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Gesundheitsfalle Internet

Chemie. - Ein Forschungsprojekt der baden-württembergischen Landesregierung nimmt "Anti-Aging-Produkte", Schlankheitsmittel und bestimmte Sportlernahrung aus dem Internet-Handel unter die Lupe. Erste Ergebnisse dieser ersten systematischen Untersuchung in Deutschland sind alarmierend.

Von Volker Mrasek | 12.09.2008
    Googeln im Dienste der Forschung – für Sigrid Löbell-Behrends ist das seit Monaten Arbeitsalltag. Beim Chemischen Untersuchungsamt Karlsruhe leitet sie das Forschungsprojekt Internethandel. Und verschafft sich einen Überblick, was im Netz so alles in deutscher Sprache angepriesen wird. Zum Beispiel als Anti-Aging-Mittel ...

    "Da findet man einmal kosmetische Mittel, gegen vorzeitige Hautalterung zum Beispiel. Und eben auch Nahrungsergänzungsmittel für, ja, mehr Vitalität."

    Oder als Schlankheitsmittel, die versprechen, Fettpolster abzubauen oder die Haut zu straffen. Da ...

    "... gib’s zum Beispiel Pflaster zum Abnehmen, Fettburner-Cremes, solche Sachen. Oder die so genannten Pillen zum Abnehmen."

    Fast 600 in deutscher Sprache beworbene Anti-Aging- und Schlankheitsmittel fand die Karlsruher Projektgruppe im Internet. In den meisten Fällen handelte es sich um Nahrungsergänzungsmittel wie die genannten Pillen zum Abnehmen ...

    "Da konnten wir ungefähr ein Drittel nur als unbedenklich einstufen. Ungefähr 25 Prozent haben wir als Arzneimittel eingestuft, zum Teil sogar mit verschreibungspflichtigen Zutaten."

    In der Summe enthielten die Produkte fast 300 verschiedene Wirkstoffe. Nicht einmal 40 Prozent von ihnen sind nach deutschem Lebensmittelrecht überhaupt zugelassen. In den Zutatenlisten waren bisweilen Arzneistoffe aufgeführt, die wie Neurotransmitter wirken oder früher bei Leberfunktionsstörungen eingesetzt wurden. Lebensmittelchemikerin Löbell-Behrends stieß auch auf etwas so Exotisches wie Yohimbin:

    "Ist ein verschreibungspflichtiger Inhaltsstoff. Das ist ein Extrakt aus einer Rinde, von einem tropischen Baum. Und der wird auch als Aphrodisiakum eingesetzt oder als Stimmungsaufheller. Und eben auch in Fatburner-Produkten."

    Ein ganz ähnliches Bild bei den kosmetischen Mitteln. Auch hier stuften die Karlsruher nur ein Drittel der Präparate aus dem Internet als unbedenklich ein. Beim Rest gab es Zweifel an der Sicherheitsbewertung, die Werbeaussagen waren irreführend - oder die Cremes und Tinkturen enthielten, ebenfalls, Arzneiwirkstoffe. Recherchiert haben die Sachverständigen auch nach Sportlernahrung aus dem Internet. Daniela Schweizer, Expertin für funktionelle Lebensmittel beim Chemischen Untersuchungsamt Freiburg:

    "Was wir hier untersucht haben, waren Sportlernahrungen, die so beworben wurden, dass der Eindruck entstand: Sie sind hormonell aktiv, haben also einen Einfluss auf den Hormonhaushalt. Weil eben zu vermuten ist, dass hier Wirkungen in den Vordergrund gestellt werden, wie sie einem Lebensmittel eigentlich nicht mehr zukommen sollten."

    Mit diesem Verdacht lag die Freiburger Lebensmittelchemikerin völlig richtig. Denn es stellte sich heraus, ...

    "... dass doch ein großer Teil dieser Präparate arzneilich wirksame Stoffe enthält und nur etwa 40 Prozent von vorneherein sicher als Lebensmittel eingestuft werden konnten."

    Doch selbst bei diesen sind Sportler offenbar schlecht beraten, wenn sie sie im Internet kaufen. Nach der Studie handelt es sich hier um pflanzliche Präparate. Sie enthalten zum Beispiel Auszüge einer südamerikanischen Kresse-Art oder von grünem Hafer. Daniela Schweizer und ihre Kollegen kamen zu dem Schluss, ...

    "... dass für diese keine gesicherten Erkenntnisse dafür vorliegen, dass sie für den Sportler nun einen leistungssteigernden Effekt haben. Speziell für die hormonell aktiven Sportlernahrungen in Anführungsstrichen kann man sagen, dass man das eigentlich dem Verbraucher nicht wirklich empfehlen kann. Im ungünstigsten Fall hab’ ich eine gesundheitsschädigende Wirkung, und im günstigsten ist mein Geldbeutel betroffen, ohne dass man einen Gegenwert dafür bekommt."

    Oft sitzen die Anbieter solcher Internet-Produkte nicht in Deutschland, oder sie verschleiern ihre Herkunft. Die Behörden seien in diesen Fällen machtlos, bedauert Sigrid Löbell-Behrends:

    "Die Lebensmittel-Überwachung muss ja, wenn sie Proben zieht, vor Ort sein. Und das ist im Internet schlecht möglich. Bei den Anti-Ageing-Produkten: Die Nahrungsergänzungsmittel, die wir gefunden haben, waren zu 95 Prozent nur übers Internet erhältlich. Die gehen überhaupt nicht in den regulären Einzelhandel."

    Das allein sollte Verbraucherinnen und Verbraucher schon skeptisch werden lassen.