"Doswidanja Moskau, lass uns Freunde sein"
Die bundesdeutsche Olympiamannschaft stimmt sich ein auf die ersten Spiele im damaligen Ostblock. Die Sommerspiele von Moskau stehen vor der Tür - und die westdeutschen Athleten singen einträchtig ihr Olympialied.
Doch der schöne Schein trügt. Denn während sich die Sportwelt auf die ersten Spiele im sozialistischen Ostblock vorbereitet, führt das Gastgeberland Krieg. Angeblich auf Hilferuf der Regierung in Kabul ist die Rote Armee in Afghanistan einmarschiert. Für viele Beobachter ein aggressiver Akt - sechs Monate vor Olympia, dem selbsternannten Fest des Friedens. Sporthistoriker Franz Nitsch:
"Kann man in einem Land Olympische Spiele ausrichten, das mitten im Krieg ist? Das war die entscheidende Frage. Die Sowjetunion musste davon ausgehen, dass sie mit der Entscheidung, in Afghanistan zu intervenieren, die Austragung der Olympischen Spiele in Moskau hochrangig gefährdete."
Die westlichen Länder, allen voran die USA, verurteilen den Einmarsch in Afghanistan aufs Schärfste. US-Präsident Jimmy Carter steht unter Druck. In Amerika ist Wahlkampf. Und Carter liegt in den Umfragen zurück, braucht ein Zeichen der Stärke:
"Wenn die Sowjets ihre Truppen nicht innerhalb eines Monats zurückziehen, werde ich die Entsendung eines amerikanischen Teams zu den Olympischen Spielen nicht unterstützen."
Olympiaboykott. Carters Drohung geht um die Welt. Der Präsident fordert nicht nur den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan, er verlangt auch Solidarität von seinen Bündnispartnern.
In der Bundesrepublik wird heftig debattiert. Soll sich die westdeutsche Olympiamannschaft an einem Boykott beteiligen? Leidtragende wären die Sportler. Sie haben jahrelang für die Spiele trainiert, wollen die Früchte ihrer Arbeit ernten. In der Dortmunder Westfalenhalle demonstrieren die Athleten für eine Teilnahme an den Spielen in Moskau. Und machen sich damit nicht nur Freunde. Der damalige Athletensprecher und heutige Sportfunktionär Thomas Bach erinnert sich auch 30 Jahre danach noch an die hitzigen Debatten im Frühjahr 1980:
"Das war heftig damals! Bis hin zu Briefen, wo man als Kommunistenschwein oder Vaterlandsverräter bezeichnet wurde. Auf Veranstaltungen, selbst von Menschenrechtsorganisationen, wo einem gesagt wurde, man sei Schuld am Hunger von Kindern in Sibirien!"
Die Stimmung ist aufgeheizt. Boykottieren oder Teilnehmen? Diese Frage spaltet 1980 selbst die deutschen Sportverbände. Willi Weyer, Präsident des Deutschen Sportbundes, ist für einen Boykott. Willi Daume hingegen, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, hegt auch Ambitionen, in Moskau zum IOC-Präsidenten gewählt zu werden. Er spricht sich 1980 vehement gegen einen Boykott aus:
"Es ist gar nicht auszudenken, was dann passiert. Das wird sich nicht nur auf die olympische Bewegung auswirken. Der ganze internationale Sport ist auseinanderzufallen."
Die Boykottfrage ist aber vor allem eine politische Entscheidung. Die Regierung Schmidt spürt den Bündnisdruck der USA, die den Boykott im April 1980 förmlich beschließen.
Innenpolitisch setzt die Opposition von CDU/CSU der sozialliberalen Regierung durch den ständigen Vorwurf zu, "die fünfte Kolonne Moskaus" zu sein. Zuständig für den Sport ist Innenminister Gerhart Baum. Heute, dreißig Jahre nach der Diskussion, spricht er von einer "schlimmen Situation":
"Die Bundesregierung, an der Spitze Bundeskanzler Schmidt, hat die Bündnistreue zu den USA höher gestellt als die Interessen - die berechtigten Interessen - des Sports. Und ich wurde dann verpflichtet, im Kabinett diesen Beschluss mitzutragen."
Mit großer Mehrheit verabschieden Regierung und Opposition eine Empfehlung an die deutschen Sportverbände. Sie sollen ihre Athleten nicht zu den Olympischen Spielen nach Moskau schicken. Für FDP-Mann Baum im Nachhinein eine schlechte Entscheidung:
"Im Grunde haben wir die Unabhängigkeit des Sports beschädigt und haben den Sportlern die Chancen einer Teilnahme genommen."
So entscheiden sich die Sportverbände bei der NOK-Vollversammlung in Düsseldorf am 15. Mai 1980 zähneknirschend für einen Boykott der Olympischen Spiele von Moskau. Der politische Druck ist zu groß - und der Staat Hauptgeldgeber des Spitzensports. Auf eine Kraftprobe mit der Regierung wollen es die Funktionäre nicht ankommen lassen.
Die Spiele in Moskau finden somit ohne bundesdeutsche Beteiligung statt. Insgesamt fehlen über 60 Nationen - unter ihnen die USA, Japan und Kanada. Sein politisches Ziel hat der Boykott verfehlt. Die Rote Armee steht auch nach den Spielen von Moskau noch in Afghanistan. Gerhart Baum zieht daher rückblickend ein vernichtendes Fazit:
"Es hat sich auch herausgestellt, dass diese ganze Sache völlig ein Schlag ins Wasser war, nichts gebracht hat, nur Schaden angerichtet hat!"
Vier Jahre später kommt die Retourkutsche. Die Sowjets und ihre Verbündeten boykottieren die Spiele von Los Angeles, und sorgen somit für die zweite "Rumpfolympiade" nacheinander. Boykott 1980, Gegenboykott 1984 - in den Augen von Sporthistoriker Franz Nitsch die größte Krise der modernen olympischen Geschichte:
"Diese beiden Einflussnahmen, die es da gab, die ungeheure politische Einflussnahmen waren, die hätten auch durchaus dazu führen können, dass die gesamte Olympische Bewegung zu Ende gekommen wäre."
Die Boykottpolitik der Supermächte in den 80er-Jahren hätte der Sargnagel Olympias sein können. Noch bevor die Spiele, durch ihren kommerziellen Siegeszug, selbst zu einer Macht wurden.
Die bundesdeutsche Olympiamannschaft stimmt sich ein auf die ersten Spiele im damaligen Ostblock. Die Sommerspiele von Moskau stehen vor der Tür - und die westdeutschen Athleten singen einträchtig ihr Olympialied.
Doch der schöne Schein trügt. Denn während sich die Sportwelt auf die ersten Spiele im sozialistischen Ostblock vorbereitet, führt das Gastgeberland Krieg. Angeblich auf Hilferuf der Regierung in Kabul ist die Rote Armee in Afghanistan einmarschiert. Für viele Beobachter ein aggressiver Akt - sechs Monate vor Olympia, dem selbsternannten Fest des Friedens. Sporthistoriker Franz Nitsch:
"Kann man in einem Land Olympische Spiele ausrichten, das mitten im Krieg ist? Das war die entscheidende Frage. Die Sowjetunion musste davon ausgehen, dass sie mit der Entscheidung, in Afghanistan zu intervenieren, die Austragung der Olympischen Spiele in Moskau hochrangig gefährdete."
Die westlichen Länder, allen voran die USA, verurteilen den Einmarsch in Afghanistan aufs Schärfste. US-Präsident Jimmy Carter steht unter Druck. In Amerika ist Wahlkampf. Und Carter liegt in den Umfragen zurück, braucht ein Zeichen der Stärke:
"Wenn die Sowjets ihre Truppen nicht innerhalb eines Monats zurückziehen, werde ich die Entsendung eines amerikanischen Teams zu den Olympischen Spielen nicht unterstützen."
Olympiaboykott. Carters Drohung geht um die Welt. Der Präsident fordert nicht nur den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan, er verlangt auch Solidarität von seinen Bündnispartnern.
In der Bundesrepublik wird heftig debattiert. Soll sich die westdeutsche Olympiamannschaft an einem Boykott beteiligen? Leidtragende wären die Sportler. Sie haben jahrelang für die Spiele trainiert, wollen die Früchte ihrer Arbeit ernten. In der Dortmunder Westfalenhalle demonstrieren die Athleten für eine Teilnahme an den Spielen in Moskau. Und machen sich damit nicht nur Freunde. Der damalige Athletensprecher und heutige Sportfunktionär Thomas Bach erinnert sich auch 30 Jahre danach noch an die hitzigen Debatten im Frühjahr 1980:
"Das war heftig damals! Bis hin zu Briefen, wo man als Kommunistenschwein oder Vaterlandsverräter bezeichnet wurde. Auf Veranstaltungen, selbst von Menschenrechtsorganisationen, wo einem gesagt wurde, man sei Schuld am Hunger von Kindern in Sibirien!"
Die Stimmung ist aufgeheizt. Boykottieren oder Teilnehmen? Diese Frage spaltet 1980 selbst die deutschen Sportverbände. Willi Weyer, Präsident des Deutschen Sportbundes, ist für einen Boykott. Willi Daume hingegen, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, hegt auch Ambitionen, in Moskau zum IOC-Präsidenten gewählt zu werden. Er spricht sich 1980 vehement gegen einen Boykott aus:
"Es ist gar nicht auszudenken, was dann passiert. Das wird sich nicht nur auf die olympische Bewegung auswirken. Der ganze internationale Sport ist auseinanderzufallen."
Die Boykottfrage ist aber vor allem eine politische Entscheidung. Die Regierung Schmidt spürt den Bündnisdruck der USA, die den Boykott im April 1980 förmlich beschließen.
Innenpolitisch setzt die Opposition von CDU/CSU der sozialliberalen Regierung durch den ständigen Vorwurf zu, "die fünfte Kolonne Moskaus" zu sein. Zuständig für den Sport ist Innenminister Gerhart Baum. Heute, dreißig Jahre nach der Diskussion, spricht er von einer "schlimmen Situation":
"Die Bundesregierung, an der Spitze Bundeskanzler Schmidt, hat die Bündnistreue zu den USA höher gestellt als die Interessen - die berechtigten Interessen - des Sports. Und ich wurde dann verpflichtet, im Kabinett diesen Beschluss mitzutragen."
Mit großer Mehrheit verabschieden Regierung und Opposition eine Empfehlung an die deutschen Sportverbände. Sie sollen ihre Athleten nicht zu den Olympischen Spielen nach Moskau schicken. Für FDP-Mann Baum im Nachhinein eine schlechte Entscheidung:
"Im Grunde haben wir die Unabhängigkeit des Sports beschädigt und haben den Sportlern die Chancen einer Teilnahme genommen."
So entscheiden sich die Sportverbände bei der NOK-Vollversammlung in Düsseldorf am 15. Mai 1980 zähneknirschend für einen Boykott der Olympischen Spiele von Moskau. Der politische Druck ist zu groß - und der Staat Hauptgeldgeber des Spitzensports. Auf eine Kraftprobe mit der Regierung wollen es die Funktionäre nicht ankommen lassen.
Die Spiele in Moskau finden somit ohne bundesdeutsche Beteiligung statt. Insgesamt fehlen über 60 Nationen - unter ihnen die USA, Japan und Kanada. Sein politisches Ziel hat der Boykott verfehlt. Die Rote Armee steht auch nach den Spielen von Moskau noch in Afghanistan. Gerhart Baum zieht daher rückblickend ein vernichtendes Fazit:
"Es hat sich auch herausgestellt, dass diese ganze Sache völlig ein Schlag ins Wasser war, nichts gebracht hat, nur Schaden angerichtet hat!"
Vier Jahre später kommt die Retourkutsche. Die Sowjets und ihre Verbündeten boykottieren die Spiele von Los Angeles, und sorgen somit für die zweite "Rumpfolympiade" nacheinander. Boykott 1980, Gegenboykott 1984 - in den Augen von Sporthistoriker Franz Nitsch die größte Krise der modernen olympischen Geschichte:
"Diese beiden Einflussnahmen, die es da gab, die ungeheure politische Einflussnahmen waren, die hätten auch durchaus dazu führen können, dass die gesamte Olympische Bewegung zu Ende gekommen wäre."
Die Boykottpolitik der Supermächte in den 80er-Jahren hätte der Sargnagel Olympias sein können. Noch bevor die Spiele, durch ihren kommerziellen Siegeszug, selbst zu einer Macht wurden.