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Gesund und genügsam

Landwirtschaft. - Er ist robust, gesund, und für gut für die Umwelt, Dennoch hat er in den letzten Jahren an Bedeutung verloren: der Roggen. Um das zu ändern, haben die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft und das Roggenforum e.V. gestern und heute nach Dahlewitz bei Berlin gerufen, zu Rye Europe, dem Europäischen Roggenkongress. Es geht darum, die neuen Chancen des Getreides zu diskutieren. In Zeiten von Klimawandel, Fettleibigkeit und Energiehunger scheint Roggen glänzende Zukunftsaussichten zu haben.

Von William Vorsatz |
    Zuerst ein Blick über das Feld. Dann pflückt der Agraringenieur Sven Böse einen Roggenhalm und schaut sich die Pflanze genauer an. Schon kann er einschätzen, wie die Ernte in vier Wochen wird:

    "Die Bestände sind dünn, aber die Roggenähre ist sehr, sehr lang, Sie sehen hier schon die Körner, wie sie sich bilden. Die Niederschläge, die wir jetzt hier hatten, werden dazu führen, dass die Körner sehr vollbauchig werden und damit hohe Erträge sicherstellen."

    Sven Böse ist Geschäftsführer des Roggenforums, Gastgeber für den Europäischen Roggenkongress in Dahlewitz. Roggen hat in den letzten Jahren in Deutschland an Bedeutung verloren. Sein Anteil an der Getreideproduktion ist zurückgegangen. Allein in den letzten zwei Jahrzehnten schrumpfte die Anbaufläche um zwanzig Prozent. Andere Getreidesorten wie Weizen, aber auch Raps für Bio-Sprit waren lukrativer. Doch jetzt ist eine Trendwende in Sicht. Denn Roggen verspricht für die Zukunft einige Vorteile. Böse:

    "In der Wahrnehmung der Landwirte ist diese hohe Volatilität des Klimas, die großen Klimaschwankungen, für die hat der Klimawandel schon begonnen. Wir haben in den letzten neun Monaten hintereinander jeweils Plustemperaturen von drei Grad, den wärmsten Herbst, den wärmsten Winter, das wärmste Frühjahr hintereinander, und das ist eine besondere Herausforderung für die Fruchtart. Und der Roggen toleriert extreme Klimate besser als jede andere Getreideart und er wird davon profitieren, und deshalb öffnen sich neue Landwirte dieser Getreideart, um diese Klima-Stressoren besser abzupuffern."


    Roggen kann sowohl kalte Winter als auch trockene Frühsommer gut überstehen. Neue Züchtungen bilden ein stärkeres Wurzelwerk aus und sind damit noch robuster. Sie bringen bis zu einem Fünftel mehr an Erträgen als etwa ihre Vorgänger vor 25 Jahren. Damit sind beim Roggen weit höherer Ertragssteigerungen möglich als bei Weizen. Aber nicht nur die Quantität sorgt für ein Comeback: Roggen ist auch besonders gesund. Das belegen zahlreiche Forschungen. So werden seine Kohlenhydrate langsamer verdaut als beispielsweise die von Weizen, Mais oder Reis. Der Blutzuckerspiegel steigt dadurch nicht so plötzlich und stark an, die Bauchspeicheldrüse muss weniger Insulin ausschütten. Und, so Böse:

    "Roggen enthält einen hohen Anteil löslicher Ballaststoffe. Die so genannten Pentosane sind langsamer abbaubar und führen dazu, dass auch viel Gallensäure aus dem Margen-Darm-Trakt ausgeschieden wird. Diese Gallensäure muss neu aus Blutfett produziert werden, senkt damit auch die Blutfettwerte."

    Außerdem enthält Roggen Resorcin, einen bestimmten Bitterstoff, der antioxidativ wirkt und damit gegen vorzeitige Zellalterung schützt. Aber auch als Tierfutter ist Roggen vorteilhaft. Wirtschaftlich und ökologisch. Weil er sich mit weniger Aufwand produzieren lässt als anderes Getreide. Er braucht weniger Pflanzenschutz, weniger Dünger und weniger Wasser als beispielsweise Futterweizen. Da Roggen für die Tiere aber nicht so gut verdaulich ist, muss er mit anderem Getreide gemischt werden. Die Gabe von zusätzlichen Enzymen könnte den Tieren künftig helfen, den Roggen besser aufzuschließen.
    Ein weiteres bedeutendes Einsatzgebiet ist der Energiesektor. Neben dem Biodiesel aus Raps wird die Äthanolerstellung immer wichtiger. Roggen ist preiswerter als Weizen und dafür gut geeignet. Aber auch zur Herstellung von Biogas. Agraringenieur Thomas Blumritt vom Pflanzenzuchtbetrieb Lochow-Petkus in Bergen:

    "Hier gibt es auch ganz interessante neueste Forschungsergebnisse, bisher wurde Mais im Wesentlichen zu 100 Prozent alleine zu Biogas umgewandelt. Praktiker haben die Erfahrung gemacht, dass sie sehr positive Effekte haben, wenn sie zum Beispiel 70 Prozent Mais und 30 Prozent Roggen einsetzen. Das war für uns zunächst ganz verwunderlich. Wir haben entsprechende Versuchsserien in Göttingen zum Beispiel gefahren und wir haben die Ergebnisse, dass die Gasausbeute bei einer Kombination von Mais und Roggen 30 Prozent höher ist als Mais oder Roggen alleine."


    Warum das so ist, wissen sie Experten noch nicht. Deshalb sollen jetzt weitere Forschungen folgen.