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Gesundheitspolitik aus Verbrauchersicht

Viele Verbraucher sind verunsichert, viele aber auch schlicht wütend: Wann immer sich die Fachminister und -experten mit der Gesundheitspolitik beschäftigen, dann kommen unter dem Strich mehr Kosten heraus. Dabei ist Gesundheitspolitik nicht nur eine Frage des Geldes - behauptet zumindest der Verbraucherzentrale Bundesverband.

Von Philip Banse | 08.03.2010
    Die Reformvorschläge der Verbraucherschützer orientieren sich an vier Zielen: Mehr Wettbewerb, mehr Qualität, mehr Effizienz und mehr Verbrauchersouveränität, sprich Transparenz. Größtes Hindernis ist, so Gerd Billen, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung, kurz PKV und GKV:

    "Wir halten es für die wichtigste Maßnahme, das Zwei-Säulen-Modell, was wir zur Zeit der Krankenversicherung haben mit GKV und PKV abzuschaffen. Denn wir haben viele Gutachten, die ganz klar Belegen, dass diese Trennung, die auch für die Parteien noch eine Heilige Kuh ist, zu Ineffizienzen und Absurditäten führt. Für die gleiche Leistung muss ein PKV-Patient unter Umständen viel, viel mehr bezahlen als ein Kassenpatient."

    Dieses System sei ungerecht, weil sich Gutverdiener aus der solidarischen Gesundheitsfinanzierung rausziehen könnten. Auch die privaten Versicherer sähen den Reformbedarf, sagt der Gesundheitsexperte des VZBV, Stefan Etgeton:

    "Inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass die großen Versicherungsunternehmen, für die die PKV nur ein Geschäft unter vielen ist, lieber heute als morgen aus diesem Modell aussteigen würden, weil sie auch merken: Auch ihre Leute werden älter, auch sie kostete der medizinische Fortschritt Geld. Aber sie haben ein erhöhtes Leistungsversprechen, dass sie einhalten müssen und sie haben nicht die Instrumente, die die GKV hat, um Kosten zu senken. Das heißt, dieses Modell wird auf Dauer so nicht funktionieren, die Privaten werden ein eigenes Interesse für ein Ausstiegs-Szenario haben und dafür muss die Politik eine Antwort finden."

    Zweiter wichtiger Punkt ist: Kosten senken durch mehr Effizienz. Mindestens 50 Milliarden Euro könnten im deutschen Gesundheitswesen eingespart werden, sagen die Verbraucherschützer. Hier geht es vor allem um Arzneimittelkosten. Großes Problem sind nach Ansicht von Stefan Etgeton die patentgeschützten Arzneimittel. Für sie können Pharmaunternehmen heute einen beliebigen Preis festsetzen. Wird das Medikament verschrieben, müssen die Krankenkassen diesen Preis bezahlen. Die Forderung der Verbraucherschützer: Die Krankenkassen müssen mit den Pharmaunternehmen über Preise verhandeln dürfen. Gesundheitsminister Philipp Rösler, FDP, hat Vorschläge in dieser Richtung gemacht, die Verbraucherschützer Etgeton im Prinzip begrüßt:

    "Grundsätzlich ist es richtig, hier insbesondere die forschenden Arzneimittelhersteller zu nötigen, in Verhandlungen einzutreten. So konkret sind die Vorschläge noch nicht, dass man genau sagen könnte, ob sie dieses Ziel auch erreichen, das ich genannt habe, nämlich, die forschenden Arzneimittelhersteller in eine Situation zu bringen, dass die Interesse haben, möglichst zügig zu Verhandlungsergebnisse zu kommen."

    Denn heute gilt: Je länger die Verhandlungen zwischen Krankenkasse und Pharmaunternehmen dauern, desto länger gilt der hohe Preis, desto mehr Gewinn machen die Pharmaunternehmen. Deshalb müsste nach einer bestimmten Verhandlungsdauer ein gesetzlicher Deckelpreis gelten, so Etgeton. Der größte Kosten-Brocken für die Krankenkassen sind aber die Krankenhäuser: Ein Krankenhausfall koste heute im Schnitt 3500 Euro, so Etgeton. Es ließe sich also viel sparen, wenn viele Patienten nicht gleich ins Krankenhaus gebraucht, sondern erstmal ambulant versorgt würden. Aber: Obwohl in Deutschland jedes Jahr mehr Ärzte zugelassen würden, gebe es immer noch unterversorgte Regionen, sagte Etgeton:

    "Wir setzen uns ein für eine kleinräumige, sektorübergreifende Bedarfsplanung. Und das muss sich dann auch in der Vergütung von Ärzten niederschlagen. Ärzte, die in einem überversorgten Gebiet sind, müssen mit Abschlagen rechnen und Ärzte, die in ein unterversorgtes Gebiet gehen, müssen Aufschläge bekommen."

    Verbraucherschützer Billen forderte darüber hinaus: Patienten brauchen mehr Informationen, mehr Transparenz. Es gebe tausende Ärzte und Krankenhäuser:

    "Ich möchte einfach wissen, in wessen Hände ich mich begebe, wenn ich eine Behandlung suche. Hier kann die Politik, gerade auch die schwarz-gelbe Koalition eine aktive Rolle spielen, diese Transparenz zu verbessern, damit ich eben bessere Informationen darüber habe, welches Krankenhaus erfolgreiche Arbeit mit bestimmten Krankheiten hat und welches, die vielleicht nicht leistet."

    Auch die elektronische Gesundheitskarte könne für mehr Patientensouveränität sorgen. Diese Karte sei aus datenschutzrechtlicher Sicht kritisch zu beurteilen, sagte Billen, sie könne Patienten aber Zugriff auf ihre eigenen Daten geben und Patienten wichtige Informationen bieten, an die diese heute kaum heran kämen.