Wenn der Sinn von Gedenktagen oder -jahren darin besteht, dass nicht nur Bekanntes wiederholt, sondern auch um ein neues Wissen ergänzt wird, dann muss diese Ausstellung wohl als gelungen gelten. Vermutlich werden nämlich viele ihrer Besucher erst hier verstehen, dass wesentliche Teile des Bildgedächtnisses vom Alltag der DDR jenen Fotografinnen und Fotografen zu verdanken ist, die sich gleich nach der Wende in der Agentur Ostkreuz zusammengefunden haben. Viele immer wieder reproduzierte Bilder sind hier wieder zu sehen, und ständig fällt der Begriff der Ikonen, der, wenn er in Bezug auf die DDR nicht so deplaziert wäre, vielleicht sogar angemessen wäre.
Sybille Bergemann, die heute zusammen mit Arno Fischer gern als Nestorin der DDR-Fotokunst gesehen wird, ist noch einmal mit ihrer berühmten Fotoserie aus "Clärchens Ballhaus" von 1978 vertreten, relativ kleinformatigen Bildern aus einem Ost-Berliner Tanzcafé, in dem nicht mehr ganz junge Damen nach noch nicht ganz alten Herren Ausschau halten. In diesen Fotografien ist exemplarisch alles enthalten, was die unabhängige Fotoszene der DDR ausmachte: Diskretion, Poesie, Intimität und Konspiration. Bergemann zeigt wie eine stille, mitfühlende Beobachterin aus der Distanz die einsamen Frauen und Männer an ihren Tischen, ihre scheuen oder ausgelassenen Annäherungsversuche, eine menschliche Gegenwelt zu den offiziellen Doktrinen, die sich in den Halbschatten der dämmrigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen noch einmal abspielt.
Es kann darüber spekuliert werden, ob die berührende Eindringlichkeit dieser Bilder auch dem Umstand zu verdanken ist, dass Bergemann und ihre Kolleginnen und Kollegen ohne Auftrag und am Rand der Gesellschaft operieren mussten und dass sie natürlich unter Beobachtung der Stasi standen. Sie galten als unangepasst, operierten andererseits aber oft genug auch in den offiziellen Sphären und hielten Zugang zu beiden Welten, der staatlich verordneten und der Welt der Außenseiter. Das persönliche Risiko, das sich hinter diesen Aufnahmen verbirgt, verschärfte den intimen Blick und die Dringlichkeit seiner Dokumentation.
Dies muss man sich zu den Bildern auch eines Harald Hauswald hinzudenken, eines weiteren großen Namens der DDR-Alltagsfotografie. Berühmt ist er durch seine Aufnahmen aus der Ost-Berliner Punk-Szene der achtziger Jahre. Diese Bilder konnten nur entstehen, weil sich Hauswald Vertrauen der Außenseiter erworben hatte, die ansonsten allen Grund hatten, sich im Geheimen zu treffen. Werner und Ute Mahler haben viele Klassiker aus dem Leben von Normalbürgern fotografiert, das Zusammenleben in Dörfern und Städten, Kohlegrubenarbeiter oder Studien am Rand von 1. Mai-Demonstrationen.
Werner Mahlers über dreißig Jahre reichende Langzeitstudie zur Entwicklung ehemaliger Mitschüler ist ein eindringliches Werk über die Wechselwirkung von Person und Geschichte. Aus den oft unbekümmert und selbstbewusst dreinblickenden Gesichtern der Heranwachsenden werden mit den Jahren geformte und schließlich gezeichnete Mienen inmitten einer Wohnungseinrichtung, die das Alter des Fotografierten seltsam zuverlässig nachvollzieht.
Ute Mahler hat wiederum, wie auch Sibylle Bergemann oder Harald Hauswald, großen Einfluss auf die DDR-Modefotografie, die seit den 80er-Jahren zum großen Motor eines alternativen Alltagsbewusstseins im Sozialismus wurde und im Gegensatz zur bloßen Gesellschaftsfotografie auch ein immer breiteres Publikum erreichte.
An diese hochinteressanten Geschichten kann gerade in Gedenkjahren wie diesen also nicht genug erinnert werden. Freilich wäre nach 20 Jahren Wiedervereinigung auch die Zeit, die unabhängige DDR-Fotografie einmal systematisch aufzuarbeiten, ihre internen Dialoge und Abgrenzungen, ihre offiziellen Rollenspiele und ihre Vorbilder und Nachahmer. Die Agentur Ostkreuz existiert schließlich weiter. Aber diese Gelegenheit wurde in dieser Ausstellung unverständlicherweise verpasst.
Info:
Ostzeit - Geschichten aus einem vergangenen Land
Fotografie-Ausstellung
mit Fotografien von Sibylle Bergemann, Ute Mahler, Werner Mahler, Harald Hauswald, Maurice Weiss
14.8. - 13.9., Mi - Mo 11 – 19 h
Eröffnung: Donnerstag, 13.08.2009, 19 h
Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro
Sybille Bergemann, die heute zusammen mit Arno Fischer gern als Nestorin der DDR-Fotokunst gesehen wird, ist noch einmal mit ihrer berühmten Fotoserie aus "Clärchens Ballhaus" von 1978 vertreten, relativ kleinformatigen Bildern aus einem Ost-Berliner Tanzcafé, in dem nicht mehr ganz junge Damen nach noch nicht ganz alten Herren Ausschau halten. In diesen Fotografien ist exemplarisch alles enthalten, was die unabhängige Fotoszene der DDR ausmachte: Diskretion, Poesie, Intimität und Konspiration. Bergemann zeigt wie eine stille, mitfühlende Beobachterin aus der Distanz die einsamen Frauen und Männer an ihren Tischen, ihre scheuen oder ausgelassenen Annäherungsversuche, eine menschliche Gegenwelt zu den offiziellen Doktrinen, die sich in den Halbschatten der dämmrigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen noch einmal abspielt.
Es kann darüber spekuliert werden, ob die berührende Eindringlichkeit dieser Bilder auch dem Umstand zu verdanken ist, dass Bergemann und ihre Kolleginnen und Kollegen ohne Auftrag und am Rand der Gesellschaft operieren mussten und dass sie natürlich unter Beobachtung der Stasi standen. Sie galten als unangepasst, operierten andererseits aber oft genug auch in den offiziellen Sphären und hielten Zugang zu beiden Welten, der staatlich verordneten und der Welt der Außenseiter. Das persönliche Risiko, das sich hinter diesen Aufnahmen verbirgt, verschärfte den intimen Blick und die Dringlichkeit seiner Dokumentation.
Dies muss man sich zu den Bildern auch eines Harald Hauswald hinzudenken, eines weiteren großen Namens der DDR-Alltagsfotografie. Berühmt ist er durch seine Aufnahmen aus der Ost-Berliner Punk-Szene der achtziger Jahre. Diese Bilder konnten nur entstehen, weil sich Hauswald Vertrauen der Außenseiter erworben hatte, die ansonsten allen Grund hatten, sich im Geheimen zu treffen. Werner und Ute Mahler haben viele Klassiker aus dem Leben von Normalbürgern fotografiert, das Zusammenleben in Dörfern und Städten, Kohlegrubenarbeiter oder Studien am Rand von 1. Mai-Demonstrationen.
Werner Mahlers über dreißig Jahre reichende Langzeitstudie zur Entwicklung ehemaliger Mitschüler ist ein eindringliches Werk über die Wechselwirkung von Person und Geschichte. Aus den oft unbekümmert und selbstbewusst dreinblickenden Gesichtern der Heranwachsenden werden mit den Jahren geformte und schließlich gezeichnete Mienen inmitten einer Wohnungseinrichtung, die das Alter des Fotografierten seltsam zuverlässig nachvollzieht.
Ute Mahler hat wiederum, wie auch Sibylle Bergemann oder Harald Hauswald, großen Einfluss auf die DDR-Modefotografie, die seit den 80er-Jahren zum großen Motor eines alternativen Alltagsbewusstseins im Sozialismus wurde und im Gegensatz zur bloßen Gesellschaftsfotografie auch ein immer breiteres Publikum erreichte.
An diese hochinteressanten Geschichten kann gerade in Gedenkjahren wie diesen also nicht genug erinnert werden. Freilich wäre nach 20 Jahren Wiedervereinigung auch die Zeit, die unabhängige DDR-Fotografie einmal systematisch aufzuarbeiten, ihre internen Dialoge und Abgrenzungen, ihre offiziellen Rollenspiele und ihre Vorbilder und Nachahmer. Die Agentur Ostkreuz existiert schließlich weiter. Aber diese Gelegenheit wurde in dieser Ausstellung unverständlicherweise verpasst.
Info:
Ostzeit - Geschichten aus einem vergangenen Land
Fotografie-Ausstellung
mit Fotografien von Sibylle Bergemann, Ute Mahler, Werner Mahler, Harald Hauswald, Maurice Weiss
14.8. - 13.9., Mi - Mo 11 – 19 h
Eröffnung: Donnerstag, 13.08.2009, 19 h
Eintritt: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro