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Geschlechterrollen im Wandel

An den Anblick von Frauen in Polizeiuniform hat man sich im bundesdeutschen Alltag inzwischen gewöhnt. Ist es nur eine Veränderung an der Oberfläche oder haben sich unsere Ordnungshüter tatsächlich gewandelt. Die Sozialwissenschaftlerin Waltraud Müller-Franke ist in einer umfassenden Forschungsstudie der Frage nachgegangen: "Spielt das Geschlecht eine Rolle bei der Polizei und wenn ja, welche?"

Von Peter Leusch |
    Polizeisirene

    Waltraud Müller-Franke: "Wir sehen häufig Männer und Frauen auf Streife - es ist ein recht beliebtes Auftreten - auch argumentativ: Man sagt, wenn man gemischt auf Streife geht, dann ist man für alle alltagspraktischen Probleme gerüstet, etwa bei Durchsuchungen oder Familienstreitigkeiten, oder beim ganz normalen Dienst auf der Straße, aber begründet wird diese Konstellation Mann-Frau, gemischte Streife, eben ganz häufig mit der körperlichen Stärke der Männer und der Möglichkeit der Frauen zu Kommunikation und Deeskalation."

    An den Anblick von Frauen in Polizeiuniform hat man sich im bundesdeutschen Alltag inzwischen gewöhnt. Ist es nur eine Veränderung an der Oberfläche oder haben sich unsere Ordnungshüter tatsächlich gewandelt. Die Sozialwissenschaftlerin Waltraud Müller-Franke, Professorin an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen ist in einer umfassenden Forschungsstudie der Frage nachgegangen: "Spielt das Geschlecht eine Rolle bei der Polizei und wenn ja, welche?"

    Waltraud Müller-Franke: "Dieses Forschungsprojekt ist entstanden aus meiner Tätigkeit als Frauenbeauftragte der Hochschule. Ich war sechs Jahre lang Frauenbeauftragte, und habe in verschiedenen Zusammenhängen den Eindruck gehabt, dass es lohnenswert sein könnte, diesem Thema Frauen in der Polizei nachzugehen, da hat meine Seele als Sozialwissenschaftlerin geschlagen und … auf einer Veranstaltung habe ich Frau Prof. Müller von der Uni Bielefeld kennen gelernt, eine ausgewiesene Forscherin in Geschlechterfragen und dann haben wir uns zusammengesetzt und haben gesagt, das ist jetzt unser nächstes Projekt."

    Kernstück des Forschungsprojektes waren zwei große Fallstudien, die parallel durchgeführt wurden, die eine für Nordrhein-Westfalen am Beispiel des Polizeipräsidiums Köln, die andere für Baden-Württemberg am Beispiel der Landespolizeidirektion Karlsruhe.

    Zunächst ging es darum solide empirische Daten zu gewinnen, welche Aufgaben und Tätigkeiten Frauen bei der Polizei übernehmen, wie sie in der Organisation repräsentiert sind und welche Aufstiegschancen sie besitzen.

    Waltraud Müller-Franke: "Grundsätzlich stehen den Frauen alle Bereiche in der Polizeiarbeit offen, formal gibt es beim Einsatz von Frauen und Männern keine Unterschiede, und es gibt auch Frauen in den Bereichen, die zunächst für Männer prädestiniert zu sein schienen, z. B. beim Sondereinsatzkommando oder auch bei der Hubschrauberstaffel. Der Frauenanteil insgesamt ist in der Polizei in Baden-Würtemberg von 1975 bis 2005 von 1,2 Prozent auf 13,8 Prozent gestiegen. Und in der Ausbildung stellen die Frauen inzwischen ein Drittel dar, auch in unserer Hochschule liegt der Anteil der Studentinnen bei 20 Prozent. Frauen erreichen auf zahlenmäßig niedrigem Niveau Führungspositionen, in Baden-Württemberg 3,8 Prozent; in NRW hat man mit 6,7 Prozent Frauen in Führungspositionen."

    Frauen sind in Deutschland erst in den 70er und 80er Jahren in der Schutzpolizei eingestellt worden. Wenn man diesen Verzögerungseffekt berücksichtigt, so stellt die Organisation Polizei überhaupt keinen Sonderfall dar, sondern präsentiert sich im punkto weibliche Berufstätigkeit als Spiegelbild des deutschen Arbeitsmarktes. In zahlreichen Einzelinterviews mit Polizistinnen hat Waltraud Müller-Franke deren Erfahrungen zusammengetragen und in der Studie ausgewertet.

    Waltraud Müller-Franke: "Die Erfahrungen, die Polizistinnen machen, die hängen einerseits von ihren individuellen Voraussetzungen ab, die hängen von den Arbeitsbedingungen ab, unter denen sie eingesetzt werden, die Rückmeldungen hier sind recht bunt. Was mir aufgefallen ist, es gibt einen großen gemeinsamen Erfahrungsbereich, das ist die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Kinderbetreuungsmöglichkeiten besonders mit dem Schichtdienst kollidieren, Teilzeitarbeitsplätze sind eher noch selten und wenn dann sind sie negativer bewertet, und das führt dann häufig dazu, dass die Frauenarbeit dann diesen Negativbewertungstouch bekommt."

    Bei den Interviews quer durch den Polizeiapparat, von Kollegen und Vorgesetzten, über Ausbilder, und Personalratsvertreter bis hin zu Mitarbeitern des Psychologischen Dienstes und der Seelsorge, wird die Rolle der Frau bei der Polizei grundsätzlich bejaht und positiv eingeschätzt. Aber überraschenderweise stößt die Untersuchung auf zwei verschiedene Begründungen, die sich zum Teil sogar widersprechen.

    Die eine Argumentation geht davon, dass Frauen in derselben Weise wie Männer befähigt sind, Aufgaben im Polizeibereich zu bewältigen. Dies ist der Gleichheitsdiskurs. Daneben begegnet man jedoch einem anderen Begründungskonzept, wo nach die Geschlechter in ihren Fähigkeiten grundsätzlich verschieden seien. Frauen sollten demnach ihre spezifisch weiblichen Stärken in den Polizeidienst einbringen. Dieser Differenzdiskurs birgt freilich die Gefahr, Frauen generell auf bestimmte Eigenschaften festzulegen, wie es die Tradition getan hat.

    Waltraud Müller-Franke: "Der Traditionalisierungsstrang, der kommt zum Beispiel in dem heraus was ich als die gemischte Streife beschrieben habe, auch in diesen typischen Fähigkeiten. Aber die Möglichkeit zu betonen, dass beide Geschlechter ausgebildet sind für den Polizeiberuf, dass es Gleichstellungspläne für Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen gibt, das ist eher der andere Strang. Also ich denke, es ist ein ambivalentes Verhältnis. Und wir können, wenn wir die Kernfrage beantworten: Spielt das Geschlecht eine Rolle? Dann kann man sagen, es ist nicht unrelevant, welches Geschlecht man hat, aber es spielt nicht immer eine Rolle, nicht überall und nicht immer gleich."

    Für viele verbindet sich der Beruf des Polizisten nach wie vor mit Härte, Stärke und Rationalität. Sie glauben deshalb, er sei reine Männersache. Im gängigen Schimpfwort vom Bullen, maskulin schlechthin, ist diese Sicht festgehalten. Aber die Präsenz von Frauen, die Erfahrung, dass und wie Polizistinnen Situationen meistern, hat Eindruck hinterlassen. Darüber scheint sich in der Bevölkerung nicht nur das Bild des Polizeiberufs, sondern das der Polizei insgesamt zu verändern.

    Waltraud Müller-Franke: "Es zeigen sich Wahrnehmungen, die besonders positiv hervorheben, dass Frauen ein anderes Klima in die Polizei bringen, das geht offensichtlich auch mit einem Wandel des Polizeiberufs einher, der sich zunehmend weniger als Rambotyp oder als Bulle versteht, sondern über hohe soziale Kompetenzen definiert und das zeigt sich eben auch an der zunehmenden Präventionsarbeit der Polizei."