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Gestörtes Selbstverständnis

Die Beisetzung des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski auf der Wawel-Burg in Krakau sorgt in Polen für Diskussionen darüber, ob die ehemalige Königsresidenz auch ein angemessener Ort für die Bestattung eines demokratischen Präsidenten sei.

Martin Sander im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 16.04.2010
    Stefan Koldehoff: 25 polnische Könige und Königinnen und mindestens fünf ihrer Verwandten haben ihre Gräber auf der Wawel-Burg, die hoch über Krakau und der Weichsel liegt. Sie ist zugleich nationaler Gedenkort wie Kulminationspunkt der wechselvollen, nicht immer glücklichen Geschichte des Landes. Am Sonntag sollen nun eben dort auf der Wawel die sterblichen Überreste des verunglückten ehemaligen Staatspräsidenten Lech Kaczynski und seiner Frau Maria beigesetzt werden. Das Land steht noch unter Schock und Trauer, und doch gibt es bereits zahlreiche Stimmen, die die Entscheidung, einen demokratisch gewählten Präsidenten neben den Monarchen des Landes zu beerdigen, kritisieren. Einige polnische Zeitungen schreiben sogar von einer Spaltung des Landes. Martin Sander, wer hat die Entscheidung denn überhaupt getroffen?

    Martin Sander: Die Antwort darauf, muss ich zugeben, ist ein wenig spekulativ, aber man muss doch vermuten, dass es die politische Umgebung der Kaczynski-Brüder gewesen ist und dass es nicht so war, dass der Kardinal Dziwisz in Krakau die Entscheidung selbstständig getroffen hat, wie es dann hinterher dargestellt wurde von den Vertretern der Partei Recht und Gerechtigkeit.

    Koldehoff: Wer kritisiert denn jetzt die Entscheidung und mit welchen Argumenten?

    Sander: Also die Diskussion darüber läuft eigentlich nach den klassischen Einteilungen der politischen Lager. Die demokratisch liberalen linken Kräfte im Lande, die halten es doch nicht so aus mit der gemeinsamen nationalen Trauer und haben sich schon etwas mokiert, während die nationale Rechte natürlich darauf setzt, dass sozusagen ihr politisches Lager, ihre politische Option durch diese Beerdigung - an diesem heiligen Ort gewissermaßen - noch mal ihre besondere Bedeutung erfährt. Es ist interessant, dass aber auch politisch ja nicht ganz eindeutige Persönlichkeiten, auch aus der Kultur - ich nenne mal den Filmemacher Andrzej Wajda -, sich ausgesprochen kritisch geäußert haben, gegenüber dieser Entscheidung gesagt haben, das ist doch bei aller Ehrfurcht nicht das Richtige, Lech Kaczynski und seine Ehefrau dort in Wawel zu bestatten. Auch ein bekannter polnischer Psychotherapeut, Wojciech Eichelberger, so eine Art Alexander Mitscherlich, der immer das gesellschaftliche Befinden sehr gut analysiert hat, auch gewarnt davor, dass nun praktisch politische Vereinnahmungen stattfinden und an den nationalen Mythen mitgewirkt wird.

    Koldehoff: Was sind das für nationale Mythen? Was ist das für ein Ort, der diese Reaktionen hervorruft?

    Sander: Na ja, der Wawel ist das Symbol der polnischen Großmacht, das muss man ganz einfach so sagen, aus einer Zeit stammend, vor allen Dingen ist es ein ganz altes Bauwerk, 1000 Jahre die ältesten Bestände, aber vor allen Dingen aus der Zeit des Goldenen Zeitalters Polens, so im 15. und 16. Jahrhundert, da war dieses Land ja ein Großreich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, ein Vielvölkerstaat, wirklich ein Machtfaktor auf der europäischen Landkarte, und die meisten der Könige, die stammen ja aus der Zeit. Und nach diesem Goldenen Zeitalter begann der, ja, gewissermaßen der Niedergang, und dann gab es ja diese Zeit des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, wo Polen gar nicht auf der Landkarte verzeichnet war, Europas, sondern erobert von seinen Nachbarn. Und da hat es dann diese mythologische Bedeutung auch erfahren. Also es sind ja nicht nur Könige und Königinnen dort bestattet, sondern man hat auch die sterblichen Reste der Nationaldichter, also unter anderem Adam Mickiewicz, dort bestattet.

    Koldehoff: Und unter anderem auch Pilsudski, der ja nun weder mit der Kirche, noch mit der Monarchie viel am Hut hatte, oder?

    Sander: Richtig, der eigentlich Sozialist war, der auch mal zum Protestantismus übergelaufen ist.

    Koldehoff: Das ging dann aber.

    Sander: Ja, das ging. Aber da gibt es auch eine Geschichte, die im Moment wieder aufgewärmt wurde. Es war nämlich so: Pilsudski, der Staatsgründer, dieser Mann, der wollte dort selbst bestattet werden - nach seinem Tod 1935 fand das auch statt -, aber gegen den Willen des damaligen Kardinals. Der hat sogar versucht, den Sarg Pilsudskis dort aus einer Gruft herauszubefördern. Es ist ihm aber nicht gut bekommen. Es endete damit, dass er sich unterordnen musste, der staatlichen Macht. Es gab viele nationale Protestdemonstrationen. Also das ist so ein Beispiel dafür, dass man sich auch ganz anders verhalten hat als heute der Kardinal Dziwisz.

    Koldehoff: Nun werden diese Proteste ja nichts mehr ausrichten. Die Staatsgäste sind eingeladen, das Grab wahrscheinlich schon ausgehoben. Was wird werden?

    Sander: Er wird selbstverständlich dort mit seiner Gattin bestattet werden. Und ja, der Rest hängt auch davon ab, was eigentlich dann wieder sehr prosaisch die Untersuchungen des Flugzeugunglücks ergeben. Sollten die tatsächlich das ergeben, was derzeit von vielen Fachkräften vermutet wird, dass tatsächlich Lech Kaczynski Einfluss genommen hat auf diese unglücksselige Entscheidung des Piloten und mitverantwortlich war für diese Katastrophe, dann wird er dort zwar einige Zeit im Wawel verweilen, aber dann kann man davon ausgehen, dass führende politische Kräfte in Polen sich dafür einsetzen werden, dass er da auch wieder aus diesem Wawel herauskommt.