochter von oben herunter dirigieren. 84 wohlgereihte wohlgerundete Löcher zählt die weiße Stellwand um den weißen leeren Bühnenraum, daneben noch acht Schwingtüren, die schon mal ein Dingdong von sich geben, durch die sich prächtig paradieren lässt – hinein und hinaus auf dem Weg zum Picknick, hinaus und hinein in den Metzgerladen, den Spielwarenladen, den Tabakladen. Und mitten in allem die große Fotolinse, die sich im Rundfächer öffnet und in der dann in Schreibschrift zu lesen steht: Stille Strasse im 8.ten Bezirk, oder: Am nächsten Sonntag im Wiener Wald.

    "Zauberkönig: Diese heutige Zeit ist eine verkehrte Zeit. Ohne Treue, ohne Glauben, ohne sittliche Grundsätze. Alles wackelt. "

    Schon einmal hat die Schweizer Regisseurin Barbara Frey mit dem Ensemble des Bayrischen Staatsschauspiels ein Stück ungeahnt zum Schwingen gebracht und war prompt mit diesem "Onkel Wanja" auch beim Berliner Theatertreffen im letzten Jahr. Nun hat sie mit dem gleichen Ensemble Ödon von Horvaths "Geschichten aus dem Wiener Wald" erneut mit ungeheuer musikalischer Leichtheit in Szene gesetzt, jene ahnungsvoll sezierende Studie gefühlsseliger wie verarmter Wiener Kleinbürgerseelen in präfaschistischer Wetterlage, diese eigentlich so traurige Geschichte von Marianne, der Spielwarenhändlerstochter, die den Metzger nicht will, sich in kitschiger Verklärung in den Hallodri verliebt, und die diesen Schritt hinaus mit dem tiefen Fall hinunter bezahlt, mit Unehelichkeit und Armut, mit Varieteefron und Gefängnis, bevor sie wieder und diesmal unausweichlich in den Armen des Metzgers landet.

    "Marianne: Lieber Gott, ich bin im achten Bezirk geboren und hab die Bürgerschule besucht, ich bin kein schlechter Mensch – hörst du mich? Was hast du mit mir vor, lieber Gott… ?"

    Es ist ungeheuer faszinierend zu sehen, wie Barbara Frey den musikalischen Atem des Stückes aufgenommen hat, wie sie die fast zersplitternden kleinen Szenen zu binden weiß, wie sie dafür den abstrakten Raum nutzt, wie sie ihre Regieeinfälle zu Motiven verdichtet und durchführt, und zudem: wie sie Schauspieler zu führen weiß, vor allem Frauen wie in diesem Fall Sunny Melles und Juliane Köhler. Die zwei Schauspielerinnen, die insbesondere von männlichen Regisseuren oftmals als Sphinxen verklärt und ins Unerträgliche stilisiert werden, haben hier plötzlich als Opfer männlicher Willkür ebenso wie als Gefühlsduselnde Fallhöhe und zugleich Bodenhaftung.

    "Mathilde: Ja, eine so zarte Seele, in so einem Körper.
    Rittmeister: Ich hab halt den Saturn als Planeten.
    Mathilde: Ja diese Planenten, da hängt man damit zusammen, und kann gar nichts dafür.
    Zauberkönig: Nackerte Weiber. Nackerte Weiber….."

    Und fast würde all dies, dem man so gern zuschaut, über die Tatsache hinwegtäuschen, dass diese Produktion Horvaths harten Blick auf die sich verdichtenden Realität der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts trotzdem merkwürdig schuldig bleibt, dass sich nicht wirklich eine Ahnung von den Abgründen wie von den Lebensschmerzen der Figuren einstellt, was wohl in erster Linie daran liegt, dass die männlichen Figuren allzu sehr als Karikaturen ihrer selbst daherkommen. Da hat der Strizzi schon das Wegschleichen gleichsam als Vorgefühl im Gang, der Metzger lugt naturgemäß aus dem Festtagsanzug wie der Fremdkörper und der Vater outriert wie nur ein losgelassener Lambert Hamel es kann. Und so entlässt diese erste Premiere der diesjährigen Salzburger Festspiele unter ihrem neuen Schauspielleiter Martin Kusej zumindest mit gemischten Gefühlen und hat dennoch eine Qualitätsvorlage geliefert, an denen sich die weiteren durchaus sehr unterschiedlichen Regisseure wie Rene Pollesch, Stephan Kimmig und Martin Kusej selbst werden reiben können.