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Gesprächskultur
Tabuthema Tod bei Kaffee und Kuchen

Bei Kaffee und Kuchen über den Tod und das Sterben sprechen: in Großbritannien kein Problem. In sogenannten Death Cafés treffen sich wildfremde Menschen, um über ihre Ängste und Hoffnungen zu berichten.

Von Ruth Rach |
    Bunte Laternen, weiche Kissen, Blumen, Bücher, Schalen mit Herbstfrüchten. Das Buttercup Café ist ein fröhlicher Ort, aber an diesem Abend wird es erstmals in ein Death Café verwandelt, in dem Gäste über ein Tabu sprechen wollen, den Tod.
    "Wir haben ein volles Haus, über 40 Leute, etliche mussten wir sogar auf eine Warteliste setzen",
    sagt Polly: Sie hat den Abend mit organisiert. Ein Death Café sei, erklärt Polly, kein morbides Kaffeekränzchen und auch keine Therapiestunde. Es biete einfach einen informellen Rahmen, um über den Tod und das Leben nachzudenken.
    "Der Eintritt ist frei. Aber für Kaffee und Kuchen muss jeder selbst bezahlen."
    Um halb sieben sind alle da: überwiegend Frauen zwischen 30 und 50. Der Raum hat fünf Tische mit je einem Gruppenmoderator, der dafür sorgt, dass jeder zu Wort kommt, und niemand kritisiert oder mit guten Ratschlägen überhäuft wird. Alan, ein Filmemacher, sagt, ihn habe vor allem die Neugier ins Café getrieben. Natürlich kämen ihm beim Wort Tod auch Beklemmungen hoch, aber es gebe durchaus andere Seiten, und die wolle er kennenlernen.
    "Wir sollten dafür sorgen, dass jeder einen möglichst guten Tod hat",
    meint Dinah. Sie arbeitet in der Altenforschung und will lieber jetzt über ihren Tod nachdenken, und praktische Vorbereitungen treffen, als ganz zum Schluss, wenn sie nichts mehr beeinflussen kann.
    Jeder Tisch führt seine eigene Diskussion. Die Teilnehmer stellen sich vor und erklären, warum sie da sind. Anna spricht von ihrer Mutter, die an Demenz erkrankt ist, das sei wie ein schleichender Tod. Christina erzählt, ihr elfjähriger Sohn habe entsetzlich Angst, sie könne ihm wegsterben. Sie sei nicht gläubig, um ihn zu trösten, und könne ihn nur ganz fest in den Arm nehmen. Und Matthew schweigt erst einmal. Dann sagt er plötzlich:
    "Ich will leben, bevor ich sterbe."
    Die Äußerungen sind höchst individuell, und kreisen doch immer wieder um ähnliche Fragen: was tun, wenn ein Sterbende gar nicht über den Tod reden will? Und dann die vielen Besitztümer. Matthews Mutter hat radikal ausgemistet und ihm nichts Persönliches zurückgelassen, das sei ganz schrecklich gewesen. Christina dagegen fand es schmerzlich, die vielen Überbleibsel ihrer Eltern auszusortieren. Manche Traveller lassen sich mitsamt ihrem Wohnwagen verbrennen, erzählt sie.
    In der Pause gehen die Gespräche weiter. Wildfremde Menschen tauschen sich aus, als würden sie sich ein Leben lang kennen. Sadie, eine Unternehmerin, hat beide Eltern in den Tod begleitet. Jetzt ist sie selbst schwer krank.
    "An einem guten Tag verleiht der Tod meinem Leben ein ganz besonderes Leuchten. Meine Mutter hingegen klammerte sich bis zuletzt total verzweifelt ans Leben. Und mein Vater wiederum wollte nicht loslassen, weil er sich um seine Kinder grämte. Aber der Tod kommt zu uns. Und als er dann bei meinem Vater war, fielen alle Sorgen von ihm ab, denn dort, wo er hinging, sind sie nicht mehr wichtig."
    Nach der Pause wird in Zweiergruppen diskutiert: Wie stelle ich mir meinen idealen Tod vor? Rosie, von Beruf Osteopathin, hat klare Vorstellungen.
    "Also ich werde eine Tasse Tee trinken, und mich dann in mein Bett legen, einschlafen, und im Schlaf sterben. Am schlimmsten wäre es, Leute um mich herum zu haben, die Gitarre spielen oder buddhistische Gebete murmeln."
    "Ich wäre am liebsten in der freien Natur im Einklang mit Mutter Erde",
    sagt Megan, eine Kunsttherapeutin. Sie hat sich noch nie über ihren eigenen Tod Gedanken gemacht. Das war ein toller Abend, findet sie: entspannt, witzig, nachdenklich, und total ehrlich.
    Hermione, Mitgründerin der Stiftung 'Living Well Dying Well', hält es für erstaunlich, wie wenig die meisten Menschen auf den Tod vorbereitet seien. Hermione hat schon viele Menschen in den Tod begleitet. Sie versteht sich als 'doula', eine spirituelle Hebamme, die den Menschen den Übergang in den Tod erleichtert.
    "Der Tod ist so wichtig wie die Geburt – und wird doch so wenig beachtet. Gerade am Sterbebett ist es manchmal schwer, nichts zu tun, nichts zu sagen, und einfach nur präsent zu sein – vor allem in unserer Kultur. Wir fühlen uns viel wohler, wenn wir etwas tun können. Manche Leute, die hier über ihren idealen Tod gesprochen haben, wünschen sich allerdings auch Dinge, die sie mitten im Leben verwirklichen können. Warum wollen sie bis zu ihrem Ende warten, bis sie ihren Freunden sagen können, dass sie sie lieb haben?"