Dienstag, 16. April 2024

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Gespräch mit Christoph Luxenberg über sein Buch. Die Syro-aramäische Lesart des Koran. Bd. 1

Der Islam erfreut sich gegenwärtig neuen Interesses, haben doch manche seiner Anhänger als neue Weltbedrohung verschärfte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Unübersehbar hat sich die Zahl der Bücher deshalb gesteigert, die sich mit dieser Weltreligion befassen. Eher selten findet man darunter textkritische Untersuchungen des Koran, denn Voraussetzung einer solch aufklärerischen Arbeit ist eine Säkularisierung, die von islamischen Fanatikern nicht selten mit Mord bestraft wird. Faruq Foda, ein ägyptischer 'Säkularist’, wie man solche Wissenschaftler in der arabischen Welt gerne nennt, wurde auf offener Straße erschossen, der palästinensische Professor Suliman Basheer aus dem Fenster geworfen, Nasr Hamed Abu Zaid musste Ägypten verlassen, der Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus wurde in Kairo attackiert. Die Schärfe und Brutalität, mit der die angeblich einzig wahre Exegese vertreten wird, hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass die Auslegung des Koran benutzt wird, um politische Macht zu erlangen oder zu legitimieren. Das gilt für Saddam Hussein ebenso wie für die Taliban, für das saudische Regime ebenso wie für Hosni Mubarak in Ägypten. Ein Phänomen, das wir in der Geschichte Europas nebenbei bemerkt ja auch kennen. Im Koran, so wird immer wieder behauptet, habe sich das Wort Allahs definitiv manifestiert. Textkritik ist immer auch Ideologiekritik. Will man die politische Debatte in der arabischen Welt verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass sich auch die politische Sprache aus dem Koran als dem bedeutendsten religiösen Text speist. Dieser Umstand macht jede textkritische wissenschaftliche Analyse zu einem politisch riskanten Unterfangen. Das weiß auch der Autor des auf den ersten Blick so fachwissenschaftlich-harmlos wirkenden Buches 'Die Syro-aramäische Lesart des Koran’. Der erste Band seiner Arbeit erschien unter dem Pseudonym Christoph Luxenberg und erregte nicht nur in der Fachwelt großes Aufsehen. Die New York Times druckte im März dieses Jahres ebenso eine Rezension wie die Neue Züricher und der Guardian in London. Unbeirrt von den Gefahren arbeitet Luxenberg nun am zweiten Band, der Anfang kommenden Jahres wieder im Hans Schiler Verlag in Heidelberg erscheinen soll.

Christoph Burgmer | 02.09.2002
    Christoph Burgmer hat mit Christoph Luxenberg gesprochen.

    Burgmer: Herr Luxenberg, "Die syro-aramäische Lesart des Koran", so der Titel Ihres Buches, dürfte für viele Zuhörer erst einmal wenig aussagen. Was verbirgt sich denn hinter diesem Titel für ein wissenschaftlicher Ansatz, warum ist es überhaupt notwendig, dass man den Koran neu interpretiert?

    Luxenberg: Mein Ansatz ist zunächst sprachhistorischer Art, denn man muss bedenken, dass der Koran das erste überhaupt arabisch verfasste Buch ist. Zuvor war Arabisch überhaupt keine Schriftsprache. Damals war das Aramäische die Lingua franca wie auch die Schriftsprache im ganzen vorderasiatischen Raum. Daher die Frage: Wie ist überhaupt dieses Schrift-Arabisch entstanden? Es war für mich klar, dass Redaktoren, die sich in dieser Sprache schriftlich artikulieren konnten, dass sie also gebildet gewesen sein müssen. Daher die einfache Frage: Wo haben sie überhaupt ihre Vorbildung her? Arabische Schulen gab es bekanntlich nicht. Mir lag es daher nahe, dass sie wohl im aramäischen Sprachraum ihre Vorbildung erhalten hatten.

    Burgmer: Das heißt, das Aramäische fungiert so, ist Teil des Koran, der Koransprache?

    Luxenberg: Es ist jedenfalls für mich ganz eindeutig, da muss also ein Übergang gewesen sein. Es ist der Übergang von einer vorarabischen, aramäischen Kultur in die uns heute bekannte arabische Kultur.

    Burgmer: Nun sagt die koranische Tradition, dass der Koran die Sprache Gottes ist und so geschaffen wurde, wie er heute existiert.

    Luxenberg: Wir wissen, dass Gott auch menschliche Mittel verwendet, um seine Worte den Menschen zu vermitteln.

    Burgmer: Diese Vorgehensweise, die Sie gewählt haben, ist sehr neu. Es ist eine sprachlich kulturhistorische Vorgehensweise, eine textkritische Vorgehensweise. Was hat Sie dazu bewogen, diese beiden Dinge miteinander zu verbinden, die so bislang noch niemals gemacht wurden?

    Luxenberg: Ausgangspunkt waren für mich zunächst die sogenannten dunklen Stellen des Koran. Man weiß in der Koran-Forschung, aber auch die arabischen Kommentatoren gestehen, dass sie viele Passagen des Koran, nicht erklären können. Für mich war es ganz einfach: Ja, warum? Ja, weil die arabischen Philologen sich nur auf das Arabische konzentriert haben. Sie haben versucht, aus ihren arabischen Kenntnissen her diesen Korantext zu erklären. Daher war für mich dieser Ansatz schon mal falsch, und daher auch mein Versuch, diese dunklen Passagen über das Aramäische zu klären zu suchen.

    Burgmer: Nun sind beides semitische Sprachen. Wir müssen da vielleicht noch mal für den Zuhörer die Besonderheiten dieser Sprachen klären und warum es im Koran solche dunklen, nicht erklärbaren Stellen überhaupt gibt.

    Luxenberg: Ja, also Syro-Aramäisch, Aramäisch wie auch Arabisch sind ja semitische Schwestersprachen. Man könnte sie mit Deutsch und Niederländisch vergleichen. Es gibt gemeinsame Wurzeln, ethymologisch mögen sie miteinander zusammenhängen, aber semantisch hat sich vielfach die Bedeutung gewandelt. So bestehen teilweise erhebliche Sinnunterschiede. Denken Sie hier zum Beispiel an Deutsch: "bellen" und an Holländisch: "bellen". Kommt ein Holländer nach Deutschland und denkt sich: "Bellen" auf Holländisch heißt Klingen. Es ist ja so gut wie Deutsch. Ich schreibe auf meine Klingel: "Bitte dreimal bellen." So ähnlich ist es auch im Koran. Und deswegen muss man eigentlich jeden Ausdruck hinterfragen. Denn hinter der Formal, der arabischen Form, kann sich ein aramäischer Sinn verstecken, und daher mein Versuch, und ich muss sagen, ich habe ziemlich regelmäßig, damit einen besseren Sinn, einen zum Text, in den Text besser passenden Sinn herausbekommen.

    Burgmer: Eine weitere Besonderheit ist es, die arabische Sprache die kurz gesprochenen Konsonanten nicht verschriftlich hat, die gesamte Verschriftlichung des Koran sowieso später bis nach der Offenbarung. Welche Besonderheiten ergeben sich daraus für die wissenschaftliche Betrachtung?

    Luxenberg: Ja, das ist natürlich ein zusätzliches Problem, das Sie damit ansprechen. Denn wir müssen wissen, dass die arabische Konsonantenschrift sich von der aramäischen in soweit unterscheidet, als das arabische Schriftzeichen nur sechs Zeichen, Buchstaben, hat, die eindeutig sind. 22 Buchstaben sind zwei- oder mehrdeutig. Später hat man sich ein Punktsystem ausgedacht, um sie voneinander zu unterscheiden. Die frühen Korane hatte aber diese Punkte, die wir hier kritische Punkte nennen, gar nicht gehabt, und man hat also später, um die Lektüre dem Laien zu erleichtern, diese Punkte später eingesetzt. Es für mich klar, dass man sich da geirrt haben muss, also wenn man nur vom Arabischen ausgegangen ist, dass man sich notwendigerweise hier und da verlesen hat.

    Burgmer: Können Sie uns so ein Beispiel geben, wo es falsch interpretiert wurde. Ich habe es in dem Buch gelesen, sehr schön ausgeführt, den Begriff "hur" bzw. "huri", Paradiesjungfrauen, die den Gläubigen nach seinem Tod erwarten.

    Luxenberg: Das ist natürlich ein plakatives Beispiel. Ich bin ja von der koranischen Aussage ausgegangen, dass zwischen dem Koran und der Schrift kein Unterschied besteht. Für mich war es natürlich frappierend zu lesen, dass es im Koran angebliche sog. "huris" oder Paradiesjungfrauen gibt, in der Schrift, dem Evangelium oder im Alten Testament davon aber keine Rede ist. Daher mein Versuch, diesen Text oder diese Passagen neu zu lesen und Aramäisch zu klären. Ausgangspunkt dieser Vorstellung ist ein Satz, den die Araber, die arabischen Philologen so gelesen haben: Wir werden sie mit solchen "huris" oder Paradiesjungfrauen verheiraten. Liest man diesen Buchstaben im Original, also ohne Punkt, ist es ein R. Dann lese ich Aramäisch: Wir werden sie ausruhen lassen, wir werden es ihnen bequem machen. Und dann: Die Araber haben unter der Präposition mit verstanden, im Aramäischen kann es auch heißen: unter. Und jetzt "hur" ist zwar formal Arabisch, es ist ein Femino-Plural, aber die Wurzel ist Aramäisch und heißt "weiß". Weiß ist aber nur ein metaphorischer Ausdruck, und das der zur Komparation ist, das heißt, das subintilligierte Wort ist hier zu suchen. Und im Paradies ist ja von Früchten die Rede, und da die Frucht des Paradieses par excellence die Rebe ist, war es für mich klar, und auch nach den Syra-Aramäischen Lexika bezeichnet "hur" "Jedem eine weiße Weinrebe". Damit sind weiße Weintrauben gemeint und keine Paradiesjungfrauen.

    Burgmer: Nun ist es ein Minenfeld, wenn man sich dahin begibt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, den Koran textkritisch, mit modernen wissenschaftlichen textkritischen Methoden, zu analysieren und umzuinterpretieren. Man denke nur an das - um nochmal auf das plakative Beispiel zurückzugehen - an die Selbstmordattentäter in Palästina, denen versprochen wird: Nachher werden die Paradiesjungfrauen auf dich warten. Aber wir brauchen gar nicht so plakativ zu sein, wir können sehen in der islamischen Welt, dass immer wieder, wenn Wissenschaftler versucht haben in den letzten Jahrzehnten, textkritisch mit dem Koran umzugehen, sie Anfeindungen ausgesetzt waren islamischer, man sagt im allgemeinen Fundamentalisten, wir können auch Integristen sagen oder Radikaler, die solche Sachen nicht zulassen. Der Sprengstoff entfaltet sich um das gottgegebene Wort, nämlich den Koran, herum. Sind Sie sich dessen bewusst, dass eine solche Wirkung damit erzielt werden kann?

    Luxenberg: Ja, es stimmt sicherlich, dass man diese Arbeit zu allen möglichen Zwecken ausnutzen kann. Und sicherlich muss man da sehr vorsichtig sein. Aber ich glaube, man muss hier besonders pädagogisch vorgehen. Wenn ich klarmache, dass der Koran ursprünglich keine Punkte hatte und dass eine Menschenhand diese Punkte da eingefügt hat, dann kann jeder gläubige Moslem einsehen, dass hier eine menschliche Hand sich irren konnte, aber nicht der Koran. Und wenn ich mit historischen, mit vernünftigen Gründen erkläre, dass der Koran ursprünglich so zu lesen war, dann glaube ich, dass auch ein gläubiger Moslem bereit sein wird, dies einzusehen.

    Christoph Burgmer sprach mit Christoph Luxenberg, dem Autor des Buches 'Die Syro-aramäische Lesart des Koran’. Der erste Band war im Jahr 2000 im Hans Schiler Verlag erschienen, hat 312 Seiten und kostet 29.70 Euro . Der zweite Band soll Anfang 2003 erscheinen.

    Ein weiteres Buch zur ideologischen Auseinandersetzung um religiöse Interpretationen in der islamischen Welt ist dieser Tage im Verlag Wunderhorn erschienen. Autor ist der tunesische, in Paris lebende Schriftsteller Abdelwhab Meddeb, und der Titel lautet in Anlehnung an Thomas Manns Begriff von der deutschen Krankheit: Die Krankheit des Islam. Mit der genauen Kenntnis der Überlieferung untersucht Meddeb die Geschichte der islamistischen Bewegungen und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart. Für ihn beginnt der aktuelle Terror islamischer Fanatiker schon im Jahr 1979 mit dem Triumph Chomeinis im Iran und der sowjetischen Besetzung Afghanistans. Meddeb wendet sich aber auch gegen den Puritanismus Us-amerikanischer Politik und deren Versuch, den Islam zum Inbegriff des Bösen zu befördern. Das Buch hat 252 Seiten und kostet 28,80 Euro .

    Und ganz zum Schluss möchte ich Sie heute angesichts des bevorstehenden bundesweiten Aktionstages zur Bundestagswahl am 14. September hier in Köln, veranstaltet von globalisierungskritischen Gruppen wie Attac, noch auf ein weiteres Buch hinweisen. Passend zum Demonstrations-Datum ist dieser Tage beim Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch das 'Handbuch für Globalisierungskritiker’ erschienen. Das Taschenbuch heißt 'Unsere Welt ist keine Ware’ und bietet auf 250 Seiten Aufsätze zahlreicher Autoren zu den wichtigsten Themen des Protests gegen die totale Kapitalisierung der Welt. Das Spektrum der Autoren reicht von Noam Chomsky bis zu Hans Jochen Vogel, den man auf den ersten Blick vermutlich nicht unbedingt zu den radikaleren Kapitalismuskritikern gerechnet hätte. 'Unsere Welt ist keine Ware’ kostet 9.90 Euro .