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Gespaltenes Land
Die Krise im anglophonen Teil Kameruns

Auch mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Kämpfe im anglophonen Teil Kameruns ist ein Ende des Konflikts nicht abzusehen. Seit Jahren fühlt sich die Minderheit im Westen des Landes unterdrückt und benachteiligt. Vor dem Nationalfeiertag überrascht die Zentralregierung mit einem Dialogangebot.

Von Anne Françoise Weber |
Kameruns President Paul Biya im März 2018 beim Staatsbesuch in China in der Großen Halle des Volkes in Peking | Lintao Zhang/Pool Photo via AP)
Kameruns Präsident Paul Biya (Pool Getty Images / AP Photo)
Über 1.800 Todesopfer und 530.000 Vertriebene – so die bisherige Bilanz der blutigen Auseinandersetzungen in den anglophonen Gebieten des zentralafrikanischen Kamerun. Über ein Jahr hat es gedauert, bis die kamerunische Regierung mit einem Dialogangebot reagierte.
"Was die politischen Probleme angeht, hat mir der Präsident diese Botschaft mitgegeben: Er hat als Staatschef geschworen, die Einheit des Landes zu bewahren. Deswegen steht eine Trennung nicht auf der Tagesordnung. Aber sonst kann jeder andere Punkt diskutiert werden."
Mit diesen Worten überbrachte der kamerunische Premierminister Joseph Dion Ngute am 9. Mai die Botschaft von Präsident Paul Biya in die zwei anglophonen Provinzen Kameruns, die ungefähr ein Fünftel des Landes ausmachen - ein Dialogangebot, das reichlich spät kommt -, zumal es schon vielfältige Vermittlungsangebote gab, die der Regierung unterbreitet wurden.
Kirche als Vermittler
Zum Beispiel auf Initiative von Samuel Kleda, Erzbischof der Wirtschaftsmetropole Douala, die nah an den anglophonen Gebieten liegt. Gemeinsam mit den übrigen kamerunischen Bischöfen, aber auch mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften hat er bereits mehrere Anläufe zur Verständigung gestartet - ohne Erfolg. Er sagt:
Der Erzbischof von Douala Samuel Kleda
Der Erzbischof von Douala Samuel Kleda hat verschiedene Dialogversuche gestartet (Deutschlandradio / Roméo Ghislain Zafack)
"Wir haben uns zusammengesetzt, einen Plan erstellt und alles den Behörden übergeben. Wir warten bis heute. Wir wollten nicht einfach so beginnen, aber bisher gab es überhaupt keine Reaktion, nicht einmal eine Empfangsbestätigung, nichts."
Erst internationaler Druck konnte die Regierung unter Langzeitpräsident Paul Biya dazu bewegen, nach einigen kosmetischen Maßnahmen überhaupt einen ernsthaften Schritt in Richtung der Rebellen zu tun. Die nehmen für sich in Anspruch, die Interessen der anglophonen Bevölkerung zu vertreten, stellen aber zugleich keine einheitliche Gruppe dar. Dass die Regierung so lange untätig geblieben ist, hat indessen Folgen: Während vielen anglophonen Kamerunern anfangs noch die Rückkehr zu einem föderalen System gereicht hätte, ist heute der Ruf nach einem eigenen Staat viel lauter geworden, analysiert Jules Romuald Nkonlak, Chefredakteur der regierungskritischen Tageszeitung Le Jour:
"Die Separatisten waren zu Beginn eine kleine Gruppe, aber sie haben sich vermehrt. Nicht alle fordern heute die Abspaltung, aber ich glaube, ihre Zahl hat in den letzten drei, vier Jahren bedeutend zugenommen. Ich glaube, das Fehlen eines Dialogs hat die Leute in diesen Regionen verhärtet und radikalisiert."
Auch wenn aufständische Milizen zahlreiche Sicherheitskräfte und Zivilisten ermordet und Schulen in Brand gesteckt haben, will der Journalist Jules Romuald Nkonlak den Aufstand grundsätzlich nicht verteufeln:
"Ich glaube, dass die Leute, die da Forderungen aufstellen und sich beklagen, nicht der Logik eines Krieges oder einer Destabilisierung Kameruns folgen, wie es die Regierung glauben machen will. Es ist nur eine Frage des Wohlergehens: Die Leute wollen besser leben. Sie wollen keine Menschen töten und Kamerun nicht zerstören."
Der Journalist Jules Romuald Nkonlak der Tageszeitung Le Jour in Kamerun
Der Journalist Jules Romuald Nkonlak stellt eine Radikalisierung der anglophonen Bevölkerung fest (Deutschlandradio / Roméo Ghislain Zafack)
Konflikt mit Wurzeln in der Kolonialzeit
Die Forderungen nach einem besseren Leben und weniger Benachteiligung sind alt im anglophonen Teil Kameruns - sie begannen kurz nach der Vereinigung der beiden Landesteile. Dies geschah in zwei Etappen: 1961, kurz nach der Befreiung von der französischen bzw. britischen Kolonialmacht entstand ein föderaler Staat, Bundesrepublik genannt. Diese wurde am 20. Mai 1972 per Referendum zur "Vereinigten Republik". Der Fotograf Lawrence Chi Nyamnjoh, der schon damals aus dem anglophonen Teil in die Hauptstadt Yaoundé gezogen war, erinnert sich:
"In der Zeit gab es diese Euphorie, wir wollten uns vereinen. Mich ließ die Bezeichnung Vereinigte Republik von Kamerun an die Vereinigten Staaten von Amerika denken; es machte mich glücklich, weil ich dachte, das wäre anders als eine Bundesrepublik - und besser."
Doch damit wurde auch die starke Dominanz der Zentralregierung in der Hauptstadt Yaoundé besiegelt, die sich trotz verschiedener Verfassungsänderungen bis heute gehalten hat. Die seit den 1990ern versprochene Dezentralisierung wurde kaum umgesetzt, und die anglophonen Bürger fühlen sich im Bildungssystem, in der Justiz und im Alltag von der Zentralregierung und den Behörden diskriminiert. Der Familienvater Peter, der seinen echten Namen lieber nicht nennen will, hat da seine eigenen Erfahrungen gesammelt:
"Ich persönlich hatte eine Auseinandersetzung mit der Polizei hier in Douala, weil sie mich behandelt haben wie einen Ausländer, wie einen Nigerianer. Das war schlimm. Ich habe ihnen meinen Ausweis gezeigt, aber sie sagten, der sei gefälscht. Ich wurde diskriminiert, weil ich anglophon bin. Das war 2011. Ich habe sie gefragt: Warum behandelt ihr mich wie einen Ausländer in meinem eigenen Land? Es war klar, dass so ein Aufstand eines Tages kommen könnte, weil die Rechte der Minderheit nicht respektiert wurden."
Die Proteste begannen 2016 zunächst mit Streiks von Lehrern und Rechtsanwälten. Doch innerhalb eines Jahres wurde daraus ein bewaffneter Aufstand, stark geschürt von Kamerunern im Ausland. Sieben verschiedene Milizen kämpfen einem aktuellen Bericht des Thinktanks International Crisis Group mittlerweile vor Ort gegen die Sicherheitskräfte. Die Zivilbevölkerung, sofern sie noch ausharrt, steht dazwischen. Peters Schwiegereltern Steve und Mary, die ihre wirklichen Namen aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben wollen, haben mit ihrer ganzen Familie vor einem Jahr ihre Farm in der Region Süd-West verlassen. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Stadt Limbe flohen sie weiter nach Douala, wo sie bei ihrem Schwiegersohn unterkamen. Jetzt leben 18 Personen unter einem Dach - statt vorher fünf. Und alle leben sie von Peters magerem Gehalt, das jetzt auch noch für die Schulkosten der geflohenen Kinder reichen muss. Die Kokosnussernte auf ihrer Farm ist verloren, das wichtigste Einkommen des Jahres dahin.
Wachsende Radikalisierung
Steve beklagt die Grausamkeiten auf beiden Seiten, von der Regierung ebenso wie von den Rebellen. Auslöser des Konflikts ist für ihn die Regierung. Aber auch den kamerunischen Organisationen im Ausland steht er skeptisch gegenüber. Diese träumen von einem eigenen Staat und haben dafür schon zwei rivalisierende Regierungen aufgestellt. Steve hingegen meint:
"Wir brauchen alle zusammen, so dass wir zu einer Übereinkunft kommen und gemeinsam für das Wohlergehen dieses Landes kämpfen. Die Leute aus dem Exil müssen zurückkommen, wenn sie hier mitbestimmen wollen. Sie können nicht aus Berlin, Frankreich oder den USA regieren. Sie müssen herkommen, damit wir ihren Plan kennen."
Steve hofft, dass sich mit dem Dialogangebot der Regierung die Krise endlich beilegen lässt. Noch sieht es aber nicht so aus: Seine Frau Mary wollte eigentlich demnächst zurück zu ihrer Farm, um wenigstens kurz nach dem Rechten zu sehen und ein paar Kochbananen mitzubringen - zur Zeit kann sich die Familie nur noch von Reis ernähren. Doch nun hat Mary bei einem der seltenen Telefongespräche mit Nachbarn gehört, dass in ihrer Region wieder geschossen wird - und sie will nicht wieder Todesangst haben. Also versucht sie weiter, die Familie in Douala mit dem durchzubringen, was sie eben haben. Doch auch hier wird das Leben aufgrund der Krise immer schwieriger:
"Wenn man zum Markt geht, sind alle verärgert dort. Die frankophonen Frauen sagen: Der Präsident soll bitte dieses Problem beenden, damit wir Essen haben. Meine Kinder sterben zuhause vor Hunger. Manchmal gehen wir zum Markt, und es gibt gar keine Lebensmittel, weil die Leute Angst haben, in die anglophonen Gebiete zu gehen und dort zu ernten. Deswegen leiden alle unter dem Problem."