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Gesünder atmen durch die Finanzkrise

Umwelt. - Das Erdbeobachtungsnetz ist inzwischen so dicht, die Instrumente so genau geworden, dass die Wissenschaftler relativ schnell die Auswirkungen mancher Ereignisse erfassen können. Jüngstes Beispiel ist die Finanzkrise und die Rezession, die in ihrem Gefolge kam. Für die Luft über Europa waren beide positiv, der Gehalt an Stickstoffdioxid zum Beispiel sank deutlich.

Von Volker Mrasek | 16.02.2012
    "Im Jahr 2010 enthielt die Luft über Europa gebietsweise 20 bis 50 Prozent weniger Stickstoffdioxid als 2004. Das ist zum einen ein Erfolg der Umweltpolitik mit ihren verschärften Abgasnormen für Autos. Der Effekt wäre aber nicht so stark ausgefallen, hätten wir nicht auch die wirtschaftliche Rezession gehabt."

    Während der Finanzkrise fuhr die Industrie ihre Produktion zurück, und Kraftwerke verfeuerten weniger fossile Brennstoffe. Die meisten dieser Anlagen in Europa haben zwar eine sogenannte Entstickung. Sie soll die beiden Luftschadstoffe Stickstoffmonoxid und Stickstoffdioxid aus dem Abgas entfernen. Doch das gelingt nicht vollständig, so daß schon noch NO2 in die Atmosphäre gerät. Insofern hat die geringere Auslastung der Kraftwerke und Industrieanlagen während der Finanzkrise auch die Konzentration der kurzlebigen Stickstoffoxide in der Luft verringert. Boersma:

    "Wenn man sich den Effekt über die Jahre anschaut, dann hatte die Finanzkrise 2009 die gleiche Wirkung wie vier Jahre Umweltpolitik mit ihrer Verschärfung der Abgasnormen für Autos."

    Zu ihrem flächendeckenden Bild für ganz Europa kamen die Forscher durch ein Instrument an Bord des Erdbeobachtungssatelliten "Aura". Stickstoffdioxid lässt sich nämlich aus dem All erfassen. Es schluckt Sonnenlicht in unterschiedlichen Wellenlängenbereichen unterschiedlich stark und hinterlässt so einen charakteristischen Fingerabdruck im Strahlungsspektrum. Die US-amerikanische Atmosphärenchemikerin Patricia Castellanos, die neuerdings an der Freien Universität Amsterdam forscht:

    "Normalerweise hat man Daten von bestimmten Quellen oder aus bestimmten Regionen, wenn es um die Kontrolle von Luftschadstoffen geht. Die Finanzkrise aber war ein globales Phänomen. Sie hat die Luftqualität in Europa umfassend verbessert. Ohne den Satelliten-Blick aus dem All hätten wir das nicht erkennen können."

    Die stärksten NO2-Rückgänge traten demnach in Regionen mit hohem Industrieanteil auf, in denen gleichzeitig große Kohlekraftwerke laufen. Dazu zählt Folkert Boersma auch Baden-Württemberg und den Osten Brandenburgs.

    "An Deutschland ist bemerkenswert, daß es in der Luftreinhaltung gut vorankommt. In fast allen Städten, die wir betrachtet haben, ging der NO2-Gehalt der Luft schon vor der Finanzkrise kontinuierlich zurück - um ein bis vier Prozent jährlich. 2009 kamen dann noch einmal zehn Prozent extra durch die Rezession hinzu."

    Eine Ausnahme war Hamburg. Das begründet der niederländische Physiker mit dem Einfluß des Schiffsverkehrs, der ebenfalls Stickstoffdioxid produziert:

    "Schiffe brauchen sich bisher an gar keine Umweltauflagen zu halten. Es gibt ein paar Regeln in Häfen. Aber auf See verbrennen sie dreckiges Schweröl. In Küstenregionen mit starkem Schiffsverkehr macht sich das bemerkbar. Wir sehen dort höhere NO2-Konzentrationen. Das gilt auch für den Ärmelkanal oder die Gegend um den Hafen von Rotterdam."

    Inzwischen scheint der reinigende Effekt der Finanzkrise wieder verpufft zu sein, wie sich in den jüngsten Daten zeigt, die schon ausgewertet sind. Zu rechnen ist nun wieder mit normalen Jahren und nur schwachen Abnahmen der Konzentration von Stickstoffdioxid in Europa. Jedenfalls bis zur nächsten Finanzkrise.