Sabine Grenz ist Sozialwissenschaftlerin und eine von 25 Kollegiatinnen und Kollegiaten des Graduiertenkollegs "Geschlecht als Wissenskategorie" an der Berliner Humboldt-Universität.
" Man muss sagen, dass das in Deutschland noch immer selten ist, dass so ein richtiger Pool von Leuten zusammen kommt, die sich auf diesen Bereich spezialisieren. Das ist immer noch ein marginal entwickeltes Feld und es gibt immer noch Widerstände dagegen, dass es sich entwickelt. Von daher ist das eine unglaublich tolle Gelegenheit, dass man aus ganz verschiedenen fachlichen Hintergründen, dass man sich austauscht über Fragen, die genau mit dem Geschlecht als Wissenskategorie zu tun haben. "
Die Postdoktorandin untersucht die Tabuisierung von Geschlecht in unserer Erinnerung an den zweiten Weltkrieg.
" Bei der Ausstellung Flucht und Vertreibung wurde interveniert, die Vergewaltigung von Frauen mit aufzunehmen. Das geschieht immer mit dem Diktum, dass Frauen unschuldig sind. Frauen sind immer nur die Opfer. Und gerade am 2. Weltkrieg lässt sich ganz extrem zeigen, wie Front und Heimatfront nicht voneinander getrennt werden können, sondern die Heimatfront war am Krieg beteiligt. "
Um das zu belegen, nahm sich Sabine Grenz die Tagebücher von Soldatenfrauen vor. Geschrieben wurden sie zum Kriegsende bzw. nach der Kapitulation. Und dennoch entrüsten sich die Tagebuchschreiberinnen über andere Frauen, die sich mit den Alliierten einließen und prostituierten. Das sei nicht richtig, heißt es, oder das sei eine Schande für die Nation. Ungebrochen vertraten die Frauen die Naziideologie. Dass sie mit dieser Haltung das Hitlerregime trugen und stabilisierten, wurde bisher verschwiegen.
" Die Kriegerfrau im zweiten Weltkrieg hatte natürlich einen Arier -Nachweis zu machen, weil es war sonst nicht erlaubt, einen Soldaten zu heiraten. D.h. in gewisser Weise mussten die alle mit dem System zusammen arbeiten, ob sie wollten oder nicht und wenn der Mann an der Front war und sie wollten nicht arbeiten, mussten sie sich entsprechend verhalten, weil sie finanziell versorgt wurden. D.h. aber auch, dass das Rasseideal des NS, nicht nur ein biologisches Rasseideal war, sondern eines, was sich auf das Verhalten, auf den Charakter von Menschen bezogen hat. Und das spiegelt sich in ihren Aussagen über die Prostitution, wenn andere Frauen beobachtet werden, die ja auch Soldatenfrauen sind. Da ist zwar auch schon die Kapitulation gewesen, d.h. die behördliche Kontrolle hat es gar nicht mehr gegeben. Aber das Wissen darum, wie eine ehrbare Frau eines Soldaten zu sein hat, das war immer noch da. "
Auf ihrem Workshop präsentierten Mathematikerinnen und Religionswissenschaftlerinnen, Psychologinnen und Kunstwissenschaftlerinnen, Soziologinnen und Ethnologinnen, welchen "Willen zum Wissen" es in ihren Disziplinen gibt, wenn es um das Geschlecht geht und was nicht gesagt, skandalisiert oder einfach eingeschlossen wird. Beispielsweise geht die deutsche Politikwissenschaft noch immer vom Parlament als einer geschlechtsneutralen Institution aus. Dabei übersieht sie, dass dort lange Zeit Männer die Rollen und Gewohnheiten bestimmten und damit die Parlamentskultur prägten. Der müssen sich heute - trotz formeller Gleichstellung der Geschlechter - auch Frauen unterwerfen, ohne dass dies von der Wissenschaft und der Politik ausreichend reflektiert wird. So sind die informellen Netzwerke des deutschen Bundestages an einen männlichen, nicht durch Kinder und Familie begrenzten Tagesablauf orientiert und stoßen Frauen in der Politik auch an die aus Unternehmen bekannte "gläserne Decke" männlicher Kommunikationsstrukturen. Diesen Problemen stellt sich das Kolleg "Geschlecht als Wissenskategorie".
" Wissen entsteht nicht nur durch tapfere Frauen und Männer, die nächtens im Labor stehen, um etwas Neues zu entdecken. Sondern Wissen entsteht in sehr konkreten Situationen, in kulturellen Settings und da spielt Geschlecht als Größe wie als Kategorie natürlich eine nicht unerhebliche Rolle. "
Volker Hess ist Professor für Medizingeschichte an der Charité und 2. Sprecher des Graduiertenkollegs. Aus seinem Fach verweist er auf eine Doktorarbeit, die analysiert, wie Gynäkologen im 20. Jahrhunderten den Geburtsvorgang verstanden. Sie zeigt, wie männliche Vorstellungen die Lehrmeinung beherrschten. Hess:
" Bis hin zu solchen abstrusen Situationen, dass ein Gynäkologe ein überlebensgroßes Modell des Geburtskanals gebaut hat, wo er seine Assistenten durchgeschickt hat, um die Mechanik des Geburtsvorganges zu erforschen. Das wäre nur kurios, wenn nicht gleichzeitig, diese Art der Rekonstruktion des Gebärens, eines Objekt des Wissens, nicht gleichzeitig verbunden wäre mit der Reproduktion von wissenschaftlichen Nachwuchs, weil die Assistenten, die durch diese Maschine geschleust werden, es als Teil ihres medizinischen Sozialisation, ihrer wissenschaftlichen Ausbildung begreifen, die das einbauen, wenn sie dort stecken bleiben, als Versagen, gegenüber ihrem Chef usw. "
Mit diesem Wissen wurden Generationen von Mediziner ausgebildet und die Frauen bei der Geburt begleiteten und oft bevormundeten - ohne darüber nachzudenken, woher bestimmte befremdliche Haltungen stammten.
In den Kultur- und Geisteswissenschaften gehört es längst zum guten Ton, sich solchen Fragen zu stellen. Anders allerdings sieht es noch immer in der Philosophie, in den Naturwissenschaften und auch in der Medizin aus, meint Professor Hess.
" Die modernen Naturwissenschaften machen ja gerne das Wissen, was sie repräsentieren, objektiv fest. Objektiv heißt neutral und geschlechtslos. Was die Geschlechterforschung der letzen Jahre gezeigt hat, dass diese Objektivitätsvorstellungen selber, in ihrer Konstruktion wiederum sehr mit ich will nicht sagen männlichen Vorstellungen, aber Attributen gekoppelt ist bei der historischen Genese, die etwas zu tun haben mit männlicher Wissenschaft. "
Der Medizinhistoriker selbst beschäftigt sich mit den Selbstversuchen von Alexander von Humboldt zur animalischen Elektrizität, mit denen er an der Wende zum 19. Jahrhundert ein neues Verständnis von Experimenten entwickelte. Dabei legte sich der Universalgelehrte in romantischen Klubs mit Freunden Voltabatterien an den eigenen Körper an, war zugleich Messinstrument und Messgegenstand. Schaut man sich solche Experimente und Untersuchungen genauer an, bemerkt man, wie sich die Vorstellungen der Wissenschaftler über ihren Körper und ihren Umgang miteinander in ihre Erkenntnisse einschlichen und oft unser Wissen bis heute bestimmen. Indem solche geschlechtlichen Codierungen offen gelegt werden, erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse für die Mathematik und die Kunst, die Politik und die Geschichte:
" Das ist zunächst eine Verunsicherung, weil es untergräbt bestimmte Positionen, wenn man die Objektivitäten wissenschaftlichen Wissens in Frage stellt. Auf der anderen Seite sehe ich den Gewinn darin, dass Möglichkeitsräume aufgemacht werden, dass man noch einmal genauer schauen kann, in welcher Weise das, was wir objektiv nennen historisch wie kulturell entfaltet und wirkmächtig wird. D.h. es eröffnet uns auch die Möglichkeit mit diesem, ich will jetzt nicht missverstanden werden, mit diesem Totalitätsanspruch von Objektivität besser umzugehen. "
" Man muss sagen, dass das in Deutschland noch immer selten ist, dass so ein richtiger Pool von Leuten zusammen kommt, die sich auf diesen Bereich spezialisieren. Das ist immer noch ein marginal entwickeltes Feld und es gibt immer noch Widerstände dagegen, dass es sich entwickelt. Von daher ist das eine unglaublich tolle Gelegenheit, dass man aus ganz verschiedenen fachlichen Hintergründen, dass man sich austauscht über Fragen, die genau mit dem Geschlecht als Wissenskategorie zu tun haben. "
Die Postdoktorandin untersucht die Tabuisierung von Geschlecht in unserer Erinnerung an den zweiten Weltkrieg.
" Bei der Ausstellung Flucht und Vertreibung wurde interveniert, die Vergewaltigung von Frauen mit aufzunehmen. Das geschieht immer mit dem Diktum, dass Frauen unschuldig sind. Frauen sind immer nur die Opfer. Und gerade am 2. Weltkrieg lässt sich ganz extrem zeigen, wie Front und Heimatfront nicht voneinander getrennt werden können, sondern die Heimatfront war am Krieg beteiligt. "
Um das zu belegen, nahm sich Sabine Grenz die Tagebücher von Soldatenfrauen vor. Geschrieben wurden sie zum Kriegsende bzw. nach der Kapitulation. Und dennoch entrüsten sich die Tagebuchschreiberinnen über andere Frauen, die sich mit den Alliierten einließen und prostituierten. Das sei nicht richtig, heißt es, oder das sei eine Schande für die Nation. Ungebrochen vertraten die Frauen die Naziideologie. Dass sie mit dieser Haltung das Hitlerregime trugen und stabilisierten, wurde bisher verschwiegen.
" Die Kriegerfrau im zweiten Weltkrieg hatte natürlich einen Arier -Nachweis zu machen, weil es war sonst nicht erlaubt, einen Soldaten zu heiraten. D.h. in gewisser Weise mussten die alle mit dem System zusammen arbeiten, ob sie wollten oder nicht und wenn der Mann an der Front war und sie wollten nicht arbeiten, mussten sie sich entsprechend verhalten, weil sie finanziell versorgt wurden. D.h. aber auch, dass das Rasseideal des NS, nicht nur ein biologisches Rasseideal war, sondern eines, was sich auf das Verhalten, auf den Charakter von Menschen bezogen hat. Und das spiegelt sich in ihren Aussagen über die Prostitution, wenn andere Frauen beobachtet werden, die ja auch Soldatenfrauen sind. Da ist zwar auch schon die Kapitulation gewesen, d.h. die behördliche Kontrolle hat es gar nicht mehr gegeben. Aber das Wissen darum, wie eine ehrbare Frau eines Soldaten zu sein hat, das war immer noch da. "
Auf ihrem Workshop präsentierten Mathematikerinnen und Religionswissenschaftlerinnen, Psychologinnen und Kunstwissenschaftlerinnen, Soziologinnen und Ethnologinnen, welchen "Willen zum Wissen" es in ihren Disziplinen gibt, wenn es um das Geschlecht geht und was nicht gesagt, skandalisiert oder einfach eingeschlossen wird. Beispielsweise geht die deutsche Politikwissenschaft noch immer vom Parlament als einer geschlechtsneutralen Institution aus. Dabei übersieht sie, dass dort lange Zeit Männer die Rollen und Gewohnheiten bestimmten und damit die Parlamentskultur prägten. Der müssen sich heute - trotz formeller Gleichstellung der Geschlechter - auch Frauen unterwerfen, ohne dass dies von der Wissenschaft und der Politik ausreichend reflektiert wird. So sind die informellen Netzwerke des deutschen Bundestages an einen männlichen, nicht durch Kinder und Familie begrenzten Tagesablauf orientiert und stoßen Frauen in der Politik auch an die aus Unternehmen bekannte "gläserne Decke" männlicher Kommunikationsstrukturen. Diesen Problemen stellt sich das Kolleg "Geschlecht als Wissenskategorie".
" Wissen entsteht nicht nur durch tapfere Frauen und Männer, die nächtens im Labor stehen, um etwas Neues zu entdecken. Sondern Wissen entsteht in sehr konkreten Situationen, in kulturellen Settings und da spielt Geschlecht als Größe wie als Kategorie natürlich eine nicht unerhebliche Rolle. "
Volker Hess ist Professor für Medizingeschichte an der Charité und 2. Sprecher des Graduiertenkollegs. Aus seinem Fach verweist er auf eine Doktorarbeit, die analysiert, wie Gynäkologen im 20. Jahrhunderten den Geburtsvorgang verstanden. Sie zeigt, wie männliche Vorstellungen die Lehrmeinung beherrschten. Hess:
" Bis hin zu solchen abstrusen Situationen, dass ein Gynäkologe ein überlebensgroßes Modell des Geburtskanals gebaut hat, wo er seine Assistenten durchgeschickt hat, um die Mechanik des Geburtsvorganges zu erforschen. Das wäre nur kurios, wenn nicht gleichzeitig, diese Art der Rekonstruktion des Gebärens, eines Objekt des Wissens, nicht gleichzeitig verbunden wäre mit der Reproduktion von wissenschaftlichen Nachwuchs, weil die Assistenten, die durch diese Maschine geschleust werden, es als Teil ihres medizinischen Sozialisation, ihrer wissenschaftlichen Ausbildung begreifen, die das einbauen, wenn sie dort stecken bleiben, als Versagen, gegenüber ihrem Chef usw. "
Mit diesem Wissen wurden Generationen von Mediziner ausgebildet und die Frauen bei der Geburt begleiteten und oft bevormundeten - ohne darüber nachzudenken, woher bestimmte befremdliche Haltungen stammten.
In den Kultur- und Geisteswissenschaften gehört es längst zum guten Ton, sich solchen Fragen zu stellen. Anders allerdings sieht es noch immer in der Philosophie, in den Naturwissenschaften und auch in der Medizin aus, meint Professor Hess.
" Die modernen Naturwissenschaften machen ja gerne das Wissen, was sie repräsentieren, objektiv fest. Objektiv heißt neutral und geschlechtslos. Was die Geschlechterforschung der letzen Jahre gezeigt hat, dass diese Objektivitätsvorstellungen selber, in ihrer Konstruktion wiederum sehr mit ich will nicht sagen männlichen Vorstellungen, aber Attributen gekoppelt ist bei der historischen Genese, die etwas zu tun haben mit männlicher Wissenschaft. "
Der Medizinhistoriker selbst beschäftigt sich mit den Selbstversuchen von Alexander von Humboldt zur animalischen Elektrizität, mit denen er an der Wende zum 19. Jahrhundert ein neues Verständnis von Experimenten entwickelte. Dabei legte sich der Universalgelehrte in romantischen Klubs mit Freunden Voltabatterien an den eigenen Körper an, war zugleich Messinstrument und Messgegenstand. Schaut man sich solche Experimente und Untersuchungen genauer an, bemerkt man, wie sich die Vorstellungen der Wissenschaftler über ihren Körper und ihren Umgang miteinander in ihre Erkenntnisse einschlichen und oft unser Wissen bis heute bestimmen. Indem solche geschlechtlichen Codierungen offen gelegt werden, erhoffen sich die Wissenschaftler neue Erkenntnisse für die Mathematik und die Kunst, die Politik und die Geschichte:
" Das ist zunächst eine Verunsicherung, weil es untergräbt bestimmte Positionen, wenn man die Objektivitäten wissenschaftlichen Wissens in Frage stellt. Auf der anderen Seite sehe ich den Gewinn darin, dass Möglichkeitsräume aufgemacht werden, dass man noch einmal genauer schauen kann, in welcher Weise das, was wir objektiv nennen historisch wie kulturell entfaltet und wirkmächtig wird. D.h. es eröffnet uns auch die Möglichkeit mit diesem, ich will jetzt nicht missverstanden werden, mit diesem Totalitätsanspruch von Objektivität besser umzugehen. "