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Geschlossene Psychiatrie
Unspektakulärer als die Legenden

Beim Stichwort "geschlossene Psychiatrie" denken viele an Gummizellen, an vergitterte Fenster, an Patienten in Zwangsjacken. Ein Besuch in einer solchen Einrichtung ist unspektakulärer. Die meisten Patienten dort brauchen Hilfe in einer akuten Lebenskrise.

Von Thomas Liesen | 10.12.2013
    Universität Bonn, Klinik für Psychiatrie. Der Eingang zur geschlossenen Station ist völlig unscheinbar. Eine einfache Glastür, nicht mal ein Schild weist daraufhin, dass die Station eine besondere ist. Der Krankenpfleger Hendrik Heier schließt die Tür auf.
    "Wir sind hier auf einer Station für 21 Patienten und Patientinnen, als Besonderheit hier: Die Tür ist geschlossen, ansonsten ist die Station aber völlig normal aufgebaut, mit nur ein paar kleinen Ausnahmen."
    Eine dieser Ausnahmen liegt direkt im Eingangsbereich: vier Zimmer mit einer Sonderausstattung. Als Erstes fällt ein Fenster über dem Bett auf. Es führt nicht nach draußen, sondern ins benachbarte Stationszimmer.
    "Eine Beobachtungsmöglichkeit für uns, die sich durch eine Jalousie auch komplett verschließen lässt, um die Privatsphäre des Patienten so weit wie möglich zu erhalten."
    Die aber dennoch wichtig ist, zumindest bei Patienten wie dem älteren Herrn, der eine Tür weiter liegt. Er hat Krebs im Endstadium, ist geistig sehr verwirrt.
    "Und der versucht nachts aufzustehen und kann sich da eben aufgrund einer schlechten Mobilität durch Stürze schwer verletzen und damit wir den besser im Blick haben, ist der eben in einer direkten Überwachung, damit wir vom Stationszimmer immer ein Auge drauf haben können."
    Ansonsten haben diese Zimmer große Fenster hinaus zum Innenhof, sie sind aber dauerhaft fest verschlossen. Frischluft kommt nur herein über vergitterte Klappen an den Seiten. Auch die Bäder sind besonders: Alles hat abgerundete Ecken, in der Dusche ist der Duschkopf fest an der Wand installiert.
    "Der ist auch recht hoch angebracht, hat auch keinen Duschschlauch, zwecks der Möglichkeit, sich damit zu erhängen oder sonst was damit zu machen."
    "Größtenteils ganz normale Menschen"
    Zurück auf dem Stationsflur begegnen uns Patienten. Eine junge Frau, eine ältere Dame, sie grüßen freundlich, wirken völlig normal. Solche Menschen überwiegen hier, sagt Hendrik Heier.
    "Das sind größtenteils ganz normale Menschen, teilweise in Lebenskrisen, teilweise schon lang anhaltenden, chronischen psychiatrischen Erkrankungen, die aber zum Großteil ein ganz normales Leben führen und die nur hier sind, wenn es akute schlechte Phasen gibt, die behandlungsbedürftig sind."
    Aber es gibt eben auch die anderen Fälle, wie zum Beispiel jenen Mann, der erst kürzlich hier eingeliefert wurde. Er wurde körperlich so aggressiv, dass er festgeschnallt werden musste, sagt Hendrik Heier. Nur alle paar Monate kommt so etwas vor. Doch jedes Mal, wenn es wieder so weit ist und ein Patient förmlich ausrastet, ist es für das Pflegepersonal eine Grenzsituation.
    "Da entwickeln sich ganz schöne Kräfte und man merkt das auch bei allen Beteiligten, dass man ganz schnell einen roten Kopf hat mit viel Adrenalin, da muss man sich einfach auch üben, da die Ruhe zu bewahren und die Kontrolle über die Situation. Ich glaube, hier hat jeder Kollege auch schon mal Angst vor einem Patienten gehabt, aber da muss man lernen, damit umzugehen und da wirklich ruhig zu bleiben."
    Zum Abschluss zeigt Hendrik Heier noch den Stationsgarten. Er liegt hübsch am Waldrand, allerdings umgeben von einem hohen Zaun. Seit er hier arbeitet, habe noch niemand versucht, darüber zu flüchten, sagt er. Zurück an der Eingangstür zur Station zückt Hendrik Heier den Schlüssel. Er lässt den Besucher heraus.