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Gesund oder giftig?

Umwelt. - Jedes Jahr versprühen Landwirte große Mengen an Pestiziden auf ihren Nutzflächen, um der steigenden Zahl an Schädlingen Paroli zu bieten. Inwieweit man die Konsumenten vor ihren giftigen Rückständen schützen kann, erörtern Experten jetzt in Berlin.

Von Volker Mrasek |
    Im Foyer der Berliner Tagung surren Stellmotoren. Hersteller führen ihre neuesten Geräte vor. Probengläser werden eines nach dem anderen zu einem Gas-Chromatographen befördert, ihr Inhalt vollautomatisch injiziert. Eine Messprozedur, wie sie typisch ist für die Laboranalyse von Pestiziden, von Pflanzenschutzmitteln...

    "Wir untersuchen beispielsweise auf mehr als 500 Pestizide routinemäßig in jeder Probe."

    Die Lebensmittelchemikerin Ellen Scherbaum vom Chemischen und Veterinär-Untersuchungsamt Stuttgart ...

    "Und finden könnten wir 700 verschiedene. Wir haben auch noch Screening-Methoden, das heißt, wir decken die gängigen Pestizide sehr breit ab. Wenn vorhin die Rede von Lücken war, dann sind das wenige Stoffe, die da tatsächlich noch fehlen."

    Auf der Berliner Fachtagung ist viel von Lücken in der Pestizid-Analytik die Rede. Allein in Deutschland sind rund 250 Wirkstoffe zugelassen, in Europa 400, weltweit um die 1000. Und nicht alle werden routinemäßig in Lebensmitteln kontrolliert. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisiert aktuell: Selbst moderne Labors könnten viele Spritzmittel gar nicht nachweisen. Dem widerspricht Michelangelo Anastassiades, auch er Lebensmittelchemiker beim Stuttgarter Untersuchungsamt:

    "Theoretisch gibt es Methoden für alle Stoffe. Nur es ist eine Sache, etwas zu können, prinzipiell zu können, und eine andere Sache, ob das auch wirklich machbar ist im Routinelabor. Wir haben begrenzte Kapazitäten, sowohl finanziell als auch gerätetechnisch. Da können wir nicht alles auf alles untersuchen."

    Die staatlichen Untersuchungsämter bevorzugen so genannte Multi-Methoden. Sie sind imstande, Dutzende Pestizide in einem Arbeitsgang zu bestimmen. Es gibt aber auch Wirkstoffe, die kann man nur einzeln nachweisen, weil sie chemische Eigenarten aufweisen. Ein Gesundheitsrisiko für den Verbraucher wäre dann vorhanden, wenn besonders giftige Substanzen durch das Netz der Überwachung fielen. Das schließt Anastassiades aber aus:

    "Mir fällt jetzt kein Pestizid ein, dass hochtoxisch ist, das wir nicht erfassen. Wir haben schon die Liste durchgeschaut: Was ist am toxischsten und auch diese Pestizide mit in unseren Methoden aufgenommen. Ich denke schon, die Verbraucher können ruhig schlafen. Wir untersuchen schon die richtigen Stoffe."

    Lücken in der Überwachung von Pestizid-Rückständen gebe es. Das räumt auch Lutz Alder ein, der Leiter der Fachtagung und zuständiger Experte im Bundesinstitut für Risikobewertung. Doch es werde schon länger daran gearbeitet, diese Lücken zu verkleinern:

    "Der Druck auf die Leute, die illegal Pflanzenschutzmittel oder nicht entsprechend der guten landwirtschaftlichen Praxis einsetzen, der muss da sein. Und darum ist es ein folgerichtiger Schritt, dass die EU gesagt hat: Wir brauchen jetzt jemanden, der sich um diese vergessenen Kinder kümmert. Und diese Kooperation hat begonnen."

    In Berlin wird jetzt von einem ersten Erfolg auf diesem Weg berichtet. Das Stuttgarter Untersuchungsamt ist eines der europäischen Referenzlabore für Pestizid-Analytik. Dort wurde ein Verfahren entwickelt, um polare, stark wasserlösliche Wirkstoffe gemeinsam zu erfassen – was bisher nicht möglich war. Sie stecken vor allem in Herbiziden, in Unkrautvernichtern. 15 bis 20 dieser Mittel ließen sich bald viel einfacher analysieren, sagt Ellen Scherbaum:

    "Wenn die Methode steht, kann man ein, zwei, drei Jahre später diese Stoffe aufnehmen in das Routine-Untersuchungsprogramm. Und alle Laboratorien sind dann verpflichtet, es zu untersuchen."

    Die Überwachungslücke wird also kleiner, sich aber niemals ganz schließen lassen. Schon heute glaubt Lutz Alder allerdings, Verbraucher beruhigen zu können:

    "Toxikologisch bedenkliche Mengen haben wir zum Glück sehr, sehr selten."