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Geschrumpftes Potential

Klimaforschung. – Die Pflanzen dieser Welt sind eine gewaltige Kohlendioxid-Senke. Zusammen mit den Ozeanen kassieren sie rund die Hälfte des in der Atmosphäre befindlichen Treibhausgases umgehend wieder ein. Doch welche Pflanzen wo besonders aktiv sind, ist weitgehend ungeklärt. In der jüngsten "Science" veröffentlichen US-Forscher wieder einmal die Korrektur einer bisherigen Annahme: Diesmal schrumpft das Speicherpotential der nördlichen Wälder, das der tropischen dagegen steigt.

Von Volker Mrasek | 22.06.2007
    2,4 Milliarden Tonnen! So viel Kohlendioxid schlucken die Wälder der mittleren und hohen nördlichen Breiten jedes Jahr, wenn man den Computermodellen Glauben schenkt. Das wäre deutlich mehr als ein Viertel der gesamten CO2-Emissionen von Kraftwerken, Industrie und Verkehr. Eine Zahl, die übermäßig hoch erscheint. Und tatsächlich ist sie das wohl auch: Zu hoch gegriffen.

    "”Unser Ergebnisse zeichnen ein anderes Bild des Kohlenstoff-Kreislaufes. Der Norden nimmt deutlich weniger CO2 auf. Wir landen nicht bei 2,4, sondern lediglich bei 1,5 Milliarden Tonnen für die nördlichen Wälder.""

    Der Hauptautor der neuen Studie, Britton Stephens vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in den USA. Spurengase wie Kohlendioxid verharren nicht in Bodennähe. Gerade im Sommer, bei starker Sonneneinstrahlung, steigt erwärmte Luft auf und befördert dann auch CO2 in größere Höhen. Dieser Vertikal-Transport läuft im Prinzip dort ab, wo sich auch Wolken bilden - nicht überall, sondern hier und da. Die Prozesse sind auf jeden Fall zu kleinräumig, als dass sie von den grobmaschigen Atmosphärenmodellen naturgetreu abgebildet werden könnten. Genau das ist ihr Manko. Kevin Gurney, Co-Autor der neuen Studie und Klimaforscher an der Purdue University in West Lafayette in den USA:

    "”Die Modelle halten das CO2 praktisch in Bodennähe gefangen. Es gibt bei ihnen keinen Aufwärts-Transport. Deshalb kommen sie vor allem im Sommer auf erhöhte CO2-Konzentrationen, wie man sie in der Realität aber gar nicht antrifft. Also war die Folgerung: Wenn es gar nicht so viel Kohlendioxid in Bodennähe gibt, muss es von den Bäumen aufgenommen werden. Die nördlichen Wälder erschienen demnach als große CO2-Senke.""

    Dass dieses Bild jetzt Kratzer bekommt, liegt vor allem an Britton Stephens. Er kam auf die Idee, nach CO2-Meßreihen von Flugzeugen zu suchen. Weil sie auch höhere Atmosphärenschichten abdecken. Am Ende bekam Stephens Zugriff auf ein Dutzend Datensätze aus allen Teilen der Erde. Auch das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena stellte Messergebnisse zur Verfügung, und zwar aus Russland. Aus den Flugzeug-Daten leiteten die Forscher dann CO2-Höhenprofile ab. Und die zeigen nun offenbar: Die Wälder Nordamerikas, Europas und Sibiriens lagern rund 40 Prozent weniger Kohlendioxid ein, als es die Modelle Glauben machen. Für Klimaforscher Gurney ist das nicht nur von akademischer Bedeutung:

    "”Unter klimapolitischen Gesichtspunkten sagt uns diese Studie: Die Vorstellung, dass uns die Biosphäre schon irgendwie im Kampf gegen den Klimawandel retten wird, ist falsch! So viel zusätzliches CO2 können Bäume gar nicht aufnehmen. Dafür ist diese CO2-Senke, wie wir sehen, nicht groß genug. Wir müssen uns stattdessen auf die stärkste Quelle konzentrieren und versuchen, sie einzudämmen. Das ist die Verbrennung fossiler Energieträger.""

    In ihrer Studie richten die Forscher ihren Blick auch auf die Tropen. Hier ist das Bild ein anderes: Regenwälder am Äquator entziehen der Atmosphäre demnach mehr CO2 als bisher angenommen. Sie wurden als Helfershelfer im Kampf gegen den Klimawandel also unterschätzt. Ein Grund mehr, die allgegenwärtige Rodung von Regenwald in den Tropen möglichst zu stoppen. Denn durch sie geht nicht nur die Grüne Lunge der Erde verloren, sondern auch ein wertvoller natürlicher CO2-Speicher. Kevin Gurney betrachtet seine neue Studie als zusätzliche Anregung:

    "”Wir müssen unsere Zusammenarbeit mit Brasilien und Südostasien verstärken. Wir brauchen dringend wissenschaftliche Kooperationen. Denn was die Rodung von Tropenwald für den Kohlenstoff-Kreislauf bedeutet, darüber wissen wir immer noch sehr wenig.""