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Gesunde Viren

Medizin.- Als vor rund 20 Jahren die ersten Gentherapien starteten, gab es erhebliche Probleme mit Viren, die für den Transport der Gene sorgen sollten: Die speziell vorbehandelten Viren lösten gefährliche Immunreaktionen aus. Heute können solche Nebenwirkungen zumindest reduziert werden.

Von Michael Engel |
    Das Wiscott-Aldrich-Syndrom ist eine Erkrankung, die durch einen Immundefekt entsteht. Betroffen sind ausschließlich Jungen, weil die genetische Ursache auf einem Geschlechtschromosom liegt, erklärt Prof. Christoph Klein von der Medizinischen Hochschule Hannover.

    "Die betroffenen Kinder leiden an immer wiederkehrenden Infektionen. An einer Neigung, Ekzeme auszubilden. Darüber hinaus haben sie eine Blutungsneigung aufgrund einer verringerten Zahl von Blutplättchen. Und schließlich prädisponiert diese Erkrankung auch für eine bestimmte Art von Lymphknoten-Krebserkrankungen. Das heißt, es ist eine sehr komplexe Erkrankung, die aus diesem Immundefekt resultiert, der dadurch entsteht, dass ein einziges Gen – das nennen wir WASP – nicht richtig funktioniert."

    Im Idealfall können die betroffenen Kinder mit einer Knochenmarktransplantation behandelt werden. Dabei werden die kranken blutbildenden Stammzellen gegen gesunde ausgetauscht. Nur leider steht nicht immer ein geeigneter Knochenmarkspender zur Verfügung, und dann beginnt ein Kampf um Leben und Tod. Christoph Klein entschloss sich, ein gesundes WASP-Gen mithilfe von Viren in die Blutstammzellen des Patienten einzuschleusen. Die eigentliche Gentherapie findet außerhalb des Körpers statt.

    "Wir sammeln dann Blut und reinigen aus dem gesammelten Blut die Stammzellen auf. Diese Stammzellen werden dann im Labor manipuliert mit den Genfähren, so dass sie nun die neue genetische Information aufnehmen und in sich verankern. Zur selben Zeit wird der Patient mit einer Chemotherapie wie wir sagen "konditioniert", das heißt vorbereitet, so dass Nischen geschaffen werden im Knochenmark der Patienten, in die sich dann die manipulierten Stammzellen nach der Retransplantation einnisten und von dort aus ein gesundes Blutsystem etablieren."

    Vier bis fünf Tage dauert die genetische Reparatur der Blutstammzellen. In dieser Zeit wird die Zellkultur zweimal mit den Genfähren manipuliert. Dann folgen mehrere Kontrollen, ob der Gentransfer in die Stammzellen erfolgreich verlief, ob sich Krankheitserreger wie Bakterien eingenistet haben. Schlussendlich schauen die Mediziner nach, was aus den viralen Genfähren geworden ist.

    "...dass wir sehr, sehr systematisch schauen, an welchen Orten in den Genen, im Genom, sich diese Retroviren eingenistet haben. Und wir machen eine sehr gründliche Analyse aller Insertionsstellen, um auch sicher zu gehen, dass hier keine unerwünschten Nebenwirkungen auftreten."

    Am Ende sind es rund 200 Milliliter Blut, die mit einer Transfusion in den Körper des Patienten zurückgeführt werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass die genetisch veränderten Stammzellen sehr schnell die Regie übernehmen. Sie nisten sich im Knochenmark ein und verdrängen die eventuell noch verbliebenen Stammzellen mit dem genetischen Defekt. Vor drei Jahren – 2006 - startete Professor Klein die weltweit einzigartige Behandlung bei zwei Kindern.

    "Beide Kinder haben eine gute immunologische Rekonstitution, das heißt, sie haben nunmehr ein funktionierendes Immunsystem. Beide Kinder betrachten wir nun drei Jahre nach diesem Eingriff als geheilt. Müssen aber dennoch vorsichtig sein, denn hier und heute kann niemand sagen, ob diese Heilung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch für die nächsten Jahre und Jahrzehnte stabil bleibt."

    Bis heute sind sieben Kinder behandelt worden. Allen Betroffenen geht es gut. So gut, dass Professor Klein sogar von Heilung spricht. Als Standardtherapie will der Pionier die Gentherapie aber noch nicht sehen. Nur wenn geeignete Knochenmarkspender fehlen, sei das neue Verfahren ethisch zu begründen, da die Kinder andernfalls sterben würden.