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Geschlechterfrage
Neue Diskussionen um Caster Semenya

Frauen und Männer – die Unterscheidung in zwei Geschlechter klingt einfach. Aber es gibt auch Menschen, die weder in die eine Kategorie passen, noch in die andere. Sie sind intersexuell. Und der Sport hat immer noch keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie er mit diesen Menschen umgehen soll. Es scheint, als könnte es wieder die südafrikanische 800-Meter Läuferin Caster Semenya sein, die darunter leiden muss.

von Andrea Schültke |
    Caster Semenya bei der Leichtathletik-WM 2015 schaut grimmig
    Caster Semenya bei der Leichtathletik-WM 2015 (imago)
    22.März , ein Leichtathletik-Meeting in Kapstadt, Südafrika. Ex-Weltmeisterin Caster Semenya läuft mit 2:00,23 Weltjahresbestzeit über 800 Meter. Und das scheinbar spielerisch leicht: "She’s jogging, it seems like Caster Semenya is jogging", befand der Reporter damals und tatsächlich zeigt das Video eine große, sehr muskulöse Sportlerin, die locker und leicht über die Tartanbahn trabt, die Konkurrenz weit abgeschlagen.
    Drei Wochen später erklärte sie in einem Interview mit dem südafrikanischen Fernsehsender SABC. "Darauf will ich nicht bauen sondern hart arbeiten und die Zweiminuten-Schallmauer knacken." Das war kurz nach dem Interview schon passiert. Bei den nationalen Meisterschaften in Stellenbosch schrieb die 25jährige vergangene Woche Sportgeschichte: Innerhalb von nur vier Stunden gewann sie die nationalen Titel über 400, 800 und 1500 Meter. Über 400 und 800 in Weltjahresbestzeit
    Und das erneut in einer Art und Weise, dass Experten neue Weltrekorde über 400 und 800 Meter für möglich halten. Beides Rekorde aus Hochdopingzeiten, mehr als 30 Jahre alt. Der über 400 Meter zum Beispiel stammt von DDR-Läuferin Marita Koch aus dem Jahr 1985 und ist ebenso umstritten wie fabelhaft.
    noch immer irritierend
    Auf die Frage, warum sie so schnell ist, antwortete Caster Semenya dem Moderator von SABC: "Durch harte Arbeit. Es kommt auf die Basis an. Wir haben hart gearbeitet und sind auf dem richtigen Weg. Es ist fantastisch." Wird es auch so bleiben? Caster Semenyas Erscheinung irritiert immer noch. Ihre Muskeln, ihre maskulinen Gesichtszüge, die tiefe Stimme. Erinnerungen an 2009 werden wach. Als die damals 18jährige in Berlin Weltmeisterin wurde über 800 Meter.
    Zweifel tauchten auf an ihrem Geschlecht. Ihr Innerstes wurde nach außen gekehrt und öffentlich diskutiert. Später machte eine australische Zeitung bekannt: Caster Semenya habe männliche und weibliche Geschlechtsorgane. Sie sei demnach intersexuell.
    Der Sport aber kennt nur die Kategorie männlich oder weiblich. Ein Dazwischen gibt es nicht, die Menschen schon. Aber die Sportgeschichte schreibt auch von Männern, die sich in die Frauenkonkurrenz einschlichen um zu gewinnen. Daher wurden in den 60er Jahren die sogenannten Geschlechtstests eingeführt. Ex-Diskus-Weltrekordlerin Liesel Westermann erinnert sich an ihren ersten 1966: Die Sportlerinnen mussten nackt hin und her gehen, erzählte sie 2009 dem WDR: "Ich sehe das noch als dunklen Raum vor mir und da standen weiß bekittelte Personen, die ich nicht kannte und die guckten ganz kritisch, furchtbar, ganz furchtbar. ...man kriegte dann, ich möchte fast sagen wie bei der Trichinenschau einen Stempel aufn Hintern gedrückt. In diesem Fall war es ein Dokument mit dem man starten durfte, weil dort dem Augenschein nach es sich um Frauen handelte." Die Olympischen Spiele von Sydney waren die ersten ohne die Pflicht zum Geschlechtstest. Erst bei Zweifeln wird im Nachhinein untersucht.
    Schlüsselrolle für das Testosteron
    Die Kategorien heißen männlich und weiblich. Was nicht passend ist, muss passend gemacht werden – und ist wohl immer ungerecht. Eine Schlüsselrolle kommt hier dem Testosteron zu. Dem männlichen Sexualhormon. Von außen zugeführt ist das Doping. Ein natürlich erhöhter Testosteronlevel ist – ein Problem. Frauen mit erhöhtem Testosteronwert sind im Leistungssport 140 mal so häufig wie im Durchschnitt der weiblichen Bevölkerung, sagen Studien.
    Bis heute gibt es allerdings keine belastbare Antwort auf die Frage, ob ein natürlich erhöhter Testosteronwert einer Athletin tatsächlich einen so starken Vorteil bringt, erklärt Sportjuristin Anne Jakob. Und deshalb hat der Internationale Sportgerichtshof CAS im vergangenen Sommer eine Entscheidung darüber vertagt, bis eindeutige Studien dazu vorliegen. Geklagt hatte eine indische Sprinterin. Die durfte aufgrund eines natürlich erhöhten Testosteronwertes, in der Fachsprache Hyperandrogenismus, nicht in der Frauenkonkurrenz starten. Sollte hormonsenkende Mittel nehmen, um einen festgelegten Testosteron-Grenzwert zu erreichen und in die Kategorie "weiblich" zu passen. Sie lehnte ab und zog vor den CAS. Der setzte das Regelwerk zwei Jahre aus. Das Internationale Olympische Komitee will aber daran festhalten., Vor Rio soll es Regeln geben, die einen fairen Wettbewerb sicherstellen. Wer nicht in der Frauenkonkurrenz starten könne, sei bei den Männern startberechtigt.
    Klare verbindliche Regeln sehen anders aus. Und damit sind wir wieder bei Caster Semenya. Ihre Vorstellung vor einer Woche war beeindruckend. Drei Siege im Joggingschritt zwei davon in Weltjahresbestzeit – 100 Tage vor den Olympischen Spielen. Sie sagt: "Ich kann nichts vorhersagen. Aber ich werde gut in Form sein, warum sollte ich nicht um Gold laufen?" Zweimal Gold für Caster Semenya – das scheint momentan durchaus realistisch. Aber darf sie in der Frauenkonkurrenz starten? Diese Frage hat das IOC zu klären. Und wieder wird am Beispiel Caster Semenya ein hoch kompliziertes Thema diskutiert. In Rio vor der Weltöffentlichkeit. Und wieder könnte es nur Verlierer geben.
    Den vollständigen Beitrag können Sie bis mindestens 24. Oktober 2016 in unserer Mediathek nachhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.