Archiv


Geschützte Insel vor den Toren Hamburgs

Die Elbinsel Neßsand ist Naturschutzgebiet. Nur einmal im Jahr, am Langen Tag der Stadtnatur, hat eine begrenzte Anzahl von Besuchern Gelegenheit, von Hamburg aus das behütete Fleckchen Erde zu besuchen.

Von Sibylle Hoffmann |
    Noch liegt die Barkasse am Hafentor bei den Hamburger Landungsbrücken.

    "Alle sind an Bord. Drei fehlen, aber nun gut, die haben Pech gehabt. "

    Ja, die haben wirklich Pech gehabt! Bei gewittergrauem Himmel tuckert die Barkasse zwischen Stadt- und Industrieufer eine gute Stunde elbabwärts, vorbei an Werften, Containerterminals, neben gewaltigen Frachtern, Kreuzfahrtriesen her und an dem überaus großen Gelände von Airbus vorüber. Ziel ist die Insel Neßsand. Sie steht unter Naturschutz.

    Neßsand besteht aus drei Sandbänken, die 1942 mit Elbgrund aufgeschüttet und mit rasch wachsenden Pappeln aufgeforstet wurden. Die Bäume sollten zu Streichhölzern werden, die Stadtkasse zu Geld kommen. 1952 aber wurde Neßsand unter Naturschutz gestellt. Pappeln und Weiden fallen nun nach und nach um, schlagen aber immer wieder neu aus.

    Die Insel untersteht drei Ländern, je gut 140 Hektar gehören zu Hamburg und Niedersachsen, ganze elf Hektar zu Schleswig Holstein. Der Inselwart Michael Klamm tut für alle drei Länder hier Dienst. Mit seiner Frau räumt er den angelandeten Müll weg und sorgt dafür, dass Freizeitskipper nur an bestimmten Stränden anlegen.

    "Zur Größe noch mal: 300 Hektar, das ist doppelt so groß wie Helgoland." –

    Bei Flut oder Ebbe, will eine Besucherin wissen

    "Bei Flut oder bei Ebbe? – Können wir drüber diskutieren, das ändert sich ab und zu. Hier haben wir Sandantrag, das sieht man nachher und – abtrag, also ... aber die Frage war gut."

    Die Insel unterliegt einem Tidenhub von etwa 3.60 Meter. Das heißt, es gibt Bereiche, die bei Ebbe regelmäßig trocken fallen und dann bei Flut wieder überspült werden. Das Besondere: Es entsteht ein Süßwasserwatt, denn hier, knapp 100 Kilometer vom offenen Meer entfernt, ist das Flusswasser nicht salzig.

    Weltweit einzigartig ist der Schierlings-Wasserfenchel, der nur im Schlick des Hamburger Süßwasserwatts gedeiht. Dieses Doldengewächs bekommen die Besucher heute allerdings nicht zu sehen. Auf der Südseite der schmalen Insel, wo die seltene Pflanze wächst, nistet nämlich ein Seeadlerpaar und versorgt drei Junge. Störung strengstens verboten.

    Das Elbwasser ist inzwischen so sauber, dass im Frühsommer schon ein Seehund und drei Schweinswale auf der Höhe von Neßsand gesichtet wurden. Ob die Tiere den Schiffsverkehr überleben, ist allerdings unsicher.

    Der Strand von Neßsand ist mit Weiden und Pappeln gesäumt, deren breit ausladendes Wurzelwerk zum Teil frei liegt. Wie Krallen bohrt es sich in den Boden und bildet dunkle Labyrinthe. Ein Dach aus hohem, dichten, dunkelgrünen Gras liegt darüber.

    "Ich hab ja gesagt: Bitte keine Orchideen erwarten."
    "Was ist das?"
    "Das ist die Wiebelschmiele, das ist eine Pflanze, die nur hier im Hamburger Bereich vorkommt"
    "Toll!"
    "Sie sieht hübsch aus, aber wenn man sagt was Einmaliges, erwartet jeder: Sonneblüte, prachtvoll riechen..."
    Klamms Gäste sind sehr bio- und ökologisch interessiert. Die Wiebelschmiele an auf den Weidenwurzeln finden sie ebenso schön wie den Trockenrasen mit Sanddornbüschen, Silbergras, Rotschwingel und Scharfem Mauerpfeffer. Auch lange, exotisch wirkende fiedrige Stengel faszinieren.

    "Ist aber ganz normaler Spargel – hab ich getestet. Kann man überleben."
    "Haben Sie geerntet?"
    "Manchmal wenn ich vorbeigehe, habe ich abgeknipst und aufgefuttert. Schmeckt gut."

    Auf dem nährstoffarmem Boden fernab des Flutsaums gibt eine Blume mit fünf gelben, herzförmigen Blütenblättern und fiedrigem Blattwerk allerdings Rätsel auf. Sie ist in keinem der griffbereiten Lexika verzeichnet. Vielleicht ist sie per Vogel oder Wasser auf Neßsand eingewandert.

    "Was so angespült wird."
    "In 50 oder 100 Jahren haben Sie hier Bananen wachsen."
    "Mal gucken."
    "Dahinten ist der Turmfalke."
    "Der rüttelt gerade. Den Adler haben wir nicht aktivieren können, vielleicht kommt der noch."

    Mittlerweile hat es zu regnen begonnen und statt Adler gibt’s einen Priel, einen bei Niedrigwasser trockenen Wasserlauf, zu bestaunen, der in den verwilderten, dunklen, duftenden Auwald führt. Morsche Äste liegen unter Erlen, Weiden und Pappeln, Gräser wehen sanft. Spuren im feuchten Boden weisen auf Rehe, die vom südlichen Elbufer zur Insel schwimmen.

    Hohe Schiffswellen schlagen an Land und legen die weißen Wurzeln des Röhrichts am Strandsaum frei. In dem grünen Schilfdickicht sollten Schilder aufgestellt werden.

    "Es war warm, kurze Hose, T-Shirt, Sandalen – ach lass uns mal die Abkürzung nehmen, das Schild da... Das heißt ne Schaufel, Pfahl, Schild im Arm noch nen Sack Zement dabei, und dann sind wir durchs Schilf. Wir sahen aus wie die Zombies, alles zerschnitten von dem scharfen Schilf. Unten, die Beine schmutzig - und sind denselben Weg zurück gegangen, weil wir es einfach nicht gefunden haben. Drei Meter hoch – sieht alles gleich aus."

    Das sagt der Inselwart über den Schilfgürtel. - Aber über die Insel mit ihren wilden Naturschönheiten sagt er das nicht!