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Gestirne im Schuhkarton

Archäologie. – Ein staunenswertes Wunderwerk der Technik ist der "Mechanismus von Antikythera". Es handelt sich um einen Apparat, der die Bewegung der Gestirne mit ungeheurer vorhersagen konnte und aus der hellenistischen Ägäis des späten zweiten vorchristlichen Jahrhunderts stammt. Wissenschaftler glauben jetzt seine Funktionsweise herausgefunden zu haben.

Von Björn Schwentker | 30.11.2006
    Der Apparat von der Größe eines Schuhkartons war eine Art Mini-Planetarium. Seine Zeiger gaben zum Beispiel die Stellung von Sonne und Mond im Kreis der Sternzeichen an. Erstaunlich ist vor allem die technische Komplexität des
    Mechanismus von Antikythera. Als er im zweiten Jahrhundert vor Christus erschaffen wurde, war er seiner Zeit um ein Jahrtausend voraus. Zahnradgetriebe von solcher Finesse gab es erst wieder im Mittelalter, sagt der Astronom Mike Edmunds von der Universität im britischen Cardiff:

    "”Es gibt einfach nichts Vergleichbares. Diese Maschine zeigt, dass die griechische Technologie vielleicht viel fortgeschrittener war, als bisher angenommen. Man fragt sich, wie viel davon verloren ging, und was die Griechen noch alles konnten.""

    Ein Forscherteam um den britischen Astronomen hat den Mechanismus nun mit neusten technischen Methoden untersucht. Seitdem die Bruchstücke des Getriebes vor 100 Jahren vom Grund des Mittelmeers geborgen wurden, streiten Wissenschaftler, wie die vielen Bronze-Zahnrädchen in seinem Inneren zusammengesetzt waren. Das ist heute kaum mehr zu erkennen. Was von dem technischen Wunderwerk übrig blieb, sind nur noch ein paar unförmige verrostete Klumpen. Heute werden sie im Athener Nationalmuseum aufbewahrt. Edmunds:

    "Sie sind so wertvoll, dass sie nicht aus dem Museum entfernt werden dürfen. Darum mussten wir unsere ganze Ausstattung nach Athen bringen. Zum Beispiel haben wir einen siebeneinhalb Tonnen schweren Röntgen-Tomographen aus Großbritannien nach Griechenland gefahren, und dort in den Keller des Athener Museums bugsiert. Er passte gerade so rein."


    Mit dem Röntgen-Tomographen ließen sich Bilder vom Inneren der Rostbrocken machte. 30 feinste Rädchen kamen zum Vorschein, mit bis zu 224 Zähnen. Außerdem gelang es den Forschern, große Teile der altgriechischen Inschrift auf dem Apparat zu entziffern – eine Art Gebrauchsanleitung der Maschine. Jetzt ist klar: Das Getriebe konnte nicht nur den Stand von Sonne und Mond anzeigen, sondern auch deren Finsternisse über Jahre hinweg voraussagen. Ein ausgeklügelter Mechanismus berücksichtigte dabei sogar, dass der Mond sich nicht immer gleich schnell bewegt. Mit ihrem neuen Wissen über die Maschine versuchten die Wissenschaftler eine Rekonstruktion des Getriebes. Dazu gingen sie allerdings von sieben weiteren Zahnrädern aus, die nie gefunden wurden. Und eins, das es tatsächlich gibt, blieb übrig.

    "Dieses Rad hat 63 Zähne. Nun würde man aber nicht ohne Grund ein Rad mit 63 Zähnen machen, normalerweise nähme man eher 64. Die 63 könnte etwas zu tun habe mit einem einfachen Mechanismus, der den Planeten Merkur beschrieb. Wir haben darum den Verdacht, dass dieses Rad zu einem zusätzlichen Planeten-Mechanismus gehörte."

    Vielleicht gehört das überzählige Rad aber doch nicht zu einem verlorenen Planetenmechanismus – und die Forscher haben es bloß nicht geschafft, es in ihre Rekonstruktion einzupassen. Dennoch: Die Wissenschaftler glauben, das Getriebe endlich fast vollständig begriffen zu haben. Aber die eigentlich interessante Frage, sagt Mike Edmunds, sei weiterhin offen: Wie stand es eigentlich um das technologische Wissen der alten Griechen? Offenbar war die hellenistische Kultur nicht bloß geprägt von den geistigen Ideen grübelnder Philosophen, wie gemeinhin angenommen. Möglicherweise gab es auch viele exzellente Mechaniker. Eine sozio-historische Theorie, die das berücksichtigt, fehlt bisher. Vielleicht sei das kein Wunder, sagt Astronom Mike Edmunds, schließlich gebe es ja auch nur einen einzigen Beweis für die hoch entwickelten technologischen Fähigkeiten der Griechen: Den Mechanismus von Antikythera. Umso wichtiger sei es, nach weiteren Funden zu suchen, die vielleicht bisher übersehen wurden. Edmunds:

    "Das könnte sein. Ich bezweifle zwar, dass jemand plötzlich einen ähnlichen Fund irgendwo verstaubt in seinem Regal findet. Aber wenn man nur den kleinsten Hinweis auf auch nur ein paar Zahnrädchen finden würde, auch nur den Teil eines Zahnradmechanismus, der aus der Zeit des antiken Griechenland überlebt hat, dann wäre das von unschätzbarem Wert.""