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Gespenstische Mischung aus Chicago und Oktoberfest

Am 4. August 1971 überfielen zwei bewaffnete Bankräuber eine Filiale der Deutschen Bank in München. Doch statt mit den Tageseinnahmen zu entkommen, verlangten sie zwei Millionen Mark und nahmen Geiseln. Bis dahin ein einmaliger Vorgang in Deutschland.

Von Otto Langels | 04.08.2011
    Der Reporter vor Ort:

    Meine Damen und Herren, ich glaube, so etwas hat München noch nie erlebt. Die vielen Kriminalbeamten, die hier herumstehen, sie schütteln nur den Kopf. So etwas ist in München noch nie vorgekommen.

    Nicht nur in München, in ganz Deutschland war noch nie vorgekommen, was sich vor den Augen des Rundfunkreporters Hans-Dieter Wolf am 4. August 1971 in der Prinzregentenstraße abspielte:

    Der 31-jährige Hans Georg Rammelmayr und der 24-jährige Dimitri Todorov dringen kurz vor 16 Uhr in die Filiale der Deutschen Bank ein, mit vorgehaltenen Waffen und maskiert. Doch statt mit den Tageseinnahmen zu entkommen, fordern sie zwei Millionen DM sowie ein Fluchtfahrzeug und freien Abzug. Die Bankangestellten und Kunden, insgesamt 18 Personen, nehmen sie als Geiseln.

    Kurz darauf ist die alarmierte Polizei mit einem Großaufgebot am Tatort in der Münchener Innenstadt. Ein Reporter:

    Die Polizei hat mit zwei Hundertschaften die ganze Umgebung von Schaulustigen geräumt, denn die Sicherheit der Passanten und auch der umliegenden Häuser ist durch die Möglichkeit des rücksichtslosen Schusswaffengebrauches gefährdet.

    Scharfschützen gehen in Stellung, Krankenwagen stehen bereit, Hubschrauber kreisen über dem Viertel, Kameraleute beobachten das Geschehen. In den folgenden Stunden lassen die Gangster zwölf der 18 Geiseln frei. Das geforderte Fluchtfahrzeug wird vor der Bank abgestellt, aber die Bitte der Polizei, alle Geiseln laufen zu lassen, lehnen Rammelmayr und Todorov ab. Reporter:

    Als die Gangster mit Lebensmitteln versorgt wurden, konnte man durch die sich öffnende Tür eine gefesselte Frau sitzen sehen.

    Eine der Geiseln zeigt während des zermürbenden Wartens Sympathie für Dimitri Todorov, ein psychologisches Phänomen, das seit einem fünftägigen Geiseldrama in einer schwedischen Bank als Stockholm-Syndrom bezeichnet wird. Später erklärt Todorov:

    "Sie hat Angst vor dem Revolver gehabt, und ich hab das Ding dauernd in der Hand. Ich hab den Revolver dann auf den Boden gelegt hinter mich, dass sie ihn nicht mehr sehen kann."

    Das Ultimatum der Bankräuber läuft um 22 Uhr ab. Sie verlängern es zweimal. Um 23.40 Uhr tritt der Kassierer vor die Tür. Er bringt in einem Jutesack die geforderten zwei Millionen Mark zu dem Fluchtfahrzeug und kehrt in die Bank zurück, um seine Kollegin, die 20-jährige Ingrid Reppel, zum Auto zu begleiten. Die Gangster haben ihr die Augen verbunden und die Hände gefesselt. Sie nimmt auf dem Beifahrersitz Platz.

    Nun folgt Rammelmayr, die Maschinenpistole in der linken, den Revolver in der rechten Hand, eine knallrote Kapuze über dem Kopf. Er geht langsam zum Auto und setzt sich hinter das Steuer. Reporter:

    Polizeipräsident Dr. Schreiber gibt in diesem Moment die ersten Anweisungen an die Scharfschützen.

    Scharfschützen ohne spezielle Schießausbildung geben Dutzende Schüsse auf den Wagen ab. Kurz darauf stürmen Polizisten das Bankgebäude.

    Reporter:Jetzt wird in dem Moment die Eingangstür zur Bank eingeschlagen. Man hört deutlich das Geklirre des Glases. Und nun, glaube ich, haben die Gangster keine Chance mehr.

    Zahllose Zuschauer verfolgen das Geschehen pfeifend und johlend aus der Nähe, eine "gespenstische Mischung von Chicago und Oktoberfest", so die "Süddeutsche Zeitung".

    Die Bilanz der mitternächtlichen Schießerei: Hans Georg Rammelmayr stirbt am Tatort. Die Geisel Ingrid Reppel, von einer Kugel aus Rammelmayrs Revolver getroffen, erliegt eine Stunde später im Krankenhaus ihren Verletzungen. Dimitri Todorov wird nach einem kurzen Schusswechsel in der Bank überwältigt. Die Geiseln in seiner Gewalt sind unverletzt. Er wird später zu lebenslanger Haft verurteilt und nach 22 Jahren aus dem Gefängnis entlassen.

    Wegen des blutigen Endes sieht sich der Einsatzleiter, Oberstaatsanwalt Erich Sechser, heftiger Kritik ausgesetzt.

    "Man musste sich dabei natürlich überlegen, dass eventuell auch eine Geisel mal verletzt werden kann, wie es ja auch geschehen ist. Diese Rechtsgüterabwägung ist uns schwergefallen, aber sie musste der Situation nach getroffen werden."
    Die Spezialeinheiten, die man als Konsequenz des Münchener Bankraubs aufstellte, konnten weitere blutige Geiselnahmen nicht verhindern, im Gegenteil. Der Überfall in der Prinzregentenstraße verblasste im Vergleich zu dem dreitägigen spektakulären Geiseldrama von Gladbeck im August 1988. Auch hier gab es Tote, zahllose Schaulustige und ein höchst fragwürdiges Verhalten mancher Journalisten.