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Geschoss vermutlich von jenseits des Mars

Planetologie. - Vor knapp zwei Wochen zerplatzte über dem Großraum Tscheljabinsk am Ural ein Meteor. Russische Behörden berichteten, dass durch die enorme Druckwelle und dabei zersplitterte Fenster über 1500 Menschen verletzt wurden. Darüber, woher das Geschoss kam und warum es nicht vorher entdeckt wurde, konnte aber bislang nur spekuliert werden. Ein kolumbianisches Astronomenteam wertete jetzt Dutzende Internetvideos aus und konnte dem kosmischen Geschoss auf die Spur kommen.

Von Karl Urban | 28.02.2013
    Tscheljabinsk am Ural. Über den wolkenfreien Morgenhimmel zieht eine enorme Sternschnuppe. Ein Meteor, wie ihn Menschen bisher selten gesehen haben, der direkt über dicht bewohntem Gebiet grell aufleuchtet, für Sekundenbruchteile sogar die Sonne überstrahlt – und dann auseinanderbricht. Die Gewalt der Detonation konnten Astronomen dank Infraschallmessungen schnell erklären: mit gut 18 Kilometern pro Sekunde hatte der 17 Meter große Gesteinsbrocken eine beachtliche Wucht. Doch jetzt wollen die Forscher mehr über den Meteor erfahren: etwa, woher er kam, also auf welchem Orbit er die Sonne umkreiste, bis er der Erde gefährlich nahe kam. Jorge Zuluaga von der Universität Anqiquin in Kolumbien hat für diese aufwendige Berechnung nur sechs Tage gebraucht – auch weil seine Gruppe gut vorbereitet war.

    "Wir haben hier ein Team aus Wissenschaftlern und Studenten, die sich mit Astrodynamik beschäftigen. Da geht es überwiegend um kleine Objekte wie Kometen und Asteroiden im äußeren Sonnensystem. Letztes Jahr haben wir die Bahn eines Asteroiden berechnet, nachdem der in Jupiters Atmosphäre eingetreten ist. Im Gegensatz dazu wissen wir über den Tscheljabinsk-Meteor schon jetzt viel mehr. Als wir Aufnahmen aus Russland gesehen haben, war uns sofort klar: Wir könnten auf die gleiche Weise auch hier die Umlaufbahn berechnen."

    Ganz so einfach war es dann doch nicht. Denn die ins Internet gestellten Videos stammten nicht von hochgenauen und kalibrierten Kameras, mit denen Astronomen sonst den Himmel beobachten. Hier waren Amateure am Werk: Autofahrer, die aus Angst vor korrupten Polizisten ihre Fahrt filmten – und Überwachungskameras, die von Gebäuden auf die Straße gerichtet waren. Allerdings kam den kolumbianischen Astronomen der belgische Blogger Stefan Geens zu Hilfe, der nach eigenen Angaben gar nichts von Meteoren versteht. Er stellte eine einfache Methode vor, mit der jeder astronomische Daten des Meteors aus den Youtube-Videos berechnen kann. Neuland auch für Jorge Zuluaga:

    "Wir haben uns erst an die Arbeit gemacht, als wir den Blogeintrag von Stefan Geens gesehen haben. Er hatte schon Azimut und Höhenwinkel des Objekts rudimentär abgeschätzt – einfach anhand des Schattenwurfs von Laternen auf der Straße. In diesem Moment wussten wir: wir haben alles, was nötig ist, um den Orbit zu berechnen."

    Nützlich war bislang vor allem ein Video, bei dem der Meteor einen taghellen Schein und diverse Schatten auf den Platz der Revolution in Tscheljabinsk wirft. Mithilfe eines zweiten Videos und der vermuteten Absturzstelle eines Bruchstücks in einem See verfügten die Forscher nun über drei Punkte, um daraus die Flugbahn in der Luft auf eine Bahn im Sonnensystem umzurechnen. Auf diese Weise fanden die Wissenschaftler heraus, dass der Meteor von Tscheljabinsk offenbar zu den Apollo-Asteroiden gehört hat. Sie umkreisen die Sonne in weit ausgedehnten Umlaufbahnen, die sowohl über die Venus- als auch die Marsbahn hinausreichen. Ganz sicher ist diese Zuordnung aber noch nicht. Zuluaga:

    "Wir wollen jetzt versuchen, den Orbit noch viel genauer zu bestimmen. Dann sind wir vielleicht in der Lage, den Asteroiden in älteren Himmels-Durchmusterungen aufzuspüren. Und wir können herausfinden, warum wir so ein Objekt nicht vorher entdeckt haben."

    Weltweit haben auch andere andere Astronomenteams ihre Arbeit aufgenommen, um die Umlaufbahn des Meteors von Tscheljabinsk noch detaillierter zu berechnen. Die professionelle Auswertung von Amateur-Videos hat also gerade erst begonnen.