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Gesundheitsgefahr Acrylamid?

Medizin. - Wer gerne Chips. Bratkartoffeln oder Pommes isst, hat in den vergangenen Wochen seine Vorliebe womöglich oft in Frage gestellt. Die Aufregung um das bei Tieren krebserregende Acrylamid, das als Nebenprodukt der geschmacksfördernden Röstreaktion entsteht, konnte einem den Appetit schon verderben. Aus Berlin kommen nun aber gute Nachrichten. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz stellte heute die Ergebnisse eine Studie vor, bei der 1000 Lebensmittelproben auf ihren Acrylamid-Gehalt untersucht wurden.

    Von Volker Mrasek

    Alexander Müller, Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz, stellte heute in Berlin eines klar:

    Man muss ganz deutlich sagen, dass Acrylamid im Tierversuch Krebs hervorgerufen hat. Und es gibt aus unserer Sicht keine wissenschaftlichen Gründe, grundsätzlich am Vorliegen dieses Risikos für Menschen zu zweifeln.

    Wie hoch dieses Risiko ist, etwa dann, wenn jemand häufig Kartoffelchips oder braun-gebrutzelte Pommes Frites zu sich nimmt - das ist eine Frage, um die sich die Wissenschaft erst noch kümmern muss. Müller:

    Untersuchungen fehlen, die etwa einen Schwellenwert oder einen Grenzwert für Acrylamid in Lebensmitteln festlegen können, oberhalb dessen beim Menschen Krebs ausgelöst wird.

    Einstweilen lautet das Motto der Bundesregierung deshalb: Die Konzentration von Acrylamid in betroffenen Produkten sollte so weit wie möglich verringert werden. Die Lebensmittel-Industrie zieht teilweise schon mit. Wie es heute in Berlin hieß, haben einzelne Anbieter von Knäckebrot ihre Herstellungsprozesse inzwischen so verändert, dass deutlich weniger Acrylamid entsteht als zuvor. Der Hebel lässt sich in der Regel bei der Temperatur ansetzen: Wer mit ihr heruntergeht, produziert auch nicht mehr so viel von dem Krebsgift.

    Das gilt übrigens genauso für Verbraucher, die in der eigenen Küche braten, backen, toasten oder frittieren. Auch an sie geht die wissenschaftliche Empfehlung, Norbert Haase, Acrylamid-Experte bei der Bundesforschungsanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung in Detmold:

    Dass sie halt Lebensmittel nur so hoch wie nötig und so kurz wie möglich erhitzen sollten. Und bei Kartoffelerzeugnissen sollten die Produkte halt nicht mehr stark gebrannt, verbrannt werden, sollten gold-gelb sein. Und auch bei den Backwaren sollte man darauf achten, dass die Gebäcke nicht zu stark angebräunt werden.

    So weit die Vorschläge der Wissenschaft zur Risiko-Vorsorge. Sie sind sicher fundiert, müssen aber als vorläufig gelten. Denn noch steht die Forschung über Acrylamid als Schadstoff in Lebensmitteln erst am Anfang. Berlin hat aber die Weichen für weitere Untersuchungen laut Staatssekretär Müller schon gestellt. Ein "Lenkungsausschuss Forschung" sei eingerichtet worden. Darin vertreten: das Verbraucherschutz-Ministerium, verschiedene Bundesämter und die Industrie, Der Ausschuss solle neue Forschungsvorhaben anregen und für eitlen zügigen wissenschaftlichen Informationsaustausch sorgen, so Müller:

    So ist zum Beispiel beim Bundesinstitut für Risikobewertung ein Forschungsvorhaben vergäben worden, dass die Dosis-Wirkungsbeziehung von Acrylamid klären soll. Wir hoffen, dass im Frühjahr nächsten Jahres hier Ergebnisse vorliegen.

    Ein anderes Projekt nimmt eine mögliche Risikogruppe in der Bevölkerung ins Visier:

    Und zwar 16jährige Schülerinnen und Schüler. Das wird hier in Berlin durchgeführt. Es sind knapp 1.000 Fragebögen mittlerweile zurückgekommen. Die werden bis Anfang nächstes Jahres ausgewertet sein. Wir vermuten - nach allem, was wir wissen, dass möglicherweise in diesem Bereich Pommes, Kartoffelchips und ähnliches in einem höheren Umfang verzehrt werden als bei anderen Bevölkerungsgruppen. Und deswegen wollen wir mal versuchen, die Exposition diese Gruppe von Jugendlichen genauer zu ermitteln, damit wir überhaupt Grundlagen haben, um weitere Bewertungen abgeben zu können.

    Nicht ausgeschlossen ist sogar, dass sich alle Vorsorge am Ende als unnötig erweist. Falls sich herausstellen sollte, dass unser Körper Wege kennt, um das giftige Acrylamid auszuschalten. Diese Frage stellte heute Ursula Gundert-Remy in den Raum, Direktorin am Bundesinstitut für Risikobewertung:

    Ob es möglicherweise - und es gibt Hinweise dafür, dass es sein könnte - bereits bei der Aufnahme in den Körper, in der Darmwand, einen entgiftenden Mechanismus geben könnte, sodass das Acrylamid überhaupt nicht im Körper ankommt, wenn ich das mal so salopp sagen darf.

    Auch das also noch eine offene wissenschaftliche Frage: Was geschieht eigentlich mit Acrylamid im Körper? Wo landet es? Wie wird es im Stoffwechsel verarbeitet? Forschungsbedarf in Sachen Acrylamid gibt es noch reichlich für hungrige Lebensmittel-Chemiker und Toxikologen.