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Gesundheitsexperte erwartet sinkende Beitragssätze durch Bürgerversicherung

Peter Lange: Es läuft auf eine einzige Frage hinaus: Wer soll in Zukunft die wachsenden finanziellen Lasten des Gesundheitssystems tragen? Nicht mehr allein Arbeitgeber und Arbeitnehmer, darin sind sich die Parteien einig, deshalb soll ein Systemwechsel her, der, da geht die Einigkeit noch ein Stück weiter, die Gesundheitskosten vom Faktor Arbeit abkoppelt. Aber dann ist es vorbei mit der Einigkeit, die Union bewegt sich in Richtung einheitliche Prämie mit Sozialausgleich über Steuern, in der SPD wird an einem Modell für eine Bürgerversicherung gearbeitet, bei der im Grundsatz alle entsprechend ihren Einkünften einzahlen sollen, womit es dann für alle weniger wird. Klingt einfach, aber nun hat sich die SPD-Kommission unter Andrea Nahles doch ein bisschen in den Details verhakelt, so dass von einem geschlossenen Modell, von einem einzigen Modell schon gar nicht mehr die Rede ist. Heute soll die Kommission eigentlich ihre Beratungen abschließen. Am Telefon begrüße ich Karl Lauterbach, er ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Köln und, wie es die FAZ Sonntagszeitung formulierte, der wichtigste Einflüsterer von Andrea Nahles. Herr Lauterbach, mit welchem Gefühl gehen Sie heute in diese Beratungen? Wird das heute was?

Moderation: Peter Lange |
    Karl Lauterbach: Ich gehe mit einem sehr guten Gefühl in diese Beratungen, es wird sicherlich eine einvernehmliche Lösung geben. Ich glaube auch nicht, dass es ganz unterschiedliche Lösungsansätze geben wird, wie in vielen Medien berichtet.

    Lange: Das hat Frau Nahles doch selber gesagt.

    Lauterbach: Ich denke, dass es zu einem Unsetzungsvorschlag in verschiedenen Varianten kommt, also wie man ihn am unbürokratischsten umsetzt, aber grundsätzlich unterschiedliche Lösungen, das halte ich für ausgeschlossen.

    Lange: Meinen Sie, dass der SPD-Vorstand bei verschiedenen Varianten sich dann am Ende selber entscheiden kann?

    Lauterbach: Er wird sich entscheiden müssen. Bei Umsetzungsvarianten geht es ja darum, was ist einfach umzusetzen, was ist schnell umzusetzen, was ist überhaupt mit dem jetzt geltenden Steuerrecht machbar? Da ist es nicht möglich, mit einer einzigen Lösung aufzuschlagen. Auf der anderen Seite ist die Grundlogik der Bürgerversicherung überzeugend und wird auch von allen Gruppenmitgliedern getragen, dass eben Löhne und Gehälter entlastet werden müssen, also auch Kapitaleinkünfte verbeitragt werden müssen, dafür werden wir Lösungen vorschlagen, wie das am einfachsten geschieht.

    Lange: In den Zeitungen las ich das in den letzten Wochen immer ein wenig anders, da sah das eher so aus, als ob die Bürgerversicherung doch schon ein bisschen den Charme verloren hat. Also, die Rechnungen gehen irgendwie nicht richtig auf, die Einbeziehung von Mieten und Pachten bringt kaum was, die Kapitalerträge würden vor allen Dingen auch die mittleren Einkommen treffen, der Beitragssatz könnte auch nicht so stark gesenkt werden, wie erhofft. Ist das noch das riesige Projekt, was man gerne und politisch positiv in Umlauf bringen will?

    Lauterbach: Das Projekt hat an Bedeutung und auch an Attraktivität nichts eingebüßt. Dass Mieten nicht viel bringen, ist seit langem bekannt, in Deutschland sind die Mieteinnahmen negativ, diese sind nie erwogen worden. Was also die Belastung mittlerer Einkommen angeht, wird es zu einer Lösung kommen, die die mittleren Einkünfte, also die mittleren Einkommen schont, so dass die Kapitaleinkünfte insbesondere der kleinen Gruppe von Haushalten herangezogen werden, die sehr hoch sind. Was die Umsetzung angeht, haben sich weniger bürokratische Vorschläge aufgetan, als lange Zeit vermutet. Ich glaube, dass das endgültige Rezept überzeugender ist als die Pseudorezepte, die jetzt in der Diskussion stehen.

    Lange: Kann das wirklich funktionieren, eine Bürgerversicherung zu konstruieren, die zugleich aber die eigenen Klientel, sprich, die von Gewerkschaften und SPD nicht stärker belastet sondern entlastet?

    Lauterbach: In Deutschland ist das ohne weiteres möglich, weil wir eben eine sehr starke Bündelung der Kapitaleinkünfte auf eine kleine Gruppe von Haushalten haben. Wir haben zehn Prozent der Haushalte, die über den allergrößten Teil der Kapitaleinkünfte verfügen, diese Haushalte beteiligen sich derzeit an der Finanzierung der solidarischen Krankenversicherung nur stark unterproportional. Das ist ungerecht und auch nicht gut für den Faktor Arbeit.

    Lange: Aber immerhin kommen doch manche in der SPD zu dem Schluss, dass das doch nicht dieses prickelnde Wahlkampfthema sein wird?

    Lauterbach: Da wäre ich auch vorsichtig, das Konzept ist ja noch nicht vorgeschlagen. Jetzt wird ja im luftleeren Raum diskutiert, wir haben ja jetzt sinkende Beiträge, würde die Bürgerversicherung kommen, dann würden wir wahrscheinlich über zehn, fünfzehn Jahre stabile oder weiter sinkende Beitragssätze ausweisen können, derweil im europäischen Ausland die Beitragssätze oder die Gesundheitsbelastung leicht steigen. Das wäre ein Segen für den Arbeitsmarkt.

    Lange: Der andere große Diskussionspunkt ist das Verhältnis von gesetzlicher Krankenkasse zu privater Krankenversicherung. Wird da die Kommission auf einen gemeinsamen Nenner kommen?

    Lauterbach: Auf jeden Fall. Niemand ist ja mit dem jetzigen Verhältnis zufrieden, jetzt ist es ja so, dass nur Beamte und Einkommensstarke sich überhaupt privat versichern dürfen. Wenn demnächst alle, das heißt also auch Beamte und Einkommensstarke an der solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung einen Anteil leisten, dann müssen im Gegenzug sich auch alle privat versichern können. Das heißt, wir hätten dann ein Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Kassen in einem Rahmen ohne Risikoselektion, das heißt also, die Prämie hängt nicht davon ab, wie krank oder wie alt jemand ist. Das ist also auch bei vielen, die jetzt privat versichert sind, die bevorzugte Versicherungsform.

    Lange: Aber ist das dann nicht das Ende der privaten Krankenversicherung als System?

    Lauterbach: Nein, in vielen europäischen Ländern sind private Krankenversicherungen schon jetzt so aufgebaut. Dass sich nur derjenige privat versichern kann, der Beamte ist oder der eine Risikoprüfung über sich ergehen lässt, sodass also Kranke mehr bezahlen müssen, das ist nur in der deutschen privaten Krankenversicherung so. Private Krankenversicherungsunternehmen müssen mit guter Qualität Gewinne machen, nicht mit Rosinenpickerei.

    Lange: Die privaten Krankenversicherer machen geltend, dass das gar kein richtiger Konkurrenzkampf werden kann, wenn von vorneherein die Bedingungen so einschnürend festgelegt werden.

    Lauterbach: Die Bedingungen sind ja weniger einschnürend festgelegt als heute. Heute ist es zum Beispiel so, dass jemand, der privat versichert ist, die private Krankenversicherung nicht wechseln kann, ohne dass er seine Altersrückstellung komplett verliert. Das ist der Grund, weshalb die privaten Krankenversicherungen immer stärker teurer geworden sind in den letzten Jahren als die gesetzlichen. Dass heißt, das System arbeitet selbst für die privilegierte Gruppe der Gutverdienenden nicht richtig. Wir brauchen hier mehr Wettbewerb, die private Krankenversicherung muss in der Lage sein, über Qualität und Wirtschaftlichkeit Gewinne zu machen und dafür werden mehr Freiräume geschaffen als jetzt bestehen.

    Lange: Würden Sie darauf wetten, dass in der nächsten Wahlperiode der große Systemwechsel angegangen wird?

    Lauterbach: Ich glaube, dass der Systemwechsel auf jeden Fall kommt. Wir haben ja jetzt durch die gelungene, aus meiner Sicht gelungene, Gesundheitsmodernisierungsreform etwas Luft gewonnen. Die Beitragssätze sind stabil oder sinken. Wenn wir diese Zeit nicht nutzen für den Systemwechsel, dann vergeben wir eine historische Chance. Kommt jetzt ein Systemwechsel im Sinne der Bürgerversicherung, haben wir zehn, fünfzehn Jahre hinweg stabile oder sinkende Krankenversicherungsbeiträge.

    Lange: Das Professor Karl Lauterbach, er ist Gesundheitsökonom und Berater der SPD-Kommission für die Bürgerversicherung, vielen Dank für das Gespräch.