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Geschichtspolitik in Kroatien

Im kroatischen Jasenovac betrieben Ustascha-Faschisten 1941-1945 ein großes Konzentrationslager. In diesem "Auschwitz des Balkan" wurden Regimegegner, Roma, Juden, vor allem aber Serben inhaftiert und zum großen Teil ermordet. Nun gibt einen Disput darüber, wie die Gräuel von einst in einer Ausstellung im ehemaligen Lager nun präsentiert werden sollen.

Von Martin Sander | 18.04.2006
    Kilometerweit erstreckt sich das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Jasenovac zwischen der gleichnamigen Ortschaft, einer Landstraße und der Save, dem Grenzfluss zwischen Kroatien und Bosnien. Es ist eine grüne Wiese ohne Zaun. Alles wird dominiert von einem Denkmal, der riesigen Blume aus Beton, die der serbische Bildhauer und Architekt Bogdan Bogdanović 1968 errichtet hat. Am Rande steht ein unscheinbarer, ebenfalls aus den Zeiten Titos stammender Komplex, das Museum, das seit den Jugoslawien-Kriegen der neunziger Jahre für Besucher geschlossen ist. Damals kamen die Exponate der Gedenkstätte zunächst in die Hände der bosnischen Serben, dann gelangten sie ins Holocaust-Museum nach Washington, um Ende 2001 nach Jasenovac zurückzukehren. Seither wird an einer neuen, wie die Autorinnen meinen, zeitgerechten Ausstellung über das KZ Jasenovac gearbeitet. Kern des Konzepts sind Glastafeln mit Vor- und Zunamen von 70.000 namentlich bekannten Ermordeten. Diese Glastafeln sollen, lamellenförmig angeordnet, von der Decke des Museums hängen, nur knapp über den Köpfen der Besucher. Für diese Idee ist die Kunsthistorikerin Leonida Kovač aus Zagreb verantwortlich.

    " Bisher waren die Jasenovac-Ausstellungen immer Denkmäler des Verbrechens. Man hat tote Körper ausgestellt, man hat Waffen gezeigt. In meiner Arbeit hingegen sind die Namen der Opfer, Vor- und Zunamen der Menschen, die dort getötet wurden, das wichtigste Exponat. Die andere Sache, auf der ich bestanden habe, sind Videoaufzeichnungen mit Zeugnissen von Überlebenden. "

    "Individualisierung der Opfer" lautet das Stichwort für dieses Konzept. Dafür ist neben Leonida Kovač die derzeitige Gedenkstättenleiterin Nataša Jovičić verantwortlich. Anregungen hat man sich in Yad Vashem und im Holocaust-Museum in Washington geholt. Die Opfer sollen durch Namen und Fotos aus ihrem Leben vor der Deportation - als Menschen mit Lebensgeschichten in Erinnerung gebracht werden. Damit will man ein Kontrastprogramm zur Museumspädagogik der Tito-Zeit etablieren, als vor allem Bilder von Leichenbergen gezeigt wurden. Die alte Ausstellung hätte, sagen die Autorinnen des neuen Konzepts, weniger zum Verständnis der Verbrechen beigetragen, als vielmehr Rachegefühle unter den Nachfahren der größten Opfergruppe provoziert: den Serben. In der Tat haben vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag serbische Angeklagte ihre Taten unter anderem damit berechtigt, sie hätten die serbischen Jasenovac-Opfer rächen beziehungsweise ein neues Jasenovac verhindern wollen.

    Das neue Konzept hat allerdings auch Kritiker. Zorica Stipetić ist die Vorsitzende des Rats von Jasenovac, einem Aufsichtsgremium, in dem die Opferverbände organisiert sind.

    " Es ist absolut notwendig, das Individuum in seiner ganzen Tragik zu zeigen. Aber dieses Individuum kam als Angehöriger eines Kollektivs, einer Nation um. Und das muss hier in dieser Situation klar sein. "

    Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen die Gestaltung der Glastafeln, die die Opfer benennen, aber ihre Nationszugehörigkeit nicht enthalten. Somit werde der Genozid an den Serben, der eindeutig größten Opfergruppe, nicht deutlich genug herausgestellt. Der Publizist und Verleger Slavko Goldstein ist prominentes Mitglied der jüdischen Gemeinde Kroatiens, der das Projekt schon mehrfach kritisiert hat:

    " In Israel, in Amerika den Leuten ist ganz klar, was Holocaust war. Hier aber ist das Bild, historisches Bild von Jasenovac nicht ganz klar in den kroatischen Publikum. Besonders in diesem Lande, in dem nicht nur verschiedene Nationalitäten, sondern auch aus verschiedenen Gründen gebracht nach Jasenovac: Serben als Serben, Kroaten als politische Gegner des Regimes, Juden, ganz etwas anderes, unter dem Einfluss der antisemitischen Politik des Dritten Reiches. Serben nur durch die Politik der Ustascha, weil weder die Deutschen noch die Italiener verlangten, man soll Serben töten, aber die Deutschen haben verlangt, dass man Juden tötet. Also verschiedene Gründe. Man muss ein klares Bild über Jasenovac haben, was Jasenovac war. Und das ist die Funktion der Ausstellung. "

    Inzwischen haben die Ausstellungsmacherinnen einige Vorschläge ihrer Kritiker aufgegriffen und historische Präzisierungen eingeführt. Der Kern der Ausstellung aber, die Glastafeln mit den Namen ohne Angabe der Nationalität, sollen unverändert bleiben. Wegen des Streits um die Ausstellung findet ihre Eröffnung nicht, wie geplant, in diesen Tagen statt, sondern wahrscheinlich erst im Herbst, frühestens.