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Gesundheit
Gefährliches aus der Abzugshaube

Forscher aus Stuttgart haben Fettrückstände in Dunstabzugshauben untersucht – und bedenkliche Chlorchemikalien gefunden. Ihr Verdacht: Bei den Stoffen handelt es sich um Flammschutzmittel aus Möbeln und Elektrogeräten, die nicht fest gebunden sind und beim Betrieb von Abzugshauben aus dem Material gesogen werden.

Von Volker Mrasek | 17.03.2014
    Es geht um Flammschutzmittel. Und um Chemikalien, die als Bindemittel in Lacken, Klebstoffen und Dichtmassen verwendet werden. Auf solche Substanzen stießen Forscher von der Universität Hohenheim, als sie Dunstabzugshauben untersuchten und die typischen Fettbeläge in den Geräten genauer analysierten.
    Die Arbeitsgruppe von Professor Walter Vetter wollte einfach mal sehen, welche Schadstoffe in der Küchenluft vorhanden sein können. Im Fett der Abzugshauben hinterlassen sie quasi ihren Fingerabdruck.
    "Das hat noch niemand gemacht. Das ist zum ersten Mal, dass das untersucht wurde."
    Der Lebensmittelchemiker rechnete nur mit geringen Schadstoffmengen in den Fettablagerungen, wie er sagt:
    "Und dann kam eigentlich für uns auch der Schock, dass da Riesengehalte drin waren. Die hatten wir überhaupt nicht erwartet."
    Damit meint Vetter Schadstoffmengen, die sich nicht in Nano- oder Mikrogramm bemessen, sondern im Milligramm-Bereich liegen, bezogen auf das Kilo Fettfilm in der Abzugshaube. Das ist relativ viel.
    "Wir müssen dann immer von der Dunstabzugshaube, von dem Fett, übertragen: Was könnte beim Menschen ankommen? Und wir sagen: Je mehr wir in diesen Fetten in den Dunstabzugshauben finden, desto mehr nimmt auch der Mensch auf. Wir atmen das Zeug ein. Also, ich denke schon, dass das etwas ist, was eine große Relevanz hat."
    Die Forscher stießen auf Chlorparaffine
    Doch um welche Stoffe geht es genau? Die Hohenheimer Forscher untersuchten insgesamt 15 Dunstabzugshauben aus Privathaushalten und Gastronomie im Raum Stuttgart. Am häufigsten stießen sie dabei auf Chlorparaffine. Das sind Industriechemikalien, die stets als hochkomplexe technische Mischungen vorliegen und eine Herausforderung für jeden Analytiker sind:
    Chlorparaffine könnten Krebs auslösen
    "Man nimmt Paraffin und chloriert das. Und dabei entstehen Tausende von Verbindungen. Das ist so schwer zu bestimmen, das kann man sich fast nicht vorstellen."
    Chlorparaffine haben unterschiedlich lange Kohlenstoff-Ketten. Vor allem die kürzeren Vertreter dieser Stoffklasse gelten als bedenklich. In der EU sind sie deshalb heute bis auf wenige Ausnahmen verboten. Es handelt sich bei ihnen um äußerst stabile Stoffe, die sich in der Umwelt anreichern, aber auch im Fettgewebe des Körpers. Wobei es sogar Anhaltspunkte dafür gibt, dass Chlorparaffine Krebs auslösen. Im Tierversuch war das so. Wie es sich bei Menschen verhält, ist aber noch ungeklärt.
    Wie kommen diese unerwünschten Schadstoffe nun in die Küche?
    "Es muss etwas sein, was in jeder Küche grundsätzlich eingebaut wird."
    Und da ist Walter Vetters Vermutung: Die Chlorparaffine stecken als Flammschutzmittel in Elektrogeräten und möglicherweise auch in Küchenmöbeln. Allerdings nur als Beimischung. Und nicht chemisch fest gebunden. Also können sie aus den Materialien ausdünsten.
    Ein Prozess, der sich verstärkt, wenn die Dunstabzugshaube eingeschaltet wird. Laut Vetter wälzt sie die Raumluft in der Küche pro Stunde zehnmal komplett um. Und saugt dabei auch die Chlorparaffine ab. Daraufhin dünsten Küchengeräte und -möbel wieder mehr davon aus. Das ist jedenfalls die vorläufige Hypothese:
    "Wenn Sie aus der Umgebungsluft den Stoff entfernen, wird er wieder nachgeliefert. Das heißt, Sie sorgen dadurch, dass Sie diesen Küchenabzug haben, für einen aktiven Stofftransport. Und das ist etwas, was Sie sonst normalerweise nicht haben in der Wohnung. Hinzu kommt noch, dass wir diese Küchendünste haben, das heißt, dann steigt Wasser und Fett aus dem Lebensmittel. Das saugt die Stoffe noch zusätzlich an, und wir atmen da drin. Deshalb denken wir, dass man da relativ viel über die Atemluft dann aufnehmen kann."
    Genau untersucht ist das noch nicht. Aber sollte es sich bewahrheiten, wären die Chlorparaffine sicher auch ein Fall für Arbeitsmediziner:
    "Wir sind bei unserem Ansatz immer davon ausgegangen: Ja, wenn jemand kocht, kocht er etwa eine Stunde mit Abzug. Ein Koch im Restaurant aber kocht den ganzen Tag. Diese Exposition müsste dementsprechend dann eigentlich noch wesentlich höher sein. Da müsste man jetzt wirklich zum Beispiel auch mittels Blutuntersuchungen mal gucken: Was ist da los? Sind zum Beispiel Köche stärker belastet mit den Stoffen?"
    In Spuren kommen Chlorparaffine auch in Lebensmitteln vor. Nachgewiesen wurden sie zum Beispiel schon in Käse, Rindfleisch und Olivenöl. Aber auch in Muttermilch. Und dort zum Teil in Konzentrationen, von denen Walter Vetter sagt, dass sie sich nicht allein durch die Aufnahme über die Nahrung erklären ließen:
    "Das könnte darauf hindeuten, dass es einen zweiten Eintrag gibt nicht nur über die Nahrung. Und da könnte eben die Küche eine ganz große Rolle spielen."
    Um das zu klären, planen die Hohenheimer Lebensmittelchemiker schon ein Anschlussprojekt. Dabei wollen sie herauskriegen, woher die Chlorparaffine in der Küche tatsächlich stammen.
    Beim Kochen auf die Dunstabzugshaube zu verzichten, könne auf jeden Fall nicht die Lösung sein, sagt Walter Vetter:
    "Man muss die Schadstoffquellen eliminieren."