Volker Finthammer: Frau Ministerin Schmidt, vom "Gehaltswahnsinn" war in dieser Woche schon die Rede. Nicht nur die Kassenvorstände, auch die Vorstände der kassenärztlichen und zahnärztlichen Vereinigungen gerieten ins Visier der Kritik, weil die Vorstandsetagen Gehaltszuwächse bis zu 24 Prozent genehmigt bekommen haben. Können Sie das vor dem Hintergrund, dass viele Menschen mit weniger Geld auskommen müssen und vor allem ja schon auf die lange versprochenen Beitragssenkungen warten, rechtfertigen?
Ulla Schmidt: Nein, ich kann das überhaupt nicht rechtfertigen und das ist auch nicht zu rechtfertigen, sondern ich halte das wirklich bei den Kassen, die sich diese Anhebungen genehmigt haben, einfach auch für geschmacklos und auch wirklich gegen die Versicherten und deren Interessen gerichtet. Man muss aber dazu sagen, dass es nur ein Teil der Kassen ist, dass ein großer Teil überhaupt keine Veränderungen vorgenommen hat und dass es auch Kassen gibt, die auch Beiträge gesenkt haben, die tatsächlich auch die Vorstandsgehälter mit abgesenkt haben.
Finthammer: Trotzdem erregt das natürlich Aufsehen, gerade in Zeiten, wo die Versicherten ja schon über ein Jahr auf deutliche Beitragssenkungen warten. 13,6 Prozent sollte die Gesundheitsreform bringen, das war das erklärte Ziel in einer großen Koalition damals definiert. Wir sind immer noch bei knapp unter 14,2 Prozent. Sie haben in dieser Woche mehrfach die Kassen aufgefordert, endlich die Beiträge zu senken. Haben Sie da keine Instrumente in der Hand, um das wirklich zu bewerkstelligen?
Schmidt: Ja, das müssen die jeweiligen Aufsichten tun. Die müssen die Haushalte genehmigen. Und wir haben im Gesetz festgelegt, dass pro Kasse ein Viertel der Schulden abgebaut wird über vier Jahre hinweg und dass der Rest auch in Beitragssatzsenkungen an die Versicherten weiter zu geben ist. Und hier müssen die Aufsichten, die da sind im Land, oder auch das Bundesversicherungsamt die Haushalte prüfen. Und wir haben das Bundesversicherungsamt, wo ich zuständig bin für die Aufsicht, auch angewiesen, hier sehr genau festzulegen, welche Potentiale bei den einzelnen Kassen sind. Ansonsten wird oft vergessen, dass der Staat relativ wenig Einflüsse hat. Die Kassen sind selbständige Unternehmen, die auch praktisch verwaltet werden oder auch wo die Entscheidungen fallen über eine Selbstverwaltung aus Arbeitgebervertretern und Vertretern auf der Arbeitnehmerseite, und dass die Gerichte auch den Kassen bei der Frage der Festsetzung von Vorstandshonoraren oder anderen Dingen eine relativ große Freiheit zugemessen haben und auch da den Staat in die Schranken schon verwiesen haben, wenn man sich zu stark einmischt.
Finthammer: Am vergangenen Donnerstag, in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages, in der Sie ja selbst aufgetreten sind, da ist die Selbstverwaltung massiv in die Kritik geraten, eben gerade weil sie in diesen beiden Punkten versagt hat. Muss man da nicht doch eventuell etwas unternehmen? Sie haben ja möglicherweise mit gesetzgeberischen Maßnahmen gedroht. Was könnte das denn sein?
Schmidt: Man muss darüber reden, ob eigentlich die Selbstverwaltung so noch funktioniert. Ich stelle in vielen Bereichen fest, dass ein selbstverwaltetes Gesundheitswesen Vorteile hat. Ich möchte auch kein staatliches, bei dem der Staat alles definiert und auch festlegt, was eigentlich an Leistungen da ist oder wie die Leistungen finanziert werden und andere Dinge mehr. Aber man muss schon sehen: Funktioniert es heute so? Ich stehe immer wieder an Punkten, wo im Grunde genommen sich die Ärzteschaft und die Kassen auf der anderen Seite nicht einigen können, wo viele Dinge, die wir umsetzen wollen - auch im Bereich der Strukturreformen jetzt - sehr lange währen, weil man sich gegenseitig blockiert. Und wir haben gesagt, wir geben neue Instrumente der Selbstverwaltung an die Hand, wir wollen, dass mehr vertragliche Lösungen geschaffen werden, damit die Patienten in den Mittelpunkt der Versorgung gestellt werden und nicht das Drumherum, dass alles organisiert wird und man wirklich sich einsetzt, dass jeder Euro zielgenau dort hin fließt, wo er auch hinfließen soll. Und wenn wir jetzt feststellen, dass überall Eckpunkte sind, dann muss man bei einer künftigen Reform, die wir ja auch im Bereich der Finanzierung machen, vielleicht etwas genauer noch hinschauen, wie man mehr Wettbewerb vereinbaren kann. Wir hätten es gewollt. Wir sind ja damals am Bundesrat gescheitert und auch an der Opposition. Ich höre heute, dass auch die Opposition gerne mehr Wettbewerb hätte. Und dann findet man vielleicht auch neue Wege, wie man hier zu einem besseren Funktionieren dieser Gremien auch kommt und es müssen dann auch neue Wege gegangen werden.
Finthammer: In wenigen Wochen stehen ja die Sozialwahlen bevor. Sollte man da diese Probleme nicht einmal offensiv zum Thema machen, um da vielleicht auch ein neues Bewusstsein eben für die Selbstverwaltungsträger in Angriff zu nehmen?
Schmidt: Das müsste man. Ich habe auch selber mit Teilen der Selbstverwaltung gesprochen, auch was jetzt die Frage der Arbeitnehmer/Arbeitgeberseite angeht, vor allem mit den Arbeitnehmervertretern. Ich bin auch mit den Gewerkschaften im Gespräch und habe auch dort gesagt, die Menschen, die auch kandidieren für die Sozialwahlen und auch dort in die Selbstverwaltung gehen, die müssen im Grunde genommen vielleicht auch noch besser wissen, was ihre Aufgaben sind. Und man muss sehr enge Kontakte da auch pflegen und auch klar machen, dass das, was im Moment passiert, dass auf der einen Seite ja die Versicherten auch mittlerweile zu einem großen Teil bereit sind, für die Gesundung der Krankenkassen und für die finanzielle Stabilisierung selber auch Opfer zu bringen und Leistungen zu bringen, mit zu finanzieren. Und Beitragssatzsenkungen gibt es nicht, aber es gibt eben Erhöhungen der Vorstandsgehälter - das geht nicht, das passt alles nicht zusammen. Darüber muss man ernsthaft reden und dann müssen auch die Konsequenzen gezogen werden und vielleicht ist ja so eine Debatte, wie wir sie jetzt haben, auch einmal ganz heilvoll, dass wirklich umgedacht wird und dass auch hier in den Selbstverwaltungen stärker darauf geachtet wird, die Haushalte zu kontrollieren. Die Arbeitgeberseite kann nicht immer fordern, Beitragssätze müssen runter, Lohnnebenkosten runter, aber da, wo sie Verantwortung trägt, nichts tun. Und auch die Arbeitnehmervertreter können nicht immer sagen, die Versicherten werden belastet, wenn sie da, wo sie die Versicherten entlasten können auf der Beitragssatzseite, keine Entscheidungen treffen. Und ich hoffe, dass die Debatten da fruchtvoll sind und dass man hier zu einem anderen Bewusstsein kommt.
Finthammer: Fruchtvoll sollen sie sein, die Debatten, und zu Korrekturen soll es kommen, sagen Sie. Setzen Sie denn darauf, dass wirklich im konkreten Fall der Vorstandsgehälter - Sie haben ja klar gesagt, es sind nicht alle, wo mehr dazu gegeben wurde -, dass es da aber noch zu Korrekturen kommen wird?
Schmidt: Ich denke doch. Wir haben ja, was das Bundesversicherungsamt angeht, das hat bei einzelnen Kassen auch gerade im Bereich der Prüfung, was ist wirtschaftlich, in zehn Fällen eben auch Widerspruch eingelegt. Und bis auf vier Fälle, die vor Gericht gelandet sind, hat man in all den anderen Fällen eben auch Korrekturen vorgenommen und hat dann auch die Gehälter gesenkt. Und bei den Verfahren - eines ist noch vor Gericht anhängig - bei den anderen Verfahren ist auch klar gesagt worden, auch von einem Gericht, das ist nicht mehr die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Und auch hier werden Korrekturen vorgenommen. Und insofern kann die Aufsicht so wie wir auf der Bundesebene Bundesversicherungsamt auch einschreiten und genau dort hinschauen und fragen: Leute, wie hängt das zusammen, wie ist das? Ich will nur eines sagen: Man kann nicht so tun, als müssen die Menschen, die dort auch Verantwortung übernehmen, nicht auch gut bezahlt werden. Und die müssen heute wirklich Managementfunktionen wahrnehmen. Aber man muss in solchen Zeiten, wo man wirklich auch verschuldete Kassen hat, wo wirklich viel auch den Versicherten abgefordert wird, muss man auch so sensibel sein, dass man nicht als einen Punkt sich die Vorstandsgehälter erhöht, sondern dass man wirklich versucht, die Kassen zu sanieren und dann anschließend auch sieht, wie es weitergehen kann. Diese beiden Dinge passen auch zeitlich nicht zusammen.
Finthammer: Schauen wir mal auf die Versicherten. Die haben mit ihren Praxisgebühren, mit den höheren Zuzahlungen und anderem mehr den Kassen im letzten Jahr zusätzliche Einnahmen von 9,5 Milliarden Euro beschert. Vier Milliarden davon sind als Überschuss definitiv übrig geblieben, die also verteilt werden können. Wir wissen, auf der anderen Seite steht ein Schuldenberg von aktuell noch fünf Milliarden Euro. Wann, wie und wo müssen die Kassen den Überschuss an die Versicherten weitergeben?
Schmidt: Die Kassen sollen ein Viertel ihrer Schulden abbauen. Und die Kassen, die eben auch jetzt Überschüsse haben, müssen dies auch in Beitragssatzsenkungen weitergeben. Und wir haben definitiv jetzt nach einem Jahr mehr an Schulden abgebaut aus gesetzlich vorgesehen ist. Und da müssen die Aufsichten jetzt einschreiten. Ich glaube, dass die Debatte dazu führen wird, dass in den verschiedenen Kassen jetzt doch ernsthafter darüber nachgedacht wird und dass man auch Beitragssatzsenkungen beschließen wird. Ich muss aber dazu noch sagen: Das wird nur funktionieren auf Dauer, wenn auch die Kassen wirklich von den neuen Strukturmöglichkeiten auch Gebrauch machen, wenn sie wirklich jetzt ganz zügig beschließen, Vereinbarungen zu einer rationellen, wirksamen aber auch wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung, wenn sie mehr an vertraglichen Lösungen wie Hausarztmodelle, auch integrierte Versorgungsverträge oder auch neue Formen, auch in der Behandlung chronisch Kranker auf den Weg bringen und wenn sie wirklich zu einer patientenzentrierten Versorgung kommen statt immer einer, die an verschiedenen Sektoren orientiert ist und die Patienten eigentlich durch das System nur reizt.
Finthammer: Zum 1.7. dieses Jahres sollen die Arbeitgeber um 4,5 Milliarden Euro entlastet werden. Auch das schreibt das Gesundheitsmodernisierungsgesetz vor, dass eben die Zahnersatzleistungen dann von den Versicherten ganz alleine getragen werden. Das heißt, auf die Versicherten kommt eine in dieser Größenordnung höhere Belastung zu. Rein rechnerisch reicht ja dann die mögliche Entlastung durch die Überschüsse noch nicht einmal aus, um die Versicherten wirklich in den definitiven Genuss von Beitragssenkungen kommen zu lassen.
Schmidt: Die Beitragssatzsenkungen sollen ja auch ein Ausgleich sein für die erhöhten Zuzahlungen. Die Versicherten zahlen ja zu und sie sollen auf der anderen Seite entlastet werden. Ein zweiter wichtiger Punkt war aber, dass wir mit der Reform auch die Kosten des Faktors Arbeit entlasten. Unser Problem neben der Ausgabenproblematik, über die wir eben gesprochen haben, was die Frage der Organisation des Gesundheitswesens angeht, ist ja, dass die Kosten von Arbeit immer teurer werden und dass wir etwas tun müssen, dass Arbeit in Deutschland wettbewerbsfähiger wird und auch günstiger wird und dann mithalten kann. Wenn Sie Unterschiede haben pro gefertigtem Auto von 400 Euro in dem einen Land zu 400 Euro mehr in Deutschland, dann besteht die Gefahr, dass Arbeitsplätze verlagert werden und dass wir hier eben dann weitere größere Probleme haben, weil uns die Einnahmen fehlen. Insofern war die Entlastung des Faktors Arbeit und damit der Unternehmen ein Punkt auch der Gesundheitsreform. Deswegen auch die Verschiebung in der paritätischen Finanzierung. Aber der Verbleib im Solidarsystem, dass nämlich die mit starken Schultern mehr tragen als die mit schwachen Schultern, damit Unternehmen in Deutschland wieder investieren und in Arbeitsplätze investieren, und das ist auch das, was wir erwarten bei den Vorleistungen, die hier gebracht wurden. Und wenn wir wieder mehr Einnahmen haben, dann haben wir auch wieder mehr Geld um im Grunde genommen auch ein Stück mehr an Beitragssatzsenkungen weiter zu gehen.
Finthammer: Dennoch sind die Versicherten ja im doppelten Sinne die Leidtragenden. Sie zahlen eben durch Praxisgebühr und anderes mehr, deutlich mehr. Ab 1.7. dann auch noch diesen Beitrag von 0,9 Prozent, um den zwar die Kassenbeiträge sinken sollen, aber gleichzeitig sagen die Kassen, es gibt viele Risiken: Die Arzneimittelausgaben würden wieder steigen, die Wirkung von Harz IV, also der jüngsten Arbeitsmarktreform, sei noch gar nicht absehbar und vor allem die schwierige Einnahmebasis - ich nehme mal an auch der gesetzlichen Krankenkassen, denn in der Rente, auf die wir später noch kommen, zeichnet sich das ja das schon ab - wirft ja in der Tat neue Fragezeichen auf. Das heißt doch möglicherweise, mit einer konkreten Entlastung können die Versicherten in diesem Jahr aller Voraussicht nach nicht rechnen.
Schmidt: Vielleicht muss man ja mal mit einem Irrtum aufräumen. In einer älter werdenden Gesellschaft und in einem Staat, der ein Gesundheitswesen so organisiert wie unserer, um das uns die Menschen weltweit beneiden, weil sie hier ein Maß an Leistungen von der Vorsorge bis hin zur Rehabilitation erhalten, mit auch Familienförderung im System, mit großen Angeboten und mit einem System, das jedem das gibt, was er medizinisch braucht, und zwar ohne Ansehen der Person und auf der Höhe des medizinischen Fortschritts, da kann das, was der Einzelne für die Instandhaltung der Gesundheit, aber auch für die Aufgaben des Gesundheitswesens aufbringen muss, nicht weniger werden. Es geht immer um die Frage, wie muss das finanziert werden. Und da wird ein Teil solidarisch finanziert werden müssen. Wir werden ein Stück in die Eigenverantwortung der Versicherten geben müssen und man wird ein Stück eben dahin geben müssen, dass die Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen auch zuzahlen, so wie wir das mit der Praxisgebühr und auch Zuzahlungen jetzt machen. Die Aufwendungen, die die Versicherten jetzt bringen, die gehen darum, dass jeder, der versichert ist, dann wenn er krank ist, die Gewissheit haben muss, dass alles getan wird was er braucht, um gesund zu werden. Ich bezahle keine Beiträge, um die Krankenkassen zu unterstützen, ich bezahle keine Beiträge für die Pharmaindustrie, sondern die Beiträge zahle ich, genau wie in jeder anderen Versicherung, dass dann, wenn der Schadensfall - hier das Risiko zu erkranken - eintritt, ich Leistungen bekomme. Niemand kommt auf die Idee, zu sagen: Ich bezahle ja schon meine Autoversicherung, was macht der Konzern damit? Sondern er weiß, ich bezahle das, damit ich Leistungen bekomme, wenn ich einen Unfall habe. Und ich glaube, da muss man noch umdenken in Deutschland, auch in Bezug auf die Krankenversicherung. Das, was wir hier an Reformmaßnahmen auf den Weg bringen, die sehr schwer waren und auch für unsereins, und auch für mich, sehr schwer ist das durchzuhalten, in den Diskussionen, immer wieder die Menschen zu überzeugen, hat eines zum Ziel: Dann, wenn jemand krank ist, dafür zu sorgen, dass er wirklich eine gute medizinische Versorgung bekommt. Und das, was die Versicherten an Leistungen erbringen, hat im eigenen Interesse etwas damit zu tun, dass im Krankheitsfall, auch im Fall, dass ein Familienmitglied erkrankt oder andere, wir wirklich in der Lage sind, dieses Gesundheitswesen gut zu organisieren und auch die Leistungen zu finanzieren. Und deshalb: Niemand bezahlt für die Krankenkassen, niemand bezahlt für die Pharmaindustrie, jeder bezahlt dafür, dass er Leistungen bekommt, wenn er sie braucht.
Finthammer: Aber diese fehlende Ehrlichkeit in der Debatte, die Sie gerade eingefordert haben, fällt ja auch ein Stück weit auf Sie zurück, denn man hat ja die Reform damit verteidigt, dass es dann zu Beitragssenkungen kommen wird. Aber auf der anderen Seite ist klar, dass in einer alternden Gesellschaft die Menschen persönlich mehr für ihre Gesundheit werden ausgeben werden müssen. Und da ist der Köder mit niedrigen Beitragssätzen ja ein schlechter Köder.
Schmidt: Wenn wir eine Einkommensentwicklung gehabt hätten, so wie es die Wirtschaftsinstitute vorhergesagt haben in ihre Prognosen, auch was die Frage der Beschäftigungsentwicklung angeht, wäre wir bei diesem Punkt. Unser Ziel war, klar zu machen, welches Einsparpotential ist da, welche Möglichkeiten habe wir auch in Bezug auf die Beitragssatzsenkungen. Das letzte Quartal 2003 und auch das Jahr 2004 ist in der wirtschaftlichen Entwicklung schlechter gewesen als prognostiziert. Was ich den Versicherten sagen kann, und insofern sind sie trotz allem die Gewinner: Hätten wir diese Reform nicht gemacht, dann würde heute jeder diskutieren, dass dieses System marode ist. Wir würden nur über Leistungseinschränkungen, und zwar auch im medizinisch Notwenigen, reden. Wir hätten Kassen, die Insolvenz anmelden müssen. Wir hätten steigende Beitragssätze und das wäre nicht gut für Arbeit in Deutschland, aber es wäre auch nicht gut für die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Und insofern war das notwendig und es dient den Patienten und Patientinnen und damit auch den Versicherten, denn jeder von uns kann morgen Patient sein - was wir nicht wollen, aber was sein kann.
Finthammer: Im Gesundheitswesen hat man wenigstens noch die Chance, Effizienzgewinne zu heben, wenn man, wie Sie es vorhin gesagt haben, stärker auf Wettbewerbselemente setzt. Ganz anders sieht das ja möglicherweise bei der Rentenversicherung aus. Auch da entwickelt sich ja die schwierige Einnahmebasis zu einem Problem, dem man wird begegnen müssen. Nach zwei Nullrunden steht, so die Sachverständigen und Rentenexperten im Lande mittlerweile, nun möglicherweise eine dritte Nullrunde 2006 an, weil die Einnahmeentwicklung beziehungsweise die Lohnentwicklung deutlich hinter dem zurück bleibt, was man sich vorgestellt hat. Sagen Sie den Rentnern, dass sie mit einer Nullrunde werden leben müssen, auch 2006?
Schmidt: Das kann ich jetzt definitiv noch nicht sagen. Aber ich habe das immer gesagt und sage das auch hier: Wenn nicht mehr Geld einkommt, wenn die Wirtschaft nicht so in Gang kommt, wie wir es brauchen und auch die Einnahmen sprudeln, weil auch die Menschen, die beschäftigt sind, wieder mehr verdienen, dann ist auch nichts da zum Verteilen. Ich kann nur das verteilen, was auch vorher eingenommen wurde. Und ich muss ganz klar sagen: In einer Situation, wo Sie auf der Seite der jungen Menschen, auch die, die erwerbstätig sind, sehen, dass die unter vielen schwierigen Bedingungen auch ihre Arbeitsplätze erhalten müssen, dass sie in vielen Bereichen auf vieles verzichten müssen - auf Weihnachtsgeld verzichten, auf Urlaubsgratifikation, bezahlte Überstunden, das ist heute Gang und Gäbe - in Situationen, wo auch die junge Generation noch zusätzlich dafür sorgen muss, dass ihre Kinder erzogen werden, die Kindergartenplätze und alles, was da ist, da muss man sich entscheiden. Soll ich hier noch mehr Geld wegnehmen, damit ich die Renten anheben kann indem ich die Beitragssätze anhebe, oder sollen wir nicht versuchen, dass man sagt, in dieser Situation hat eben jeder seinen Teil zu tragen. Und ich kann auch da nur an die ältere Generation appellieren, zu verstehen, dass in diesem Dilemma, dass ich gerne der älteren Generation die Renten anheben würde - da können Sie sicher sein -, dass aber in einer solchen Situation, wo auch vorne bei der jüngeren Generation das Geld nicht einkommt, ich da auch nicht anders entscheiden kann. Denn alles das, was ich hier dann geben würde, müsste die jüngere Generation zusätzlich bezahlen, und obwohl die junge Generation heute weiß, neben der gesetzlichen Rente, wo man heute im Schnitt auf die lange Bank immer 19,5 bis 20 Prozent zahlen muss, sie privat vorsorgen müssen, weil es ansonsten im Alter nicht ausreicht, dass man eine Lebensstandardsicherung hat. Das ist mein Dilemma. Und insofern kann ich nur an die ältere Generation appellieren, dass wir alles tun müssen, Beschäftigung zu fördern. Wenn es wieder vorwärts geht, wenn die Beschäftigung wächst, wenn es mit der Wirtschaft aufwärts geht, werden auch die Älteren wieder daran partizipieren.
Finthammer: Gerade vor dem Hintergrund, den Sie gerade beschreiben, fordert ja der Sachverständige Bert Rürup, dass es spätestens in der kommenden Legislaturperiode zu neuen gesetzlichen Maßnahmen kommen muss, eben um die Verteilungsgerechtigkeit zwischen der älteren Generation und der jüngeren Generation über den Nachhaltigkeitsfaktor, der ja entsprechend Ihren Gesetzen auch so wirken soll, wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Glauben Sie, dass man damit erneut in einigen Jahren oder spätestens ab 2006 wird nachjustieren müssen?
Schmidt: Was wir bereden müssen in der kommenden Legislaturperiode - das haben wir aber immer gesagt - ist die Frage, wo liegt eigentlich das Renteneintrittsalter im Jahre 2030/2035, wenn die heute 30-35jährigen in Rente gehen. Und wir diskutieren gerade auch bei uns in der Partei darüber: Schaffen wir es eigentlich, hier einen größeren Korridor zu machen?
Finthammer: Machen wir es konkret: 67 Jahre ist das Rentenalter über das als Ausweg gesprochen wird. Muss man da bis 2030 warten, kann man nicht sagen, 2015 haben wir das schon erreicht?
Schmidt: Nein, das braucht man nicht. Sie müssen ja immer sehen: Die demografische Entwicklung kommt langsam. Und wir haben heute eine Situation, wo das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei etwas über 60 Jahren liegt. Wir haben große Probleme, dafür zu sorgen, dass Menschen über 55 wirklich noch am Arbeitsleben teilhaben können. Und wir haben gesagt, wir wollen die Beschäftigung älterer Menschen fördern. Wir wollen, dass jeder, der will, auch bis zum 65. Lebensjahr erwerbstätig sein kann. Hier sind die Unternehmen gefordert, auch altengerechte Arbeitsplätze zu schaffen und auch Menschen über 55 noch einzustellen und nicht zu sagen: Sie sind zu alt. Das ist im übrigen eine Altersdiskriminierung, die da immer stattfindet. Und wenn man das erreicht hat und dann sieht, dass ja die jüngeren heute, die Nachkommen, wann die in Rente gehen können, dann sagen alle, zwischen 2015 und 2025 müsste die Anhebung des Renteneintrittsalters oder eine Veränderung eigentlich greifen und wirken, und das Schritt für Schritt.
Finthammer: Unumstritten ist in jedem Fall unter den Experten, dass die Rentenversicherung auf mehrere Beine - eben das Umlagesystem und die Privatvorsorge - gesetzt werden soll. Und nun wissen wir alle, dass die private Vorsorge ganz gut angesprungen ist, aber noch nicht in dem Maße, wie es vielleicht angesichts der Herausforderungen erforderlich wäre. Wäre denn da ein Obligatorium, sprich eine verbindliche private Altersabsicherung, nicht angemessen?
Schmidt: Wir haben bis 2010 auch die freiwillige Einführung beschlossen. Und ich bin auch dafür, dass wir diese Zeit auch abwarten und auch sehr genau beobachten, wie hier die Entwicklungen sind. Wir stellen jetzt fest im letzten Jahr, dass es einen Anstieg wieder gibt und das offensichtlich das Bewusstsein wächst, dass man neben der Umlage finanzierten Rente die private Säule aufbauen muss. Ich muss auch noch einmal werben für die Riesterrente. Wer in die Riesterrente investiert, der hat eine sichere Anlage, weil dieser Teil der Altersvorsorge ist genau so wenig pfändbar oder anrechenbar wie die gesetzliche Rentenversicherung, also ein großes Plus. Und wir werden mit der Zeit sehen, wie das weitergeht. Ich sage nur noch mal eines: Warum machen die jungen Menschen das heute nicht? Weil im Moment auch viele sagen: "Wir haben das Geld nicht zusätzlich, trotz der Förderung des Staates, und was bringt es dann, wenn ich das obligatorisch mache?" Ich muss doch immer sehen, dass ich das in dem Gesamtkomplex der Sozialversicherungssysteme das auch finanzierbar ist und auch von dem Einzelnen erbracht werden kann. Wir werden 2005, also in diesem Jahr, den Bericht über die Förderung der Risterrente vorlegen und beraten, und dort wollen wir uns auch mal intensiv damit befassen, ob denn die Förderung, so wie wir sie heute geben, auch so zielgenau ist, dass auch die Menschen mit weniger Einkommen oder auch die Menschen, die auch noch Kinder erziehen, wirklich so erreicht und auch ausreichend ist, dass die diesen Schritt der freiwilligen Entscheidung tun können.
Finthammer: Sie haben als Sozialministerin ja eine dreifache Bürde. Auch die Pflegeversicherung fällt in Ihr Ressort. Nun hat der Bundeskanzler in dem Schreiben an Angela Merkel und Edmund Stoiber angekündigt, dass in diesem Jahr zumindest noch konkrete Vorschläge kommen sollen, wie mittel- und langfristig die Pflegeversicherung auf neue Beine gestellt werden kann. Können Sie uns da schon Koordinaten nennen, wie so etwas aussehen könnte?
Schmidt: Nein, wir haben ja, was die Frage der Leistungsseite angeht und auch der Verbesserung dort auch schon sehr lange Diskussionen darüber und auch festgelegt, wohin es gehen muss. Wir brauchen angesichts einer älter werdenden Gesellschaft eine Stärkung der ambulanten Pflege - auch vor der stationären Pflege. Und wir brauchen dazu eine ganze Menge an neuen Formen auch. Es kann nicht nur die stationären Einrichtungen geben. Wir müssen hinarbeiten auf Wohngemeinschaften, auf die Möglichkeit, dass mehrere Menschen sich gemeinsam Pflege einkaufen können. Also, es muss zu mehr Freiheit in diesem Bereich kommen. Wir müssen etwas tun im Hinblick darauf, dass die demenziell erkrankten Menschen in der Pflegeversicherung besser berücksichtigt werden. Und wir brauchen eine Dynamisierung auch der Leistungen, denn diejenigen, die im ambulanten Pflegedienst arbeiten, müssen auch anständig bezahlt werden. Sonst haben wir irgendwann niemanden mehr, der auch professionell die Pflege übernimmt. Wir müssen also da sehen, dass auch die Unternehmen leben können. Da gibt es eine ganze Menge an Punkten. Was entscheidend sein wird und worüber wir noch diskutieren, ist die Frage: Wie können wir denn langfristig die finanzielle Basis der Pflegeversicherung auch stabilisieren? Wir haben eine Arbeitsgruppe, daran arbeiten wir. Wir haben eine ganze Menge an Vorarbeiten geleistet und würden praktisch in der zweiten Hälfte dieses Jahres denn auch zu solchen Maßnahmen kommen können.
Finthammer: Der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, der Sie in vielen Fragen ja beraten hat, schlägt auch da eine Bürgerversicherung für die Pflege vor. Ist das für Sie vorstellbar?
Schmidt: Das wäre ein Weg, weil der Sachverständigenrat - und auch die fünf Wirtschaftsweisen haben ja gesagt, dass die klassische Trennung in private und gesetzliche Krankenversicherung - und damit auch die Pflegeversicherung, die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung bei uns - dass dies ein Relikt des vorigen Jahrhunderts ist und dass sie nicht mehr den neuen Arbeitsverhältnissen entspricht. Insofern würde, wenn man in der Krankenversicherung den Weg der Bürgerversicherung geht, wenn man im Versicherungssystem bleibt, auch die Pflegeversicherung dem folgen.
Finthammer: Kommt da noch ein klares Konzept vor der Bundestagswahl?
Schmidt: Ja, wir werden das als Partei auf dem Parteitag verabschieden, und wir arbeiten aber auch intensiv in den Fraktionen, auch in der Koalition an den Konzepten. Das meiste ist schon fertig.
Ulla Schmidt: Nein, ich kann das überhaupt nicht rechtfertigen und das ist auch nicht zu rechtfertigen, sondern ich halte das wirklich bei den Kassen, die sich diese Anhebungen genehmigt haben, einfach auch für geschmacklos und auch wirklich gegen die Versicherten und deren Interessen gerichtet. Man muss aber dazu sagen, dass es nur ein Teil der Kassen ist, dass ein großer Teil überhaupt keine Veränderungen vorgenommen hat und dass es auch Kassen gibt, die auch Beiträge gesenkt haben, die tatsächlich auch die Vorstandsgehälter mit abgesenkt haben.
Finthammer: Trotzdem erregt das natürlich Aufsehen, gerade in Zeiten, wo die Versicherten ja schon über ein Jahr auf deutliche Beitragssenkungen warten. 13,6 Prozent sollte die Gesundheitsreform bringen, das war das erklärte Ziel in einer großen Koalition damals definiert. Wir sind immer noch bei knapp unter 14,2 Prozent. Sie haben in dieser Woche mehrfach die Kassen aufgefordert, endlich die Beiträge zu senken. Haben Sie da keine Instrumente in der Hand, um das wirklich zu bewerkstelligen?
Schmidt: Ja, das müssen die jeweiligen Aufsichten tun. Die müssen die Haushalte genehmigen. Und wir haben im Gesetz festgelegt, dass pro Kasse ein Viertel der Schulden abgebaut wird über vier Jahre hinweg und dass der Rest auch in Beitragssatzsenkungen an die Versicherten weiter zu geben ist. Und hier müssen die Aufsichten, die da sind im Land, oder auch das Bundesversicherungsamt die Haushalte prüfen. Und wir haben das Bundesversicherungsamt, wo ich zuständig bin für die Aufsicht, auch angewiesen, hier sehr genau festzulegen, welche Potentiale bei den einzelnen Kassen sind. Ansonsten wird oft vergessen, dass der Staat relativ wenig Einflüsse hat. Die Kassen sind selbständige Unternehmen, die auch praktisch verwaltet werden oder auch wo die Entscheidungen fallen über eine Selbstverwaltung aus Arbeitgebervertretern und Vertretern auf der Arbeitnehmerseite, und dass die Gerichte auch den Kassen bei der Frage der Festsetzung von Vorstandshonoraren oder anderen Dingen eine relativ große Freiheit zugemessen haben und auch da den Staat in die Schranken schon verwiesen haben, wenn man sich zu stark einmischt.
Finthammer: Am vergangenen Donnerstag, in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages, in der Sie ja selbst aufgetreten sind, da ist die Selbstverwaltung massiv in die Kritik geraten, eben gerade weil sie in diesen beiden Punkten versagt hat. Muss man da nicht doch eventuell etwas unternehmen? Sie haben ja möglicherweise mit gesetzgeberischen Maßnahmen gedroht. Was könnte das denn sein?
Schmidt: Man muss darüber reden, ob eigentlich die Selbstverwaltung so noch funktioniert. Ich stelle in vielen Bereichen fest, dass ein selbstverwaltetes Gesundheitswesen Vorteile hat. Ich möchte auch kein staatliches, bei dem der Staat alles definiert und auch festlegt, was eigentlich an Leistungen da ist oder wie die Leistungen finanziert werden und andere Dinge mehr. Aber man muss schon sehen: Funktioniert es heute so? Ich stehe immer wieder an Punkten, wo im Grunde genommen sich die Ärzteschaft und die Kassen auf der anderen Seite nicht einigen können, wo viele Dinge, die wir umsetzen wollen - auch im Bereich der Strukturreformen jetzt - sehr lange währen, weil man sich gegenseitig blockiert. Und wir haben gesagt, wir geben neue Instrumente der Selbstverwaltung an die Hand, wir wollen, dass mehr vertragliche Lösungen geschaffen werden, damit die Patienten in den Mittelpunkt der Versorgung gestellt werden und nicht das Drumherum, dass alles organisiert wird und man wirklich sich einsetzt, dass jeder Euro zielgenau dort hin fließt, wo er auch hinfließen soll. Und wenn wir jetzt feststellen, dass überall Eckpunkte sind, dann muss man bei einer künftigen Reform, die wir ja auch im Bereich der Finanzierung machen, vielleicht etwas genauer noch hinschauen, wie man mehr Wettbewerb vereinbaren kann. Wir hätten es gewollt. Wir sind ja damals am Bundesrat gescheitert und auch an der Opposition. Ich höre heute, dass auch die Opposition gerne mehr Wettbewerb hätte. Und dann findet man vielleicht auch neue Wege, wie man hier zu einem besseren Funktionieren dieser Gremien auch kommt und es müssen dann auch neue Wege gegangen werden.
Finthammer: In wenigen Wochen stehen ja die Sozialwahlen bevor. Sollte man da diese Probleme nicht einmal offensiv zum Thema machen, um da vielleicht auch ein neues Bewusstsein eben für die Selbstverwaltungsträger in Angriff zu nehmen?
Schmidt: Das müsste man. Ich habe auch selber mit Teilen der Selbstverwaltung gesprochen, auch was jetzt die Frage der Arbeitnehmer/Arbeitgeberseite angeht, vor allem mit den Arbeitnehmervertretern. Ich bin auch mit den Gewerkschaften im Gespräch und habe auch dort gesagt, die Menschen, die auch kandidieren für die Sozialwahlen und auch dort in die Selbstverwaltung gehen, die müssen im Grunde genommen vielleicht auch noch besser wissen, was ihre Aufgaben sind. Und man muss sehr enge Kontakte da auch pflegen und auch klar machen, dass das, was im Moment passiert, dass auf der einen Seite ja die Versicherten auch mittlerweile zu einem großen Teil bereit sind, für die Gesundung der Krankenkassen und für die finanzielle Stabilisierung selber auch Opfer zu bringen und Leistungen zu bringen, mit zu finanzieren. Und Beitragssatzsenkungen gibt es nicht, aber es gibt eben Erhöhungen der Vorstandsgehälter - das geht nicht, das passt alles nicht zusammen. Darüber muss man ernsthaft reden und dann müssen auch die Konsequenzen gezogen werden und vielleicht ist ja so eine Debatte, wie wir sie jetzt haben, auch einmal ganz heilvoll, dass wirklich umgedacht wird und dass auch hier in den Selbstverwaltungen stärker darauf geachtet wird, die Haushalte zu kontrollieren. Die Arbeitgeberseite kann nicht immer fordern, Beitragssätze müssen runter, Lohnnebenkosten runter, aber da, wo sie Verantwortung trägt, nichts tun. Und auch die Arbeitnehmervertreter können nicht immer sagen, die Versicherten werden belastet, wenn sie da, wo sie die Versicherten entlasten können auf der Beitragssatzseite, keine Entscheidungen treffen. Und ich hoffe, dass die Debatten da fruchtvoll sind und dass man hier zu einem anderen Bewusstsein kommt.
Finthammer: Fruchtvoll sollen sie sein, die Debatten, und zu Korrekturen soll es kommen, sagen Sie. Setzen Sie denn darauf, dass wirklich im konkreten Fall der Vorstandsgehälter - Sie haben ja klar gesagt, es sind nicht alle, wo mehr dazu gegeben wurde -, dass es da aber noch zu Korrekturen kommen wird?
Schmidt: Ich denke doch. Wir haben ja, was das Bundesversicherungsamt angeht, das hat bei einzelnen Kassen auch gerade im Bereich der Prüfung, was ist wirtschaftlich, in zehn Fällen eben auch Widerspruch eingelegt. Und bis auf vier Fälle, die vor Gericht gelandet sind, hat man in all den anderen Fällen eben auch Korrekturen vorgenommen und hat dann auch die Gehälter gesenkt. Und bei den Verfahren - eines ist noch vor Gericht anhängig - bei den anderen Verfahren ist auch klar gesagt worden, auch von einem Gericht, das ist nicht mehr die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Und auch hier werden Korrekturen vorgenommen. Und insofern kann die Aufsicht so wie wir auf der Bundesebene Bundesversicherungsamt auch einschreiten und genau dort hinschauen und fragen: Leute, wie hängt das zusammen, wie ist das? Ich will nur eines sagen: Man kann nicht so tun, als müssen die Menschen, die dort auch Verantwortung übernehmen, nicht auch gut bezahlt werden. Und die müssen heute wirklich Managementfunktionen wahrnehmen. Aber man muss in solchen Zeiten, wo man wirklich auch verschuldete Kassen hat, wo wirklich viel auch den Versicherten abgefordert wird, muss man auch so sensibel sein, dass man nicht als einen Punkt sich die Vorstandsgehälter erhöht, sondern dass man wirklich versucht, die Kassen zu sanieren und dann anschließend auch sieht, wie es weitergehen kann. Diese beiden Dinge passen auch zeitlich nicht zusammen.
Finthammer: Schauen wir mal auf die Versicherten. Die haben mit ihren Praxisgebühren, mit den höheren Zuzahlungen und anderem mehr den Kassen im letzten Jahr zusätzliche Einnahmen von 9,5 Milliarden Euro beschert. Vier Milliarden davon sind als Überschuss definitiv übrig geblieben, die also verteilt werden können. Wir wissen, auf der anderen Seite steht ein Schuldenberg von aktuell noch fünf Milliarden Euro. Wann, wie und wo müssen die Kassen den Überschuss an die Versicherten weitergeben?
Schmidt: Die Kassen sollen ein Viertel ihrer Schulden abbauen. Und die Kassen, die eben auch jetzt Überschüsse haben, müssen dies auch in Beitragssatzsenkungen weitergeben. Und wir haben definitiv jetzt nach einem Jahr mehr an Schulden abgebaut aus gesetzlich vorgesehen ist. Und da müssen die Aufsichten jetzt einschreiten. Ich glaube, dass die Debatte dazu führen wird, dass in den verschiedenen Kassen jetzt doch ernsthafter darüber nachgedacht wird und dass man auch Beitragssatzsenkungen beschließen wird. Ich muss aber dazu noch sagen: Das wird nur funktionieren auf Dauer, wenn auch die Kassen wirklich von den neuen Strukturmöglichkeiten auch Gebrauch machen, wenn sie wirklich jetzt ganz zügig beschließen, Vereinbarungen zu einer rationellen, wirksamen aber auch wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung, wenn sie mehr an vertraglichen Lösungen wie Hausarztmodelle, auch integrierte Versorgungsverträge oder auch neue Formen, auch in der Behandlung chronisch Kranker auf den Weg bringen und wenn sie wirklich zu einer patientenzentrierten Versorgung kommen statt immer einer, die an verschiedenen Sektoren orientiert ist und die Patienten eigentlich durch das System nur reizt.
Finthammer: Zum 1.7. dieses Jahres sollen die Arbeitgeber um 4,5 Milliarden Euro entlastet werden. Auch das schreibt das Gesundheitsmodernisierungsgesetz vor, dass eben die Zahnersatzleistungen dann von den Versicherten ganz alleine getragen werden. Das heißt, auf die Versicherten kommt eine in dieser Größenordnung höhere Belastung zu. Rein rechnerisch reicht ja dann die mögliche Entlastung durch die Überschüsse noch nicht einmal aus, um die Versicherten wirklich in den definitiven Genuss von Beitragssenkungen kommen zu lassen.
Schmidt: Die Beitragssatzsenkungen sollen ja auch ein Ausgleich sein für die erhöhten Zuzahlungen. Die Versicherten zahlen ja zu und sie sollen auf der anderen Seite entlastet werden. Ein zweiter wichtiger Punkt war aber, dass wir mit der Reform auch die Kosten des Faktors Arbeit entlasten. Unser Problem neben der Ausgabenproblematik, über die wir eben gesprochen haben, was die Frage der Organisation des Gesundheitswesens angeht, ist ja, dass die Kosten von Arbeit immer teurer werden und dass wir etwas tun müssen, dass Arbeit in Deutschland wettbewerbsfähiger wird und auch günstiger wird und dann mithalten kann. Wenn Sie Unterschiede haben pro gefertigtem Auto von 400 Euro in dem einen Land zu 400 Euro mehr in Deutschland, dann besteht die Gefahr, dass Arbeitsplätze verlagert werden und dass wir hier eben dann weitere größere Probleme haben, weil uns die Einnahmen fehlen. Insofern war die Entlastung des Faktors Arbeit und damit der Unternehmen ein Punkt auch der Gesundheitsreform. Deswegen auch die Verschiebung in der paritätischen Finanzierung. Aber der Verbleib im Solidarsystem, dass nämlich die mit starken Schultern mehr tragen als die mit schwachen Schultern, damit Unternehmen in Deutschland wieder investieren und in Arbeitsplätze investieren, und das ist auch das, was wir erwarten bei den Vorleistungen, die hier gebracht wurden. Und wenn wir wieder mehr Einnahmen haben, dann haben wir auch wieder mehr Geld um im Grunde genommen auch ein Stück mehr an Beitragssatzsenkungen weiter zu gehen.
Finthammer: Dennoch sind die Versicherten ja im doppelten Sinne die Leidtragenden. Sie zahlen eben durch Praxisgebühr und anderes mehr, deutlich mehr. Ab 1.7. dann auch noch diesen Beitrag von 0,9 Prozent, um den zwar die Kassenbeiträge sinken sollen, aber gleichzeitig sagen die Kassen, es gibt viele Risiken: Die Arzneimittelausgaben würden wieder steigen, die Wirkung von Harz IV, also der jüngsten Arbeitsmarktreform, sei noch gar nicht absehbar und vor allem die schwierige Einnahmebasis - ich nehme mal an auch der gesetzlichen Krankenkassen, denn in der Rente, auf die wir später noch kommen, zeichnet sich das ja das schon ab - wirft ja in der Tat neue Fragezeichen auf. Das heißt doch möglicherweise, mit einer konkreten Entlastung können die Versicherten in diesem Jahr aller Voraussicht nach nicht rechnen.
Schmidt: Vielleicht muss man ja mal mit einem Irrtum aufräumen. In einer älter werdenden Gesellschaft und in einem Staat, der ein Gesundheitswesen so organisiert wie unserer, um das uns die Menschen weltweit beneiden, weil sie hier ein Maß an Leistungen von der Vorsorge bis hin zur Rehabilitation erhalten, mit auch Familienförderung im System, mit großen Angeboten und mit einem System, das jedem das gibt, was er medizinisch braucht, und zwar ohne Ansehen der Person und auf der Höhe des medizinischen Fortschritts, da kann das, was der Einzelne für die Instandhaltung der Gesundheit, aber auch für die Aufgaben des Gesundheitswesens aufbringen muss, nicht weniger werden. Es geht immer um die Frage, wie muss das finanziert werden. Und da wird ein Teil solidarisch finanziert werden müssen. Wir werden ein Stück in die Eigenverantwortung der Versicherten geben müssen und man wird ein Stück eben dahin geben müssen, dass die Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen auch zuzahlen, so wie wir das mit der Praxisgebühr und auch Zuzahlungen jetzt machen. Die Aufwendungen, die die Versicherten jetzt bringen, die gehen darum, dass jeder, der versichert ist, dann wenn er krank ist, die Gewissheit haben muss, dass alles getan wird was er braucht, um gesund zu werden. Ich bezahle keine Beiträge, um die Krankenkassen zu unterstützen, ich bezahle keine Beiträge für die Pharmaindustrie, sondern die Beiträge zahle ich, genau wie in jeder anderen Versicherung, dass dann, wenn der Schadensfall - hier das Risiko zu erkranken - eintritt, ich Leistungen bekomme. Niemand kommt auf die Idee, zu sagen: Ich bezahle ja schon meine Autoversicherung, was macht der Konzern damit? Sondern er weiß, ich bezahle das, damit ich Leistungen bekomme, wenn ich einen Unfall habe. Und ich glaube, da muss man noch umdenken in Deutschland, auch in Bezug auf die Krankenversicherung. Das, was wir hier an Reformmaßnahmen auf den Weg bringen, die sehr schwer waren und auch für unsereins, und auch für mich, sehr schwer ist das durchzuhalten, in den Diskussionen, immer wieder die Menschen zu überzeugen, hat eines zum Ziel: Dann, wenn jemand krank ist, dafür zu sorgen, dass er wirklich eine gute medizinische Versorgung bekommt. Und das, was die Versicherten an Leistungen erbringen, hat im eigenen Interesse etwas damit zu tun, dass im Krankheitsfall, auch im Fall, dass ein Familienmitglied erkrankt oder andere, wir wirklich in der Lage sind, dieses Gesundheitswesen gut zu organisieren und auch die Leistungen zu finanzieren. Und deshalb: Niemand bezahlt für die Krankenkassen, niemand bezahlt für die Pharmaindustrie, jeder bezahlt dafür, dass er Leistungen bekommt, wenn er sie braucht.
Finthammer: Aber diese fehlende Ehrlichkeit in der Debatte, die Sie gerade eingefordert haben, fällt ja auch ein Stück weit auf Sie zurück, denn man hat ja die Reform damit verteidigt, dass es dann zu Beitragssenkungen kommen wird. Aber auf der anderen Seite ist klar, dass in einer alternden Gesellschaft die Menschen persönlich mehr für ihre Gesundheit werden ausgeben werden müssen. Und da ist der Köder mit niedrigen Beitragssätzen ja ein schlechter Köder.
Schmidt: Wenn wir eine Einkommensentwicklung gehabt hätten, so wie es die Wirtschaftsinstitute vorhergesagt haben in ihre Prognosen, auch was die Frage der Beschäftigungsentwicklung angeht, wäre wir bei diesem Punkt. Unser Ziel war, klar zu machen, welches Einsparpotential ist da, welche Möglichkeiten habe wir auch in Bezug auf die Beitragssatzsenkungen. Das letzte Quartal 2003 und auch das Jahr 2004 ist in der wirtschaftlichen Entwicklung schlechter gewesen als prognostiziert. Was ich den Versicherten sagen kann, und insofern sind sie trotz allem die Gewinner: Hätten wir diese Reform nicht gemacht, dann würde heute jeder diskutieren, dass dieses System marode ist. Wir würden nur über Leistungseinschränkungen, und zwar auch im medizinisch Notwenigen, reden. Wir hätten Kassen, die Insolvenz anmelden müssen. Wir hätten steigende Beitragssätze und das wäre nicht gut für Arbeit in Deutschland, aber es wäre auch nicht gut für die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Und insofern war das notwendig und es dient den Patienten und Patientinnen und damit auch den Versicherten, denn jeder von uns kann morgen Patient sein - was wir nicht wollen, aber was sein kann.
Finthammer: Im Gesundheitswesen hat man wenigstens noch die Chance, Effizienzgewinne zu heben, wenn man, wie Sie es vorhin gesagt haben, stärker auf Wettbewerbselemente setzt. Ganz anders sieht das ja möglicherweise bei der Rentenversicherung aus. Auch da entwickelt sich ja die schwierige Einnahmebasis zu einem Problem, dem man wird begegnen müssen. Nach zwei Nullrunden steht, so die Sachverständigen und Rentenexperten im Lande mittlerweile, nun möglicherweise eine dritte Nullrunde 2006 an, weil die Einnahmeentwicklung beziehungsweise die Lohnentwicklung deutlich hinter dem zurück bleibt, was man sich vorgestellt hat. Sagen Sie den Rentnern, dass sie mit einer Nullrunde werden leben müssen, auch 2006?
Schmidt: Das kann ich jetzt definitiv noch nicht sagen. Aber ich habe das immer gesagt und sage das auch hier: Wenn nicht mehr Geld einkommt, wenn die Wirtschaft nicht so in Gang kommt, wie wir es brauchen und auch die Einnahmen sprudeln, weil auch die Menschen, die beschäftigt sind, wieder mehr verdienen, dann ist auch nichts da zum Verteilen. Ich kann nur das verteilen, was auch vorher eingenommen wurde. Und ich muss ganz klar sagen: In einer Situation, wo Sie auf der Seite der jungen Menschen, auch die, die erwerbstätig sind, sehen, dass die unter vielen schwierigen Bedingungen auch ihre Arbeitsplätze erhalten müssen, dass sie in vielen Bereichen auf vieles verzichten müssen - auf Weihnachtsgeld verzichten, auf Urlaubsgratifikation, bezahlte Überstunden, das ist heute Gang und Gäbe - in Situationen, wo auch die junge Generation noch zusätzlich dafür sorgen muss, dass ihre Kinder erzogen werden, die Kindergartenplätze und alles, was da ist, da muss man sich entscheiden. Soll ich hier noch mehr Geld wegnehmen, damit ich die Renten anheben kann indem ich die Beitragssätze anhebe, oder sollen wir nicht versuchen, dass man sagt, in dieser Situation hat eben jeder seinen Teil zu tragen. Und ich kann auch da nur an die ältere Generation appellieren, zu verstehen, dass in diesem Dilemma, dass ich gerne der älteren Generation die Renten anheben würde - da können Sie sicher sein -, dass aber in einer solchen Situation, wo auch vorne bei der jüngeren Generation das Geld nicht einkommt, ich da auch nicht anders entscheiden kann. Denn alles das, was ich hier dann geben würde, müsste die jüngere Generation zusätzlich bezahlen, und obwohl die junge Generation heute weiß, neben der gesetzlichen Rente, wo man heute im Schnitt auf die lange Bank immer 19,5 bis 20 Prozent zahlen muss, sie privat vorsorgen müssen, weil es ansonsten im Alter nicht ausreicht, dass man eine Lebensstandardsicherung hat. Das ist mein Dilemma. Und insofern kann ich nur an die ältere Generation appellieren, dass wir alles tun müssen, Beschäftigung zu fördern. Wenn es wieder vorwärts geht, wenn die Beschäftigung wächst, wenn es mit der Wirtschaft aufwärts geht, werden auch die Älteren wieder daran partizipieren.
Finthammer: Gerade vor dem Hintergrund, den Sie gerade beschreiben, fordert ja der Sachverständige Bert Rürup, dass es spätestens in der kommenden Legislaturperiode zu neuen gesetzlichen Maßnahmen kommen muss, eben um die Verteilungsgerechtigkeit zwischen der älteren Generation und der jüngeren Generation über den Nachhaltigkeitsfaktor, der ja entsprechend Ihren Gesetzen auch so wirken soll, wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Glauben Sie, dass man damit erneut in einigen Jahren oder spätestens ab 2006 wird nachjustieren müssen?
Schmidt: Was wir bereden müssen in der kommenden Legislaturperiode - das haben wir aber immer gesagt - ist die Frage, wo liegt eigentlich das Renteneintrittsalter im Jahre 2030/2035, wenn die heute 30-35jährigen in Rente gehen. Und wir diskutieren gerade auch bei uns in der Partei darüber: Schaffen wir es eigentlich, hier einen größeren Korridor zu machen?
Finthammer: Machen wir es konkret: 67 Jahre ist das Rentenalter über das als Ausweg gesprochen wird. Muss man da bis 2030 warten, kann man nicht sagen, 2015 haben wir das schon erreicht?
Schmidt: Nein, das braucht man nicht. Sie müssen ja immer sehen: Die demografische Entwicklung kommt langsam. Und wir haben heute eine Situation, wo das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei etwas über 60 Jahren liegt. Wir haben große Probleme, dafür zu sorgen, dass Menschen über 55 wirklich noch am Arbeitsleben teilhaben können. Und wir haben gesagt, wir wollen die Beschäftigung älterer Menschen fördern. Wir wollen, dass jeder, der will, auch bis zum 65. Lebensjahr erwerbstätig sein kann. Hier sind die Unternehmen gefordert, auch altengerechte Arbeitsplätze zu schaffen und auch Menschen über 55 noch einzustellen und nicht zu sagen: Sie sind zu alt. Das ist im übrigen eine Altersdiskriminierung, die da immer stattfindet. Und wenn man das erreicht hat und dann sieht, dass ja die jüngeren heute, die Nachkommen, wann die in Rente gehen können, dann sagen alle, zwischen 2015 und 2025 müsste die Anhebung des Renteneintrittsalters oder eine Veränderung eigentlich greifen und wirken, und das Schritt für Schritt.
Finthammer: Unumstritten ist in jedem Fall unter den Experten, dass die Rentenversicherung auf mehrere Beine - eben das Umlagesystem und die Privatvorsorge - gesetzt werden soll. Und nun wissen wir alle, dass die private Vorsorge ganz gut angesprungen ist, aber noch nicht in dem Maße, wie es vielleicht angesichts der Herausforderungen erforderlich wäre. Wäre denn da ein Obligatorium, sprich eine verbindliche private Altersabsicherung, nicht angemessen?
Schmidt: Wir haben bis 2010 auch die freiwillige Einführung beschlossen. Und ich bin auch dafür, dass wir diese Zeit auch abwarten und auch sehr genau beobachten, wie hier die Entwicklungen sind. Wir stellen jetzt fest im letzten Jahr, dass es einen Anstieg wieder gibt und das offensichtlich das Bewusstsein wächst, dass man neben der Umlage finanzierten Rente die private Säule aufbauen muss. Ich muss auch noch einmal werben für die Riesterrente. Wer in die Riesterrente investiert, der hat eine sichere Anlage, weil dieser Teil der Altersvorsorge ist genau so wenig pfändbar oder anrechenbar wie die gesetzliche Rentenversicherung, also ein großes Plus. Und wir werden mit der Zeit sehen, wie das weitergeht. Ich sage nur noch mal eines: Warum machen die jungen Menschen das heute nicht? Weil im Moment auch viele sagen: "Wir haben das Geld nicht zusätzlich, trotz der Förderung des Staates, und was bringt es dann, wenn ich das obligatorisch mache?" Ich muss doch immer sehen, dass ich das in dem Gesamtkomplex der Sozialversicherungssysteme das auch finanzierbar ist und auch von dem Einzelnen erbracht werden kann. Wir werden 2005, also in diesem Jahr, den Bericht über die Förderung der Risterrente vorlegen und beraten, und dort wollen wir uns auch mal intensiv damit befassen, ob denn die Förderung, so wie wir sie heute geben, auch so zielgenau ist, dass auch die Menschen mit weniger Einkommen oder auch die Menschen, die auch noch Kinder erziehen, wirklich so erreicht und auch ausreichend ist, dass die diesen Schritt der freiwilligen Entscheidung tun können.
Finthammer: Sie haben als Sozialministerin ja eine dreifache Bürde. Auch die Pflegeversicherung fällt in Ihr Ressort. Nun hat der Bundeskanzler in dem Schreiben an Angela Merkel und Edmund Stoiber angekündigt, dass in diesem Jahr zumindest noch konkrete Vorschläge kommen sollen, wie mittel- und langfristig die Pflegeversicherung auf neue Beine gestellt werden kann. Können Sie uns da schon Koordinaten nennen, wie so etwas aussehen könnte?
Schmidt: Nein, wir haben ja, was die Frage der Leistungsseite angeht und auch der Verbesserung dort auch schon sehr lange Diskussionen darüber und auch festgelegt, wohin es gehen muss. Wir brauchen angesichts einer älter werdenden Gesellschaft eine Stärkung der ambulanten Pflege - auch vor der stationären Pflege. Und wir brauchen dazu eine ganze Menge an neuen Formen auch. Es kann nicht nur die stationären Einrichtungen geben. Wir müssen hinarbeiten auf Wohngemeinschaften, auf die Möglichkeit, dass mehrere Menschen sich gemeinsam Pflege einkaufen können. Also, es muss zu mehr Freiheit in diesem Bereich kommen. Wir müssen etwas tun im Hinblick darauf, dass die demenziell erkrankten Menschen in der Pflegeversicherung besser berücksichtigt werden. Und wir brauchen eine Dynamisierung auch der Leistungen, denn diejenigen, die im ambulanten Pflegedienst arbeiten, müssen auch anständig bezahlt werden. Sonst haben wir irgendwann niemanden mehr, der auch professionell die Pflege übernimmt. Wir müssen also da sehen, dass auch die Unternehmen leben können. Da gibt es eine ganze Menge an Punkten. Was entscheidend sein wird und worüber wir noch diskutieren, ist die Frage: Wie können wir denn langfristig die finanzielle Basis der Pflegeversicherung auch stabilisieren? Wir haben eine Arbeitsgruppe, daran arbeiten wir. Wir haben eine ganze Menge an Vorarbeiten geleistet und würden praktisch in der zweiten Hälfte dieses Jahres denn auch zu solchen Maßnahmen kommen können.
Finthammer: Der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach, der Sie in vielen Fragen ja beraten hat, schlägt auch da eine Bürgerversicherung für die Pflege vor. Ist das für Sie vorstellbar?
Schmidt: Das wäre ein Weg, weil der Sachverständigenrat - und auch die fünf Wirtschaftsweisen haben ja gesagt, dass die klassische Trennung in private und gesetzliche Krankenversicherung - und damit auch die Pflegeversicherung, die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung bei uns - dass dies ein Relikt des vorigen Jahrhunderts ist und dass sie nicht mehr den neuen Arbeitsverhältnissen entspricht. Insofern würde, wenn man in der Krankenversicherung den Weg der Bürgerversicherung geht, wenn man im Versicherungssystem bleibt, auch die Pflegeversicherung dem folgen.
Finthammer: Kommt da noch ein klares Konzept vor der Bundestagswahl?
Schmidt: Ja, wir werden das als Partei auf dem Parteitag verabschieden, und wir arbeiten aber auch intensiv in den Fraktionen, auch in der Koalition an den Konzepten. Das meiste ist schon fertig.