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Geschmacksache

Armseliger Geschmackssinn - er kennt nur süß, sauer, salzig und bitter. Mehr kann die Zunge nicht unterscheiden. Wer beim Essen und Trinken anderes wahrnimmt, erlebt die Wirkung von Aromastoffen, die beim Kauen in den Rachenraum und Nase aufsteigen. Ob Zimt, Kaffee oder Erdbeeren: Was den Aromaeindruck ausmacht, ist von Wissenschaftlern gut untersucht. Hochempfindliche Analysegeräte detektieren winzige Mengen an Molekülen und ermitteln deren Strukturen. Damit gelingt es den Forschern zunehmend besser, natürliche und naturidentische - also im Labor nachgeahmte - Aromastoffe zu unterscheiden. Die menschliche Zunge kommt solchen "Fälschungen" nicht auf die Schliche. Dafür ist sie den technischen Geräten auf anderen Gebieten überlegen. Typisches Grapefruit-Aroma etwa kann der Mensch auch dann noch riechen, wenn die Maschine schon lange nichts mehr aufzeichnet.

Uta Bilow | 04.05.2003
    Jetzt bitte ich euch in einem allerersten Schritt - ihr habt links ein Glas Wasser stehen -, euch mit dem Wassergeschmack vertraut machen, ... , macht euch damit vertraut, so schmeckt das Wasser hier in Fulda.

    Im Sensorik-Labor an der Fachhochschule Fulda sitzen zwölf angehende Ernährungswissenschaftler, jeder in einer Art Kabine und durch weiße Trennwände von seinen Nachbarn und anderen störenden Einflüssen abgeschirmt. Die Studierenden schlürfen das Fuldaer Wasser, um ihre Geschmacksnerven sozusagen zu eichen. Haben sie den Wassergeschmack verinnerlicht, reicht die Praktikumsleiterin Louisa Page jedem ein ganzes Tablett voll Trinkgläser in die Kabine. Darin ist nicht nur Wasser, sondern jeweils eine von vier chemischen Substanzen für die vier Grundgeschmacksarten.

    Für bitter ist das Koffein, was wir hier einsetzen, für sauer setzen wir Zitronensäure ein, für süß Saccharose in Reinstform, und salzig Natriumchlorid,

    Erwartungsvoll greifen die Studenten zu. Sie sollen herausfinden, welche Substanz in welcher Probe enthalten ist. Die Entscheidung, ob der Inhalt süß, sauer, salzig oder bitter schmeckt, fällt nicht leicht. Da wird gekostet und geschlürft, zwischendurch greifen die Probanden immer wieder nach dem Wasser aus Fulda, das ja den Bezugspunkt bildet. Schließlich hat jeder seine Kreuzchen auf dem Testbogen notiert.

    Das Praktikum im Sensorik-Labor gehört zur Ausbildung der Ernährungswissenschaftler. Ein Semester lang trainieren sie ihre Geschmacksnerven. Die Oecotrophologin Louisa Page:

    Wenn man es klar definiert, ist Geschmack nur das, was man auf der Zunge erkennt. Das heißt, im Grunde hier in Deutschland oder auch nach der DIN-Norm ist das nur süß, salzig, sauer und bitter.

    Diese vier Grundgeschmacksarten lassen sich mit der Zunge unterscheiden. Die Zungen-Oberfläche ist mit einigen tausend Geschmacksknospen bedeckt, die sich aus Schmeckzellen zusammensetzen. Diese Schmeckzellen werden durch entsprechende Nahrung aktiviert und leiten Signale an das Gehirn weiter, wo der Geschmack dann erkannt wird.

    Was der Mensch beim Essen wahrnimmt, beschränkt sich glücklicherweise nicht auf diese vier Geschmacksrichtungen. Denn beim Essen kommt die Nase mit ins Spiel. Zum einen riechen fast alle Speisen, zum anderen steigen beim Kauen flüchtige Substanzen aus dem hinteren Rachenraum in die Nase auf. Der Gesamteindruck, der dadurch entsteht, heißt: Aroma. Die Studenten in Fulda erleben den Unterschied zwischen Geschmack und Aroma in einem Selbstversuch. Louisa Page teilt erneut kleine Behälter aus.

    Ihr bekommt jetzt einen Becher, ..., Ihr sollt nicht reingucken, was es ist von vorneherein, dann ist der Effekt weg, haltet euch die Nase zu mit der Hand,..., guckt so, dass ihr dann auch wirklich durch den Mund atmet, nicht mehr durch die Nase, und hebt dann den Deckel ab, ..., nehmt mit dem Löffel ein bisschen der Substanz, ..., nehmt was von der Substanz auf die Zunge, und guckt mal: was schmeckt ihr. .... Wenn ihr das erkannt habt,... , dann öffnet die Nase und guckt, was passiert.

    Die Probanden im Sensoriklabor halten sich ihre Nasen zu und löffeln den Becherinhalt auf die Zunge. "Süß schmeckt´s," ist das eindeutige Urteil, "in dem Becher ist Zucker." Doch als die Studenten ihre Nasen loslassen, folgt die Überraschung. Denn jetzt erst bemerken alle den Zimt, der mit dem Zucker vermengt ist. Zimt kann man also streng genommen gar nicht schmecken, sondern nur sein Aroma wahrnehmen – wenn die Nase mit ins Spiel kommt.

    Während der Geschmack auf eine Handvoll Geschmacksrichtungen begrenzt ist, ist die Welt des Aromas schier unendlich. Da gibt es viele tausend chemische Substanzen, die sogenannten Aromastoffe, die während des Essens in die Nase steigen. Die Inhaltsstoffe von Zimt sind recht gut untersucht, zum Beispiel auch von der Arbeitsgruppe von Armin Mosandl, Professor für Lebensmittelchemie an der Universität Frankfurt.

    Zimt ist ein ganz charakteristischer Aromaeindruck, der durch Zimtaldehyd im wesentlichen geprägt wird,

    Der Aromastoff Zimtaldehyd ist für die Wissenschaftler eine so genannte Leitsubstanz. Wer daran schnuppert, riecht sofort Zimt. In der Aromawelt geht es jedoch meist komplexer zu.

    Den Fall, dass einzelne Stoffe einen bestimmten Aromaeindruck auslösen, ist nicht der Regelfall. Den gibt es wohl auch, mit sogenannten Leitsubstanzen, aber in der Regel ist es ein ganzes Bukett von Stoffen, die eine bestimmte Assoziation für ein bestimmtes Lebensmittel erzeugen.

    Erdbeeren zum Beispiel vermitteln ihren Wohlgeschmack durch einem ganzen Mix verschiedener Substanzen. Und frisch gerösteter Kaffee enthält rund eintausend Aromastoffe.

    Das Kaffeearoma gehört mit zu den kompliziertesten Aromen überhaupt. In dem sind bisher fast tausend aromaaktive Verbindungen nachgewiesen. Und der Witz ist also nun der,..., die Substanzen kommen aus den unterschiedlichsten chemischen Stoffklassen, sind alle flüchtig und .... in sehr unterschiedlichen Mengenverhältnissen, zum Teil im extremen Spurenbereich im Nano- oder sogar Pikogramm-Maßstab pro Kilogramm.

    Das Kaffeearoma ist wie ein fertiges Puzzlebild. Es besteht aus tausend Teilen, und die Forscher müssen zunächst diese tausend Teile auseinanderpflücken, um jedes einzelne Stück identifizieren zu können. Eine extreme analytische Herausforderung. Ohne Hochleistungsgeräte geht da nichts mehr.

    Dazu brauchen wir die Kapillare-Gaschromatographie mit höchster Auflösung werden die Substanzen dann in ihre einzelnen Komponenten getrennt und sie werden dann massenspektrometrisch identifiziert...

    Die Gaschromatographie ist eine klassische Analysetechnik. Ihr Prinzip ähnelt einem Wettkampf, bei dem die Läufer am Start nebeneinander hocken, aber das Ziel nacheinander erreichen. Kernstück der Gaschromatographie ist eine 30 Meter lange Kapillare, die zu einer Spirale aufgewickelt in einem backofengroßen Gerät untergebracht ist. Durch diese Kapillare strömt mit konstanter Geschwindigkeit ein Gas. Diesem Gas wird nun die Analysemischung zugegeben, die ebenfalls durch die Kapillare hindurchwandern muss. Die Komponenten des Gemischs starten gleichzeitig am Einlaß der Kapillare. Doch die Kapillare enthält eine Füllung, an der die einzelnen Substanzen unterschiedlich gut haften. Daher erreichen sie das Ende der Kapillare nacheinander – und sind somit voneinander getrennt.

    Jetzt müssen die Chemiker nur noch die Identität der Moleküle klären. Deshalb untersuchen sie die Substanzen in einem Massenspektrometer. Das Gerät zerlegt jedes Molekül in kleine Bruchstücke. Dabei zerbrechen immer nur ganz bestimmte chemische Bindungen, und es entstehen charakteristische Bruchstücke. Ein geübter Forscher kann aus diesen Bruchstücken auf die Struktur des ursprünglichen Moleküls rückschließen. Neben dieser Technik ist für die Aromaforscher noch ein weiteres Analyseverfahren von großer Bedeutung: die so genannte Schnüffeltechnik. Armin Mosandl:

    Schnüffeln bedeutet: wir wollen natürlich am Ende ja natürlich auch die Sensorik, sprich das sensorische Erlebnis als Qualitätskriterium da rein kriegen. Das heißt, man muss versuchen, eine Korrelation zwischen analytischem Ergebnis und sensorischem Eindruck herzustellen.

    Bei der Schnüffeltechnik ist die Nase als Detektor gefragt. Was bei der Gaschromatographie der Kapillare entströmt, wird aufgeteilt. Ein Teil geht zum Massenspektrometer, den anderen leitet man zu einem sogenannten Sniffing-Port. Dort sitzt eine geschulte Person und notiert, was sie riecht.

    Und da ist es eben so, dass Kaffee keineswegs bei allen diesen Substanzen rauskommt als Aromaeindruck, sondern da sind grüne und rauchig und brenzlige und süße und was auch immer für Noten dabei, die in ihrer Summe eben diesen Akkord, sag ich jetzt mal, Kaffee ergeben.

    Die Verknüpfung von Schnüffeltechnik und modernen Analyse-Geräte fördert Überraschendes zutage: Von den eintausend Aromastoffen, die im frisch gerösteten Kaffee stecken, trägt nur ein Bruchteil zum typischen Kaffee-Duft und -Geschmack bei. Aus zwanzig oder dreißig Substanzen lässt sich durchaus ein akzeptables Kaffee-Aroma zusammenmischen.

    Die Nase ist überhaupt ein sehr empfindlicher und auch selektiver Detektor für Aromen. Manchmal stellt sie selbst die Hochleistungsgeräte im Uni-Labor in den Schatten. Die können zwar Konzentrationen im Nanogrammbereich messen. Doch ab und an genügt selbst das nicht.

    Es heißt aber ganz klar, dass Substanzen gerochen werden können in vielen Fällen, die man mit keiner Messmethodik aufzeichnen kann. Das bedeutet, dass Sie also praktisch auf Ihrem messtechnischen Blatt einen geraden Strich und sonst gar nichts haben, aber sehr wohl simultan dazu etwas riechen können.

    Der Lebensmittelchemiker Mosandl nennt ein Beispiel: die Substanz para-Menthen-8-thiol, die das Aroma einer Grapefruit vermittelt.

    Diese Substanz gehört bis heute mit zu den Verbindungen, die die höchste Aromaaktivität aufweisen, oder umgekehrt formuliert, die niedrigste Geruchsschwelle haben. Die liegt in der Größenordnung- ich sage bewusst keine Zahl, sondern in der Größenordnung, weil sie nicht messbar ist direkt,- in der Größenordnung eines Verdünnungsfaktors von eins zu zehn hoch vierzehn.

    Einen solch geringen Gehalt kann kein Analysegerät mehr messen. Auf dem Papierausdruck ist nur ein gerader Strich zu sehen. Den ungefähren Wert kennt man jedoch durch Verdünnungsreihen, in denen die Konzentration immer weiter abnimmt.

    Also das ist schon sehr wichtig: Den Mensch als Messinstrument zu berücksichtigen und einzusetzen...

    Das ist ebenso die Überzeugung von Louisa Page. Die große Schwierigkeit dabei ist jedoch: Dem Meßinstrument "Mensch" fehlt die Meßskala, wie die Ernährungswissenschaftlerin ihren Studenten an der Fachhochschule Fulda erklärt.

    Also ein Begriff zum Beispiel: Der Geruch ist karamelig. Vielleicht versteht der andere aber eher die Vanillekomponente darunter, ja, weil, manchmal ist ja auch bei Karamel noch Vanille mit dabei. Da muss man dann differenzieren, dass wirklich jeder das gleich darunter versteht.

    Eine Gruppe von Prüfern, die im Dienste der Industrie arbeitet, wird deshalb unter großem Zeitaufwand eingearbeitet, bis jeder unter "karamelig" das gleiche versteht. Für die Studenten im Praktikum dauert das zu lange. Dennoch will Louisa Page ihnen einen solchen Test nicht vorenthalten.

    Im nächsten Schritt, wenn ihr sag ich mal ein einheitliches Verständnis für die Attribute habt, würdet ihr auf einer bewertenden Skala, und das ist den Schritt, den wir jetzt auch machen werden, auf einer Linienskala müsstet ihr bewerten, ob diese Attribute erkennbar sind oder nicht und wie stark die Intensität ist. Wir werden das hier am Beispiel von Wein machen.

    Die Studenten bekommen ein Glas Weißwein in ihre Testkabinen gereicht. Auf dem dazugehörigen Testbogen sollen sie die folgenden Merkmale bewerten: Süße, Säure, Fruchtigkeit und Quitte, ein typisches Weißwein-Aroma. Nach dem Verkosten von saurem und bitterem Wasser ist das eine Aufgabe, die allen sichtlich großen Genuß bereitet.

    Auf ihren Testbögen notieren die angehenden Ernährungswissenschaftler dann allerdings sehr unterschiedliche Einschätzungen. Einer schmeckt viel Säure, seine Nachbarin dagegen wenig. Die Studenten sind eben nicht entsprechend geeicht.

    Die Aromaanalyse ist weit fortgeschritten. Viele Aromen sind entschlüsselt, man kennt die chemischen Substanzen, die eine Mahlzeit zum Genuß werden lassen. Mit diesem Wissen ist es natürlich auch möglich, die Verbindungen im Labor künstlich zu erzeugen. Zimtaldehyd etwa ist ein relativ einfaches Molekül, das ein Chemiker ohne viel Aufwand herstellen kann. Es riecht und schmeckt genauso wie Zimtaldehyd, das man aus natürlich vorkommendem Zimt gewinnt. Daher nennt man eine solche Substanz: naturidentisch.

    Der Markt für naturidentische Aromastoffe ist riesig. Tausende von Tonnen stellt die Aromaindustrie jedes Jahr her – zur Aromatisierung von Getränken, Süßwaren, Eis, Joghurt, für die gesamte Fastfood-Sparte mit Suppen, Saucen und Snacks oder auch für Zahnpasta. Ohne Aromazusatz würden diese industriellen Produkte dem Verbraucher wohl wenig schmackhaft erscheinen. Warum aber verwendet man nicht die natürlichen Vorbilder?

    Wenn Sie die Substanzen synthetisieren, sind sie in der Regel sehr viel billiger dabei, das ist ganz klar und das ist das primäre Motiv, warum solche Synthesen gemacht werden, weil die natürlichen Ressourcen einfach nicht ausreichen, um den Markt sozusagen zu befriedigen.

    Zum Beispiel Menthol, das in Mundwasser, Zahnpasta oder Kaugummi steckt. Der Naturstoff entstammt der Pfefferminz-Pflanze Mentha Arvensis. Bis in die Siebziger Jahre hinein wurden in Brasilien viele Hektar Regenwald abgeholzt, um auf diesen Flächen Pfefferminze anzubauen. Da die Äcker nach einigen Jahren keine zufriedenstellende Ernte mehr abwarfen, wurden immer neue Gebiete gerodet. Dann fanden Chemiker des Aroma-Unternehmens Haarmann und Reimer eine Möglichkeit, das Menthol im Labor zu erzeugen. Seitdem geht die Anbaufläche für Pfefferminze beständig zurück, und der tropische Regenwald wird geschont.

    Ob natürlich oder naturidentisch: die Menthol-Moleküle haben exakt den gleichen Aufbau und die selben physikalischen und chemischen Eigenschaften, weshalb sie den gleichen Aromaeindruck erzeugen – egal ob sie aus der Pfefferminze oder aus der Retorte stammen. Nur in einem winzigen Detail unterscheiden sich die beiden Molekülsorten. Und anhand dieses Details können die Lebensmittelchemiker in Frankfurt messen, ob ein Aromastoff wie Menthol oder Zimtaldehyd natürlich oder naturidentisch ist. Die Methode heißt: Isotopenanalyse. Armin Mosandl:

    Zunächst einmal kann man feststellen, dass die meisten Elemente in unterschiedlich schweren Versionen sag ich jetzt mal vorkommen in der Natur.

    Diese unterschiedlich schweren Versionen nennt man Isotope. Kohlenstoff in der Natur ist ein Gemisch solcher Isotope, vor allem von sogenanntem C-12 und dem schwereren C-13. Ihr Verhältnis zueinander ist ziemlich exakt 99 zu 1.

    Das heißt, wir haben quasi zwei verschieden markierte CO2-Moleküle, ein C12-CO2 und ein C13-CO2 in der Luft 99 zu eins. Und jetzt kommt der Witz an der ganze Geschichte: Wenn die Pflanze zum Zwecke der Photosynthese diese Verbindung aufnimmt, ... dann reagiert diese Verbindung, die das schwerere Isotop hat, langsamer als die, die das leichte hat. Das heißt: C12-CO2 wird schneller eingebaut als C13-CO2....

    Alle Substanzen, die die Pflanze in ihrem Stoffwechsel erzeugt, haben daher stets einen Überschuß an C-12 und ein Defizit an dem schwereren Isotop C-13. Bei der Synthese im Labor reagieren hingegen alle Isotope gleich schnell, und das Verhältnis von 99 zu 1 bleibt erhalten. Da nun Aromastoffe wie Zimtaldehyd oder Menthol zur Hauptsache aus Kohlenstoff bestehen, können die Wissenschaftler mit einem Massenspektrometer messen, ob der Aromastoff natürlich oder naturidentisch ist.

    Diesen Unterschied kann nur das hochempfindliches Analyse-Gerät erfassen. Der Mensch schmeckt ihn nicht. Dagegen sind Zunge und Nase bestens geeignet, wenn andere Aspekte des Geschmacks beurteilt werden sollen. Die Studenten im Sensorik-Praktikum an der Fachhochschule Fulda bereiten sich gerade auf den nächsten Test vor.

    Hier geht es jetzt darum: Ich habe einige Lebensmittel ausgewählt, das sind jetzt insgesamt zwölf, und ihr sollt einfach mal gucken, wie die Empfindung ist, die ausgelöst wird. Ja? Und natürlich immer im Hinblick auf Wärme, Kälte und Schmerz, und wenn ihrs noch genauer definieren könnt, beschreibt das auch. ..... Gut, dann bekommt ihr die erste Probe....

    Auf jedem Tablett stehen zwölf kleine Gläschen mit Alkohol, Essig, Zitronensaft, Ingwer, Kakaobutter und anderen Proben. Alles wird der Reihe nach gekostet. Gewissenhaft notieren die Studenten ihre Empfindungen auf dem Testbogen. Abschließend fragt die Kursleiterin nach den Ergebnissen.

    Die erste Probe, Ethanol steht hier, es hat sich um Korn gehandelt, was habt ihr da geschrieben als Empfindung? Wärme! Also ich hab Wärme, verbunden mit Bitterkeit und auch irgendwo schmerzhaft, so im Rachen. Also von warm in den Schmerz übergehend.

    Eindrücke, für die kein physikalisches Meßgerät existiert.

    Ob natürlicher oder naturidentischer Aromastoff: Beide liefern dem Konsumenten das gleiche Geschmacksergebnis. Dennoch wollen die Verbraucher genau wissen, was sie zu sich nehmen und auch: wofür sie ihr Geld ausgeben. Schließlich sind die Aromastoffe aus der Retorte wesentlich billiger. Nach einer EU-Richtlinie dürfen nur solche Aromastoffe "natürlich" heißen, die aus pflanzlichem oder tierischem Ausgangsmaterial stammen – wie eben das Menthol aus der Pfefferminz-Pflanze. Diese Definition hat jedoch durchaus ihre Tücken, findet Friedrich-Karl Lücke, Professor für Oecotrophologie an der Fachhochschule Fulda:

    Ja, bisher ist die Begrifflichkeit so, dass die natürlichen Aromastoffe halt von biologischen Systemen hervorgebracht werden müssen und nicht im chemischen Labor synthetisiert werden dürfen. Aber es ist keineswegs so, dass man davon ausgehen kann, dass das Aroma aus Erdbeeren extrahiert wird, wenn draufsteht: natürliches Erdbeeraroma. Man kann das auch zum Beispiel mit geeigneten Pilzkulturen auf geeigneten Substraten sozusagen im Fermenter herstellen.

    Ein biotechnologisches Verfahren, bei dem - streng nach Definition – aus einem natürlichen Rohstoff natürliches Erdbeeraroma entsteht. Das aber noch nie eine Erdbeere gesehen hat. Prinzipiell hat der Ernährungsexperte gegen die Biotechnologie in der Nahrung nichts einzuwenden. Schließlich bringt sie auch solche Lebensmittel wie Käse, Sauerkraut, Brot oder Bier hervor.

    Ich halte es nicht für gesundheitlich bedenklich, aber es entspricht wahrscheinlich nicht der Verbrauchererwartung, das heißt die meisten Verbraucher werden wohl der Meinung sein, wenn draufsteht, natürliches Erdbeeraroma, dass also jemand Erdbeeraroma aus der Erdbeere extrahiert hat. Aber das würde wahrscheinlich viel zu teuer werden.

    Gleiches gilt für Vanillin, die Leitsubstanz des beliebten Vanille-Aromas. Vanillin kann nämlich auch aus Holz hergestellt werden. Denn Lignin, die Gerüstsubstanz von Holz, besteht aus Molekülen, die das gleiche Grundgerüst wie Vanillin aufweisen. Nur zwei Reaktionsschritte – und das Lignin-Molekül ist zum hocharomatisch duftenden Vanillin-Molekül mutiert. Für den Lebensmittelchemiker Mosandl beginnt die wahre analytische Herausforderung daher beim Stoff Lignin,

    ...den man durch ganz einfache chemische Reaktionen, nämlich durch oxidativen Abbau, ... zu Vanillin oxidieren kann. Dann haben wir das Problem, das alles, mit Ausnahme des einen Sauerstoffatoms in der sogenannten Carbonylfunktion, alles andere natürlich ist, nämlich von der Natur im Sinne von Holz biosynthetisiert ist. Und wir haben die Herausforderung, das dennoch zu unterscheiden.

    Eine knifflige Aufgabe, bei der erneut die Isotopenanalyse zum Zuge kommt. Hier schauen die Chemiker auf den Sauerstoff, von dem es ebenfalls verschiedene Isotope gibt. Stammt das Vanillin aus einer Vanilleschote, wird das entscheidende Sauerstoffatom im Stoffwechsel der Pflanze dem Molekül angefügt. Ist das Vanillin dagegen aus Holz gewonnen, gelangt dieses Sauerstoffatom nachträglich ins Molekül. Das Isotopenverhältnis verrät somit die Herkunft des Vanillins.

    Untersuchungsmethoden wie die Isotopenanalyse gewinnen zunehmend an Bedeutung. Denn sie liefern objektiv meßbare Qualitätskriterien, die für die Herstellung von Lebensmitteln und für den Verbraucherschutz gleichermaßen wichtig sind.

    Ebenso sind in diesen Bereichen aber auch ausgebildete Sensoriker gefragt. Die Lebensmittelindustrie nutzt das Meßinstrument "Mensch" für Qualitätskontrollen, etwa wenn es um die Frage geht, ob sich der Geschmack von Keksen verändert hat, wenn ihr Mindesthaltbarkeitsdatum näher rückt. Und auch in der Produktentwicklung sind die technischen Analysegeräte auf menschliche Zuarbeit angewiesen, wie Louisa Page in Fulda ihren Studenten klarmacht.

    Wir wissen durch Marktforschungstests, Beliebtheitstests, der Verbraucher möchte gerne so eine Knusprigkeit des Kekses, und diese Knusprigkeit sag ich mal kann ich überführen in einen analytischen Wert in Newton und kann dann später für die Qualitätskontrolle sagen: dieser Wert muss immer so sein, wenn der Keks dann fertig ist und ich mache die Überprüfung mit dem Texturanalysegerät. Aber das wichtigste ist der allererste Schritt: Ich muss den Verbraucher befragen.

    Das wichtigste ist der allererste Schritt: Ich muss den Verbraucher befragen. Was möchte der Verbraucher. Also ich kann nicht direkt mit dem Analysegerät sagen: Das ist der Wert, den ich haben möchte.

    Für so genannte chirale Aromastoffe nutzen die Lebensmittelchemiker in Frankfurt ein weiteres technisches Analyseverfahren. Chirale Substanzen existieren stets in zwei verschiedenen Formen, die sich wie Spiegelbilder gleichen. Solche Moleküle sind wie unsere Hände geschaffen, von denen es linke und rechte gibt, die sich zwar ähneln, aber dennoch unverwechselbar sind. Auch bei den chiralen Aromastoffen, die in der Natur weit verbreitet sind, gibt es eine Möglichkeit, Naturstoff und Surrogat aus dem Labor zu unterscheiden.

    Das heißt, wenn ich von der Vorstellung ausgehe: Es gibt von einem Stoff Bild und Spiegelbild, dann wird die Natur so selektiv arbeiten, dass sie möglichst nur eines, entweder das Bild oder das Spiegelbild, biosynthetisiert. Wenn ich dagegen die normale chemische Synthese, die symmetrische Synthese betrachte, dann entstehen Bild und Spiegelbild eins zu eins, fifty fifty.

    Mosandl und seine Mitarbeiter haben ein Analyseverfahren entwickelt, mit dem es gelingt, das Verhältnis von Bild zu Spiegelbild zu bestimmen. Es handelt sich dabei um die Gaschromatographie mit sogenannten chiralen stationären Phasen. Damit ist nicht anderes gemeint, als dass die Kapillare dieses Gaschromatographen mit einer chiralen Substanz gefüllt ist. An dieser chiralen Füllung bleiben nun Bild und Spiegelbild eines Aromastoffs unterschiedlich gut haften. Um beim Vergleich mit den Händen zu bleiben: Die chirale Füllung verhält sich beispielsweise wie eine ausgestreckte rechte Hand. Damit kann sie alle Moleküle ergreifen und eine bestimmte Zeitlang festhalten, die ebenfalls wie eine rechte Hand beschaffen sind, während die spiegelbildlichen Moleküle den Händedruck verweigern und ungehindert durch die Kapillare strömen.

    Vakuumpumpen, die Tag und Nacht vor sich hin rasseln und rauschen. Sie hängen an dem Hochleistungsgerät im Analyselabor am Biozentrum der Universität Frankfurt. Eine gewohnte Geräuschkulisse für die Diplom-Lebensmittelchemikerin Mirjam Kreck. Sie startet gerade eine neue Analyse, um den Gehalt an Enantiomeren – so nennen die Fachleute die spiegelbildlichen Moleküle - zu bestimmen.

    ...und wir nutzen das jetzt eben, um spezifische Enantiomeren-Verhältnisse von Fruchtaromen oder von etherischen Ölen zu untersuchen . Und man kann das dann auch auf Produkte übertragen. Also wenn ich jetzt zum Beispiel Erdbeeren untersucht habe, und festgestellt habe, die wichtigen Duftstoffe, zum Beispiel 2-Methylbuttersäuremethylester oder –ethylester oder auch andere chirale Substanze, die wichtig für dieses Aroma, für das Erdbeeraroma sind, haben ein ganz bestimmtes Enantiomerenverhältnis, dann kann ich das dann auch zum Beispiel Erdbeerprodukten untersuchen.

    Ob Erdbeerjoghurt oder Erdbeereis tatsächlich nur natürliches Erdbeeraroma enthalten, oder ob vielleicht künstliches Aroma zugesetzt wurde, kann Mirjam Kreck schnell herausfinden. Denn der Aromastoff 2-Methylbuttersäuremethylester ist eine chirale Substanz, von der es zwei Enantiomere gibt. In der Erdbeere findet die Lebensmittelchemikerin fast nur die eine Molekülsorte. Wird der Aromastoff dagegen im Labor künstlich erzeugt, entsteht ein Gemisch aus beiden Enantiomeren, das sich mit dem Gaschromatograph nachweisen lässt.

    Das Verfahren ist recht komfortabel: Eis oder Joghurt können ohne Vorbereitung direkt untersucht werden. Der Clou ist ein sogenannter Rührfisch, ein kleines ummanteltes Magnet-Stäbchen, dessen Oberfläche eine spezielle Beschichtung trägt.

    Also es ist ein kleiner Rührfisch, der ist belegt mit einer Phase, mit einer Polydimethylsiloxan-Phase, und man kann jetzt mit dieser Phase Substanzen sorbieren, direkt aus dem Lebensmittel im Grund genommen extrahieren.

    Mirjam Kreck steckt den Rührfisch direkt ins Erdbeerjoghurt. Dann lässt sie ihn – durch einen äußeren Magneten angetrieben – einige Minuten darin im Kreis herumwirbeln. Anschließend schiebt sie das Magnetstäbchen, an dessen Oberfläche nun die Aromastoffe hängen, in den Gaschromatographen. Dort wird der Rührfisch erwärmt, die Aromastoffe lösen sich von der Oberfläche und werden mit dem Gasstrom in die Kapillare getragen.

    Die neuen Analyseverfahren sind dabei, sich in der amtlichen Lebensmittelkontrolle zu etablieren und ebenso in der Aromaindustrie, die damit natürliche Rohstoffe wie Zitronenöl auf ihre Echtheit hin überprüfen kann - eine Entwicklung, die dem Verbraucher mehr Sicherheit bringt. Die wissenschaftlichen Leistungen werden von entsprechenden gesetzlichen Regelungen flankiert. So haben sich die Mitglieder der Europäischen Union nach langjähriger Diskussion geeinigt und ein Verzeichnis aller Aromastoffe aufgestellt, die in den Mitgliedsländern verwendet werden. Nach eingehender Prüfung aller Substanzen soll aus diesem Verzeichnis eine so genannte Positivliste entstehen. Armin Mosandl:

    Die Positivliste für Aromen oder für Aromastoffe ist im Werden, die ist noch nicht abgeschlossen. Ich glaub, bis 2005 muss die endgültig stehen. Und dann wird also dieser Grundsatz des Verbotsprinzip wirksam werden, dann dürfen nur noch jene Stoffe verwendet werden, die auf dieser Liste stehen. ......Ich glaube, dass hier ein Höchstmaß an Lebensmittel-Sicherheit und an Sicherheit für den Verbraucher geschaffen wird.

    Letztlich muss jedoch der Verbraucher entscheiden, was ihm schmeckt und wofür er bereit ist, sein Geld auszugeben: Ob für Vanillejoghurt mit schwarzen Pünktchen - die von Vanilleschoten stammen - oder ein Produkt aus dem Kühlregal, das mit naturidentischem Vanillin aromatisiert ist.