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"Gesundheitsfonds ausreichend finanziert"

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) glaubt, dass der Kassenbeitrag nach der geplanten Anhebung 2009 auf 15,5 Prozent stabil bleiben wird. Der neu eingeführte Gesundheitsfonds sei ausreichend finanziert. "Elf Milliarden Euro werden nächstes Jahr mehr in das Gesundheitssystem fließen, davon ein kleiner Teil als Aufbau der Rücklage, das andere geht in die Versorgung", so die SPD-Ministerin.

Ulla Schmidt im Gespräch mit Martin Steinhage |
    Martin Steinhage: Frau Ministerin, seit Jahren gibt es in Deutschland eine Diskussion darüber, ob umlagefinanzierte Sozialsysteme noch zeitgemäß sind, oder ob man nicht kapitalgedeckte Formen der Versicherung in Betracht ziehen sollte bei der Rente, bei der Pflege und so weiter.

    Sie haben sich ja nun stets stark gemacht für unser bestehendes Umlagesystem. Ich vermute, Sie fühlen sich durch die jüngsten Ereignisse mit der großen Finanzkrise in dieser Haltung bestätigt?

    Ulla Schmidt: Das ist etwas, worüber ich wirklich sehr froh bin, dass man sich all diesen Anwürfen oder Forderungen auch immer entgegengestellt hat. Denn eines zeigt sich heute deutlich, dass unser System - wo Menschen für Menschen stehen, die Gesunden für die Kranken, die Jungen für die Alten, die ohne Kinder für die mit Kinder oder die mit hohen Einkommen für die mit geringerem Einkommen -, dass das das nachhaltigste System ist, das stabilste System, und dass - wie wir es auch getan haben - Kapitaldeckung allenfalls immer als ergänzende Sicherung nebenbei aufbauen können.

    Steinhage: Zum Beispiel bei der Riester-Rente. Sagen Sie, da bekommt ja das oft zitierte Blümsche Wort "Die Rente ist sicher" eine ganz neue Qualität, weil eben die gesetzliche Rentenversicherung doch besser ist als ihr Ruf, wie sich jetzt zeigt?

    Schmidt: Natürlich, das spüren im Moment Menschen in anderen Teilen dieser Erde sehr deutlich. Nehmen Sie mal, dass in Argentinien die Rente jetzt wieder verstaatlicht werden soll, dass Menschen in den USA große Teile ihres Alterseinkommens verloren haben, und auch in anderen Ländern, die nur auf Kapitaldeckung oder hauptsächlich auf Kapitaldeckung gesetzt haben.

    Das, was Blüm damals immer sagen wollte ist, dass das System solidarisch aufgebrachter Beiträge, die ja aus den laufenden Einkommen aufgebraucht werden und immer von einer Generation, die lange auch anspart - insofern, als sie eben für die ältere Generation steht, die jüngere, aber nachher den Anspruch hat, auch Leistungen zu erhalten -, dass dies die sicherste Form ist, weil wir eben nicht abhängig sind von Finanzkrisen.

    Niemand muss in Deutschland Angst haben, er würde seine Rente nicht ausgezahlt bekommen. Und ich erinnere daran, dass wir heftige Debatten damals hatten bei der Riester-Rente, weil wir als Staat und auch damals als SPD- und Grüne-Koalition viel Wert darauf gelegt haben, dass Riester-Produkte nur staatlich gefördert werden, wenn sie in Anlagen investiert werden, die auch das eingezahlte Kapital mindestens wieder garantieren. Auch deswegen sind wir vielfältig gescholten worden.

    Ich war damals zuständig für die Rente, deshalb erinnere ich mich genau dran, weil alle gesagt haben: "Ihr unterdrückt eigentlich die Gewinnerwartungen, die man haben kann." Aber auch da kam es uns immer auf zusätzliche Absicherung, aber trotzdem auf Sicherheit bei den Produkten an.

    Steinhage: Meinen Sie, es könnte als Folge dieser Bankenkrise eine Umorientierung in der deutschen Sozialpolitik geben in dem Sinne, dass die Sympathien für einen starken fürsorgenden Staat deutlich an Boden gewinnen, während staatsferne marktliberale Überzeugungen in die Defensive geraten?

    Schmidt: Ich finde schon, dass die im Moment in der Defensive sind, und auch mit Recht. Ich bin nicht gegen Markt, ich bin für Wettbewerb. Ich bin für Markt, weil ich nie einen Glauben an Planwirtschaft gehabt habe. Aber der Markt braucht Regeln, man braucht ethische Grenzen. Und was die Absicherung der individuellen Kritiken angeht, braucht man auch ein staatliches Schutzschild, von dem ja jetzt immer die Rede ist. Dafür, dass die Menschen für das, was sie investieren - die Gesunden für die Kranken - immer auch die Sicherheit da sein muss: Wenn du krank wirst, wenn du alt wirst, wenn du arbeitslos wirst, dann steht dieses System für dich ein.

    Und dieses kann man nur durch Systeme, die so, wie die unseren aufgebaut sind. Ich sage immer: Menschen für Menschen ist das sicherste, was es in diesem Bereich gibt, zumindest sicherer, als alles in Kapital zu investieren.

    Steinhage: Die Fragen dieser Finanzkrise werden uns möglicherweise noch sehr lange begleiten, sicherlich noch weit in das nächste Jahr hinein. Könnte - so betrachtet - die SPD mit Blick auf die Bundestagswahl vielleicht - in Anführungszeichen "ein Gewinner" dieser Krise sein?

    Schmidt: Ich weiß nicht, ob wir von "Gewinnern" sprechen können. Aber klar ist, dass dies eine Zeit ist, in der sozialdemokratische Antworten mehr denn je gefragt sind. Wir haben uns immer eingesetzt für eine Marktwirtschaft, die auch sozial ist, die die Menschen absichert. Wir haben uns immer eingesetzt dafür, dass Menschen teilhaben können, dass Menschen auch Chancen wahrnehmen können. Und wir sind vielfach beschimpft worden, dass die SPD immer nach dem Staat rufe, wenn es Schwierigkeiten gibt.

    Ich bin unter anderem deshalb in der SPD, weil dort immer in der Partei vorherrschte, dass wir als gesellschaftliche Aufgabe ganz klar zu leisten haben, dass die Menschen in dieser Gesellschaft mitgenommen werden und dass keiner wegen seines individuellen Risikos ausgegrenzt wird, und dass auch der Staat dafür zu sorgen hat, dass soziale Balance und Gerechtigkeit in gerechte Teilhabe umgesetzt wird. Von alleine funktioniert das nicht. Das kann der Markt nicht regeln. Der Markt kann regeln, dass wir eine florierende Wirtschaft haben, aber wenn man keine Regeln hat und keine Grenzen, dann geht die Wirtschaft davon und die Menschen bleiben zurück. Und das wollen wir nicht.

    Steinhage: Wird der nächste Bundestagswahlkampf unter dem Eindruck der Dinge, die sich jetzt ereignet haben, nach Ihrer Auffassung jetzt erst recht auf dem Feld der Sozial-, Wirtschafts- und auch Arbeitsmarktpolitik entschieden werden?

    Schmidt: Das ist eine der dringendsten Sorgen, die die Menschen haben und auch die Themen, die sie bewegen. Und ich habe gelesen, dass bei Umfragen sich zeigt, dass Menschen sagen, sie haben wieder weniger Zukunftsängste, weil sie das Gefühl haben, die Regierung hat einen Schutzschirm gesponnen. Und ich glaube das, was Frank-Walter Steinmeier auch auf unserem Parteitag gesagt hat, zu sagen: Wir brauchen nicht nur das Schutzschild für die Banken, damit wir die Finanzkrise in den Griff bekommen, um Arbeitsplätze zu schützen, sondern wir brauchen auch ein Schutzschild für die Arbeitsplätze, damit nicht infolge der Finanzkrise wir plötzlich tiefe Einbrüche im wirtschaftlichen Leben haben und damit wieder eine hohe Arbeitslosigkeit haben.

    Hier vorzubeugen, hier Vorschläge zu entwickeln, wie können wir durch gezielte Investitionen dafür sorgen, dass es zwar Einbrüche gibt - das weiß jeder, das geht an keinem Land so vorbei -, aber dass wir möglichst schnell wieder aus der Delle herauskommen und nach vorne schauen und dabei auch dafür sorgen, dass Menschen nicht nur Beschäftigung haben, sondern anständig bezahlt werden für ihre Beschäftigung - das sind die Aufgaben der Zukunft. Dazu gehören die Themen, die die Sozialdemokratie immer auch gehabt hat in der Frage "Solidarität". Und auch die Frage "Bürgerversicherung" wird wieder aktueller, weil natürlich alle füreinander einstehen müssen, aber auch unsere Forderungen nach Mindestlohn oder Rechtsanspruch auf Bildung, auf Hauptschulabschluss - das sind Kernthemen auch für zukünftige Debatten.

    Steinhage: Sie haben kürzlich im Bundestag höhnisches Gelächter bei der Opposition ausgelöst, als Sie sagten, wenn es die Idee des Gesundheitsfonds noch nicht gäbe, dann müsste man den Fonds gerade jetzt in diesen unsicheren Zeiten erfinden. Können Sie noch einmal sagen, was genau haben Sie damit gemeint?

    Schmidt: Ab dem 15. November spätestens wissen die Krankenkassen auf den Cent genau, wie viel Geld sie im kommenden Jahr Monat für Monat erhalten. Das heißt, in dieser schwierigen Situation der Finanzmarktkrise - und den noch nicht abzuschätzenden Folgen vielleicht auch für die Realwirtschaft - haben die Krankenkassen, anders als in den anderen Jahren, eine sichere Einnahmebasis, und zwar: Rund 167 Milliarden Euro werden verteilt, Monat für Monat wird dieses Geld gezahlt, so dass jede Kasse planen kann. Sollte es zu Einbrüchen kommen, steht nicht die Krankenkasse dafür grade oder die Beitragszahler, sondern der Staat, die Steuerzahler.

    Und das gibt den Krankenkassen Sicherheit, niemand muss einsparen, weil er Angst hat, es kommen Einnahmen nicht. Die Kassen sollen sparen, indem sie sinnvolle Versorgungsverträge machen und unnützes Geldausgeben verhindern, aber sie sollen den Menschen die Versorgung finanzieren, die sie brauchen. Und da ist ein ganzes Stück Beruhigung da drin.

    Steinhage: Die Fondsgegner - und die sitzen ja weiß Gott nicht nur in der Opposition, sondern auch außerhalb des Bundestages - die Fondsgegner argumentieren nun ganz anders. Sie sagen: Ad eins, der Fonds ist ohnehin unterfinanziert, er startet mit zu wenig Geld und ungefähr nur 98 Prozent Kostendeckung. Und zum anderen könnte der Fonds dazu führen - weil nun das Risiko beim Bund liegt und nicht mehr bei den Kassen - dass, wenn die Krise uns ereilt, die Rezession uns ereilt, dass möglicherweise schon im nächsten Jahr Gelder aus dem Bundeshaushalt umgeleitet werden in den Fonds. Ist das so völlig falsch?

    Schmidt: Nun gut, nun sind diejenigen, die sich als Fondsgegner aufspielen, ja die, die mehr Steuermittel in den Fonds fordern. Deswegen kann das ja kein Argument sein. Der Staat muss eintreten, und wenn dann der Fonds nicht mehr gedeckt würde, muss die Regierung eben entscheiden: Was machen wir? Brauchen wir Sparpakete? Brauchen wir höhere Beiträge, brauchen wir höhere Steuerzuflüsse?

    Dies alles steht ja im Gesetz drin. Das wäre aber erst dann für 2010. Nächstes Jahr ist die Einnahme gesichert. Wir haben auch geregelt, dass, solange es keine eigene hohe Liquiditätsreserve gibt im Fonds - wir wollen ja dort ein bisschen Geld ansparen für schwierige Zeiten -, solange tritt eben der Steuerzahler ein, der Staat praktisch oder Herr Steinbrück, der dann sagt: Für kurzfristige Darlehen stehen wir zur Verfügung.

    Aber noch einmal zu der Frage der Unterfinanzierung. Wir haben in diesem Jahr eine Einnahme von gut 155 Milliarden Euro. Wir haben eine Versorgung in unserem Gesundheitssystem auf hohem Niveau. Der Fonds ist gut finanziert, elf Milliarden Euro werden nächstes Jahr mehr in das Gesundheitssystem fließen, davon ein kleiner Teil als Aufbau der Rücklage, das andere geht in die Versorgung. Und das ist ausreichend finanziert.

    Ich erwarte von den Kassen, dass sie jetzt daran arbeiten, 'wie können wir mit dem Geld, das wir erhalten' - und sie erhalten mehr Geld, wenn sie viele kranke Menschen und ältere Menschen haben -, 'wie können wir nächstes Jahr das so organisieren, dass wir optimale Versorgungsangebote haben, hohe Qualität und einen guten Service für die Versicherten'.

    In den letzten fünf Jahren sind rund 15 Milliarden mehr in das System geflossen, warum sollen im nächsten Jahr elf Milliarden nicht ausreichen? Ich erwarte sogar, dass es Kassen gibt, die Rücklagen aufbauen können, und ich erwarte, dass es Kassen gibt, die auch Prämien auszahlen. Also, die Situation ist sehr gut, sonst hätten wir es nicht gemacht. Und eine Kasse, die gut wirtschaftet im Interesse ihrer Versicherten, hat überhaupt keine Probleme, mit dem Geld auszukommen.

    Steinhage: Viele Kritiker sagen, der Fonds löse kein Problem, schaffe aber zusätzliche. Was sagen Sie, was bringt der Fonds - vor allen Dingen den Versicherten?

    Schmidt: Eine gerechtere Verteilung der Beitragsmittel. Der Fonds kann keine Probleme lösen, der Fonds ist ein Instrument, wie die Finanzflüsse im Gesundheitswesen besser organisiert werden, und zwar dahingehend, dass mehr Geld dort hin fließt, wo ältere und kranke Menschen sind, als dort hin, wo junge Gesunde sind.

    Heute haben wir eine Differenz zwischen den Krankenkassen bei den Beitragsgeldern von rund fünf Prozent. Das macht bei einem Einkommen von 1000 Euro 50 Euro aus, das ist schon eine ganze Menge Geld im Monat - dass für gleiche Leistung unterschiedlich bezahlt wird. Und das Problem, das wir sehen, ist, dass vor allen Dingen die Krankenkassen, die 40 oder 50 Prozent Bürgerinnen und Bürger versichert haben, die älter als 65 sind, immer höhere Beitragssätze fahren müssen.

    Und Kassen, die sich darauf spezialisieren, junge, gesunde Gutverdienende anzuwerben, dass die eben mit günstigen Beitragssätzen auch auf dem Markt sind. Und hier dafür zu sorgen, dass wirklich das Prinzip "Jung für Alt, Gesund für Krank" umfassend umgesetzt wird, da ist der Fonds ein neues Instrument, dass er es möglich macht, dass die Einkommen ausgeglichen werden und die Risiken besser verteilt werden und auch die Risiken adäquat auch finanziert werden können.

    Steinhage: Sie haben eben schon in einem Nebensatz erwähnt, dass die Kassen, die mit dem Geld auskommen, dann ja auch eine Prämie ausschütten können. Was Sie nicht erwähnt haben ist, dass Kassen, die mit dem Geld nicht auskommen, einen Zusatzbeitrag erheben können, respektive erheben müssen.

    Da gibt es nun die weitverbreitete Sorge, dass die Krankenkassen das natürlich weitestgehend versuchen werden zu vermeiden, und eben auch dann möglicherweise versuchen werden, zu Lasten der Versicherten zu sparen: Beim Service, bei der Versorgung, bei der Prävention. Teilen Sie diese Sorge denn gar nicht?

    Schmidt: Ich teile sie nicht, weil alleine schon die Ankündigung, dass der Fonds zu einer neuen Verteilung der Finanzströme kommt und mehr Transparenz auch geschaffen wird: 'Wie viel Geld erhält eigentlich meine Krankenkasse und was bietet sie mir dafür' - hat ja dazu geführt, dass es eine Reihe von Krankenkassen gibt, die heute über Qualität werben.

    Vor zwei Jahren gab es das nicht, dass eine Krankenkasse damit wirbt zu sagen, 'wenn Sie bei uns sind, wir garantieren Ihnen einen Facharzttermin innerhalb von drei Tagen oder fünf Tagen. Wenn Sie bei uns sind, bekommen Sie besondere Angebote im Bereich der Prävention. Wir kümmern uns um Sie und machen Verträge, dass Sie auch, wenn Sie berufstätig sind, am Samstag Ihren Arzt aufsuchen können, dass übers Wochenende es Angebote gibt.'

    Das ist etwas, was bei einzelnen Kassen - und zwar zunehmend - auch auf den Weg gebracht wird. Und deswegen gehe ich davon aus, dass die Kassen, so lange es geht, einen Zusatzbeitrag vermeiden wollen. Sie können den fragen, wenn sie nicht auskommen. Aber wir haben die Versicherten auch da geschützt: Nicht mehr als ein Prozent des Einkommens. Und jeder Versicherte hat ein uneingeschränktes Wechselrecht, wenn er nicht einverstanden ist. Also wird der Versicherte sehen, 'wenn eine Kasse einen Zusatzbeitrag fordert, ist es mir das wert. Bietet die Kasse mir einen solchen Service? Kümmert die sich so um mich? Habe ich gute Angebote als chronisch Kranker? Wie sieht das aus mit Angeboten im Bereich Prävention, mit Wahltarifen oder vieles, was die Kassen heute können?'

    Und wenn das nicht stimmt, wird der Versicherte gehen. Und das ist das einzige Risiko, das die Kassen noch haben. Wenn die Versicherten wechseln oder massenhaft wechseln im Laufe des Jahres, weil sie nicht zufrieden sind mit den Leistungen, dann werden sie auch weniger Einnahmen erhalten, weil natürlich das Geld, das fließt, mit den Versicherten fließt, und zwar dahin, wo die Versicherten hingehen. Und deswegen glaube ich erstens nicht, dass die Kassen unnötige Zusatzbeiträge erheben werden. Sie müssen das auch nicht, weil der Fonds 100 Prozent der Ausgaben deckt im kommenden Jahr. Und dass die Kassen auch nicht die Leistungen einschränken werden, denn ihre Versicherten werden ihnen den Rücken drehen. Und darauf setze ich auch, dass die Menschen dann mit den Füßen abstimmen.

    Steinhage: Im Gesetz steht, dass die Mittel für den Fonds angehoben werden über den Beitragssatz, wenn der Fonds nur noch zu 95 Prozent die Ausgaben deckt. Heißt das nicht in der logischen Konsequenz, über kurz oder lang müssen die Kassen Zusatzbeiträge erheben - im übrigen Zusatzbeiträge, für die die Arbeitgeber nicht hälftig aufkommen werden. Das ist also ein weiterer Abschied aus der Parität. Ist das für eine sozialdemokratische Gesundheitsministerin nicht sozusagen eine üble Kröte, die man da schluckt - oder - die man austeilt?

    Schmidt: Aber die Parität haben wir doch schon lange nicht mehr. Die hat schon aufgehört, als Zuzahlungen eingeführt wurden.

    Steinhage: ... das wäre doch ein Grund mehr, das an dieser Stelle zu vermeiden.

    Schmidt: Nein. Aber das ist ja nicht die Frage. Auch die Krankenversicherung in ihrer Geschichte hat nicht immer die paritätische Finanzierung gehabt. Wenn Sie Gesundheitspolitik organisieren müssen, so wie ich das jetzt eine ganze Zeit mache, dann stehen Sie immer vor einer Entscheidung, dass bei der jetzigen Anbindung unseres Beitrags allein an die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, also Lohn und Gehalt - das setzt sich ja bis ins Rentenalter fort -, dass Sie immer vor der Entscheidung stehen: Wachsende Beiträge, denn die Ausgaben werden steigen.

    Wir haben mehr ältere Menschen. Wir werden in einigen Jahren fast über 40.000 Menschen haben, die älter sind als 100. Aber in der Zeit zwischen 80 und 100 sind in der Regel auch viele Behandlungen oder manchmal auch dauerhafte Behandlungen nötig, weil die chronischen Erkrankungen zunehmen. Oder auch Behandlungen, die wir heute haben: Neues Hüftgelenk, damit die Selbständigkeit erhalten bleibt; Lebensqualität steigt. Machen wir das, indem wir die Kosten des Faktors Arbeit belasten, oder versuchen wir eine Finanzierung zu organisieren, die einmal aufsetzt, und das ist ja das, was im Fonds festgelegt wird: Die paritätisch finanzierten Beitragssätze, wir haben die 0,9 Prozent, wir haben Zuzahlungen.

    Und sagen wir dann, in diesem Wettbewerb können auch bis zu einer Spanne von ein Prozent - ich habe eben gesagt, wir haben heute fünf Prozent Unterschied bei den Beitragssätzen - bis zu einer Spanne von ein Prozent des Einkommens auch ein Zusatzbeitrag angehoben werden, damit insgesamt das Ganze auf eine stabilere Basis kommt. Das glaube ich, ist ein gerechtes Verfahren, zumal wir gerade im letzten Jahr oder auch fürs kommende Jahr sehen, dass nur mehr Beschäftigung, nur wirklich Investieren in mehr Arbeitsplätze dazu führt, dass die Sozialkassen auch so gefüllt sind, dass man die Aufgaben, die erwachsen, auch wahrnehmen kann.

    Steinhage: Flankiert wird der Fonds von einem Instrument, das den schönen Namen hat "Morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich" oder auch kurz "Morbi RSA", also ein kasseninterner Finanzausgleich, wo die Krankenkassen, die besonders viele alte Mitglieder haben, einen Ausgleich dafür erhalten, wenn andere Kassen viele junge und gesunde Mitglieder haben, damit es da fair zugeht an der Stelle. In dem Zusammenhang eine Frage.

    Was ich interessant finde: Die einen sagen, der neue Morbi RSA, also dieser Finanzausgleich, werde zu einem Kampf der Kassen um gesunde Kunden, also um die sogenannten "guten Risiken" führen. Andere wiederum sind genau so felsenfest überzeugt, es werde eine erbitterte Konkurrenz um "schlechte Risiken" geben, also um Kranke, deren Erkrankung viel Geld bringt über den Finanzausgleich. - Was meinen Sie?

    Schmidt: Beides spricht schon wieder dafür, dass wir wahrscheinlich genau die Mitte getroffen haben. Es gibt keinen hundertprozentigen Ausgabenausgleich, auch in Zukunft nicht, weil ich ja auch erwarte, dass die Kassen sich darauf einstellen, wie ist die Versichertenstruktur und wie können wir das handlen? Wie können wir hier eine gute Versorgung organisieren?

    Es wird so sein, dass erstmals wir eine faire Grundlage für einen Wettbewerb um gute Qualität setzen, in dem das Risiko, viele ältere oder viele kranke Menschen versichert zu haben, durch alle getragen wird. Und auch das Risiko, dass traditionell in einer Kasse viele Menschen sind mit einer geringeren Lohnsumme oder Einkommen. Wenn Sie Rentner haben, ist immer weniger die Beiträge von Rente als von Bruttoeinkommen.

    Und dieses beides wird durch alle gesetzlich versicherten gleichmäßig getragen. Und damit entsteht erst mal die Möglichkeit, dass die Kassen wirklich so arbeiten können, dass sie auch chronisch Kranke gut versorgen können.

    Steinhage: Es wird viel darüber geredet in diesen Tagen, dass die vom Bundesverfassungsgericht ja ohnehin geforderte bessere steuerliche Absetzbarkeit der Beiträge für die Krankenpflegeversicherung vielleicht schon 2009 eingeführt werden sollte. Wenn ich nicht irgendetwas verpasst habe, haben Sie sich dazu noch gar nicht geäußert, oder?

    Schmidt: Nun, wir haben ja im Koalitionsausschuss beschlossen, dass das ab 2010 umgesetzt werden soll. Es würde auch, wenn man es jetzt macht, in 2009 nicht wirken, weil die Steuer ja im Nachhinein erst berechnet wird. Wir sind derzeit in der Bundesregierung dabei, einmal zu sehen, wie könnte denn ein Schutzschild für Arbeitsplätze aussehen.

    Und da werden wir dann entscheiden, wo sind die Steuergelder, wenn wir sie einsetzen, am effizientesten eingesetzt, dass man direkt in Arbeitsplätze auch investiert. Und da gibt es eine Reihe von Bereichen, die auch heute in der Diskussion sind. Das ist die Frage, müssen wir mehr zum Beispiel in energetische Gebäudesanierung stecken? Wie sieht es aus mit dem gesamten Gesundheits- und Pflegebereich? Kann man hier mehr tun? Wir haben es ja mit dem Krankenhausfinanzierungsgesetz schon gemacht, dass wir sagen, wir wollen 21.000 neue Pflegekräfte in den nächsten drei Jahren dort finanzieren.

    Wie sieht das aus im ökologischen Bereich, Klimaschutzpunkte. Und dann werden wir uns einigen, welches ist eigentlich die beste Form, dass das, was an Steuermitteln fließt, auch direkt in Arbeitsplätze umgesetzt werden kann. Da gibt es noch keine Einigung.

    Steinhage: Das große Projekt nicht nur für Sie als Ministerin, sondern für die Bundesregierung insgesamt war ja die Gesundheitsreform, eines der zentralen Vorhaben von Schwarz-Rot. Und diese Reform besteht ja streng genommen aus vier Teilen: Da gab es eine Organisationsreform, eine Strukturreform, eine Finanzierungsreform und auch eine Reform bei der privaten Krankenversicherung.

    Welcher Teil dieser umstrittenen und auch stark kritisierten Reform stellt Sie persönlich denn vollends zufrieden, und wo würden Sie sagen - Hand aufs Herz - 'also, so toll ist das nicht gelungen, oder bleibt hinter dem zurück, was ich mir als Ministerin gewünscht hätte'?

    Schmidt: Als Ministerin wünsche ich mir grundsätzlich, dass alles viel schneller geht und auch noch stringenter in den einzelnen Bereichen. Aber die Demokratie lebt vom Kompromiss und wir müssen immer einen Ausgleich finden mit dem Koalitionspartner, mit den Beschäftigten auch im Gesundheitswesen, aber auch mit den Ländern.

    Und deswegen, was gut ist, was wir mit der Reform auf den Weg gebracht haben: Wir haben endlich Organisationsstrukturen geschaffen, die mehr Transparenz und auch Verlässlichkeit umsetzen für die kommenden Jahre, zum Beispiel dass wir alle Hemmnisse für Fusionen der Krankenkasse beseitigt haben - damit man nicht mehr nur traditionell fusionieren kann, sondern auch BKK mit IKK oder mit Ersatzkassen und AOK fusionieren können und leistungsstarke Krankenkassen entstehen.

    Wir haben im Bereich der Strukturreformen vieles jetzt auf den Weg gebracht, mehr Eigenständigkeit für die Hausärzte zum Beispiel, dass sie über ihre eigenen Angelegenheiten und Verträge auch selbst entscheiden können. Dass wir endlich Kosten-Nutzen-Bewertung für Arzneimittel auf den Weg bringen, damit nicht etwas, was null Prozent mehr Nutzen bringt, plötzlich 300 Prozent teurer ist. Dass wir die Zusammenarbeit zwischen Ärzten fördern, aber auch nach dem Grundsatz' 'weg von der Fürsorge - hin zur Teilhabe' auch über das Gesundheitswesen diese Ansätze unterstützt haben, 'so lange wie möglich, so selbstständig wie möglich', unter anderem durch Einführung eines Rechtsanspruchs auf Rehabilitation unabhängig von Altersgrenzen.

    Viele Dinge sind dort auf den Weg gebracht worden. Und bei der Finanzreform, da ist vieles in Ordnung. Was mir hier fehlt, und das ist, glaube ich, das Entscheidende, dass wir es nicht geschafft haben, die in Deutschland bestehende Zuteilung der Krankenversicherung allein nach beruflichem Status oder nach Einkommen aufzuheben. Das ist das Ungesunde an unserer Finanzierung, dass die, die zum Beispiel Beamte oder selbständig sind, sich privat versichern können - oder auch müssen demnächst, das ist der Forschritt - und das nach Einkommen. Wer gut verdient, der darf sich aus der gesetzlichen Solidargemeinschaft verabschieden und kann sich privat versichern. Das ist ungesund. Wir brauchen eine Situation, wo alle zu gleichen Bedingungen einzahlen und wo alle für alle Risiken einstehen und es keine Risikoselektion gibt, so wie es heute geschieht, weil die Private ja nicht jeden aufnehmen muss. Die gehen dann alle in die Gesetzliche. Das ist unzureichend.

    Steinhage: Das war jetzt ein Plädoyer für die Bürgerversicherung, um es auf den Punkt zu bringen. - Eine Finanzierungsreform, sagen die Kritiker, ist auch bei der Reform der Pflegeversicherung nicht gelungen. Auch da lagen die Koalitionspartner zu weit auseinander. Sie nicken, das können die Hörer und Hörerinnen nicht sehen. Das heißt, kein Widerspruch an dieser Stelle?

    Schmidt: Nein, es bleibt dabei, dass für die CDU und CSU die private Versicherung und die Risikoselektion unantastbar ist.

    Steinhage: Ihr Parteivorsitzender Franz Müntefering hat einmal gesagt - ich glaube, da war er noch nicht wieder Parteivorsitzender, egal -, die große Koalition ist hinter ihren Möglichkeiten zurück geblieben, was aber nicht an der SPD läge. Teilen Sie also, bezogen auf Ihren Verantwortungsbereich, diese Einschätzung ohne Wenn und Aber?

    Schmidt: Ja, ich hätte mir gewünscht, dass wir da weiter kommen. Und wer, wenn nicht eine große Koalition, hätte denn diese grundlegende Reform umsetzen können?

    Steinhage: Herzlichen Dank für das Gespräch.